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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Religion und Politik

Ausgleiche zwischen den Klassen schaffen. Daß es trotzdem bisher noch zu keinem
Bündnis zwischen beiden kam, liegt an der Verkettung der offiziellen Religion
mit der Autorität des kapitalistischen Staates.

Diese ist nunmehr ins Wanken geraten. Die Religion, die sich sicherlich
nicht darauf beschränken wird, Privatsache zu bleiben, wie ich oben zeigte, wird
nach neuem Anschluß suchen und wird ihn vermutlich auch, allen Theorien zum
Trotz, bei einer sozialistischen Negierung finden. Sie wird sich allerdings wandeln
müssen oder muß sich bereits gewandelt haben, damit das geschehen kann.

Dabei darf man jedoch auch die großen Gegensätze zwischen Urchristentum
und Sozialismus nicht übersehen: dieser ist durchaus als eine zunächst aufs
Materielle gerichtete Bewegung anzusehen, während das Urchristentum gerade
nichtmaterielle Werte als das höchste Gut anpries. In diesem Sinne hat Scina
Lcigerlöf recht, wenn sie in einem geistvollen Roman den Sozialismus als den
"Antichrist" charakterisiert. Aber auch dieser Gegensatz wird sich aufheben lassen.
Es ist oft genug vorgekommen in der Religionsgeschichte, daß die Religion sich
mit wirtschaftlichen Interessen verquickt hat, und umgekehrt wird auch der
Socialismus, sobald der Religion das Odium der Verbundenheit mit dem kapi¬
talistischen Polizeistaat genommen ist, gar kein Bedenken haben, sich mit ihr zu
verbinden. Es ist unter diesem Gesichtspunkt durchaus denkbar, daß wir neue
Religionsformen entstehen sehen, die dein bisherigen sehr unähnlich sind. Und
ganz sicherlich wird der zur Macht gelangte So ialismus sehr bald einsehen, daß
die Kanzeln sehr brauchbare Organe für seine Ideen sein werden.
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Noch eine andere Möglichkeit der Folgen einer Trennung von Staat und
Religion wäre zu erwägen. Es könnte sein, daß dadurch, daß die Religion ihrer
politischen Stützen beraubt würde, auch ihre einheitliche Organisation, die bisher
die Geschlossenheit aller religiösen Bestrebungen wenigstens äußerlich gewahrt hat,
verloren ginge. Die Folge davon würde ein Ueberwuchern des Sektenwesens
sein, wie wir es in Amerika sehen, wo ja ebenfalls Trennung von Staat und
Kirche besteht. Diese Entwickelung wäre sogar wenigstens für das protestantische
Deutschland die wahrscheinlichste. Ob sie zu wünschen wäre, ist eine andere
Frage. In solchen Sekten pflegt Wohl oft eine sehr intensive Religiösität zu
glühen, aber auch eine überhitzte, unkontrollierte und daher sehr wenig an¬
passungsfähige Religiösität. Für die allgemeine Kultur bedeuten solche Sekten
recht wenig. Wir kommen dabei zu der schon erwähnten Tatsache zurück, daß
die reine, nur auf sich gestellte Religion unter allgemeinen, kulturellen Gesichts¬
punkten keineswegs die wertvollste ist, daß vielmehr eine Verquickung mit anderen
Faktoren ihr erst ihre hohe allgemeine Bedeutung verleiht. Es ist kein Zweifel,
daß die religiöse Temperatur durch solche Sekten sogar wärmer werden würde,
vielleicht würde es auch vereinzelte Sekten geben, die geistig ein hohes Niveau zu
wahren vermöchten. Bei der Mehrzahl würde ein sehr dumpfes Geistesleben bei
großer Gefühlsschwüle vorherrschen. Die Universitätsausbildung unsrer Theologen,
soviel gegen sie zu sagen sein mag, hat wenigstens sicherlich das für sich, daß sie
unklares, überhitztes Schwärmertum entschieden' zu dämpfen vermag. Das aber
würde bei einem allgemeinen Laienpredigertum üppig ins Kraut schießen. Wir
würden Anabaptisten und Verkündiger des tausendjährigen Reiches in Menge unter
uns entstehen sehen und besonders, wenn die wirtschaftliche Notlage wachsen sollte,
würde eine solche Aussaat fruchtbaren, Boden finden. Bedenkt man das, so ist
es sehr fraglich, ob man im Interesse einer allgemeinen.Kultur die fessellose Ent¬
faltung jeder religiösen Leidenschaft wünschen soll, und auch unter diesem Gesichts¬
punkt sollte man sich die Trennung von Staat und Kirche überlegen, zumal es
keineswegs gesagt ist, daß diese Sekten sich jeder politischen Vetätigung ent¬
halten würden.




Wir hatten bisher die Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Politik
nur vom psychologisch-soziologischen Standpunkt aus beleuchtet, ohne auf die
speziellen Gegebenheiten des Tages und der Stunde einzugehen. Dennoch dürfte


Religion und Politik

Ausgleiche zwischen den Klassen schaffen. Daß es trotzdem bisher noch zu keinem
Bündnis zwischen beiden kam, liegt an der Verkettung der offiziellen Religion
mit der Autorität des kapitalistischen Staates.

Diese ist nunmehr ins Wanken geraten. Die Religion, die sich sicherlich
nicht darauf beschränken wird, Privatsache zu bleiben, wie ich oben zeigte, wird
nach neuem Anschluß suchen und wird ihn vermutlich auch, allen Theorien zum
Trotz, bei einer sozialistischen Negierung finden. Sie wird sich allerdings wandeln
müssen oder muß sich bereits gewandelt haben, damit das geschehen kann.

Dabei darf man jedoch auch die großen Gegensätze zwischen Urchristentum
und Sozialismus nicht übersehen: dieser ist durchaus als eine zunächst aufs
Materielle gerichtete Bewegung anzusehen, während das Urchristentum gerade
nichtmaterielle Werte als das höchste Gut anpries. In diesem Sinne hat Scina
Lcigerlöf recht, wenn sie in einem geistvollen Roman den Sozialismus als den
„Antichrist" charakterisiert. Aber auch dieser Gegensatz wird sich aufheben lassen.
Es ist oft genug vorgekommen in der Religionsgeschichte, daß die Religion sich
mit wirtschaftlichen Interessen verquickt hat, und umgekehrt wird auch der
Socialismus, sobald der Religion das Odium der Verbundenheit mit dem kapi¬
talistischen Polizeistaat genommen ist, gar kein Bedenken haben, sich mit ihr zu
verbinden. Es ist unter diesem Gesichtspunkt durchaus denkbar, daß wir neue
Religionsformen entstehen sehen, die dein bisherigen sehr unähnlich sind. Und
ganz sicherlich wird der zur Macht gelangte So ialismus sehr bald einsehen, daß
die Kanzeln sehr brauchbare Organe für seine Ideen sein werden.
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Noch eine andere Möglichkeit der Folgen einer Trennung von Staat und
Religion wäre zu erwägen. Es könnte sein, daß dadurch, daß die Religion ihrer
politischen Stützen beraubt würde, auch ihre einheitliche Organisation, die bisher
die Geschlossenheit aller religiösen Bestrebungen wenigstens äußerlich gewahrt hat,
verloren ginge. Die Folge davon würde ein Ueberwuchern des Sektenwesens
sein, wie wir es in Amerika sehen, wo ja ebenfalls Trennung von Staat und
Kirche besteht. Diese Entwickelung wäre sogar wenigstens für das protestantische
Deutschland die wahrscheinlichste. Ob sie zu wünschen wäre, ist eine andere
Frage. In solchen Sekten pflegt Wohl oft eine sehr intensive Religiösität zu
glühen, aber auch eine überhitzte, unkontrollierte und daher sehr wenig an¬
passungsfähige Religiösität. Für die allgemeine Kultur bedeuten solche Sekten
recht wenig. Wir kommen dabei zu der schon erwähnten Tatsache zurück, daß
die reine, nur auf sich gestellte Religion unter allgemeinen, kulturellen Gesichts¬
punkten keineswegs die wertvollste ist, daß vielmehr eine Verquickung mit anderen
Faktoren ihr erst ihre hohe allgemeine Bedeutung verleiht. Es ist kein Zweifel,
daß die religiöse Temperatur durch solche Sekten sogar wärmer werden würde,
vielleicht würde es auch vereinzelte Sekten geben, die geistig ein hohes Niveau zu
wahren vermöchten. Bei der Mehrzahl würde ein sehr dumpfes Geistesleben bei
großer Gefühlsschwüle vorherrschen. Die Universitätsausbildung unsrer Theologen,
soviel gegen sie zu sagen sein mag, hat wenigstens sicherlich das für sich, daß sie
unklares, überhitztes Schwärmertum entschieden' zu dämpfen vermag. Das aber
würde bei einem allgemeinen Laienpredigertum üppig ins Kraut schießen. Wir
würden Anabaptisten und Verkündiger des tausendjährigen Reiches in Menge unter
uns entstehen sehen und besonders, wenn die wirtschaftliche Notlage wachsen sollte,
würde eine solche Aussaat fruchtbaren, Boden finden. Bedenkt man das, so ist
es sehr fraglich, ob man im Interesse einer allgemeinen.Kultur die fessellose Ent¬
faltung jeder religiösen Leidenschaft wünschen soll, und auch unter diesem Gesichts¬
punkt sollte man sich die Trennung von Staat und Kirche überlegen, zumal es
keineswegs gesagt ist, daß diese Sekten sich jeder politischen Vetätigung ent¬
halten würden.




Wir hatten bisher die Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Politik
nur vom psychologisch-soziologischen Standpunkt aus beleuchtet, ohne auf die
speziellen Gegebenheiten des Tages und der Stunde einzugehen. Dennoch dürfte


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[0188] Religion und Politik Ausgleiche zwischen den Klassen schaffen. Daß es trotzdem bisher noch zu keinem Bündnis zwischen beiden kam, liegt an der Verkettung der offiziellen Religion mit der Autorität des kapitalistischen Staates. Diese ist nunmehr ins Wanken geraten. Die Religion, die sich sicherlich nicht darauf beschränken wird, Privatsache zu bleiben, wie ich oben zeigte, wird nach neuem Anschluß suchen und wird ihn vermutlich auch, allen Theorien zum Trotz, bei einer sozialistischen Negierung finden. Sie wird sich allerdings wandeln müssen oder muß sich bereits gewandelt haben, damit das geschehen kann. Dabei darf man jedoch auch die großen Gegensätze zwischen Urchristentum und Sozialismus nicht übersehen: dieser ist durchaus als eine zunächst aufs Materielle gerichtete Bewegung anzusehen, während das Urchristentum gerade nichtmaterielle Werte als das höchste Gut anpries. In diesem Sinne hat Scina Lcigerlöf recht, wenn sie in einem geistvollen Roman den Sozialismus als den „Antichrist" charakterisiert. Aber auch dieser Gegensatz wird sich aufheben lassen. Es ist oft genug vorgekommen in der Religionsgeschichte, daß die Religion sich mit wirtschaftlichen Interessen verquickt hat, und umgekehrt wird auch der Socialismus, sobald der Religion das Odium der Verbundenheit mit dem kapi¬ talistischen Polizeistaat genommen ist, gar kein Bedenken haben, sich mit ihr zu verbinden. Es ist unter diesem Gesichtspunkt durchaus denkbar, daß wir neue Religionsformen entstehen sehen, die dein bisherigen sehr unähnlich sind. Und ganz sicherlich wird der zur Macht gelangte So ialismus sehr bald einsehen, daß die Kanzeln sehr brauchbare Organe für seine Ideen sein werden. -- Noch eine andere Möglichkeit der Folgen einer Trennung von Staat und Religion wäre zu erwägen. Es könnte sein, daß dadurch, daß die Religion ihrer politischen Stützen beraubt würde, auch ihre einheitliche Organisation, die bisher die Geschlossenheit aller religiösen Bestrebungen wenigstens äußerlich gewahrt hat, verloren ginge. Die Folge davon würde ein Ueberwuchern des Sektenwesens sein, wie wir es in Amerika sehen, wo ja ebenfalls Trennung von Staat und Kirche besteht. Diese Entwickelung wäre sogar wenigstens für das protestantische Deutschland die wahrscheinlichste. Ob sie zu wünschen wäre, ist eine andere Frage. In solchen Sekten pflegt Wohl oft eine sehr intensive Religiösität zu glühen, aber auch eine überhitzte, unkontrollierte und daher sehr wenig an¬ passungsfähige Religiösität. Für die allgemeine Kultur bedeuten solche Sekten recht wenig. Wir kommen dabei zu der schon erwähnten Tatsache zurück, daß die reine, nur auf sich gestellte Religion unter allgemeinen, kulturellen Gesichts¬ punkten keineswegs die wertvollste ist, daß vielmehr eine Verquickung mit anderen Faktoren ihr erst ihre hohe allgemeine Bedeutung verleiht. Es ist kein Zweifel, daß die religiöse Temperatur durch solche Sekten sogar wärmer werden würde, vielleicht würde es auch vereinzelte Sekten geben, die geistig ein hohes Niveau zu wahren vermöchten. Bei der Mehrzahl würde ein sehr dumpfes Geistesleben bei großer Gefühlsschwüle vorherrschen. Die Universitätsausbildung unsrer Theologen, soviel gegen sie zu sagen sein mag, hat wenigstens sicherlich das für sich, daß sie unklares, überhitztes Schwärmertum entschieden' zu dämpfen vermag. Das aber würde bei einem allgemeinen Laienpredigertum üppig ins Kraut schießen. Wir würden Anabaptisten und Verkündiger des tausendjährigen Reiches in Menge unter uns entstehen sehen und besonders, wenn die wirtschaftliche Notlage wachsen sollte, würde eine solche Aussaat fruchtbaren, Boden finden. Bedenkt man das, so ist es sehr fraglich, ob man im Interesse einer allgemeinen.Kultur die fessellose Ent¬ faltung jeder religiösen Leidenschaft wünschen soll, und auch unter diesem Gesichts¬ punkt sollte man sich die Trennung von Staat und Kirche überlegen, zumal es keineswegs gesagt ist, daß diese Sekten sich jeder politischen Vetätigung ent¬ halten würden. Wir hatten bisher die Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Politik nur vom psychologisch-soziologischen Standpunkt aus beleuchtet, ohne auf die speziellen Gegebenheiten des Tages und der Stunde einzugehen. Dennoch dürfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/188>, abgerufen am 05.02.2025.