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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Der Rätegedanke

die Hausfrau, die sich mit Wirtschaft und Kindern fast zu Tode rackert, sicher
unterscheiden wollen von der Zierpuppe, die dem Namen nach zwar ebenfalls den
Haushalt führt, in Wahrheit aber sich vorn und hinten bedienen läßt und ihren
Tag, verwöhnt und anspruchsvoll, mit Nichtigkeiten totschlägt?

Der Gedanke, die politischen Rechte von der Arbeit abhängig zu machen,
scheinbar so gerecht und plausibel wie möglich, krankt an derselben Schwäche wie
die sozialdemokratische Theorie überhaupt: Arbeit und Arbeit wird als gleich ge¬
rechnet. Eine Stunde Arbeit ist eine Stunde Arbeit; acht Stunden Arbeit sind
achtmal so viel Arbeit. Arbeit und Arbeit sind aber sehr verschiedene Dinge.
Der eine leistet in einer Stunde das Hundertfache von dem, was der andere in
acht Stunden zuwege bringt. Die mechanische Arbeit eines Steinklopfers und die
geistige Arbeit des Erfinders sind überhaupt nicht zu vergleichen; und die wert¬
vollste Leistung, die es gibt, die schöpferische Idee, läßt sich nicht erarbeiten. Ar¬
beit ist keine meßbare Größe, wie elektrischer Strom. Und darum sind alle poli¬
tischen und wirtschaftlichen Systeme, die sich auf einer mechanischen Abschätzung
der Arbeit aufbauen, ganz unzulänglich und tief ungerecht. Diese Tatsache, die
ihren Grund hat in der Begrenztheit der menschlichen Natur, bildet die unüber-
windbare Schranke sür jede Art von Sozialismus und Demokratie.

Aber Näteparlament ist Berufsparlament. Wäre das ein Vorteil? Wohl
lauen! Wir alle wissen, wie wenig die ideale Forderung, daß das Wohl des
Ganzen über allen Sonderrücksichten stehen soll, bei uns in Deutschland bisher
verwirklicht worden ist. Daß Parteipolitik-getrieben wurde statt deutscher Politik,
war das Elend des Reichstages und scheint das schleichende Übel der National¬
versammlung werden zu sollen. Wenn aber schon die Partei mächtiger gewesen
ist als die Gesamtheit, so wird der Beruf die i<zö x-ublic-a ganz und gar auffressen
und wird die Geldbeutelwirtschaft an die Stelle von Politik überhaupt setzen.
Auch davon haben wir unerfreuliche Anfänge bereits im alten Reichstage kennen
gelernt. Will man aber dafür sorgen, daß, neben allen anderen Zweigen des
-rationalen Lebens, auch die Berufe im Parlament zu ihrem Rechte gelangen: waK
sind denn die Wähler und was find die Gewählten anderes als ebensoviele Ver¬
treter aller nur möglichen Berufe?

Man könnte nun noch auf den Gedanken kommen, dieses Berufsparlament
der Räte an die Seite des Parteiparlaments zu setzen als zweite oder erste
Kammer. Damit stellen wir die Frage nach dem Sinne des Zweikammersystems.
Ohne langatmige Erörterungen will ich nur diese Feststellung machen: das
Nebeneinander von Ober- und Unterhaus, wie es uns als die klassische Form des
Parlamentarismus überliefert ist, bann keinen anderen Zweck erfüllen wollen,
als die Zufälligkeiten der Wahl zu korrigieren. Es geschieht dadurch, daß, wäh¬
rend die eine Kammer gewählt wird, die andere ernannt worden ist; wäh¬
rend die eine Kammer ohne alle Normen entsteht, die andere nach Normen zu¬
sammengesetzt werden muß. Weder Erblichkeit noch Ernennung durch die Regie¬
rung scheinen mir genügende Garantie sür die Sachlichkeit der Besetzung zu
bieten; Wohl aber die Verbindung des Oberhaussitzes mit bestimmten Ämtern:
W'r tüchtig und sachkundig genug befunden worden ist, um dieses oder jenes Amt
zu bekleiden, der soll im Oberhause mit beraten und beschließen dürfen, unab¬
hängig von seiner Parteizugehörigkeit und seinen sonstigen persönlichen Quali¬
täten. Die Bürgermeister der großen Städte, die Rektoren der Hochschulen usw.
säßen alsdann in dieser ersten Kammer; und hierzu kämen dann noch die Funktio-,
rare der großen imnschastlichim Verbände, die es, z, B. als Gewertnhmisieiler,
jetzt schon gibt und die mit fortschreitender Sozialisierung sich vermehren werden.
Sie hätten Sitz und Stimme nicht als Vertreter ihres Berufes, sondern als In¬
haber ihres Postens. Freilich gibt eS auch hier eine Gefahr der Korruption:
daß nämlich die Ämter nicht mehr verteilt werden nach Verdienst, sondern aus
Parteipolitik. Gegen derlei Krankheiten ist kein Kraut gewachsen, wenn nicht die
Moralität des öffentlichen Lebens selber den Staatsorganismus immun macht.
Das Berufsparlament der Räte gäbe nur einen zweiten Aufguß des Parla¬
ments selber, aber kein geeignetes, die Unzulänglichkeiten der Wahl balcmzierendes
Oberhaus ab.


Der Rätegedanke

die Hausfrau, die sich mit Wirtschaft und Kindern fast zu Tode rackert, sicher
unterscheiden wollen von der Zierpuppe, die dem Namen nach zwar ebenfalls den
Haushalt führt, in Wahrheit aber sich vorn und hinten bedienen läßt und ihren
Tag, verwöhnt und anspruchsvoll, mit Nichtigkeiten totschlägt?

Der Gedanke, die politischen Rechte von der Arbeit abhängig zu machen,
scheinbar so gerecht und plausibel wie möglich, krankt an derselben Schwäche wie
die sozialdemokratische Theorie überhaupt: Arbeit und Arbeit wird als gleich ge¬
rechnet. Eine Stunde Arbeit ist eine Stunde Arbeit; acht Stunden Arbeit sind
achtmal so viel Arbeit. Arbeit und Arbeit sind aber sehr verschiedene Dinge.
Der eine leistet in einer Stunde das Hundertfache von dem, was der andere in
acht Stunden zuwege bringt. Die mechanische Arbeit eines Steinklopfers und die
geistige Arbeit des Erfinders sind überhaupt nicht zu vergleichen; und die wert¬
vollste Leistung, die es gibt, die schöpferische Idee, läßt sich nicht erarbeiten. Ar¬
beit ist keine meßbare Größe, wie elektrischer Strom. Und darum sind alle poli¬
tischen und wirtschaftlichen Systeme, die sich auf einer mechanischen Abschätzung
der Arbeit aufbauen, ganz unzulänglich und tief ungerecht. Diese Tatsache, die
ihren Grund hat in der Begrenztheit der menschlichen Natur, bildet die unüber-
windbare Schranke sür jede Art von Sozialismus und Demokratie.

Aber Näteparlament ist Berufsparlament. Wäre das ein Vorteil? Wohl
lauen! Wir alle wissen, wie wenig die ideale Forderung, daß das Wohl des
Ganzen über allen Sonderrücksichten stehen soll, bei uns in Deutschland bisher
verwirklicht worden ist. Daß Parteipolitik-getrieben wurde statt deutscher Politik,
war das Elend des Reichstages und scheint das schleichende Übel der National¬
versammlung werden zu sollen. Wenn aber schon die Partei mächtiger gewesen
ist als die Gesamtheit, so wird der Beruf die i<zö x-ublic-a ganz und gar auffressen
und wird die Geldbeutelwirtschaft an die Stelle von Politik überhaupt setzen.
Auch davon haben wir unerfreuliche Anfänge bereits im alten Reichstage kennen
gelernt. Will man aber dafür sorgen, daß, neben allen anderen Zweigen des
-rationalen Lebens, auch die Berufe im Parlament zu ihrem Rechte gelangen: waK
sind denn die Wähler und was find die Gewählten anderes als ebensoviele Ver¬
treter aller nur möglichen Berufe?

Man könnte nun noch auf den Gedanken kommen, dieses Berufsparlament
der Räte an die Seite des Parteiparlaments zu setzen als zweite oder erste
Kammer. Damit stellen wir die Frage nach dem Sinne des Zweikammersystems.
Ohne langatmige Erörterungen will ich nur diese Feststellung machen: das
Nebeneinander von Ober- und Unterhaus, wie es uns als die klassische Form des
Parlamentarismus überliefert ist, bann keinen anderen Zweck erfüllen wollen,
als die Zufälligkeiten der Wahl zu korrigieren. Es geschieht dadurch, daß, wäh¬
rend die eine Kammer gewählt wird, die andere ernannt worden ist; wäh¬
rend die eine Kammer ohne alle Normen entsteht, die andere nach Normen zu¬
sammengesetzt werden muß. Weder Erblichkeit noch Ernennung durch die Regie¬
rung scheinen mir genügende Garantie sür die Sachlichkeit der Besetzung zu
bieten; Wohl aber die Verbindung des Oberhaussitzes mit bestimmten Ämtern:
W'r tüchtig und sachkundig genug befunden worden ist, um dieses oder jenes Amt
zu bekleiden, der soll im Oberhause mit beraten und beschließen dürfen, unab¬
hängig von seiner Parteizugehörigkeit und seinen sonstigen persönlichen Quali¬
täten. Die Bürgermeister der großen Städte, die Rektoren der Hochschulen usw.
säßen alsdann in dieser ersten Kammer; und hierzu kämen dann noch die Funktio-,
rare der großen imnschastlichim Verbände, die es, z, B. als Gewertnhmisieiler,
jetzt schon gibt und die mit fortschreitender Sozialisierung sich vermehren werden.
Sie hätten Sitz und Stimme nicht als Vertreter ihres Berufes, sondern als In¬
haber ihres Postens. Freilich gibt eS auch hier eine Gefahr der Korruption:
daß nämlich die Ämter nicht mehr verteilt werden nach Verdienst, sondern aus
Parteipolitik. Gegen derlei Krankheiten ist kein Kraut gewachsen, wenn nicht die
Moralität des öffentlichen Lebens selber den Staatsorganismus immun macht.
Das Berufsparlament der Räte gäbe nur einen zweiten Aufguß des Parla¬
ments selber, aber kein geeignetes, die Unzulänglichkeiten der Wahl balcmzierendes
Oberhaus ab.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/208>, abgerufen am 05.02.2025.