Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Wozu brauchen wir die deutschen Volksräte? von den Frauen, draußen von den Männern ein solcher Zusammenbruch folgen 13"
Wozu brauchen wir die deutschen Volksräte? von den Frauen, draußen von den Männern ein solcher Zusammenbruch folgen 13"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335377"/> <fw type="header" place="top"> Wozu brauchen wir die deutschen Volksräte?</fw><lb/> <p xml:id="ID_880" prev="#ID_879" next="#ID_881"> von den Frauen, draußen von den Männern ein solcher Zusammenbruch folgen<lb/> konnte. Er ist erfolgt, nicht weil wir zusammengefaßt schwächer waren, wie<lb/> die Gegner, sondern einzig deshalb, weil wir zersplittert und unter uns uneinig<lb/> waren, weil wir zu sehr kleinen Einzelinteressen nachgingen und weil wir es<lb/> nicht fertig gebracht haben, rechtzeitig eine allgemeine Organisation zu schaffen,<lb/> die den Arbeiter ebenso umfaßte wie den Edelmann auf dem großen Gute,<lb/> wie den Bankier, den Mühlenbesitzer, Kaufmann und Doktor, Beamten und An¬<lb/> gestellten, mit einem Wort, weil wir nicht rechtzeitig eine Volksorganisation<lb/> zustande bringen konnten. Wiv kannten uns nicht, wir hatten nirgends eine<lb/> Stelle, wo wir uns einander nähern und wo wir einander kennen lernen konnten.<lb/> Das fehlte uns und weil es uns fehlte, haben die Polen den großen Vor¬<lb/> sprung vor uns gewonnen, die seit einem halben Jahrhundert daran gearbeitet<lb/> haben, sich eine Volksorganisation zu schaffen. Die Arbeit der Polen ist so<lb/> bewunderungswürdig, daß wir darauf nur mit Hochachtung, wenn auch nicht<lb/> ohne Neid, blicken können und müssen und daß wir diese Arbeit, die sie für<lb/> ihr Volkstum geleistet haben, nachbilden müssen. Für uns, meine Damen<lb/> und Herren! Es war uns sehr leicht gemacht, auf eine eigene große Völks¬<lb/> organisation zu verzichten! Wir hatten ja die ausgezeichneten Verwaltungs¬<lb/> organisationen, die Bureaukratie, über die jeder von uns gelegentlich geschimpft<lb/> hat, diese Bureaukratie, die technisch an der Spitze aller ähnlichen Einrichtungen<lb/> der Welt marschierte. Wie war es doch früher bequem für den Gewerbe¬<lb/> treibenden, den Kaufmann, den Besitzer, den Bauern. Da ging man zu seinem<lb/> Landrat oder zu feinem Distriktskommissar, zum Bürgermeister, oder, wer<lb/> bessere Beziehungen hatte, zum Regierungs- oder Oberpräsidenten und da wurde<lb/> die Sache hübsch besprochen. Manchmal, meistens sogar ging dos furchtbar schnell,<lb/> wenn man die nötigen Beziehungen hatte. So wurden die Dinge unter Aus¬<lb/> schluß der Öffentlichkeit sowohl für wie gegen das Interesse der Allgemeinheit<lb/> betrieben. Die Deutschen fuhren wirtschaftlich gut. Die Polen fuhren auch<lb/> gut. Manchmal kam einer besser weg, dann wurde von den anderen geschimpft.<lb/> Aber, meine Damen und Herren, es wurde nicht etwa laut geschimpft, es<lb/> wurde die Faust in der Tasche geballt und niemand wagte mit seiner Meinung<lb/> hervorzutreten, sondern nörgelte an den Stammtischen herum. Warum, weil<lb/> es einen wirtschaftlich schädigen konnte, wenn er gegen die Verwaltung oder<lb/> gegen die mächtigen Männer redete. Die einzige Partei oder der einzige<lb/> Stand, der ans dieser Situation ganz folgerichtig, aber natürlich auch ganz<lb/> egoistisch die Konsequenzen gezogen hat, war der deutsche Arbeiterstand: in<lb/> seinen gewerkschaftlichen Organisationen, sowohl in den christlichen, wie in<lb/> den sozialdemokratischen freien Organisationen hat der deutsche Arbeiter sich<lb/> das Organ geschaffen, das gegen die Bureaukratie, gegen die anderen<lb/> herrschenden Schichten die Interessen des Arbeiterstandes unter allen Um¬<lb/> ständen vertrat. Das Bürgertum in seiner Zersplitterung, das Beamtentum<lb/> mit seiner nach chinesischer Manier abgestuften Rangordnung, mit Pfauen¬<lb/> federn und Zöpfen, die man nur nicht sah, sie waren in sich uneins<lb/> und zersplittert. Alle Bewegungen, die zu einer Organisation, d. h. zu einer<lb/> Überwindung der Zersplitterung führen konnten, wurden diskreditiert und ver¬<lb/> folgt, weil weder die hinter den Kulissen stehenden Beherrscher der Situation,<lb/> noch die Bureaukratie ein Interesse daran hatte, eine volle Einigkeit des Volkes<lb/> zustande kommen zu lassen.. Es ist das der größte und schwerste Fehler der<lb/> alten Regierung gewesen, daß sie aus den Trieben zum Zusammenschluß nicht<lb/> den Nutzen gezogen hat, indem sie dem demokratischen Zusammenschluß des<lb/> Volkes besonders in der Selbstverwaltung Vorschub leistete und half, daß er</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 13"</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0195]
Wozu brauchen wir die deutschen Volksräte?
von den Frauen, draußen von den Männern ein solcher Zusammenbruch folgen
konnte. Er ist erfolgt, nicht weil wir zusammengefaßt schwächer waren, wie
die Gegner, sondern einzig deshalb, weil wir zersplittert und unter uns uneinig
waren, weil wir zu sehr kleinen Einzelinteressen nachgingen und weil wir es
nicht fertig gebracht haben, rechtzeitig eine allgemeine Organisation zu schaffen,
die den Arbeiter ebenso umfaßte wie den Edelmann auf dem großen Gute,
wie den Bankier, den Mühlenbesitzer, Kaufmann und Doktor, Beamten und An¬
gestellten, mit einem Wort, weil wir nicht rechtzeitig eine Volksorganisation
zustande bringen konnten. Wiv kannten uns nicht, wir hatten nirgends eine
Stelle, wo wir uns einander nähern und wo wir einander kennen lernen konnten.
Das fehlte uns und weil es uns fehlte, haben die Polen den großen Vor¬
sprung vor uns gewonnen, die seit einem halben Jahrhundert daran gearbeitet
haben, sich eine Volksorganisation zu schaffen. Die Arbeit der Polen ist so
bewunderungswürdig, daß wir darauf nur mit Hochachtung, wenn auch nicht
ohne Neid, blicken können und müssen und daß wir diese Arbeit, die sie für
ihr Volkstum geleistet haben, nachbilden müssen. Für uns, meine Damen
und Herren! Es war uns sehr leicht gemacht, auf eine eigene große Völks¬
organisation zu verzichten! Wir hatten ja die ausgezeichneten Verwaltungs¬
organisationen, die Bureaukratie, über die jeder von uns gelegentlich geschimpft
hat, diese Bureaukratie, die technisch an der Spitze aller ähnlichen Einrichtungen
der Welt marschierte. Wie war es doch früher bequem für den Gewerbe¬
treibenden, den Kaufmann, den Besitzer, den Bauern. Da ging man zu seinem
Landrat oder zu feinem Distriktskommissar, zum Bürgermeister, oder, wer
bessere Beziehungen hatte, zum Regierungs- oder Oberpräsidenten und da wurde
die Sache hübsch besprochen. Manchmal, meistens sogar ging dos furchtbar schnell,
wenn man die nötigen Beziehungen hatte. So wurden die Dinge unter Aus¬
schluß der Öffentlichkeit sowohl für wie gegen das Interesse der Allgemeinheit
betrieben. Die Deutschen fuhren wirtschaftlich gut. Die Polen fuhren auch
gut. Manchmal kam einer besser weg, dann wurde von den anderen geschimpft.
Aber, meine Damen und Herren, es wurde nicht etwa laut geschimpft, es
wurde die Faust in der Tasche geballt und niemand wagte mit seiner Meinung
hervorzutreten, sondern nörgelte an den Stammtischen herum. Warum, weil
es einen wirtschaftlich schädigen konnte, wenn er gegen die Verwaltung oder
gegen die mächtigen Männer redete. Die einzige Partei oder der einzige
Stand, der ans dieser Situation ganz folgerichtig, aber natürlich auch ganz
egoistisch die Konsequenzen gezogen hat, war der deutsche Arbeiterstand: in
seinen gewerkschaftlichen Organisationen, sowohl in den christlichen, wie in
den sozialdemokratischen freien Organisationen hat der deutsche Arbeiter sich
das Organ geschaffen, das gegen die Bureaukratie, gegen die anderen
herrschenden Schichten die Interessen des Arbeiterstandes unter allen Um¬
ständen vertrat. Das Bürgertum in seiner Zersplitterung, das Beamtentum
mit seiner nach chinesischer Manier abgestuften Rangordnung, mit Pfauen¬
federn und Zöpfen, die man nur nicht sah, sie waren in sich uneins
und zersplittert. Alle Bewegungen, die zu einer Organisation, d. h. zu einer
Überwindung der Zersplitterung führen konnten, wurden diskreditiert und ver¬
folgt, weil weder die hinter den Kulissen stehenden Beherrscher der Situation,
noch die Bureaukratie ein Interesse daran hatte, eine volle Einigkeit des Volkes
zustande kommen zu lassen.. Es ist das der größte und schwerste Fehler der
alten Regierung gewesen, daß sie aus den Trieben zum Zusammenschluß nicht
den Nutzen gezogen hat, indem sie dem demokratischen Zusammenschluß des
Volkes besonders in der Selbstverwaltung Vorschub leistete und half, daß er
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