Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung materielle Macht, zu Boden fallen. Man muß also fürs erste die alte Maschine Der preußische Staat krankt an einer übermäßigen Zentralisation. Die Mit Recht ertönt der Ruf, die Selbstverwaltung der Städte und besonders Damit wäre aber auch noch etwas anderes sehr Wesentliches erreicht. Der Im republikanischen Deutschland sollte der "rechts und gottlose Souveränitäts- Zwischen den doktrinären Grundsätzen des ymetu non movere und des Möchte die deutsche Konstituante von 1919 zu unser aller Heil in diesem An dem Entwurf des Staatssekretars Preuß, von dem noch ein ander Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung materielle Macht, zu Boden fallen. Man muß also fürs erste die alte Maschine Der preußische Staat krankt an einer übermäßigen Zentralisation. Die Mit Recht ertönt der Ruf, die Selbstverwaltung der Städte und besonders Damit wäre aber auch noch etwas anderes sehr Wesentliches erreicht. Der Im republikanischen Deutschland sollte der „rechts und gottlose Souveränitäts- Zwischen den doktrinären Grundsätzen des ymetu non movere und des Möchte die deutsche Konstituante von 1919 zu unser aller Heil in diesem An dem Entwurf des Staatssekretars Preuß, von dem noch ein ander <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335283"/> <fw type="header" place="top"> Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung</fw><lb/> <p xml:id="ID_405" prev="#ID_404"> materielle Macht, zu Boden fallen. Man muß also fürs erste die alte Maschine<lb/> weiter laufen lassen, solange bis die neue in rechten Gang gekommen ist. Um<lb/> aber jene, der preußischen „Hegemonie" entspringenden Animositäten zu verringern,<lb/> deren störender Einfluß nicht unterschätzt werden soll, bietet sich eben das Mittel<lb/> einer gleichzeitigen Stärkung der provinziellen Selbstverwaltung.</p><lb/> <p xml:id="ID_406"> Der preußische Staat krankt an einer übermäßigen Zentralisation. Die<lb/> Minifterialinstanz überwuchert trotz aller Reformbestrebungen das innere Gefüge<lb/> der Verwaltung, der kleinste Schulbau, jede erheblichere Geldausgabe oder be¬<lb/> triebstechnische Aenderung ist von ihrem Plazet abhängig.</p><lb/> <p xml:id="ID_407"> Mit Recht ertönt der Ruf, die Selbstverwaltung der Städte und besonders<lb/> des platten Landes (was auch der „Entwurf" start fördert) weiter auszubauen.<lb/> Von rheinländischer Seite wurde kürzlich vorgeschlagen, die Provinzen zu eigenem<lb/> Leben zu erwecken. Die alte Negierung müßte verschwinden, der Landrat aus<lb/> einem Staatsbeamten zu einem Kommunalbeamten werden, was er in gewissem<lb/> Sinne von Hause aus ja gewesen ist. Auf dem Unterbau sich selbst Vermaltender<lb/> Stadt- und Landkreise könnte sich sodann der Aufbau der Selbstverwaltung, der<lb/> Provinzen erheben, die dann richtiger „Länder" hießen. Sie könnten nach<lb/> historischen und geographischen Eigentümlichkeiten zusammengelegt werden, z. B.<lb/> Ost- und Westpreußen. Landtag und Oberpräsioent (den man lieber Statthalter<lb/> oder Landeshauptmann nennen möge) wären ihre Vertreter, spezielle Landes-<lb/> behörden für jeden Verwaltungszweig ihre Organe. Berlin wäre auf die Ge¬<lb/> schäfte zu beschränken, die unbedingt einheitliche Handhabung verlangen, um die<lb/> Einheit des Staates aufrecht zu erhalten, z. B. „das Rheinland", so schließt<lb/> jener Vorschlag, „würde also nicht Republik, sondern ein sich selbst verwaltendes<lb/> .Land' Preußens".</p><lb/> <p xml:id="ID_408"> Damit wäre aber auch noch etwas anderes sehr Wesentliches erreicht. Der<lb/> einstige Staatsrechtslehrer Preuß hat stets die Anschauung > vertreten, daß von<lb/> einem „begrifflichen Wesensgegensatz zwischen kommunalen Selbstverwaltungs-<lb/> körpern und Gliedstaaten" eines Bundesstaates nicht die Rede sein könne.<lb/> -</p><lb/> <p xml:id="ID_409"> Im republikanischen Deutschland sollte der „rechts und gottlose Souveränitäts-<lb/> schwinde! der deutschen Teilsürsten", den Stein vor hundert Jahren brandmarkte,<lb/> und der zweifellos an der Versteifung des Begriffs der sogenannten staatlichen<lb/> Souveränität seinen Anteil hat, freier beweglichen Anschauungen gewichen sein.<lb/> Wenn es gelingt, die „teils schädlichen, teils lächerlichen Reste einer auswärtigen<lb/> Hoheit der Gliedstaaten", deren völlige Beseitigung für Preuß selbstverständlich<lb/> ist, wirklich zu beseitigen, und je mehr sich überhaupt die ehemals „souveränen"<lb/> Staaten Bayern, Württemberg usw. den nunmehr stark dezentralisierten „Ländern"<lb/> innerhalb Preußens (Rheinprovinz usw.) begrifflich und tatsächlich annähern, desto<lb/> geringer müssen die Reibungen und Differenzen werden, die sich aus dem Dasein<lb/> des preußischen Gesamtstaates ergeben; während doch andererseits dieser Gesamt¬<lb/> staat als Treuhänder der Macht so lange erhalten bleiben konnte, bis die gleich¬<lb/> zeitig mit aller Kraft zu betreibende Stärkung der Reichsgewalt ihren genügenden<lb/> Grad erreicht hat. wozu wiederum jene Assimilierung der preußischen Teil-Länder<lb/> und der außerpreußischen „Staaten" auf der mittleren Linie des trafwollen<lb/> Selbstverwallungskörpers wesentlich beitragen wurde. Daß auf dem hier ge¬<lb/> zeichneten Wege auch das Problem „Berlin" viel von seiner Anstößigkeit verlieren<lb/> muß, dürfte ohne weiteres klar geworden sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_410"> Zwischen den doktrinären Grundsätzen des ymetu non movere und des<lb/> radikalen Umsturzes liegt der Wahlspruch des Staatsmannes, die Politik als<lb/> Kunst des Möglichen zu begreifen. ^ « ^ , ^- .</p><lb/> <p xml:id="ID_411"> Möchte die deutsche Konstituante von 1919 zu unser aller Heil in diesem<lb/> Sinne handeln I . ,.. „ ^ ? . .</p><lb/> <p xml:id="ID_412"> An dem Entwurf des Staatssekretars Preuß, von dem noch ein ander<lb/> Mal zu sprechen sein wird, kann keiner vorübergehen, auch wenn er wie Ver¬<lb/> fasser bei vorliegendem Thema abweichende Ansichten vertritt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Das Kernproblem des neuen Entwurfs der Reichsverfassung
materielle Macht, zu Boden fallen. Man muß also fürs erste die alte Maschine
weiter laufen lassen, solange bis die neue in rechten Gang gekommen ist. Um
aber jene, der preußischen „Hegemonie" entspringenden Animositäten zu verringern,
deren störender Einfluß nicht unterschätzt werden soll, bietet sich eben das Mittel
einer gleichzeitigen Stärkung der provinziellen Selbstverwaltung.
Der preußische Staat krankt an einer übermäßigen Zentralisation. Die
Minifterialinstanz überwuchert trotz aller Reformbestrebungen das innere Gefüge
der Verwaltung, der kleinste Schulbau, jede erheblichere Geldausgabe oder be¬
triebstechnische Aenderung ist von ihrem Plazet abhängig.
Mit Recht ertönt der Ruf, die Selbstverwaltung der Städte und besonders
des platten Landes (was auch der „Entwurf" start fördert) weiter auszubauen.
Von rheinländischer Seite wurde kürzlich vorgeschlagen, die Provinzen zu eigenem
Leben zu erwecken. Die alte Negierung müßte verschwinden, der Landrat aus
einem Staatsbeamten zu einem Kommunalbeamten werden, was er in gewissem
Sinne von Hause aus ja gewesen ist. Auf dem Unterbau sich selbst Vermaltender
Stadt- und Landkreise könnte sich sodann der Aufbau der Selbstverwaltung, der
Provinzen erheben, die dann richtiger „Länder" hießen. Sie könnten nach
historischen und geographischen Eigentümlichkeiten zusammengelegt werden, z. B.
Ost- und Westpreußen. Landtag und Oberpräsioent (den man lieber Statthalter
oder Landeshauptmann nennen möge) wären ihre Vertreter, spezielle Landes-
behörden für jeden Verwaltungszweig ihre Organe. Berlin wäre auf die Ge¬
schäfte zu beschränken, die unbedingt einheitliche Handhabung verlangen, um die
Einheit des Staates aufrecht zu erhalten, z. B. „das Rheinland", so schließt
jener Vorschlag, „würde also nicht Republik, sondern ein sich selbst verwaltendes
.Land' Preußens".
Damit wäre aber auch noch etwas anderes sehr Wesentliches erreicht. Der
einstige Staatsrechtslehrer Preuß hat stets die Anschauung > vertreten, daß von
einem „begrifflichen Wesensgegensatz zwischen kommunalen Selbstverwaltungs-
körpern und Gliedstaaten" eines Bundesstaates nicht die Rede sein könne.
-
Im republikanischen Deutschland sollte der „rechts und gottlose Souveränitäts-
schwinde! der deutschen Teilsürsten", den Stein vor hundert Jahren brandmarkte,
und der zweifellos an der Versteifung des Begriffs der sogenannten staatlichen
Souveränität seinen Anteil hat, freier beweglichen Anschauungen gewichen sein.
Wenn es gelingt, die „teils schädlichen, teils lächerlichen Reste einer auswärtigen
Hoheit der Gliedstaaten", deren völlige Beseitigung für Preuß selbstverständlich
ist, wirklich zu beseitigen, und je mehr sich überhaupt die ehemals „souveränen"
Staaten Bayern, Württemberg usw. den nunmehr stark dezentralisierten „Ländern"
innerhalb Preußens (Rheinprovinz usw.) begrifflich und tatsächlich annähern, desto
geringer müssen die Reibungen und Differenzen werden, die sich aus dem Dasein
des preußischen Gesamtstaates ergeben; während doch andererseits dieser Gesamt¬
staat als Treuhänder der Macht so lange erhalten bleiben konnte, bis die gleich¬
zeitig mit aller Kraft zu betreibende Stärkung der Reichsgewalt ihren genügenden
Grad erreicht hat. wozu wiederum jene Assimilierung der preußischen Teil-Länder
und der außerpreußischen „Staaten" auf der mittleren Linie des trafwollen
Selbstverwallungskörpers wesentlich beitragen wurde. Daß auf dem hier ge¬
zeichneten Wege auch das Problem „Berlin" viel von seiner Anstößigkeit verlieren
muß, dürfte ohne weiteres klar geworden sein.
Zwischen den doktrinären Grundsätzen des ymetu non movere und des
radikalen Umsturzes liegt der Wahlspruch des Staatsmannes, die Politik als
Kunst des Möglichen zu begreifen. ^ « ^ , ^- .
Möchte die deutsche Konstituante von 1919 zu unser aller Heil in diesem
Sinne handeln I . ,.. „ ^ ? . .
An dem Entwurf des Staatssekretars Preuß, von dem noch ein ander
Mal zu sprechen sein wird, kann keiner vorübergehen, auch wenn er wie Ver¬
fasser bei vorliegendem Thema abweichende Ansichten vertritt.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |