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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Trennung von Airche und Staat

über Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern" den Privatcharakter
aller echten Gottesverehrung und bringt sie zum Kirchentum in ausgesprochenen
Gegensatz. Und wir wissen alle: es gibt Kirchentum genug, das von aller Religion
verlassen ist, und wiederum echte Religiosität, die nicht kirchlich geformt ist. Den-
noch ist diese Auffassung durchaus einseitig. In Wirklichkeit gehören, trotz aller
Spannungen, Kirche und Religion in erster Linie zusammen. Die Religion, auch
die privaie, kann die Kirche nicht entbehren, wenn sie sich selbst behaupten will.
Man denke sich das äußere Kirchentum. Gotteshäuser, Gottesdienste, Prediger usw.,
alle öffentliche Darstellung des Christentums entfernt, so würden damit auch der
privaten Religion wichtigste Quellen abgeschnitten sein. Sie würde, wenn nicht
ganz versiegen, mindestens sehr abnehmen und dabei sehr einseitig werden. Dann
aber steht es garnicht so, als wäre die Religion nur Privatsache. Sie ist dies
zuerst und im Kern, aber sie ist es nicht allein. Sie ist auch Gemeinschaftssache,
öffentliche Angelegenheit, Kirche. Kein Menschheitstrieb hat solche gemeinschasis-
bildende Kraft, wie der religiöse. Von Anfang an ist das Christentum in der
Welt als Kirche aufgetreten, hat nur in diesem Leibe, gewohnt und wird es auch
in Zukunft tun. Nach evangelischer Auffassung hat zwar nicht irgendeine äußere
Form, wohl aber die Kirche selbst als Tempel des Geistes Gottes für eine göttliche
Stiftung zu gelten. Man kann die Kunst oder Wissenschaft zum Vergleich heran¬
ziehen Auch das sind zunächst private Angelegenheiten der einzelnen, aber auch
öffentliche der Gesamtheit, so daß es eine öffentliche Kunst- und Wissenschafts'
Pflege und öffentliche Anstalten dafür geben muß. Von der Religion gilt das
nur in vermehrtem Maß. '

Kirche also muß bleiben. Aus der geschichtlichen Betrachtung folgt aber
weiter, in welchem Sinne man dem Trennungsgedanken zustimmen muß: in dem,
daß die Kirche aus der Abhängigkeit vom Staate entlassen wird und ihre Ange¬
legenheiten selbständig ordnet. Darin entspricht das sozialistische Programm durch¬
aus dem kirchlichen Interesse. Kirche und Staat sind ihrer Eigenart so stark
bewußt und mächtig geworden, daß es nicht mehr angeht, daß der eine Teil von
dem andern regiert wird. Die Schäden des StaaMirchentums waren schon bisher
nicht verborgen. Die Unselbständigkeit hatte Unlebenoigkeit im Gefolge. Immer
ist es ja so, daß Selbständigkeit für einen lebendigen Organismus die wichtigste
Voraussetzung voller Lebensentfcrltung ist. Die Abhängigreit vom Staat hat der
evangelischen Kirche auch ein hohes Maß von Unpopulariiät eingebracht. Sie
ward als Dienerin der Negierung und der Besitzenden, die Geistlichkeit als schwarze
Polizei verdächtigt. So viel Übertreibung und Vorurteil dabei war, braucht man
doch nur z. B. an die Behandlung zu denken, die seinerzeit den sog. "sozialen
Pastoren" zuteil ward, um zu erkennen: es war etwas daran. Für eine Stcmis-
kirche wird es immer schwer hallen, so wie es ihr göttlicher Beruf ist, das Gewissen
für den Staat zu sein, von dem sie abhängt. Waren nun diese Übelstände schon
bisher vorhanden, wo es sich um eine Staatsregierung handelte, die sich stark in
den Bahnen der kirchlichen Tradition hielt, -- wie sollte es künftig werden? Es
ist ganz unmöglich, daß ein interkonfessionelles Parlament, zu dem auch viel Juden
und Dissidenten gehören, der evangelischen Kirche ihre Regierung bestellen sollte.
Was für Männer würde da ein vielleicht dissidentisch gesinntes Ministerium
berufen, was für Eingriffe wären zu erwarten! Es ist ein Gewinn, daß die Ent¬
wicklung der Dinge über die Unmöglichkeit weiterer Staatsabhängigkeit volle Klar-
heit geschaffen hat. Die Kirche muß selbständig werden und sich durch ihre eigenen
Organe verwalten. Das können nur die Synoden sein, die nach dem Wegfall
des landesherrlichen Kirchenregiments als die Inhaber der Kirchengewalt zu gelten
haben. Wie nun diese die Dinge ordnen werden, steht hier nicht in Frage. Nur
ist soviel sicher, daß sie sich selbst für ihre neue Rolle auf eine viel breitere und
populärere Basis werden stellen müssen, als sie sie bisher hatten. Sie müssen,
zweifellos auch durch ein gleiches, allgemeines und direktes Stimmrecht für Männer
und Frauen, wirkliche Vertretung der Gemeinden werden, als in welchen die
evangelische Kirche ihr eigentliches Leben lebt. Nur von unten her, von der


Trennung von Airche und Staat

über Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern" den Privatcharakter
aller echten Gottesverehrung und bringt sie zum Kirchentum in ausgesprochenen
Gegensatz. Und wir wissen alle: es gibt Kirchentum genug, das von aller Religion
verlassen ist, und wiederum echte Religiosität, die nicht kirchlich geformt ist. Den-
noch ist diese Auffassung durchaus einseitig. In Wirklichkeit gehören, trotz aller
Spannungen, Kirche und Religion in erster Linie zusammen. Die Religion, auch
die privaie, kann die Kirche nicht entbehren, wenn sie sich selbst behaupten will.
Man denke sich das äußere Kirchentum. Gotteshäuser, Gottesdienste, Prediger usw.,
alle öffentliche Darstellung des Christentums entfernt, so würden damit auch der
privaten Religion wichtigste Quellen abgeschnitten sein. Sie würde, wenn nicht
ganz versiegen, mindestens sehr abnehmen und dabei sehr einseitig werden. Dann
aber steht es garnicht so, als wäre die Religion nur Privatsache. Sie ist dies
zuerst und im Kern, aber sie ist es nicht allein. Sie ist auch Gemeinschaftssache,
öffentliche Angelegenheit, Kirche. Kein Menschheitstrieb hat solche gemeinschasis-
bildende Kraft, wie der religiöse. Von Anfang an ist das Christentum in der
Welt als Kirche aufgetreten, hat nur in diesem Leibe, gewohnt und wird es auch
in Zukunft tun. Nach evangelischer Auffassung hat zwar nicht irgendeine äußere
Form, wohl aber die Kirche selbst als Tempel des Geistes Gottes für eine göttliche
Stiftung zu gelten. Man kann die Kunst oder Wissenschaft zum Vergleich heran¬
ziehen Auch das sind zunächst private Angelegenheiten der einzelnen, aber auch
öffentliche der Gesamtheit, so daß es eine öffentliche Kunst- und Wissenschafts'
Pflege und öffentliche Anstalten dafür geben muß. Von der Religion gilt das
nur in vermehrtem Maß. '

Kirche also muß bleiben. Aus der geschichtlichen Betrachtung folgt aber
weiter, in welchem Sinne man dem Trennungsgedanken zustimmen muß: in dem,
daß die Kirche aus der Abhängigkeit vom Staate entlassen wird und ihre Ange¬
legenheiten selbständig ordnet. Darin entspricht das sozialistische Programm durch¬
aus dem kirchlichen Interesse. Kirche und Staat sind ihrer Eigenart so stark
bewußt und mächtig geworden, daß es nicht mehr angeht, daß der eine Teil von
dem andern regiert wird. Die Schäden des StaaMirchentums waren schon bisher
nicht verborgen. Die Unselbständigkeit hatte Unlebenoigkeit im Gefolge. Immer
ist es ja so, daß Selbständigkeit für einen lebendigen Organismus die wichtigste
Voraussetzung voller Lebensentfcrltung ist. Die Abhängigreit vom Staat hat der
evangelischen Kirche auch ein hohes Maß von Unpopulariiät eingebracht. Sie
ward als Dienerin der Negierung und der Besitzenden, die Geistlichkeit als schwarze
Polizei verdächtigt. So viel Übertreibung und Vorurteil dabei war, braucht man
doch nur z. B. an die Behandlung zu denken, die seinerzeit den sog. „sozialen
Pastoren" zuteil ward, um zu erkennen: es war etwas daran. Für eine Stcmis-
kirche wird es immer schwer hallen, so wie es ihr göttlicher Beruf ist, das Gewissen
für den Staat zu sein, von dem sie abhängt. Waren nun diese Übelstände schon
bisher vorhanden, wo es sich um eine Staatsregierung handelte, die sich stark in
den Bahnen der kirchlichen Tradition hielt, — wie sollte es künftig werden? Es
ist ganz unmöglich, daß ein interkonfessionelles Parlament, zu dem auch viel Juden
und Dissidenten gehören, der evangelischen Kirche ihre Regierung bestellen sollte.
Was für Männer würde da ein vielleicht dissidentisch gesinntes Ministerium
berufen, was für Eingriffe wären zu erwarten! Es ist ein Gewinn, daß die Ent¬
wicklung der Dinge über die Unmöglichkeit weiterer Staatsabhängigkeit volle Klar-
heit geschaffen hat. Die Kirche muß selbständig werden und sich durch ihre eigenen
Organe verwalten. Das können nur die Synoden sein, die nach dem Wegfall
des landesherrlichen Kirchenregiments als die Inhaber der Kirchengewalt zu gelten
haben. Wie nun diese die Dinge ordnen werden, steht hier nicht in Frage. Nur
ist soviel sicher, daß sie sich selbst für ihre neue Rolle auf eine viel breitere und
populärere Basis werden stellen müssen, als sie sie bisher hatten. Sie müssen,
zweifellos auch durch ein gleiches, allgemeines und direktes Stimmrecht für Männer
und Frauen, wirkliche Vertretung der Gemeinden werden, als in welchen die
evangelische Kirche ihr eigentliches Leben lebt. Nur von unten her, von der


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[0046] Trennung von Airche und Staat über Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern" den Privatcharakter aller echten Gottesverehrung und bringt sie zum Kirchentum in ausgesprochenen Gegensatz. Und wir wissen alle: es gibt Kirchentum genug, das von aller Religion verlassen ist, und wiederum echte Religiosität, die nicht kirchlich geformt ist. Den- noch ist diese Auffassung durchaus einseitig. In Wirklichkeit gehören, trotz aller Spannungen, Kirche und Religion in erster Linie zusammen. Die Religion, auch die privaie, kann die Kirche nicht entbehren, wenn sie sich selbst behaupten will. Man denke sich das äußere Kirchentum. Gotteshäuser, Gottesdienste, Prediger usw., alle öffentliche Darstellung des Christentums entfernt, so würden damit auch der privaten Religion wichtigste Quellen abgeschnitten sein. Sie würde, wenn nicht ganz versiegen, mindestens sehr abnehmen und dabei sehr einseitig werden. Dann aber steht es garnicht so, als wäre die Religion nur Privatsache. Sie ist dies zuerst und im Kern, aber sie ist es nicht allein. Sie ist auch Gemeinschaftssache, öffentliche Angelegenheit, Kirche. Kein Menschheitstrieb hat solche gemeinschasis- bildende Kraft, wie der religiöse. Von Anfang an ist das Christentum in der Welt als Kirche aufgetreten, hat nur in diesem Leibe, gewohnt und wird es auch in Zukunft tun. Nach evangelischer Auffassung hat zwar nicht irgendeine äußere Form, wohl aber die Kirche selbst als Tempel des Geistes Gottes für eine göttliche Stiftung zu gelten. Man kann die Kunst oder Wissenschaft zum Vergleich heran¬ ziehen Auch das sind zunächst private Angelegenheiten der einzelnen, aber auch öffentliche der Gesamtheit, so daß es eine öffentliche Kunst- und Wissenschafts' Pflege und öffentliche Anstalten dafür geben muß. Von der Religion gilt das nur in vermehrtem Maß. ' Kirche also muß bleiben. Aus der geschichtlichen Betrachtung folgt aber weiter, in welchem Sinne man dem Trennungsgedanken zustimmen muß: in dem, daß die Kirche aus der Abhängigkeit vom Staate entlassen wird und ihre Ange¬ legenheiten selbständig ordnet. Darin entspricht das sozialistische Programm durch¬ aus dem kirchlichen Interesse. Kirche und Staat sind ihrer Eigenart so stark bewußt und mächtig geworden, daß es nicht mehr angeht, daß der eine Teil von dem andern regiert wird. Die Schäden des StaaMirchentums waren schon bisher nicht verborgen. Die Unselbständigkeit hatte Unlebenoigkeit im Gefolge. Immer ist es ja so, daß Selbständigkeit für einen lebendigen Organismus die wichtigste Voraussetzung voller Lebensentfcrltung ist. Die Abhängigreit vom Staat hat der evangelischen Kirche auch ein hohes Maß von Unpopulariiät eingebracht. Sie ward als Dienerin der Negierung und der Besitzenden, die Geistlichkeit als schwarze Polizei verdächtigt. So viel Übertreibung und Vorurteil dabei war, braucht man doch nur z. B. an die Behandlung zu denken, die seinerzeit den sog. „sozialen Pastoren" zuteil ward, um zu erkennen: es war etwas daran. Für eine Stcmis- kirche wird es immer schwer hallen, so wie es ihr göttlicher Beruf ist, das Gewissen für den Staat zu sein, von dem sie abhängt. Waren nun diese Übelstände schon bisher vorhanden, wo es sich um eine Staatsregierung handelte, die sich stark in den Bahnen der kirchlichen Tradition hielt, — wie sollte es künftig werden? Es ist ganz unmöglich, daß ein interkonfessionelles Parlament, zu dem auch viel Juden und Dissidenten gehören, der evangelischen Kirche ihre Regierung bestellen sollte. Was für Männer würde da ein vielleicht dissidentisch gesinntes Ministerium berufen, was für Eingriffe wären zu erwarten! Es ist ein Gewinn, daß die Ent¬ wicklung der Dinge über die Unmöglichkeit weiterer Staatsabhängigkeit volle Klar- heit geschaffen hat. Die Kirche muß selbständig werden und sich durch ihre eigenen Organe verwalten. Das können nur die Synoden sein, die nach dem Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments als die Inhaber der Kirchengewalt zu gelten haben. Wie nun diese die Dinge ordnen werden, steht hier nicht in Frage. Nur ist soviel sicher, daß sie sich selbst für ihre neue Rolle auf eine viel breitere und populärere Basis werden stellen müssen, als sie sie bisher hatten. Sie müssen, zweifellos auch durch ein gleiches, allgemeines und direktes Stimmrecht für Männer und Frauen, wirkliche Vertretung der Gemeinden werden, als in welchen die evangelische Kirche ihr eigentliches Leben lebt. Nur von unten her, von der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/46>, abgerufen am 06.02.2025.