Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Zur Neugestaltung des Deutschen volksstaates Dies sind gewiß große Bedenken, die sich gebieterisch gegen die augenblick¬ Bestand kann ein solches umgeformtes Deutschland nur dann haben, wenn Daraus ergibt sich die große und gerade in Württemberg nur mit einigem Wir Deutsche sind leider nicht nur ein unpolitisches, sondern heute auch Heute aber haben sich die Verhältnisse bedeutsam geändert. An die Stelle Zur Neugestaltung des Deutschen volksstaates Dies sind gewiß große Bedenken, die sich gebieterisch gegen die augenblick¬ Bestand kann ein solches umgeformtes Deutschland nur dann haben, wenn Daraus ergibt sich die große und gerade in Württemberg nur mit einigem Wir Deutsche sind leider nicht nur ein unpolitisches, sondern heute auch Heute aber haben sich die Verhältnisse bedeutsam geändert. An die Stelle <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335259"/> <fw type="header" place="top"> Zur Neugestaltung des Deutschen volksstaates</fw><lb/> <p xml:id="ID_319"> Dies sind gewiß große Bedenken, die sich gebieterisch gegen die augenblick¬<lb/> liche Auflösungs- und ZusaanMenschließungslust ohne jede Rücksicht auf das<lb/> Gleichgewicht und die möglichen Folgen einer solchen raschen Umformung<lb/> .geltend machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_320"> Bestand kann ein solches umgeformtes Deutschland nur dann haben, wenn<lb/> eine straffe politische Zentralisation eingerichtet wird, der sich die einzelnen<lb/> Länder, ihre souveräne Selbständigkeit aufgebend, und dann überdies an Umfang<lb/> einander möglichst gleich gemacht, unterordnen. Also eine Art Wiederholung<lb/> dessen, was 1790 in Frankreich geschah, wo man mit dem Geschichtlichen und<lb/> Besonderen um des Einheitlichen willen brach.</p><lb/> <p xml:id="ID_321"> Daraus ergibt sich die große und gerade in Württemberg nur mit einigem<lb/> Mut offen zu stellende Frage: müssen denn selbständige Teilstaaten, wie sie heute<lb/> es sind, bestehen? Staaten, die ein „ewiger Bund" miteinander verbindet, der<lb/> aber schließlich leider sehr leicht zu lösen ist, namentlich, wenn ein böser Nachbar<lb/> seine Minen springen läßt? Ist politische Unterordnung unter eine alle gleich¬<lb/> mäßig handhabende Reichszentrale wirklich unmöglich? Sind wir dazu reif,<lb/> oder nicht? Auch dann nicht, wenn unsrer Eigenliebe dadurch geschmeichelt<lb/> würde, daß große Abzweigungen der Reichszentrale in die verschiedenen Länder<lb/> gerecht und gleichmäßig verteilt würden, nach dem Beispiel des Reichsgerichts<lb/> in Leipzig?</p><lb/> <p xml:id="ID_322"> Wir Deutsche sind leider nicht nur ein unpolitisches, sondern heute auch<lb/> noch ein recht unnationales Volk. Vielen breiten Volksschichten in Süd- und<lb/> Westdeutschland gilt ihr deutsches Volkstum nicht mehr als ein Butterbrot in<lb/> Fviedenszeiten. Man hat die betrübendsten Einblicke und Erfahrungen darüber<lb/> erst wieder in jüngster Zeit machen können; und doch scheint die alte Zeit wieder¬<lb/> zukehren, wo Stvaßburg,als Ausfallstor Süddeutschland bedrohte, und unendliche<lb/> Kriegsleiden dadurch über die süddeutschen souveränen aber ohnmächtigen<lb/> Einzelstaaten hereinbrachen. Wir Deutsche vergessen das viel zu schnell, und<lb/> wir hassen uns in mancher Hinsicht viel mehr gegenseitig, 'als wir die uns<lb/> bedrohenden Feinde hassen. Das ist in 'gewissem Sinne erklärlich. Unter den<lb/> zwei Vaterländern — dem großen und dem kleineren — können wir zu natio¬<lb/> nalem Bewußtsein in reiner Form nicht kommen. Tatsache! Vor allem können<lb/> sich die breiteren Massen darin nicht zurechtfinden, die von vaterländischer<lb/> Geschichte nur allzuwenig hören und wissen! Die Ruinen des Heidelberger und<lb/> Badener Schlosses wären bei unseren Feinden ewige Denkmäler des Hasses und<lb/> der Rache gegen die Zerstörer; der Badenser kümmert sich nicht darum, und muß<lb/> er einmal um des Reiches willen etwas erleiden oder hergeben, so wünscht er<lb/> sofort die Franzosen herbei, — bis sie wirklich am Rheine stehen! Das war so<lb/> — und nicht nur etwa in Baden — im Jahre 1913! Solche Zustände hängen<lb/> aber aufs engste mit dem Partikularistischen Bewußtsein und dem darin beruhen¬<lb/> den Mangel an deutschem Empfinden zusamnMn. Es fehlt uns das eine, einzige<lb/> Symbol, wie es die Trikolore ist, weil wir immer schwanken zwischen dem<lb/> „eigenen" und dem des Reiches. Dies macht viel mehr aus — psychologisch —<lb/> als man Wohl zugeben möchte. Da liegen große Fehler unserer völkischen<lb/> Erziehung. Aber auch diese Erziehung wird durch die Verhältnisse bestimmt, die<lb/> uns in den vaterländischen Problemen weder äußerlich noch innerlich zur Ruhe<lb/> kommen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_323" next="#ID_324"> Heute aber haben sich die Verhältnisse bedeutsam geändert. An die Stelle<lb/> der Landesväter tritt der einzelne Volksstaat selbst. Wer diese Volksstaaten<lb/> sollen neben eigenen Präsidenten wiederum höchst exklusive Landesvertretungen<lb/> als ausschlaggebende Regierungsfaktoren bekommen, ihre eigenen Mimsterien<lb/> und den ganzen, nach dem übrigen Deutschland jeweils durch die chinesische<lb/> Mauer hermetisch' obgeschlossenen Verwaltungs- und Beamtenapparat behalten,<lb/> sollen sich nebeneinander, so wie bisher, nur so eben vertragen, ohne sich leiden<lb/> zu können, und um in irgendeiner losen Zusammengehörigkeit — vielleicht nicht<lb/> einmal mehr zusammengehalten durch gemeinsames Reichsheer, Flotte und<lb/> Kolonien — ein republikanisches Reich mit einem Präsidenten an der Spitze zu</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
Zur Neugestaltung des Deutschen volksstaates
Dies sind gewiß große Bedenken, die sich gebieterisch gegen die augenblick¬
liche Auflösungs- und ZusaanMenschließungslust ohne jede Rücksicht auf das
Gleichgewicht und die möglichen Folgen einer solchen raschen Umformung
.geltend machen.
Bestand kann ein solches umgeformtes Deutschland nur dann haben, wenn
eine straffe politische Zentralisation eingerichtet wird, der sich die einzelnen
Länder, ihre souveräne Selbständigkeit aufgebend, und dann überdies an Umfang
einander möglichst gleich gemacht, unterordnen. Also eine Art Wiederholung
dessen, was 1790 in Frankreich geschah, wo man mit dem Geschichtlichen und
Besonderen um des Einheitlichen willen brach.
Daraus ergibt sich die große und gerade in Württemberg nur mit einigem
Mut offen zu stellende Frage: müssen denn selbständige Teilstaaten, wie sie heute
es sind, bestehen? Staaten, die ein „ewiger Bund" miteinander verbindet, der
aber schließlich leider sehr leicht zu lösen ist, namentlich, wenn ein böser Nachbar
seine Minen springen läßt? Ist politische Unterordnung unter eine alle gleich¬
mäßig handhabende Reichszentrale wirklich unmöglich? Sind wir dazu reif,
oder nicht? Auch dann nicht, wenn unsrer Eigenliebe dadurch geschmeichelt
würde, daß große Abzweigungen der Reichszentrale in die verschiedenen Länder
gerecht und gleichmäßig verteilt würden, nach dem Beispiel des Reichsgerichts
in Leipzig?
Wir Deutsche sind leider nicht nur ein unpolitisches, sondern heute auch
noch ein recht unnationales Volk. Vielen breiten Volksschichten in Süd- und
Westdeutschland gilt ihr deutsches Volkstum nicht mehr als ein Butterbrot in
Fviedenszeiten. Man hat die betrübendsten Einblicke und Erfahrungen darüber
erst wieder in jüngster Zeit machen können; und doch scheint die alte Zeit wieder¬
zukehren, wo Stvaßburg,als Ausfallstor Süddeutschland bedrohte, und unendliche
Kriegsleiden dadurch über die süddeutschen souveränen aber ohnmächtigen
Einzelstaaten hereinbrachen. Wir Deutsche vergessen das viel zu schnell, und
wir hassen uns in mancher Hinsicht viel mehr gegenseitig, 'als wir die uns
bedrohenden Feinde hassen. Das ist in 'gewissem Sinne erklärlich. Unter den
zwei Vaterländern — dem großen und dem kleineren — können wir zu natio¬
nalem Bewußtsein in reiner Form nicht kommen. Tatsache! Vor allem können
sich die breiteren Massen darin nicht zurechtfinden, die von vaterländischer
Geschichte nur allzuwenig hören und wissen! Die Ruinen des Heidelberger und
Badener Schlosses wären bei unseren Feinden ewige Denkmäler des Hasses und
der Rache gegen die Zerstörer; der Badenser kümmert sich nicht darum, und muß
er einmal um des Reiches willen etwas erleiden oder hergeben, so wünscht er
sofort die Franzosen herbei, — bis sie wirklich am Rheine stehen! Das war so
— und nicht nur etwa in Baden — im Jahre 1913! Solche Zustände hängen
aber aufs engste mit dem Partikularistischen Bewußtsein und dem darin beruhen¬
den Mangel an deutschem Empfinden zusamnMn. Es fehlt uns das eine, einzige
Symbol, wie es die Trikolore ist, weil wir immer schwanken zwischen dem
„eigenen" und dem des Reiches. Dies macht viel mehr aus — psychologisch —
als man Wohl zugeben möchte. Da liegen große Fehler unserer völkischen
Erziehung. Aber auch diese Erziehung wird durch die Verhältnisse bestimmt, die
uns in den vaterländischen Problemen weder äußerlich noch innerlich zur Ruhe
kommen lassen.
Heute aber haben sich die Verhältnisse bedeutsam geändert. An die Stelle
der Landesväter tritt der einzelne Volksstaat selbst. Wer diese Volksstaaten
sollen neben eigenen Präsidenten wiederum höchst exklusive Landesvertretungen
als ausschlaggebende Regierungsfaktoren bekommen, ihre eigenen Mimsterien
und den ganzen, nach dem übrigen Deutschland jeweils durch die chinesische
Mauer hermetisch' obgeschlossenen Verwaltungs- und Beamtenapparat behalten,
sollen sich nebeneinander, so wie bisher, nur so eben vertragen, ohne sich leiden
zu können, und um in irgendeiner losen Zusammengehörigkeit — vielleicht nicht
einmal mehr zusammengehalten durch gemeinsames Reichsheer, Flotte und
Kolonien — ein republikanisches Reich mit einem Präsidenten an der Spitze zu
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