Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Die kulturelle Bedeutung Wiens der dynastischen Idee erwartete. Durch Entgegenkommen und Erfüllung jeglichen Unter diesen Verhältnissen verlor natürlich Wien an Bedeutung als Jedenfalls aber wurde Wien von den fremden Nationen isoliert vorerst Das deutsche Problem, die Überführung des alten territorialen Deutsch¬ Sehr Die kulturelle Bedeutung Wiens der dynastischen Idee erwartete. Durch Entgegenkommen und Erfüllung jeglichen Unter diesen Verhältnissen verlor natürlich Wien an Bedeutung als Jedenfalls aber wurde Wien von den fremden Nationen isoliert vorerst Das deutsche Problem, die Überführung des alten territorialen Deutsch¬ Sehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335291"/> <fw type="header" place="top"> Die kulturelle Bedeutung Wiens</fw><lb/> <p xml:id="ID_433" prev="#ID_432"> der dynastischen Idee erwartete. Durch Entgegenkommen und Erfüllung jeglichen<lb/> Verlangens der Nationalitäten hoffte man jeder Nation Osterreich als den besten<lb/> Staat vorzuzaubern, erweckte aber dadurch doch nur die Überzeugung von der<lb/> inneren Schwäche und Kraftlosigkeit des Staates und das Verlangen nach<lb/> immer größeren Selbständigkeitsrechten, ohne sich aber noch zur letzten Folgerung<lb/> zu entschließen. Denn der letzten Lösung, der nationalen Abgrenzung und<lb/> Selbstverwaltung ging man aus Furcht, die zentralistische Macht der Dynastie<lb/> könnte darunter leiden, ans dem Wege. Wien war der Sitz der Dynastie, und so<lb/> war es etwas ganz Natürliches, daß die Nationen von Wien abrückten, und sei<lb/> es im Gegensatze zu Wien und gänzlich unabhängig, oder, im Anschlusse an einen<lb/> benachbarten Nationalstaat die erträumte Selbständigkeit erhofften. Die<lb/> italienische Jrredenta, die großrussische Agitation in Galizien, die serbische<lb/> Propaganda und das tschechische Staatsrecht sind Belege dafür.</p><lb/> <p xml:id="ID_434"> Unter diesen Verhältnissen verlor natürlich Wien an Bedeutung als<lb/> politisches Zentrum, ja es trat ein Gegensatz, eine Feindschaft zu Wien ein, die<lb/> sich auch auf wirtschaftlichem, wie kulturellen Gebiete äußern mußte. Man darf<lb/> nicht vergessen, daß die Monarchie, als ein zusa,mmengeh>eirateter Staat, nach<lb/> seinen Ländern nur ein loses Gefüge darstellte, dessen Bindemittel die<lb/> Dynastie war. Wie im Teutschen Reiche hatte jedes dieser Länder vorher ein<lb/> eigenes kulturelles wie wirtschaftliches Leben geführt, das nach dem Zusammen¬<lb/> schluß trotz einzelner Schwankungen erhalten blieb. Nur ein überlegenes Kultur¬<lb/> leben der neuen gemeinsamen Reichshauptstadt hätte den Ländern mit > der Zeit<lb/> den neuen Charakter aufdrücken können. Diese Kraft vermochte aber Wien nicht<lb/> aufzubringen. Mit dem Erwachen und Erstarken der politischen Bewegung<lb/> erwachte daher auch das Streben, kulturell unabhängig zu bleiben und wirtschaft¬<lb/> lich unabhängig zu werden. Die Tulpenbewegnng Ungarns, das «vri,j Ksvsllm<lb/> der Tschechen sind Beispiele dafür. Auf beiden Gebieten aber setzte eine rege<lb/> Tätigkeit ein; die Geschichte der Tschechen im 19. Jahrhundert zeigt dies<lb/> deutlich. Wo aber die eigene Kraft nicht ausreichte, deckte man oder suchte<lb/> man wenigstens seine wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse dort zu decken,<lb/> wo man seine politischen Ideale zu verwirklichen hoffte. War dies aber nicht<lb/> möglich, so verleugnete man den tatsächlichen Mangel an Gütern im Interesse<lb/> einer Massenbeeinslussung.</p><lb/> <p xml:id="ID_435"> Jedenfalls aber wurde Wien von den fremden Nationen isoliert vorerst<lb/> aus politischen Gründen. Aber nicht nur die fremden Nationen mieden Wien;<lb/> auch zu den übrigen Deutschen der Monarchie traten tiefe Gegensätze auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_436"> Das deutsche Problem, die Überführung des alten territorialen Deutsch¬<lb/> lands in den neuen Nationalstaat, ist durch die Reichsgründung Bismarcks nicht<lb/> restlos gelöst worden. Ein großer Teil der Deutschen blieb von der nationalen<lb/> Lösung'ausgeschlossen. In diesem lebte oder erwachte nun unter der Wirkung<lb/> der Idee des Nationalstaates die Sehnsucht nach dem Nachbarstaate. Berück¬<lb/> sichtigt man den gewaltigen Aufschwung des Deutschon Reiches und die Wirkung<lb/> des daraus sich ergebenden Nationalveichtums, den Stand der sozialen Fürsorge-<lb/> arbeiten, die geistige Regsamkeit, wenn sie auch oft unter einer Mechanisierung des<lb/> Geistes zu verkümmern'schien, jedenfalls aber den einheitlichen Geist deS Kultur¬<lb/> willens und der Kulturarbeit zum Wohle der GesamtlM, in diesem Falle des<lb/> Staates und Volkes, so ist es leicht begreiflich, daß sich vor allem die deutschen<lb/> Randgebiete Österreichs von diesem Organismus angezogen fühlten, kulturell mit<lb/> ihm in Verbindung traten und sich langsam von ihrem politischen Zentrum, das<lb/> kulturell ihr Zentrum nicht war, loslösten, um wenigstens in kultureller Hinsicht<lb/> eine Heimat jenseits der Grenzen zu suchen und zu finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_437" next="#ID_438"> Sehr<lb/> Staatsbestreben auftretende Verhalten der Parder Vchönerers absehen. Diese<lb/> Sehnsucht nach dem Deutschen Reich, unverstanden und unbeachtet im Reiche<lb/> selbst, war Natürlich in den Sudetenländern und der Sprachgrenze des Südens<lb/> größer als in den inneren Gebieten der deutschen Siedlung, wurde aber in Wien</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
Die kulturelle Bedeutung Wiens
der dynastischen Idee erwartete. Durch Entgegenkommen und Erfüllung jeglichen
Verlangens der Nationalitäten hoffte man jeder Nation Osterreich als den besten
Staat vorzuzaubern, erweckte aber dadurch doch nur die Überzeugung von der
inneren Schwäche und Kraftlosigkeit des Staates und das Verlangen nach
immer größeren Selbständigkeitsrechten, ohne sich aber noch zur letzten Folgerung
zu entschließen. Denn der letzten Lösung, der nationalen Abgrenzung und
Selbstverwaltung ging man aus Furcht, die zentralistische Macht der Dynastie
könnte darunter leiden, ans dem Wege. Wien war der Sitz der Dynastie, und so
war es etwas ganz Natürliches, daß die Nationen von Wien abrückten, und sei
es im Gegensatze zu Wien und gänzlich unabhängig, oder, im Anschlusse an einen
benachbarten Nationalstaat die erträumte Selbständigkeit erhofften. Die
italienische Jrredenta, die großrussische Agitation in Galizien, die serbische
Propaganda und das tschechische Staatsrecht sind Belege dafür.
Unter diesen Verhältnissen verlor natürlich Wien an Bedeutung als
politisches Zentrum, ja es trat ein Gegensatz, eine Feindschaft zu Wien ein, die
sich auch auf wirtschaftlichem, wie kulturellen Gebiete äußern mußte. Man darf
nicht vergessen, daß die Monarchie, als ein zusa,mmengeh>eirateter Staat, nach
seinen Ländern nur ein loses Gefüge darstellte, dessen Bindemittel die
Dynastie war. Wie im Teutschen Reiche hatte jedes dieser Länder vorher ein
eigenes kulturelles wie wirtschaftliches Leben geführt, das nach dem Zusammen¬
schluß trotz einzelner Schwankungen erhalten blieb. Nur ein überlegenes Kultur¬
leben der neuen gemeinsamen Reichshauptstadt hätte den Ländern mit > der Zeit
den neuen Charakter aufdrücken können. Diese Kraft vermochte aber Wien nicht
aufzubringen. Mit dem Erwachen und Erstarken der politischen Bewegung
erwachte daher auch das Streben, kulturell unabhängig zu bleiben und wirtschaft¬
lich unabhängig zu werden. Die Tulpenbewegnng Ungarns, das «vri,j Ksvsllm
der Tschechen sind Beispiele dafür. Auf beiden Gebieten aber setzte eine rege
Tätigkeit ein; die Geschichte der Tschechen im 19. Jahrhundert zeigt dies
deutlich. Wo aber die eigene Kraft nicht ausreichte, deckte man oder suchte
man wenigstens seine wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse dort zu decken,
wo man seine politischen Ideale zu verwirklichen hoffte. War dies aber nicht
möglich, so verleugnete man den tatsächlichen Mangel an Gütern im Interesse
einer Massenbeeinslussung.
Jedenfalls aber wurde Wien von den fremden Nationen isoliert vorerst
aus politischen Gründen. Aber nicht nur die fremden Nationen mieden Wien;
auch zu den übrigen Deutschen der Monarchie traten tiefe Gegensätze auf.
Das deutsche Problem, die Überführung des alten territorialen Deutsch¬
lands in den neuen Nationalstaat, ist durch die Reichsgründung Bismarcks nicht
restlos gelöst worden. Ein großer Teil der Deutschen blieb von der nationalen
Lösung'ausgeschlossen. In diesem lebte oder erwachte nun unter der Wirkung
der Idee des Nationalstaates die Sehnsucht nach dem Nachbarstaate. Berück¬
sichtigt man den gewaltigen Aufschwung des Deutschon Reiches und die Wirkung
des daraus sich ergebenden Nationalveichtums, den Stand der sozialen Fürsorge-
arbeiten, die geistige Regsamkeit, wenn sie auch oft unter einer Mechanisierung des
Geistes zu verkümmern'schien, jedenfalls aber den einheitlichen Geist deS Kultur¬
willens und der Kulturarbeit zum Wohle der GesamtlM, in diesem Falle des
Staates und Volkes, so ist es leicht begreiflich, daß sich vor allem die deutschen
Randgebiete Österreichs von diesem Organismus angezogen fühlten, kulturell mit
ihm in Verbindung traten und sich langsam von ihrem politischen Zentrum, das
kulturell ihr Zentrum nicht war, loslösten, um wenigstens in kultureller Hinsicht
eine Heimat jenseits der Grenzen zu suchen und zu finden.
Sehr
Staatsbestreben auftretende Verhalten der Parder Vchönerers absehen. Diese
Sehnsucht nach dem Deutschen Reich, unverstanden und unbeachtet im Reiche
selbst, war Natürlich in den Sudetenländern und der Sprachgrenze des Südens
größer als in den inneren Gebieten der deutschen Siedlung, wurde aber in Wien
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