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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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kirchenrat) haben? -- Andere Fragen sind in der Gegenwart nicht so dringlich
wie diese. Zum Beispiel wird der Staat immer "in Oberanfsichtsrecht über die
Kirchen behalten müssen; d. h. er wird zu entscheiden haben, ob irgendeine
kirchengesetzliche Anordnung oder kirchenregimentllche Verfügung das Recht oder
die Interessen des Staates berührt oder beeinträchtigt. Irgendein Aufsichts¬
oder Vetorecht wird jeder Staat behalten müssen. Es wäre richtiger, wenn man
nicht zu unvorsichtig mit dem Schlagwort "Trennung von Staat und Kirche"
umspringen würde. Man muß genau angeben, welchen Komplex von Fragen
man eigentlich im Auge hat, und wie man das Verhältnis von Staat und Kirche
neu ordnen will. Denn daß sich irgendein positives Verhältnis beider Größen
herausbilden muß, ist für den modernen Staat selbstverständlich. Dieser kann
nicht, wie es die französischen Trennungsgesetze vergeblich versuchten, die Kirche als
Viairt'nu no^iiMabiv betrachten. Muß er schon zu allen großen Aktien- und
Erwerbsgesellschaften in irgendein positives Verhältnis der Beaufsichtigung
treten, wie viel mehr zu Größen von so ungemeiner Kulturbedeutung für das
gesamte Volksleben, wie es unsere Kirchen find und hoffentlich immer
bleiben werden. ^

Im folgenden soll nur die dritte der vorhin genannten Fragen berührt
werden, nachdem die ersten beiden schon in den Aufsatz-in Von Kaiser und Peters
genügend be.enabled sind. -- Die Demokratisierung des Staats führt not'.vendiger-
weist auch zu einer Demokratisierung der Landeskirchen. Schon die Geschichte
zeigt einen engen Zusammenhang von Staatsverfassung und Kirchenverfassung.
In 'den Zeiten der absoluten Monarchie herrschte in der Kirche unbeschränkt dre
Kirchenbehörde, die ganz von der Staatsleitung abhängig war. Die Gemeinden
hatten nicht die geringsten Rechte. So wenig dies dem Wesen der Kirche ent¬
sprach, war es so lange allenfalls erträglich, als kein Konflikt zwischen dem
christlichen Volk und feiner Obrigkeit eintrat. Wenn alle die Überzeugung
hatten, daß der Monarch -- beziehungsweise in freien Reichsstädten der
Magistrat -- und seine Räte väterlich wohlwollend für die Bedürfnisse des
kirchlichen Lebens sorgten, war jener unnatürliche Austand erträglich. So ist es
begreiflich, daß sich jahrhundertelang gegen das landesherrliche Kirchenregiment
kein oder nur geringer Widerstand geregt hat. -- Erst die Zeiten der
konstitutionellen Monarchie haben -- viel zu spät -- auch der Kirche die seit
langem notwendige synodale Verfassung gebracht. Kirchlich so wohlgesinnte
Monarchen wie Friedrich Wilhelm der Dritte haben in völliger Verkennung der
dringendsten Lebensnotwenbigkeiten der Kirche und gegen den Rat des einflu߬
reichsten Theologen -- Schleiermachers -- sich dagegen gesträubt, der Kirche eine
selbständige Verfassung zu geben, ein Organ, durch welches die Kirche sich selbst
zu den damals brennenden Fragen (Einführung der Union, Entwurf einer
neuen Liturgie u. a.) zu äußern vermochte. Durch königliche Verordnung
wurde damals alles der Kirche aufgezwungen. Diese erzwungene Untätigkeit hat
der Kirche unendlichen Schaden gebracht, hat unser Kirchenvolk zu der völligen
Passivität und Gleichgültigkeit erzogen, unter der wir noch heute leiden. Wie
ganz anders liegt es in den presbyterianischer Gemeinden zum Beispiel Schott¬
lands. Man lese nur die prächtigen Skizzen von Jan Maclaren (Altes und
Neues aus Drumtochth, Die Gemeinde von Se. Juda u. a.). Aus ihnen kann
man sehen, wie kirchliches Leben blüht, wenn die Gemeinden feit Jahrhunderten
in Kirchenältesten Leute ihres Vertrauens wählen, die Hand in Hand' mit dem
Pfarrer arbeiten, ja diesen beaufsichtigen, zuweilen freilich auch schul¬
meistern "vollen.

Jetzt wo im politischen Leben die Monarchie zunächst gefallen ist und das
Volk seine oberste Behörde selbständig wählt, ist es die notwendige Folge, daß
die kirchlichen Gemeinden ebenso ihre Kirchenbehörden selbst wählen. Der
Rechtsgrund hierfür foll aber nicht von .der staatlichen Umwälzung hergeleitet
werden. Vielmehr führt diese nur dazu, daß nun endlich die lange gehemmte
Entwicklung eintreten kann, die in der Idee der Kirche selbst liegt und die den
tiefsten Absichten der Reformation entspricht. Das landesherrliche Kirchen-


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Airche und politische Parteien

kirchenrat) haben? — Andere Fragen sind in der Gegenwart nicht so dringlich
wie diese. Zum Beispiel wird der Staat immer «in Oberanfsichtsrecht über die
Kirchen behalten müssen; d. h. er wird zu entscheiden haben, ob irgendeine
kirchengesetzliche Anordnung oder kirchenregimentllche Verfügung das Recht oder
die Interessen des Staates berührt oder beeinträchtigt. Irgendein Aufsichts¬
oder Vetorecht wird jeder Staat behalten müssen. Es wäre richtiger, wenn man
nicht zu unvorsichtig mit dem Schlagwort „Trennung von Staat und Kirche"
umspringen würde. Man muß genau angeben, welchen Komplex von Fragen
man eigentlich im Auge hat, und wie man das Verhältnis von Staat und Kirche
neu ordnen will. Denn daß sich irgendein positives Verhältnis beider Größen
herausbilden muß, ist für den modernen Staat selbstverständlich. Dieser kann
nicht, wie es die französischen Trennungsgesetze vergeblich versuchten, die Kirche als
Viairt'nu no^iiMabiv betrachten. Muß er schon zu allen großen Aktien- und
Erwerbsgesellschaften in irgendein positives Verhältnis der Beaufsichtigung
treten, wie viel mehr zu Größen von so ungemeiner Kulturbedeutung für das
gesamte Volksleben, wie es unsere Kirchen find und hoffentlich immer
bleiben werden. ^

Im folgenden soll nur die dritte der vorhin genannten Fragen berührt
werden, nachdem die ersten beiden schon in den Aufsatz-in Von Kaiser und Peters
genügend be.enabled sind. — Die Demokratisierung des Staats führt not'.vendiger-
weist auch zu einer Demokratisierung der Landeskirchen. Schon die Geschichte
zeigt einen engen Zusammenhang von Staatsverfassung und Kirchenverfassung.
In 'den Zeiten der absoluten Monarchie herrschte in der Kirche unbeschränkt dre
Kirchenbehörde, die ganz von der Staatsleitung abhängig war. Die Gemeinden
hatten nicht die geringsten Rechte. So wenig dies dem Wesen der Kirche ent¬
sprach, war es so lange allenfalls erträglich, als kein Konflikt zwischen dem
christlichen Volk und feiner Obrigkeit eintrat. Wenn alle die Überzeugung
hatten, daß der Monarch — beziehungsweise in freien Reichsstädten der
Magistrat — und seine Räte väterlich wohlwollend für die Bedürfnisse des
kirchlichen Lebens sorgten, war jener unnatürliche Austand erträglich. So ist es
begreiflich, daß sich jahrhundertelang gegen das landesherrliche Kirchenregiment
kein oder nur geringer Widerstand geregt hat. — Erst die Zeiten der
konstitutionellen Monarchie haben — viel zu spät — auch der Kirche die seit
langem notwendige synodale Verfassung gebracht. Kirchlich so wohlgesinnte
Monarchen wie Friedrich Wilhelm der Dritte haben in völliger Verkennung der
dringendsten Lebensnotwenbigkeiten der Kirche und gegen den Rat des einflu߬
reichsten Theologen — Schleiermachers — sich dagegen gesträubt, der Kirche eine
selbständige Verfassung zu geben, ein Organ, durch welches die Kirche sich selbst
zu den damals brennenden Fragen (Einführung der Union, Entwurf einer
neuen Liturgie u. a.) zu äußern vermochte. Durch königliche Verordnung
wurde damals alles der Kirche aufgezwungen. Diese erzwungene Untätigkeit hat
der Kirche unendlichen Schaden gebracht, hat unser Kirchenvolk zu der völligen
Passivität und Gleichgültigkeit erzogen, unter der wir noch heute leiden. Wie
ganz anders liegt es in den presbyterianischer Gemeinden zum Beispiel Schott¬
lands. Man lese nur die prächtigen Skizzen von Jan Maclaren (Altes und
Neues aus Drumtochth, Die Gemeinde von Se. Juda u. a.). Aus ihnen kann
man sehen, wie kirchliches Leben blüht, wenn die Gemeinden feit Jahrhunderten
in Kirchenältesten Leute ihres Vertrauens wählen, die Hand in Hand' mit dem
Pfarrer arbeiten, ja diesen beaufsichtigen, zuweilen freilich auch schul¬
meistern »vollen.

Jetzt wo im politischen Leben die Monarchie zunächst gefallen ist und das
Volk seine oberste Behörde selbständig wählt, ist es die notwendige Folge, daß
die kirchlichen Gemeinden ebenso ihre Kirchenbehörden selbst wählen. Der
Rechtsgrund hierfür foll aber nicht von .der staatlichen Umwälzung hergeleitet
werden. Vielmehr führt diese nur dazu, daß nun endlich die lange gehemmte
Entwicklung eintreten kann, die in der Idee der Kirche selbst liegt und die den
tiefsten Absichten der Reformation entspricht. Das landesherrliche Kirchen-


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[0211] Airche und politische Parteien kirchenrat) haben? — Andere Fragen sind in der Gegenwart nicht so dringlich wie diese. Zum Beispiel wird der Staat immer «in Oberanfsichtsrecht über die Kirchen behalten müssen; d. h. er wird zu entscheiden haben, ob irgendeine kirchengesetzliche Anordnung oder kirchenregimentllche Verfügung das Recht oder die Interessen des Staates berührt oder beeinträchtigt. Irgendein Aufsichts¬ oder Vetorecht wird jeder Staat behalten müssen. Es wäre richtiger, wenn man nicht zu unvorsichtig mit dem Schlagwort „Trennung von Staat und Kirche" umspringen würde. Man muß genau angeben, welchen Komplex von Fragen man eigentlich im Auge hat, und wie man das Verhältnis von Staat und Kirche neu ordnen will. Denn daß sich irgendein positives Verhältnis beider Größen herausbilden muß, ist für den modernen Staat selbstverständlich. Dieser kann nicht, wie es die französischen Trennungsgesetze vergeblich versuchten, die Kirche als Viairt'nu no^iiMabiv betrachten. Muß er schon zu allen großen Aktien- und Erwerbsgesellschaften in irgendein positives Verhältnis der Beaufsichtigung treten, wie viel mehr zu Größen von so ungemeiner Kulturbedeutung für das gesamte Volksleben, wie es unsere Kirchen find und hoffentlich immer bleiben werden. ^ Im folgenden soll nur die dritte der vorhin genannten Fragen berührt werden, nachdem die ersten beiden schon in den Aufsatz-in Von Kaiser und Peters genügend be.enabled sind. — Die Demokratisierung des Staats führt not'.vendiger- weist auch zu einer Demokratisierung der Landeskirchen. Schon die Geschichte zeigt einen engen Zusammenhang von Staatsverfassung und Kirchenverfassung. In 'den Zeiten der absoluten Monarchie herrschte in der Kirche unbeschränkt dre Kirchenbehörde, die ganz von der Staatsleitung abhängig war. Die Gemeinden hatten nicht die geringsten Rechte. So wenig dies dem Wesen der Kirche ent¬ sprach, war es so lange allenfalls erträglich, als kein Konflikt zwischen dem christlichen Volk und feiner Obrigkeit eintrat. Wenn alle die Überzeugung hatten, daß der Monarch — beziehungsweise in freien Reichsstädten der Magistrat — und seine Räte väterlich wohlwollend für die Bedürfnisse des kirchlichen Lebens sorgten, war jener unnatürliche Austand erträglich. So ist es begreiflich, daß sich jahrhundertelang gegen das landesherrliche Kirchenregiment kein oder nur geringer Widerstand geregt hat. — Erst die Zeiten der konstitutionellen Monarchie haben — viel zu spät — auch der Kirche die seit langem notwendige synodale Verfassung gebracht. Kirchlich so wohlgesinnte Monarchen wie Friedrich Wilhelm der Dritte haben in völliger Verkennung der dringendsten Lebensnotwenbigkeiten der Kirche und gegen den Rat des einflu߬ reichsten Theologen — Schleiermachers — sich dagegen gesträubt, der Kirche eine selbständige Verfassung zu geben, ein Organ, durch welches die Kirche sich selbst zu den damals brennenden Fragen (Einführung der Union, Entwurf einer neuen Liturgie u. a.) zu äußern vermochte. Durch königliche Verordnung wurde damals alles der Kirche aufgezwungen. Diese erzwungene Untätigkeit hat der Kirche unendlichen Schaden gebracht, hat unser Kirchenvolk zu der völligen Passivität und Gleichgültigkeit erzogen, unter der wir noch heute leiden. Wie ganz anders liegt es in den presbyterianischer Gemeinden zum Beispiel Schott¬ lands. Man lese nur die prächtigen Skizzen von Jan Maclaren (Altes und Neues aus Drumtochth, Die Gemeinde von Se. Juda u. a.). Aus ihnen kann man sehen, wie kirchliches Leben blüht, wenn die Gemeinden feit Jahrhunderten in Kirchenältesten Leute ihres Vertrauens wählen, die Hand in Hand' mit dem Pfarrer arbeiten, ja diesen beaufsichtigen, zuweilen freilich auch schul¬ meistern »vollen. Jetzt wo im politischen Leben die Monarchie zunächst gefallen ist und das Volk seine oberste Behörde selbständig wählt, ist es die notwendige Folge, daß die kirchlichen Gemeinden ebenso ihre Kirchenbehörden selbst wählen. Der Rechtsgrund hierfür foll aber nicht von .der staatlichen Umwälzung hergeleitet werden. Vielmehr führt diese nur dazu, daß nun endlich die lange gehemmte Entwicklung eintreten kann, die in der Idee der Kirche selbst liegt und die den tiefsten Absichten der Reformation entspricht. Das landesherrliche Kirchen- 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/211>, abgerufen am 05.02.2025.