Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.Die Lage der Wilhelmstraße und durch die Redaktionen, durch Parlamente und politische Gott gäbe, es wäre so und nicht anders! Viel Blut und Elend könnte Doch ich will mich nicht auf dasselbe Eis begeben, auf dem die Regierungs¬ Der Völkerbund als Grundlage des Friedens! Das ist sein praktisches Ziel, Die Lage der Wilhelmstraße und durch die Redaktionen, durch Parlamente und politische Gott gäbe, es wäre so und nicht anders! Viel Blut und Elend könnte Doch ich will mich nicht auf dasselbe Eis begeben, auf dem die Regierungs¬ Der Völkerbund als Grundlage des Friedens! Das ist sein praktisches Ziel, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88332"/> <fw type="header" place="top"> Die Lage</fw><lb/> <p xml:id="ID_370" prev="#ID_369"> der Wilhelmstraße und durch die Redaktionen, durch Parlamente und politische<lb/> Klubs geht das entnervende Rätselraten: was wird Wilson antworten? In sehr<lb/> belesen scheinenden Vorträgen wird uns der Charakter Wilsons und seiner Um¬<lb/> gebung erklärt und aus ihm gefolgert werden, daß er nur das Beste für die<lb/> Menschheit, also auch für uns im Auge und den alleinigen Ehrgeiz habe, der<lb/> Welt den Frieden zu bringen, den ewigen natürlich I Das sei aber unerreichbar,<lb/> sofern er den Versuch zuließe, Deutschland ^ in einen Unterwerfungsfrieden zu<lb/> zwingen. Wilson sei klug genug, Deutschland nicht zum äußersten zwingen zu wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_371"> Gott gäbe, es wäre so und nicht anders! Viel Blut und Elend könnte<lb/> gespart werden. Aber glauben kann ich es nicht! So wenig ich glauben kann,<lb/> daß England unbezwungen von seiner Seeherrschaft etwas abtritt, durch Verträge<lb/> und Vergleiche, wie eine gewisse Diplomatenschule bei uns annimmt, so wenig kann<lb/> ich mir denken, daß Wilson Sicherheiten für einen Weltvölkerfrieden, die er durch<lb/> Schlachtenglück und kluge Diplomatie gemeinsam mit England gewann, aus de^<lb/> Hand geben sollte, ehe sie nicht doppelt in anderer Weise sichergestellt werden. Und<lb/> einen Gegner freizugeben, in dem Augenblick, wo man sich sicher fühlt, ihm den<lb/> Fang- oder Gnadenstoß versetzen zu können, mag einmal in der deutschen Ritter¬<lb/> romantik Sitte gewesen sein, — im Hirn eines modernen Angelsachsen wächst<lb/> solche Sentimentalität nicht!</p><lb/> <p xml:id="ID_372"> Doch ich will mich nicht auf dasselbe Eis begeben, auf dem die Regierungs¬<lb/> männer herumgleiten, ohne einen festen Haltepunkt zu finden. Die Friedens¬<lb/> möglichkeiten lassen sich nicht ohne weiteres aus der Geistesverfassung dieser oder<lb/> jener Persönlichkeit erklären, sondern ausschließlich aus dem jeweils vorhandenen<lb/> Gesäme-Tatsachenmaterial, in dem eine Persönlichkeit wie die Wilsons selbstver¬<lb/> ständlich ein gewisses Gewicht hat, aber durchaus nicht zu jeder Zeit ausschlag¬<lb/> gebend zu sein braucht. In zwei Punkten will ich den Standpunkt der Regie¬<lb/> rungsmänner annehmen: ich gebe zu, daß Wilson ernstlich bemüht ist, auf dem<lb/> Erdball einen Zustand schaffen zu helfen, der die Wiederkehr einer Katastrophe<lb/> wie den Weltkrieg nach menschlichem Ermessen unmöglich erscheinen läßt, und ich<lb/> glaube, daß Wilson im Völkerbund das Instrument sieht, das die Autorität haben<lb/> werde, den Frieden aufrecht zu erhalten. Hieraus kann ich aber nicht folgern-<lb/> daß für Wilson ein schneller Friedensschluß oder wenigstens schnelle Einstellung<lb/> der Feindseligkeiten aus Gründen der Menschlichkeit die zeitlich nächste Forderung<lb/> sein muß, sondern ich folgere, daß seine nächste und dringendste Forderung ist<lb/> und bleiben wird: die Garantie der Zuverlässigkeit seines Völkerbundes!</p><lb/> <p xml:id="ID_373"> Der Völkerbund als Grundlage des Friedens! Das ist sein praktisches Ziel,<lb/> dem sich alle anderen Interessen, soweit sie für ihn faßbar sind, zu unterwerfen<lb/> haben. Ein paar tausend Menschenleben können dabei in Wilsons Rechnung nach<lb/> den Hekatomben keine Rolle mehr spielen. Aus dieser Erwägung heraus war es<lb/> falsch, von unserer Seite mit dem Friedensangebot zusammen auch das Waffen-<lb/> stillstandsangebot an Wilson zu richten. Die Verhandlungen um die Grundlagen<lb/> des Völkerbundes können neben den Schlachten hergehen. Das Waffenstillstands,<lb/> angebot hat unserem ersten Friedensschritt etwas Unsicheres gegeben, das die<lb/> Gegner für ihre Zwecke unter ihren und unseren Bundesgenossen, unter den Polen,<lb/> Russen und Dänen auszuwerten vermögen und unsere militärische Lage bei uns<lb/> selbst in durchaus seltsamem Lichte erscheinen ließ.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
Die Lage
der Wilhelmstraße und durch die Redaktionen, durch Parlamente und politische
Klubs geht das entnervende Rätselraten: was wird Wilson antworten? In sehr
belesen scheinenden Vorträgen wird uns der Charakter Wilsons und seiner Um¬
gebung erklärt und aus ihm gefolgert werden, daß er nur das Beste für die
Menschheit, also auch für uns im Auge und den alleinigen Ehrgeiz habe, der
Welt den Frieden zu bringen, den ewigen natürlich I Das sei aber unerreichbar,
sofern er den Versuch zuließe, Deutschland ^ in einen Unterwerfungsfrieden zu
zwingen. Wilson sei klug genug, Deutschland nicht zum äußersten zwingen zu wollen.
Gott gäbe, es wäre so und nicht anders! Viel Blut und Elend könnte
gespart werden. Aber glauben kann ich es nicht! So wenig ich glauben kann,
daß England unbezwungen von seiner Seeherrschaft etwas abtritt, durch Verträge
und Vergleiche, wie eine gewisse Diplomatenschule bei uns annimmt, so wenig kann
ich mir denken, daß Wilson Sicherheiten für einen Weltvölkerfrieden, die er durch
Schlachtenglück und kluge Diplomatie gemeinsam mit England gewann, aus de^
Hand geben sollte, ehe sie nicht doppelt in anderer Weise sichergestellt werden. Und
einen Gegner freizugeben, in dem Augenblick, wo man sich sicher fühlt, ihm den
Fang- oder Gnadenstoß versetzen zu können, mag einmal in der deutschen Ritter¬
romantik Sitte gewesen sein, — im Hirn eines modernen Angelsachsen wächst
solche Sentimentalität nicht!
Doch ich will mich nicht auf dasselbe Eis begeben, auf dem die Regierungs¬
männer herumgleiten, ohne einen festen Haltepunkt zu finden. Die Friedens¬
möglichkeiten lassen sich nicht ohne weiteres aus der Geistesverfassung dieser oder
jener Persönlichkeit erklären, sondern ausschließlich aus dem jeweils vorhandenen
Gesäme-Tatsachenmaterial, in dem eine Persönlichkeit wie die Wilsons selbstver¬
ständlich ein gewisses Gewicht hat, aber durchaus nicht zu jeder Zeit ausschlag¬
gebend zu sein braucht. In zwei Punkten will ich den Standpunkt der Regie¬
rungsmänner annehmen: ich gebe zu, daß Wilson ernstlich bemüht ist, auf dem
Erdball einen Zustand schaffen zu helfen, der die Wiederkehr einer Katastrophe
wie den Weltkrieg nach menschlichem Ermessen unmöglich erscheinen läßt, und ich
glaube, daß Wilson im Völkerbund das Instrument sieht, das die Autorität haben
werde, den Frieden aufrecht zu erhalten. Hieraus kann ich aber nicht folgern-
daß für Wilson ein schneller Friedensschluß oder wenigstens schnelle Einstellung
der Feindseligkeiten aus Gründen der Menschlichkeit die zeitlich nächste Forderung
sein muß, sondern ich folgere, daß seine nächste und dringendste Forderung ist
und bleiben wird: die Garantie der Zuverlässigkeit seines Völkerbundes!
Der Völkerbund als Grundlage des Friedens! Das ist sein praktisches Ziel,
dem sich alle anderen Interessen, soweit sie für ihn faßbar sind, zu unterwerfen
haben. Ein paar tausend Menschenleben können dabei in Wilsons Rechnung nach
den Hekatomben keine Rolle mehr spielen. Aus dieser Erwägung heraus war es
falsch, von unserer Seite mit dem Friedensangebot zusammen auch das Waffen-
stillstandsangebot an Wilson zu richten. Die Verhandlungen um die Grundlagen
des Völkerbundes können neben den Schlachten hergehen. Das Waffenstillstands,
angebot hat unserem ersten Friedensschritt etwas Unsicheres gegeben, das die
Gegner für ihre Zwecke unter ihren und unseren Bundesgenossen, unter den Polen,
Russen und Dänen auszuwerten vermögen und unsere militärische Lage bei uns
selbst in durchaus seltsamem Lichte erscheinen ließ.
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