Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Die polnischen Gebietsansprüche im Lichte der Statistik (Österreich, Rußland, Preußen) mehr oder weniger gefälscht sei, und stellt dann Das erste, was schon beim oberflächlichen Durchblättern des Buches auf. Prüfen wir nun aber die Vorwürfe, die Frejlich seinerseits gegen die Die polnischen Gebietsansprüche im Lichte der Statistik (Österreich, Rußland, Preußen) mehr oder weniger gefälscht sei, und stellt dann Das erste, was schon beim oberflächlichen Durchblättern des Buches auf. Prüfen wir nun aber die Vorwürfe, die Frejlich seinerseits gegen die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335272"/> <fw type="header" place="top"> Die polnischen Gebietsansprüche im Lichte der Statistik</fw><lb/> <p xml:id="ID_368" prev="#ID_367"> (Österreich, Rußland, Preußen) mehr oder weniger gefälscht sei, und stellt dann<lb/> den amtlichen Zahlen ein von ihm entworfenes, angeblich richtigeres Bild gegen¬<lb/> über. Er beruft sich mit Vorliebe auf amtliche Quellen und Äußerungen, fuhrt<lb/> solche auch mehrfach im Wortlaut an, und erweckt dadurch beim unbefangenen<lb/> Leser den Anschein einer besonderen Gewissenhaftigkeit. Er wird es, sich daher<lb/> sicherlich gern gefallen lassen, daß man sein eigenes Werk einer sorgsamen Prüfung<lb/> unterzieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_369"> Das erste, was schon beim oberflächlichen Durchblättern des Buches auf.<lb/> fällt, ist ein Versuch des Verfassers, diejenigen Leser, die in der polnischen Ge¬<lb/> schichte unkundig sind, gröblich zu täuschen. Er spricht nämlich immer abwechselnd<lb/> von dem „von Polen bewohnten Gebiet" und „dem Gebiet des alten Königreichs<lb/> Polen" und versteht es hierdurch in einer außerordentlich geschickten Weise den<lb/> Anschein zu erwecken, als wenn beides auch dasselbe bedeute, und als wenn ins¬<lb/> besondere sämtliche Landesteile Preußens, in denen überhaupt Polen wohnen,<lb/> auch zum alten Königreich Polen gehört hätten. Nachdem er diesen Irrtum in<lb/> der Einleitung erst erzeugt hat, überschreibt er das zweite Kapitel ausdrücklich:<lb/> Verteilung der polnischen Bevölkerung „über das Gebiet des alten polnischen<lb/> Staates" und benennt auch den dritten, nnr Tabellen enthaltenden Teil: nationale<lb/> und konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung, die die Gebiete „des alten<lb/> polnischen Staates" bewohnt. Unter dieser Überschrift behandelt er sodann nach¬<lb/> einander das preußische, österreichische und russische „Polen", Zu dem „preußischen"<lb/> Polen rechnet er ganz Ostpreußen, Westpreußen, Posen, Oberschlesien und einen<lb/> Teil von Miitelschlesten. Daß Schlesien niemals polnisch gewesen ist, daß von<lb/> Ostpreußen nur das Bistum Ermeland (die fünf Kreise Braunsberg, Heilsberg,<lb/> Rössel und Altenstein-Stadt und Land) zum polnischen Reich gehört haben, daß<lb/> auch Westpreußen nur knapp 200 Jahre ein Teil dieses Reiches gewesen ist, und<lb/> dies auch nur. weil es unter Bruch feierlicher Versprechungen auf dem Reichstag<lb/> zu Ludim 1569 Polen einverleibt wurde, ist an keiner Stelle des Buches auch<lb/> nur angedeutet. Der Erfolg dieser Täuschung ergibt sich aus den folgenden<lb/> Zahlen: die jetzt zu Preußen gehörigen Teile des ehemaligen Königreichs Polen<lb/> (die Provinzen Westpreußen und Posen und das Bistum Ermeland) umfassen in<lb/> Wirklichkeit ein Gebiet von 68 800 czkm mit 4 051214 Einwohnern; das von<lb/> Frejlich zum alten Königreich Polen gerechnete preußische Gebiet umfaßt dagegen<lb/> 119 956 qkm mit 9 252 014 Einwohnern, d. h. rund das Doppelte an Fläche<lb/> und an Einwohnerzahl. Der Zweck dieses Manövers ist klar: der Verfasser<lb/> will von vornherein für die maßlosen Ansprüche der Polen, insbesondere für'<lb/> diejenigen auf Ostpreußen und Oberschlesien, einen geschichtlichen Hintergrund<lb/> schaffen. Um die Gefahr dieser Täuschung zu ermessen, muß man sich klar machen,<lb/> wie gering die Kenntnis der polnischen Geschichte bei unseren Feinden, ins¬<lb/> besondere in England und den Vereinigten Staaten, ist, und wie sehr ihnen<lb/> gegenüber die Begründung der polnischen Ansprüche erleichtert wird, wenn als<lb/> ihr Ziel nur die Wiederherstellung eines früheren Zustandes dargestellt wird.<lb/> Angesichts der Ausführungen Frejlichs wirkt es ja fast wie ein Verzicht, wenn<lb/> die Polen nunmehr nicht das ganze „preußische Polen" verlangen, sondern sich<lb/> mit Posen, Westpreußen, Oberschlesien und Masuren „begnügen".</p><lb/> <p xml:id="ID_370" next="#ID_371"> Prüfen wir nun aber die Vorwürfe, die Frejlich seinerseits gegen die<lb/> preußische Nationalitätenstatistik erhebt. Er zieht hierbei mehrfach eine 1914 er¬<lb/> schienene Studie des Professor Bernhard '„Die Fehlerquelle in der Statistik der<lb/> Nationalitäten" heran. Auch in dieser Studie finden sich manche Irrtümer, auf<lb/> die hier nicht näher eingegangen werden kann. Der Grundgedanke Bernhards,<lb/> daß der Natioualilätenkampf nicht ohne Einfluß auf die Nationalitätenstatistik<lb/> bleibt, und daß deren Zuverlässigkeit darunter leidet, kann natürlich nicht geleugnet<lb/> werden; nnr muß daran erinnert werden, daß dieser Kampf — was Bernhard<lb/> auch garnicht verschweigt, sondern sogar mit Beispielen aus der polnischen Presse<lb/> belegt — auf beiden Seiten geführt wird. Seit 1900 ließ sich nämlich regelmäßig<lb/> beobachten, daß die polnische Presse schon lange vor jeder Volkszählung mobil</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
Die polnischen Gebietsansprüche im Lichte der Statistik
(Österreich, Rußland, Preußen) mehr oder weniger gefälscht sei, und stellt dann
den amtlichen Zahlen ein von ihm entworfenes, angeblich richtigeres Bild gegen¬
über. Er beruft sich mit Vorliebe auf amtliche Quellen und Äußerungen, fuhrt
solche auch mehrfach im Wortlaut an, und erweckt dadurch beim unbefangenen
Leser den Anschein einer besonderen Gewissenhaftigkeit. Er wird es, sich daher
sicherlich gern gefallen lassen, daß man sein eigenes Werk einer sorgsamen Prüfung
unterzieht.
Das erste, was schon beim oberflächlichen Durchblättern des Buches auf.
fällt, ist ein Versuch des Verfassers, diejenigen Leser, die in der polnischen Ge¬
schichte unkundig sind, gröblich zu täuschen. Er spricht nämlich immer abwechselnd
von dem „von Polen bewohnten Gebiet" und „dem Gebiet des alten Königreichs
Polen" und versteht es hierdurch in einer außerordentlich geschickten Weise den
Anschein zu erwecken, als wenn beides auch dasselbe bedeute, und als wenn ins¬
besondere sämtliche Landesteile Preußens, in denen überhaupt Polen wohnen,
auch zum alten Königreich Polen gehört hätten. Nachdem er diesen Irrtum in
der Einleitung erst erzeugt hat, überschreibt er das zweite Kapitel ausdrücklich:
Verteilung der polnischen Bevölkerung „über das Gebiet des alten polnischen
Staates" und benennt auch den dritten, nnr Tabellen enthaltenden Teil: nationale
und konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung, die die Gebiete „des alten
polnischen Staates" bewohnt. Unter dieser Überschrift behandelt er sodann nach¬
einander das preußische, österreichische und russische „Polen", Zu dem „preußischen"
Polen rechnet er ganz Ostpreußen, Westpreußen, Posen, Oberschlesien und einen
Teil von Miitelschlesten. Daß Schlesien niemals polnisch gewesen ist, daß von
Ostpreußen nur das Bistum Ermeland (die fünf Kreise Braunsberg, Heilsberg,
Rössel und Altenstein-Stadt und Land) zum polnischen Reich gehört haben, daß
auch Westpreußen nur knapp 200 Jahre ein Teil dieses Reiches gewesen ist, und
dies auch nur. weil es unter Bruch feierlicher Versprechungen auf dem Reichstag
zu Ludim 1569 Polen einverleibt wurde, ist an keiner Stelle des Buches auch
nur angedeutet. Der Erfolg dieser Täuschung ergibt sich aus den folgenden
Zahlen: die jetzt zu Preußen gehörigen Teile des ehemaligen Königreichs Polen
(die Provinzen Westpreußen und Posen und das Bistum Ermeland) umfassen in
Wirklichkeit ein Gebiet von 68 800 czkm mit 4 051214 Einwohnern; das von
Frejlich zum alten Königreich Polen gerechnete preußische Gebiet umfaßt dagegen
119 956 qkm mit 9 252 014 Einwohnern, d. h. rund das Doppelte an Fläche
und an Einwohnerzahl. Der Zweck dieses Manövers ist klar: der Verfasser
will von vornherein für die maßlosen Ansprüche der Polen, insbesondere für'
diejenigen auf Ostpreußen und Oberschlesien, einen geschichtlichen Hintergrund
schaffen. Um die Gefahr dieser Täuschung zu ermessen, muß man sich klar machen,
wie gering die Kenntnis der polnischen Geschichte bei unseren Feinden, ins¬
besondere in England und den Vereinigten Staaten, ist, und wie sehr ihnen
gegenüber die Begründung der polnischen Ansprüche erleichtert wird, wenn als
ihr Ziel nur die Wiederherstellung eines früheren Zustandes dargestellt wird.
Angesichts der Ausführungen Frejlichs wirkt es ja fast wie ein Verzicht, wenn
die Polen nunmehr nicht das ganze „preußische Polen" verlangen, sondern sich
mit Posen, Westpreußen, Oberschlesien und Masuren „begnügen".
Prüfen wir nun aber die Vorwürfe, die Frejlich seinerseits gegen die
preußische Nationalitätenstatistik erhebt. Er zieht hierbei mehrfach eine 1914 er¬
schienene Studie des Professor Bernhard '„Die Fehlerquelle in der Statistik der
Nationalitäten" heran. Auch in dieser Studie finden sich manche Irrtümer, auf
die hier nicht näher eingegangen werden kann. Der Grundgedanke Bernhards,
daß der Natioualilätenkampf nicht ohne Einfluß auf die Nationalitätenstatistik
bleibt, und daß deren Zuverlässigkeit darunter leidet, kann natürlich nicht geleugnet
werden; nnr muß daran erinnert werden, daß dieser Kampf — was Bernhard
auch garnicht verschweigt, sondern sogar mit Beispielen aus der polnischen Presse
belegt — auf beiden Seiten geführt wird. Seit 1900 ließ sich nämlich regelmäßig
beobachten, daß die polnische Presse schon lange vor jeder Volkszählung mobil
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