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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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und Strömungen unseres Volkes sind, denen
keine inneren Hemmungen verbieten, den
Begriff "deutsch-national" (aus wer weiß
welchen Parteipolitischen Veranlassungen her¬
aus) in Verbindung mit verächtlichen oder
unsauberen Worten zu bringen; jene Federn,
die sich nicht genug tun konnten in der Her¬
abwürdigung heimischer politischer Einrich¬
tungen und die heute, wo die Mächte des
Alten am Boden liegen, es nicht nur bei
Eselstritten bewenden lassen, sondern auch noch
dem wehrlosen Gegner von ehedem ins Gesicht
speien. Wenn andauernd (geradezu mit der
Monotonie des fallenden Tropfens) von der
Blutschuld und dem "Lügenfeldzug" der alten
Negierung, der fluchbeladenen Dynastie, dem
Sumpf, in den uns das frühere System ge¬
führt habe, gesprochen, geschrieben und ge¬
zeichnet wird, dann muß sich schließlich der
Gedanke in die Gehirne einbohren und hier
seine lähmende Wirkung üben. Wir geben
zu, daß jene Kritiker meist von ehrlichen
Absichten geleitet sind, daß auch Blätter wie
die Frankfurter Zeitung -- deren sachliche
Gediegenheit außer Zweifel steht -- für deutsche
Art und Würde manch gutes Wort gefunden
haben, aber diese "Weißen Blutkörperchen"
spielen in dem genannten und gleichgerich-
leten Organen nicht die ihnen gebührende,
für die Gesundheit ausschlaggebende Rolle.
Wenn ein so oppositionell gerichteter Geist
und Denker wie Max Weber "die vollendete
Erbärmlichkeit" in unserem Verhalten nach
außen zugeben muß, das alles überbiete, was
die deutsche Geschichte aufzuweisen hat, wenn
er davon redet, daß Literaten das Ohr der
Welt gewannen, "die das Bedürfnis ihrer
durch die Furchtbarkeit des Krieges zer¬
brochenen oder der Anlage nach ekstatischen
Seele im Durchwühlen des Gefühls einer
Kriegsschuld befriedigten" -- so wird die
"Frankfurter Zeitung" von dem der Anklage
unterliegenden geistigen und Seelen-Zustand
nicht schon darum absolviert, Weil jener
Webersche Artikel in ihren Spalten er¬
schienen ist.

Der so oft gepredigte Zusammenhang
zwischen innerer und äußerer Politik ist auch
denen nicht immer gegenwärtig, die auf seine
Erkenntnis stolz sind. Sonst müßten sie ihre
Worte im Hinblick aus das hellhörige Aus¬

[Spaltenumbruch]

land trotz allem Unmut sorgfältiger erwägen!
Was wir gegen jene Krankheit im neuen
Deutschland tun können?

Mit derselben Zähigkeit und Stetigkeit des
höhlenden Tropfens unser ceterum censeo
zu rufen für die Heimat, für den guten/
auch vom Auslande vor und während des
Krieges stets anerkannten Kern deutscher
politischer Einrichtungen, für unser Recht, in
der Frage der Kriegsschuld nicht als ent¬
larvte Verbrecher vor die Schranken gedrängt
zu bleiben, sondern im Rate der verwan¬
delten Völker angehört zu werden. Nur so
schaffen wir ein Paroli jenen Stimmen, die
in unheilvoller Verkemiung der Tatsachen
Wasser auf die Mühlen unserer Feinde treiben.

Ist es nicht tief beschämend, daß inmitten
des Büßerchores der sich blutig geißelnden
Deutschen die Stimme eines Ausländers
Zeugnis ablegen muß für die hinter den Trug¬
bildern der Erscheinung liegenden wahren
Ursachen des Krieges? Der bewundernswerte
Aufstieg Deutschlands, so heißt es im offenen
Briefe des Holländers Dr. Deerenberg an
Ebert, ist der Grund für den Haß gegen
dies Land gewesen und der Kriegsgrund, den
das neutrale Ausland für den einzig aus¬
schlaggebenden hält, war der Neid um den
beispiellosen Aufschwung, die Wohlfahrt aller
Stände, in erster Reihe der Arbeiter. --

Wir haben die giftig-schillernden Phrasen
des Präsidenten der französischen Republik
an den Anfang gesetzt. Hier die deutsche
Antwort:

"Worum ging es im Grunde? Was war
verkehrt? Was ist heute wie gestern, und nicht
besser, sondern schlimmer geworden? Woran
krankt die Menschheit, woran wird sie kranken
bis Gerechtigkeit geschieht? ES ging darum,
daß ein junges und rühriges Volk wuchs
und Platz brauchte, und eine Lebenshaltung
und Lohn verlangte, die sich anglichen der
Lebenshaltung und den Löhnen der gleich
tüchtigen und gleich fleißigen Arbeitsgenossen
in der Welt. Es ging darum, daß die älteren
und bequemeren Völker dieses naturnotwen-
dige Schwellen und Gären und Begehren
mit Schrecken sahen. Es ging darum, daß
sie früher als irgend ein deutsches Hirn er¬
kannten, das kleine, eingeklammerte und
bodenarme deutsche Land werde sich weiten

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und Strömungen unseres Volkes sind, denen
keine inneren Hemmungen verbieten, den
Begriff „deutsch-national" (aus wer weiß
welchen Parteipolitischen Veranlassungen her¬
aus) in Verbindung mit verächtlichen oder
unsauberen Worten zu bringen; jene Federn,
die sich nicht genug tun konnten in der Her¬
abwürdigung heimischer politischer Einrich¬
tungen und die heute, wo die Mächte des
Alten am Boden liegen, es nicht nur bei
Eselstritten bewenden lassen, sondern auch noch
dem wehrlosen Gegner von ehedem ins Gesicht
speien. Wenn andauernd (geradezu mit der
Monotonie des fallenden Tropfens) von der
Blutschuld und dem „Lügenfeldzug" der alten
Negierung, der fluchbeladenen Dynastie, dem
Sumpf, in den uns das frühere System ge¬
führt habe, gesprochen, geschrieben und ge¬
zeichnet wird, dann muß sich schließlich der
Gedanke in die Gehirne einbohren und hier
seine lähmende Wirkung üben. Wir geben
zu, daß jene Kritiker meist von ehrlichen
Absichten geleitet sind, daß auch Blätter wie
die Frankfurter Zeitung — deren sachliche
Gediegenheit außer Zweifel steht — für deutsche
Art und Würde manch gutes Wort gefunden
haben, aber diese „Weißen Blutkörperchen"
spielen in dem genannten und gleichgerich-
leten Organen nicht die ihnen gebührende,
für die Gesundheit ausschlaggebende Rolle.
Wenn ein so oppositionell gerichteter Geist
und Denker wie Max Weber „die vollendete
Erbärmlichkeit" in unserem Verhalten nach
außen zugeben muß, das alles überbiete, was
die deutsche Geschichte aufzuweisen hat, wenn
er davon redet, daß Literaten das Ohr der
Welt gewannen, „die das Bedürfnis ihrer
durch die Furchtbarkeit des Krieges zer¬
brochenen oder der Anlage nach ekstatischen
Seele im Durchwühlen des Gefühls einer
Kriegsschuld befriedigten" — so wird die
„Frankfurter Zeitung" von dem der Anklage
unterliegenden geistigen und Seelen-Zustand
nicht schon darum absolviert, Weil jener
Webersche Artikel in ihren Spalten er¬
schienen ist.

Der so oft gepredigte Zusammenhang
zwischen innerer und äußerer Politik ist auch
denen nicht immer gegenwärtig, die auf seine
Erkenntnis stolz sind. Sonst müßten sie ihre
Worte im Hinblick aus das hellhörige Aus¬

[Spaltenumbruch]

land trotz allem Unmut sorgfältiger erwägen!
Was wir gegen jene Krankheit im neuen
Deutschland tun können?

Mit derselben Zähigkeit und Stetigkeit des
höhlenden Tropfens unser ceterum censeo
zu rufen für die Heimat, für den guten/
auch vom Auslande vor und während des
Krieges stets anerkannten Kern deutscher
politischer Einrichtungen, für unser Recht, in
der Frage der Kriegsschuld nicht als ent¬
larvte Verbrecher vor die Schranken gedrängt
zu bleiben, sondern im Rate der verwan¬
delten Völker angehört zu werden. Nur so
schaffen wir ein Paroli jenen Stimmen, die
in unheilvoller Verkemiung der Tatsachen
Wasser auf die Mühlen unserer Feinde treiben.

Ist es nicht tief beschämend, daß inmitten
des Büßerchores der sich blutig geißelnden
Deutschen die Stimme eines Ausländers
Zeugnis ablegen muß für die hinter den Trug¬
bildern der Erscheinung liegenden wahren
Ursachen des Krieges? Der bewundernswerte
Aufstieg Deutschlands, so heißt es im offenen
Briefe des Holländers Dr. Deerenberg an
Ebert, ist der Grund für den Haß gegen
dies Land gewesen und der Kriegsgrund, den
das neutrale Ausland für den einzig aus¬
schlaggebenden hält, war der Neid um den
beispiellosen Aufschwung, die Wohlfahrt aller
Stände, in erster Reihe der Arbeiter. —

Wir haben die giftig-schillernden Phrasen
des Präsidenten der französischen Republik
an den Anfang gesetzt. Hier die deutsche
Antwort:

„Worum ging es im Grunde? Was war
verkehrt? Was ist heute wie gestern, und nicht
besser, sondern schlimmer geworden? Woran
krankt die Menschheit, woran wird sie kranken
bis Gerechtigkeit geschieht? ES ging darum,
daß ein junges und rühriges Volk wuchs
und Platz brauchte, und eine Lebenshaltung
und Lohn verlangte, die sich anglichen der
Lebenshaltung und den Löhnen der gleich
tüchtigen und gleich fleißigen Arbeitsgenossen
in der Welt. Es ging darum, daß die älteren
und bequemeren Völker dieses naturnotwen-
dige Schwellen und Gären und Begehren
mit Schrecken sahen. Es ging darum, daß
sie früher als irgend ein deutsches Hirn er¬
kannten, das kleine, eingeklammerte und
bodenarme deutsche Land werde sich weiten

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[0134] Maßgebliches und Unmaßgebliches und Strömungen unseres Volkes sind, denen keine inneren Hemmungen verbieten, den Begriff „deutsch-national" (aus wer weiß welchen Parteipolitischen Veranlassungen her¬ aus) in Verbindung mit verächtlichen oder unsauberen Worten zu bringen; jene Federn, die sich nicht genug tun konnten in der Her¬ abwürdigung heimischer politischer Einrich¬ tungen und die heute, wo die Mächte des Alten am Boden liegen, es nicht nur bei Eselstritten bewenden lassen, sondern auch noch dem wehrlosen Gegner von ehedem ins Gesicht speien. Wenn andauernd (geradezu mit der Monotonie des fallenden Tropfens) von der Blutschuld und dem „Lügenfeldzug" der alten Negierung, der fluchbeladenen Dynastie, dem Sumpf, in den uns das frühere System ge¬ führt habe, gesprochen, geschrieben und ge¬ zeichnet wird, dann muß sich schließlich der Gedanke in die Gehirne einbohren und hier seine lähmende Wirkung üben. Wir geben zu, daß jene Kritiker meist von ehrlichen Absichten geleitet sind, daß auch Blätter wie die Frankfurter Zeitung — deren sachliche Gediegenheit außer Zweifel steht — für deutsche Art und Würde manch gutes Wort gefunden haben, aber diese „Weißen Blutkörperchen" spielen in dem genannten und gleichgerich- leten Organen nicht die ihnen gebührende, für die Gesundheit ausschlaggebende Rolle. Wenn ein so oppositionell gerichteter Geist und Denker wie Max Weber „die vollendete Erbärmlichkeit" in unserem Verhalten nach außen zugeben muß, das alles überbiete, was die deutsche Geschichte aufzuweisen hat, wenn er davon redet, daß Literaten das Ohr der Welt gewannen, „die das Bedürfnis ihrer durch die Furchtbarkeit des Krieges zer¬ brochenen oder der Anlage nach ekstatischen Seele im Durchwühlen des Gefühls einer Kriegsschuld befriedigten" — so wird die „Frankfurter Zeitung" von dem der Anklage unterliegenden geistigen und Seelen-Zustand nicht schon darum absolviert, Weil jener Webersche Artikel in ihren Spalten er¬ schienen ist. Der so oft gepredigte Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Politik ist auch denen nicht immer gegenwärtig, die auf seine Erkenntnis stolz sind. Sonst müßten sie ihre Worte im Hinblick aus das hellhörige Aus¬ land trotz allem Unmut sorgfältiger erwägen! Was wir gegen jene Krankheit im neuen Deutschland tun können? Mit derselben Zähigkeit und Stetigkeit des höhlenden Tropfens unser ceterum censeo zu rufen für die Heimat, für den guten/ auch vom Auslande vor und während des Krieges stets anerkannten Kern deutscher politischer Einrichtungen, für unser Recht, in der Frage der Kriegsschuld nicht als ent¬ larvte Verbrecher vor die Schranken gedrängt zu bleiben, sondern im Rate der verwan¬ delten Völker angehört zu werden. Nur so schaffen wir ein Paroli jenen Stimmen, die in unheilvoller Verkemiung der Tatsachen Wasser auf die Mühlen unserer Feinde treiben. Ist es nicht tief beschämend, daß inmitten des Büßerchores der sich blutig geißelnden Deutschen die Stimme eines Ausländers Zeugnis ablegen muß für die hinter den Trug¬ bildern der Erscheinung liegenden wahren Ursachen des Krieges? Der bewundernswerte Aufstieg Deutschlands, so heißt es im offenen Briefe des Holländers Dr. Deerenberg an Ebert, ist der Grund für den Haß gegen dies Land gewesen und der Kriegsgrund, den das neutrale Ausland für den einzig aus¬ schlaggebenden hält, war der Neid um den beispiellosen Aufschwung, die Wohlfahrt aller Stände, in erster Reihe der Arbeiter. — Wir haben die giftig-schillernden Phrasen des Präsidenten der französischen Republik an den Anfang gesetzt. Hier die deutsche Antwort: „Worum ging es im Grunde? Was war verkehrt? Was ist heute wie gestern, und nicht besser, sondern schlimmer geworden? Woran krankt die Menschheit, woran wird sie kranken bis Gerechtigkeit geschieht? ES ging darum, daß ein junges und rühriges Volk wuchs und Platz brauchte, und eine Lebenshaltung und Lohn verlangte, die sich anglichen der Lebenshaltung und den Löhnen der gleich tüchtigen und gleich fleißigen Arbeitsgenossen in der Welt. Es ging darum, daß die älteren und bequemeren Völker dieses naturnotwen- dige Schwellen und Gären und Begehren mit Schrecken sahen. Es ging darum, daß sie früher als irgend ein deutsches Hirn er¬ kannten, das kleine, eingeklammerte und bodenarme deutsche Land werde sich weiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/134>, abgerufen am 05.02.2025.