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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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ihren festen Forderungen auf wissenschaftlichem Gebiete stets ein Dorn im Auge
gewesen, um so mehr, als dort die Eltern, viel zu schwach zur Erziehung, in dem
Kinde schon den vollgültigen Menschen mit ausgeprägtem Selbstgefühl und
eigenem Willen sehen. Selbst jeder Disziplin abhold, fordern sie auch von?
Kinde nur dann Unterordnung, wenn es ihren augenblicklichen Launen ent¬
spricht. Unbekannt mit den Zielen der Schule, mit dem Unterschiede zwischen
Fachbildung und allgemeiner Bildung, verlangen die Eltern von der Schule nur
das, -was sie für sich persönlich als notwendig erachten.

Nur so ist es zu verstehen, daß die russische Schule stets ein Objekt der
Experimente war und noch ist, und daß auch die Bolschewiken es sich nicht nehmen
ließen, ihr "unfehlbares Rezept" auch auf die Schule anzuwenden. Bor allen
Dingen will der Bolschewik alles beseitige", was ihm für seine Person
-- nicht aber auf andere angewandt --- als Zwang erscheint, wie überhaupt die
Freiheitsschreier nur für die Freiheit ihrer Person und Gleichgesinnter sind,
während sie die Freiheit anderer nicht anerkennen. Man denke nur an die
geforderte Presse- und Redefreiheit, die in Rußland damit geendet hat, daß jede
nicht sozialistische, jetzt -sogar bolschewistische Zeitung einfach verboten ist, daß jeder
Redner, der dem bolschewistischen Volksredner widerspricht, einfach nieder-
geschrien oder fortgejagt wird, wie es hier in diesen Tagen auf der Straße geschah,
wo ein Mann, der dem Spartakusvertreter widersprach, zum Rückzüge veranlaßt
wurde mit den drohend zugerufenen Worten: "Jetzt mach aber, daß du fort¬
kommst." -- Vor allem also will jetzt der Bolschewik die Schule so stellen, daß
nicht der Lehrer, sondern nur Schiller und Eltern maßgebend sind.

Die Reorganisation der Schule in bolschewistischem Sinne begann daher
sofort nach der Übernahme der Gewalt durch die Bolschewiken. -- Zunächst waren
es Forderungen allgemeiner Natur: es sollten die Programme, die Beziehungen
zwischen Schule und Haus überprüft werden und den Kindern sollte mehr Frei¬
heit gegeben werden. -- Eine nähere Bestimmung dieser Forderungen fand zu¬
nächst nicht statt, aber mit derselben Schnelligkeit, mit der die Dekrete auf allen
Gebieten erschienen, folgten dann auch die Erlasse auf dem Gebiete der Erziehung
und des Unterrichts. Es begann damit, daß die Freiheit des Wortes und der
Versammlungen auch den Schülern und Schülerinnen gewährt wurden. Zu
dem Zwecke berief die Leitung des Lehrbezirks eine Versammlung der Schüler
ein. Von joder Schule mußten aus den drei obersten Klassen je zwei Vertreter
erscheinen. Als einziger Erwachsener wohnte dieser Versammlung der Delegierte
des Ministeriums bei, einer der Inspektoren des Lehrbezirks, der in' der
Eröffnungsrede die Jugend darauf hinwies, daß die Schule durch und durch faul
sei, daher bis auf den Grund niedergerissen werden müsse, und daß sie, die
Schüler, dem Ministerium beim Aufbau der neuen Schule zu helfen haben.

Es bedarf kaum des Hinweises, welchen verderblichen Erfolg diese An¬
sprache hatte. Gleich in den darauffolgenden Tagen zeigten sich die Früchte
dieser Versammlung. Die Schüler kamen mit einer Reihe Forderungen; als
Punkt eins und zwei forderten sie in fast allen Schulen: Beseitigung jeglicher
Aufsicht seitens des Lehrerpersonals in den Zwischenstunden und Rauchfreiheit,
sowohl auf der Straße, als auch in den Räumen der Schule. Die gemäßigteren
Schüler beschränkten sich auf Forderung der Einräumung eines Rauchzimmers
für die oberen Klassen. Ferner verlangten sie freie Wahl des Klassenordinarius,
Entlassung unliebsamer Lehrer und Beeinflussung des Programms. Interessant
ist die Beobachtung, daß die Gymnasiasten in' ihren Forderungen bedeutend
gemäßigter waren, als die Realisten. -- Jede Schule hatte ihre Schüler-
Versammlungen, auf denen solche und ähnliche, noch viel wildere Beschlüsse
gefaßt wurden. An den Wänden der Klassen und Korridoren erschienen allerlei
Bekanntmachungen, Einladungen zu Versammlungen mehrerer .Klassen, auch
mehrerer Schulen, sowie mannigfache Kundgebungen. Laut Rundschreiben des
Lehrbezirks hatte kein Lehrer das Recht, sich'in dieses Treiben irgendwie einzu¬
mischen. In einem Gymnasium gingen die Schüler sogar so weit, daß sie vor
den Eingängen zu den Räumen, die sie für ihre Versammlungen ausersehen


ihren festen Forderungen auf wissenschaftlichem Gebiete stets ein Dorn im Auge
gewesen, um so mehr, als dort die Eltern, viel zu schwach zur Erziehung, in dem
Kinde schon den vollgültigen Menschen mit ausgeprägtem Selbstgefühl und
eigenem Willen sehen. Selbst jeder Disziplin abhold, fordern sie auch von?
Kinde nur dann Unterordnung, wenn es ihren augenblicklichen Launen ent¬
spricht. Unbekannt mit den Zielen der Schule, mit dem Unterschiede zwischen
Fachbildung und allgemeiner Bildung, verlangen die Eltern von der Schule nur
das, -was sie für sich persönlich als notwendig erachten.

Nur so ist es zu verstehen, daß die russische Schule stets ein Objekt der
Experimente war und noch ist, und daß auch die Bolschewiken es sich nicht nehmen
ließen, ihr „unfehlbares Rezept" auch auf die Schule anzuwenden. Bor allen
Dingen will der Bolschewik alles beseitige», was ihm für seine Person
— nicht aber auf andere angewandt —- als Zwang erscheint, wie überhaupt die
Freiheitsschreier nur für die Freiheit ihrer Person und Gleichgesinnter sind,
während sie die Freiheit anderer nicht anerkennen. Man denke nur an die
geforderte Presse- und Redefreiheit, die in Rußland damit geendet hat, daß jede
nicht sozialistische, jetzt -sogar bolschewistische Zeitung einfach verboten ist, daß jeder
Redner, der dem bolschewistischen Volksredner widerspricht, einfach nieder-
geschrien oder fortgejagt wird, wie es hier in diesen Tagen auf der Straße geschah,
wo ein Mann, der dem Spartakusvertreter widersprach, zum Rückzüge veranlaßt
wurde mit den drohend zugerufenen Worten: „Jetzt mach aber, daß du fort¬
kommst." — Vor allem also will jetzt der Bolschewik die Schule so stellen, daß
nicht der Lehrer, sondern nur Schiller und Eltern maßgebend sind.

Die Reorganisation der Schule in bolschewistischem Sinne begann daher
sofort nach der Übernahme der Gewalt durch die Bolschewiken. — Zunächst waren
es Forderungen allgemeiner Natur: es sollten die Programme, die Beziehungen
zwischen Schule und Haus überprüft werden und den Kindern sollte mehr Frei¬
heit gegeben werden. — Eine nähere Bestimmung dieser Forderungen fand zu¬
nächst nicht statt, aber mit derselben Schnelligkeit, mit der die Dekrete auf allen
Gebieten erschienen, folgten dann auch die Erlasse auf dem Gebiete der Erziehung
und des Unterrichts. Es begann damit, daß die Freiheit des Wortes und der
Versammlungen auch den Schülern und Schülerinnen gewährt wurden. Zu
dem Zwecke berief die Leitung des Lehrbezirks eine Versammlung der Schüler
ein. Von joder Schule mußten aus den drei obersten Klassen je zwei Vertreter
erscheinen. Als einziger Erwachsener wohnte dieser Versammlung der Delegierte
des Ministeriums bei, einer der Inspektoren des Lehrbezirks, der in' der
Eröffnungsrede die Jugend darauf hinwies, daß die Schule durch und durch faul
sei, daher bis auf den Grund niedergerissen werden müsse, und daß sie, die
Schüler, dem Ministerium beim Aufbau der neuen Schule zu helfen haben.

Es bedarf kaum des Hinweises, welchen verderblichen Erfolg diese An¬
sprache hatte. Gleich in den darauffolgenden Tagen zeigten sich die Früchte
dieser Versammlung. Die Schüler kamen mit einer Reihe Forderungen; als
Punkt eins und zwei forderten sie in fast allen Schulen: Beseitigung jeglicher
Aufsicht seitens des Lehrerpersonals in den Zwischenstunden und Rauchfreiheit,
sowohl auf der Straße, als auch in den Räumen der Schule. Die gemäßigteren
Schüler beschränkten sich auf Forderung der Einräumung eines Rauchzimmers
für die oberen Klassen. Ferner verlangten sie freie Wahl des Klassenordinarius,
Entlassung unliebsamer Lehrer und Beeinflussung des Programms. Interessant
ist die Beobachtung, daß die Gymnasiasten in' ihren Forderungen bedeutend
gemäßigter waren, als die Realisten. — Jede Schule hatte ihre Schüler-
Versammlungen, auf denen solche und ähnliche, noch viel wildere Beschlüsse
gefaßt wurden. An den Wänden der Klassen und Korridoren erschienen allerlei
Bekanntmachungen, Einladungen zu Versammlungen mehrerer .Klassen, auch
mehrerer Schulen, sowie mannigfache Kundgebungen. Laut Rundschreiben des
Lehrbezirks hatte kein Lehrer das Recht, sich'in dieses Treiben irgendwie einzu¬
mischen. In einem Gymnasium gingen die Schüler sogar so weit, daß sie vor
den Eingängen zu den Räumen, die sie für ihre Versammlungen ausersehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/22>, abgerufen am 05.02.2025.