Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Die kulturelle Bedeutung Wiens selbst Von den Altösterreichern, dem Militär- und Beamtenstande, vor allem bei Man darf laber -auch die frühere Verbindung zwischen Wien und den Im Gegensatze zu Frankreich und anderen Nationalstaaten konnte sich auf Die kulturelle Bedeutung Wiens selbst Von den Altösterreichern, dem Militär- und Beamtenstande, vor allem bei Man darf laber -auch die frühere Verbindung zwischen Wien und den Im Gegensatze zu Frankreich und anderen Nationalstaaten konnte sich auf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335292"/> <fw type="header" place="top"> Die kulturelle Bedeutung Wiens</fw><lb/> <p xml:id="ID_438" prev="#ID_437"> selbst Von den Altösterreichern, dem Militär- und Beamtenstande, vor allem bei<lb/> der Geistlichkeit und bei Hofe als Hochverrat gewertet, was naturgemäß in der<lb/> Provinz eine starke Entfremdung gegen Wien hervorrief.</p><lb/> <p xml:id="ID_439"> Man darf laber -auch die frühere Verbindung zwischen Wien und den<lb/> Deutschen der Provinzen nicht überschätzen. In Böhmen fühlten sich -die<lb/> Deutschen, wie es bei M. Hartmann und E. Wert stark zum Ausdrucke kommt,<lb/> als Bürger dieses Landes. Wien war ihnen damals der Sitz der Reaktion<lb/> Metternichs. Als ihr Nationalempfinden aber erwachte, fand es keine Anregung,<lb/> kein Verständnis in Wien, und so mußten sie unter der Wirkung der gewaltigen<lb/> deutschen Kultuvwelle und der Macht der Nationalidee nach dem 'Deutschen Reiche<lb/> blicken. Geringer waren gewiß die Unterschiede zwischen den Alpenländern und<lb/> Wien mit Ausnahme der 'Sprachgrenzen und Tirols, das nur dynastische Anhäng¬<lb/> lichkeit an Wien band. Dazu noch die großen Gegensätze zwischen den Bolks-<lb/> charakteven. Doch davon später. Jedenfalls aber waren alle Bedingungen<lb/> gegeben, um Wien auch innerhalb der Deutschen Österreichs zu isolieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_440" next="#ID_441"> Im Gegensatze zu Frankreich und anderen Nationalstaaten konnte sich auf<lb/> deutschem Boden keine Stadt zu einem dauernd tonangebenden Mittelpunkt des<lb/> deutschen Kulturledens -entwickeln. Erst die Industrie- und Großstadtentwicklung<lb/> hat das bunte Bild deutschen Kulturlebens etwas verdeckt, das Deutschland mit<lb/> seinen zahlreichen Städteknlturen bot. Dies war jedenfalls von größtem Ein¬<lb/> fluß auf die Vielseitigkeit, Buntheit, Lebendigkeit und Tiefe deutscher Kultur, hat<lb/> aber andererseits, da es die Stammesunterschiede stark betonte, die politische<lb/> Einigung sehr erschwert, beziehungsweise ihre Vollendung unmöglich gemacht.<lb/> Ein solches Zentrum war lange Zeit auch Wien für Süddeutschland. Man denke<lb/> ein Klopstock und feine Hoffnungen auf eine Akademie in Wien, die eine ähnliche<lb/> Rolle im deutschen Kulturleben spielen sollte, wie etwa die Pariser in Frankreich.<lb/> Daß es damals nicht dazu Dam, lag Wohl an dem geringen Interesse und<lb/> Verständnis der Habsburger für deutsche Interessen, da sie als deutsche Kaiser<lb/> doch immer nur die enge; eigene Hausmachtpolitik verfolgton. Mit dem<lb/> Zusammenbruche Deutschlands vor Napoleon siel Wien als Mittelpunkt und<lb/> konnte sich nicht mehr zu einer führenden Stellung emporringen, da es die<lb/> Führung in den Freiheitskriegen und später in den Revolutions'jahren einbüßte.<lb/> Trotz der musikalischen Blüte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts übte eS<lb/> keinen Einfluß von Bedeutung mehr auf das Gesamtkulturleben des deutschen<lb/> Volkes aus, besonders da der gesamte Buchhandel sich im Deutschen Reiche<lb/> konzentrierte und der wachsende Nationalreichtum -auch deutschösterreichischen<lb/> Künstlern und Gelehrten eine Arbeitsmöglichkeit bot. Mit dem Kriege 1366 und<lb/> der Reichsgründung fiel das letzte Band mit Wien, ja Wien gefiel' sich darin,<lb/> seinen besonderen österreichischen Standpunkt betonend, in einen bewußten<lb/> Gegensatz zum Deutschen Reiche zu treten. selbstzufrieden mit der unmittelbaren<lb/> Vergangenheit, trat es immer mehr in den Hintergrund. Dadurch verlor eS<lb/> vorerst die Fühlung mit den Sudetenländern, deren Deutsche in unmittelbarem<lb/> Verkehr mit dem großen Nachbar traten, mit diesem Schritt zu halten suchten<lb/> und Wien fremd wurden, das unproduktiv nichts an kulturellen Werten abgeben<lb/> konnte. Ebenso wie die Universität hatten Bildungsstätten und Kunst»<lb/> bestrebungen keine oder nur unbedeutende Verbindung mit der Provinz. Die¬<lb/> selbe Entfremdung erfaßte aber auch die Alpenländer. Ihre endgültige Fest¬<lb/> legung fand sie dadurch, daß Wien der nationalen Gefühlswelle, die ganz Deutsch¬<lb/> österreich mächtig durchflutete, fremd blieb, ja sich ihr oft feindlich entgegen¬<lb/> stellte, und auf dem reinen Osterreichertum vergangener Zeiten fußend, auch<lb/> nicht den Willen zeigte, diesem neuen Bewußtsein Verständnis entgegenzubringen.<lb/> In ganz Osterreich war der Wiener der einzige, der sich Österreicher nannte,<lb/> während die übrigen Deutschen sich freudig zu ihrer Nation bekannten. So ver¬<lb/> lor Wien den Anschluß an die Provinz, wurde schließlich zwar Empfänger, aber<lb/> war nicht Ausgangspunkt der nationalen Bewegung. Als man spater daS<lb/> Versäumte nachholen wollte, war es zu spät. Aus der Entfremdung war offene<lb/> Gegnerschaft geworden, idie .um so schärfer war, als das Volk von Wien als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
Die kulturelle Bedeutung Wiens
selbst Von den Altösterreichern, dem Militär- und Beamtenstande, vor allem bei
der Geistlichkeit und bei Hofe als Hochverrat gewertet, was naturgemäß in der
Provinz eine starke Entfremdung gegen Wien hervorrief.
Man darf laber -auch die frühere Verbindung zwischen Wien und den
Deutschen der Provinzen nicht überschätzen. In Böhmen fühlten sich -die
Deutschen, wie es bei M. Hartmann und E. Wert stark zum Ausdrucke kommt,
als Bürger dieses Landes. Wien war ihnen damals der Sitz der Reaktion
Metternichs. Als ihr Nationalempfinden aber erwachte, fand es keine Anregung,
kein Verständnis in Wien, und so mußten sie unter der Wirkung der gewaltigen
deutschen Kultuvwelle und der Macht der Nationalidee nach dem 'Deutschen Reiche
blicken. Geringer waren gewiß die Unterschiede zwischen den Alpenländern und
Wien mit Ausnahme der 'Sprachgrenzen und Tirols, das nur dynastische Anhäng¬
lichkeit an Wien band. Dazu noch die großen Gegensätze zwischen den Bolks-
charakteven. Doch davon später. Jedenfalls aber waren alle Bedingungen
gegeben, um Wien auch innerhalb der Deutschen Österreichs zu isolieren.
Im Gegensatze zu Frankreich und anderen Nationalstaaten konnte sich auf
deutschem Boden keine Stadt zu einem dauernd tonangebenden Mittelpunkt des
deutschen Kulturledens -entwickeln. Erst die Industrie- und Großstadtentwicklung
hat das bunte Bild deutschen Kulturlebens etwas verdeckt, das Deutschland mit
seinen zahlreichen Städteknlturen bot. Dies war jedenfalls von größtem Ein¬
fluß auf die Vielseitigkeit, Buntheit, Lebendigkeit und Tiefe deutscher Kultur, hat
aber andererseits, da es die Stammesunterschiede stark betonte, die politische
Einigung sehr erschwert, beziehungsweise ihre Vollendung unmöglich gemacht.
Ein solches Zentrum war lange Zeit auch Wien für Süddeutschland. Man denke
ein Klopstock und feine Hoffnungen auf eine Akademie in Wien, die eine ähnliche
Rolle im deutschen Kulturleben spielen sollte, wie etwa die Pariser in Frankreich.
Daß es damals nicht dazu Dam, lag Wohl an dem geringen Interesse und
Verständnis der Habsburger für deutsche Interessen, da sie als deutsche Kaiser
doch immer nur die enge; eigene Hausmachtpolitik verfolgton. Mit dem
Zusammenbruche Deutschlands vor Napoleon siel Wien als Mittelpunkt und
konnte sich nicht mehr zu einer führenden Stellung emporringen, da es die
Führung in den Freiheitskriegen und später in den Revolutions'jahren einbüßte.
Trotz der musikalischen Blüte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts übte eS
keinen Einfluß von Bedeutung mehr auf das Gesamtkulturleben des deutschen
Volkes aus, besonders da der gesamte Buchhandel sich im Deutschen Reiche
konzentrierte und der wachsende Nationalreichtum -auch deutschösterreichischen
Künstlern und Gelehrten eine Arbeitsmöglichkeit bot. Mit dem Kriege 1366 und
der Reichsgründung fiel das letzte Band mit Wien, ja Wien gefiel' sich darin,
seinen besonderen österreichischen Standpunkt betonend, in einen bewußten
Gegensatz zum Deutschen Reiche zu treten. selbstzufrieden mit der unmittelbaren
Vergangenheit, trat es immer mehr in den Hintergrund. Dadurch verlor eS
vorerst die Fühlung mit den Sudetenländern, deren Deutsche in unmittelbarem
Verkehr mit dem großen Nachbar traten, mit diesem Schritt zu halten suchten
und Wien fremd wurden, das unproduktiv nichts an kulturellen Werten abgeben
konnte. Ebenso wie die Universität hatten Bildungsstätten und Kunst»
bestrebungen keine oder nur unbedeutende Verbindung mit der Provinz. Die¬
selbe Entfremdung erfaßte aber auch die Alpenländer. Ihre endgültige Fest¬
legung fand sie dadurch, daß Wien der nationalen Gefühlswelle, die ganz Deutsch¬
österreich mächtig durchflutete, fremd blieb, ja sich ihr oft feindlich entgegen¬
stellte, und auf dem reinen Osterreichertum vergangener Zeiten fußend, auch
nicht den Willen zeigte, diesem neuen Bewußtsein Verständnis entgegenzubringen.
In ganz Osterreich war der Wiener der einzige, der sich Österreicher nannte,
während die übrigen Deutschen sich freudig zu ihrer Nation bekannten. So ver¬
lor Wien den Anschluß an die Provinz, wurde schließlich zwar Empfänger, aber
war nicht Ausgangspunkt der nationalen Bewegung. Als man spater daS
Versäumte nachholen wollte, war es zu spät. Aus der Entfremdung war offene
Gegnerschaft geworden, idie .um so schärfer war, als das Volk von Wien als
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