Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.vom Aufbau der Gewalten wie man den für die Gesamtheit gefährlichen Antagonismus der beiden Instanzen Müssen wir aber im künstigen Deutschen Reich einen Präsidenten wählen, Das ist aber nicht der Fall, wenn, wie in Frankreich, der Präsident vom Es gibt allerdings eine starke Meinung, die es lieber sähe, wenn man "> Vgl. z. B. Wilson, Der Staat, Deutsche Ausgabe 1S13, S. 400 ?) Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form. Tübingen, Mohr, 1918. s) So im Entwurf Preuß § S8, dein sich der endgültige Entwurf Art. 61 anschließt. ° ) Berliner Tageblatt vom 3. Februar/ Ur. 48.
vom Aufbau der Gewalten wie man den für die Gesamtheit gefährlichen Antagonismus der beiden Instanzen Müssen wir aber im künstigen Deutschen Reich einen Präsidenten wählen, Das ist aber nicht der Fall, wenn, wie in Frankreich, der Präsident vom Es gibt allerdings eine starke Meinung, die es lieber sähe, wenn man «> Vgl. z. B. Wilson, Der Staat, Deutsche Ausgabe 1S13, S. 400 ?) Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form. Tübingen, Mohr, 1918. s) So im Entwurf Preuß § S8, dein sich der endgültige Entwurf Art. 61 anschließt. ° ) Berliner Tageblatt vom 3. Februar/ Ur. 48.
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vom Aufbau der Gewalten
wie man den für die Gesamtheit gefährlichen Antagonismus der beiden Instanzen
vermeiden soll, ohne neue Mißstände hervorzurufen. Dann aber fehlen die üblen
Begleiterscheinungen der ausgesprochenen Parteiherrschaft. Die durch Kompromiß
zwischen den Parteien gebildete Regierung sitzt für ihre kurze Amtszeit fest im
Sattel, parlamentarische Krisen und Boer können ihr nichts anhaben, die so
wichtige Stabilität der Verwaltung ist (im Gegensatze etwa zu französischen Zu¬
ständen) gesichert. Aber so verlockend das auch klingen mag, die an ihrem Orte
vortreffliche Kantönliwirtschaft eignet sich doch — wie schon Rousseau erkannte —
uicht für die so ganz anders gearteten Verhältnisse des Großstaates, der „eine
durch politische Homogenität in sich geschlossene und also tatkräftigere Regierung
braucht." Diese Notwendigkeit läßt vielmehr ein monokratisch-präsidial gestaltetes
Regime dringend geboten erscheinen. Die wenig günstigen Erfahrungen, die man
zudem mit kollegialischer Gesamtregierungen in Großstoaten sowohl jüngst bei
uns („Kriegskabinett" des Prinzen Max, ursprünglicher Rat der Volksbeauftragten)
wie früher in Frankreich (Direktorium von 1795) gemacht hat, können im obigen
Urteil nur bestärken. Man wird also die aus Furcht vor monarchistischen Ent¬
artungen geborene Forderung der Unabhängigen (Rede des Abg. Cohn-Norohausen),
das Beispiel der Schweiz nachzuahmen, mit triftigen Gründen ablehnen müssen.
Müssen wir aber im künstigen Deutschen Reich einen Präsidenten wählen,
so entsteht die Frage: Nach amerikanischem oder französischem Muster? Daraus
ergeben sich bekanntlich recht erschiedene Folgerungen. Das amerikanische Staats¬
oberhaupt wird vom ganzen Volke gewählt, das französische vom Parlament.
Hier herrscht parlamentarische Regierungsweise, dort ist die Trennung der Gewalten
bis zu offenbaren Mißständen °) durchgeführt. In jenem Lande sind die Minister
bloße Gehilfen des Chefs der Exkutive, der sein eigener Ministerpräsident ist, in
jenem tritt ein mächtiger Premier neben und vor den zur Repräsentationsfigur
herabsinkenden Staatsleiter. Wenn man von dem Unterschied der Staatsform
absieht, so hatten wir ja bis kurz vor der Revolution einen ganz ähnlichen
Dualismus der Gewalten, der auch zu ähnlichen Folgeerscheinungen führte, wie
sie Staatssekretär Preuß in seiner Denkschrift kennzeichnet (geistige Verarmung
und pollNsche Verödung der Volksvertretungen. Beutesystem für die Besetzung der
Verwaltungsämter). Die Ära Prinz Max hatte sich von diesem System schon
beträchtlich entfernt, die neue revolutionäre Ordnung vollends will unter allen
Umständen den Grundsatz parlamentarischer Regierungsweise verwirklichen. Zu
tiefem Zweck braucht man nun aber nicht ganz auf die französische Seite überzu-
fchwenten. Die gegenwärtig bei uns maßgebende Ansicht — sie gründet sich auf die
eindringlichen Studien des Rostocker Staatsrechtslehrers R. Nedslob?) — geht
dahin, daß der echte Parlamentarismus zwei einander ebenbürtige Staatsorgane
voraussetzt.
Das ist aber nicht der Fall, wenn, wie in Frankreich, der Präsident vom
Parlament gewählt wird, denn „das Geschöpf ist an den Schöpfer gebunden". Aus
diesen Erwägungen heraus soll das endgültige Oberhaupt des Deutschen Reiches
aus unmittelbarer Volkswahl hervorgehen»).
Es gibt allerdings eine starke Meinung, die es lieber sähe, wenn man
französische Methoden anwenden würde. So nennt Theodor Wolff die Präsidenten¬
wahl durch das gesamte Volk zwar einen „verführerischen Gedanken, durch den
sich aber hoffentlich niemand verführen läßt. Die deutsche Republik birgt in sich
noch recht lebenskräftige Elemente, die am alten Regime hängen, über das ganze
reaktionäre Kapital verfügen und völlig skrupellos in ihren Agitationsmethoden
sind. Sie würden bei jeder Präsidentenwahl den Versuch machen, die Republik
über den Haufen zu rennen"»). Man weiß nicht, was bei dieser Auffassung mehr
«> Vgl. z. B. Wilson, Der Staat, Deutsche Ausgabe 1S13, S. 400
?) Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form.
Tübingen, Mohr, 1918.
s) So im Entwurf Preuß § S8, dein sich der endgültige Entwurf Art. 61 anschließt.
°
) Berliner Tageblatt vom 3. Februar/ Ur. 48.
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