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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Tvonmuig von Stciat und Kirche

Mit allen Mitteln -ist zu verhüten, daß die evangelischen Gemeinden aus¬
einanderfallen. Die Uneinigkeit der Evangelischen war immer ihr eigener
Schaden. Der bisherigen landeskirchlichen Leitung bleibt das Verdienst, daß sie
die Zersplitterung verhütet und eine schroffe kirchliche Parteiherrschaft im
wesentlichen ferngehalten hat. Auf dieser Grundlage der Weitherzigkeit ist ganz
allein die Existenz der künftigen Volkskirche möglich. Nur jetzt nicht auch noch
kirchliche Unversöhnlichkeit! Und wenn es sich nur.um leinen kirchlichen "Zweck¬
verband" handelte, der sür -alle mehr äußeren Dinge bestände, er müßte geschaffen
werden. Wir wollen und dürfen uns nicht durch theologische und kirchliche Partei¬
gegensätze schwächen; die Laien hätten -daran die geringste Freude und würden
einer solchen streitsüchtigen Kirche wenig Liebe entgegenbringen. Von den
religiös angeregten "Gemeinschaften" ist zu -erwarten, daß sie die "er-zu^a, asi",
den kirchlichen Frieden im Dienste Gottes ernst nehmen. Alle ernsten Kräfte
müssen der Gesamtheit dienen!'

Das kirchliche Wahlrecht wird den Frauen zu gewähren sein; wir ver¬
sprechen uns von ihrer Mitarbeit wertvolle Dienste. Die Form der Kirchen-
Wahlen kann in der jetzigen Form (persönliche Anmeldung zur Wählerliste) nicht
bleiben; irgendwie muß aber eine Sicherheit erstrebt werden, daß nur solche
wählen, denen -an dem Aufbau der Kirche liegt;,in -dieser Beziehung wird auch
der Appell an das Gewissen ergehen müssen.

Eine neue Sorge -aver ist, ob solch eine Volkskirche in unserer Zeit noch mög¬
lich ist oder ab es schon zur spät für sie ist. Hat die Gesamtheit unseres Volkes
noch Neigung, das kirchliche Leben zu Pflegen und zu schützen? Wir bleiben der
bisherigen Swatsverfasfung dafür dankbar, daß die Religion nicht lediglich als
"Privatsache", sondern -als "Volkssache" angesehen wurde.' Auch bisher galt die
Religion grundsätzlich als persönliche Angelegenheit des Staatsbürgers; wirk¬
lich gezwungen werden konte niemand, wenn auch nicht geleugnet werden kann,
daß trotzdem nicht immer ein gewisser Druck auf die Erfüllung kirchlicher Pflich¬
ten namentlich bei den Beamten vermieden wurde. Grundsätzlich war in der
preußischen Verfassung Religionsfreiheit garantiert.. Trotzdem fühlte sich der
Staat verpflichtet, die Möglichkeit zu regelmäßiger Pflege der Frömmigkeit als
einen Teil seiner allgemeinen Kulturaufgaben zu betrachten. Genau so wie er
für Bildung, Kunst und Wissenschaft sorgt, ohne den einzelnen zu Kunst und
Wissenschaft zu zwingen, -genau so handelte der Staat recht, wenn er die Religion
als eine Kulturaufgabe in seine allgemeinen Pflichten hineinnahm. Und es
wird auch auf protestantischer Seite als eine verletzende Schroffheit -der neuen
republikanischen Verfassung empfunden werden, wenn auf der einen Seite der
Staat von den Bürgern ungeheure Opfer fordert, anderseits aber plötzlich für die
Pflege eine noch so tief wurzelnden Kulturgutes, der Religion und Kirche, nichts
mehr bewilligte. Es wäre ungeheuer kurzsichtig, wenn man die 'Unkirchlichkeit
in den Großstädten zum Maßstab sür die Schätzung -der Kirche im ganzen Volke
machen wollte. Es -gäbe einen Sturm des Zornes gegen "Berlin", einen neuen
Kulturkampf, noch schlimmer als den ersten zu Bismarcks Zeiten.

Der Staat trat ferner bisher mit vielen Schutzbestimmungen für die Heili¬
gung der kirchlichen Feiertage ein, für -die Pflege der Frömmigkeit in den staat¬
lichen Erziehungsansr.alte-n, Lazaretten und im Herr und Marine; -- wird die
Volkskirche Kraft hoben, auf den Staat einen Druck auszuüben, daß diese religiöse
Pflege zum mindesten nicht gehindert wird, wenn sie von der Kirche übernommen
werden müßte?

Die finanzielle Regelung bei der etwaigen Trennung ist sehr sorg¬
fältig zu behandeln. Bis jetzt wurden -die Kosten für d-as kirchliche Leben auf
dreifache Weise aufgebracht: durch Staatsbeihilfe, Kirchensteuern und durch das
eigene Vermögen der Kirche. -- Um mit dem letzten anzufangen, so ist dem viel¬
fach verbreiteten Irrtum entgegenzutreten, als wenn die preußische Landeskirche
über großen Reichtum verfügte.' Davon ist keine Rede! Natürlich hat die Kirche
Vermögen. Wer es ist kein Vermögen in "toter Hand". Die "Hand" ist sehr
lebendig. Ohne -dies Vermögen wäre die kirchliche Pflege der Frömmigkeit gar


Tvonmuig von Stciat und Kirche

Mit allen Mitteln -ist zu verhüten, daß die evangelischen Gemeinden aus¬
einanderfallen. Die Uneinigkeit der Evangelischen war immer ihr eigener
Schaden. Der bisherigen landeskirchlichen Leitung bleibt das Verdienst, daß sie
die Zersplitterung verhütet und eine schroffe kirchliche Parteiherrschaft im
wesentlichen ferngehalten hat. Auf dieser Grundlage der Weitherzigkeit ist ganz
allein die Existenz der künftigen Volkskirche möglich. Nur jetzt nicht auch noch
kirchliche Unversöhnlichkeit! Und wenn es sich nur.um leinen kirchlichen „Zweck¬
verband" handelte, der sür -alle mehr äußeren Dinge bestände, er müßte geschaffen
werden. Wir wollen und dürfen uns nicht durch theologische und kirchliche Partei¬
gegensätze schwächen; die Laien hätten -daran die geringste Freude und würden
einer solchen streitsüchtigen Kirche wenig Liebe entgegenbringen. Von den
religiös angeregten „Gemeinschaften" ist zu -erwarten, daß sie die „er-zu^a, asi",
den kirchlichen Frieden im Dienste Gottes ernst nehmen. Alle ernsten Kräfte
müssen der Gesamtheit dienen!'

Das kirchliche Wahlrecht wird den Frauen zu gewähren sein; wir ver¬
sprechen uns von ihrer Mitarbeit wertvolle Dienste. Die Form der Kirchen-
Wahlen kann in der jetzigen Form (persönliche Anmeldung zur Wählerliste) nicht
bleiben; irgendwie muß aber eine Sicherheit erstrebt werden, daß nur solche
wählen, denen -an dem Aufbau der Kirche liegt;,in -dieser Beziehung wird auch
der Appell an das Gewissen ergehen müssen.

Eine neue Sorge -aver ist, ob solch eine Volkskirche in unserer Zeit noch mög¬
lich ist oder ab es schon zur spät für sie ist. Hat die Gesamtheit unseres Volkes
noch Neigung, das kirchliche Leben zu Pflegen und zu schützen? Wir bleiben der
bisherigen Swatsverfasfung dafür dankbar, daß die Religion nicht lediglich als
„Privatsache", sondern -als „Volkssache" angesehen wurde.' Auch bisher galt die
Religion grundsätzlich als persönliche Angelegenheit des Staatsbürgers; wirk¬
lich gezwungen werden konte niemand, wenn auch nicht geleugnet werden kann,
daß trotzdem nicht immer ein gewisser Druck auf die Erfüllung kirchlicher Pflich¬
ten namentlich bei den Beamten vermieden wurde. Grundsätzlich war in der
preußischen Verfassung Religionsfreiheit garantiert.. Trotzdem fühlte sich der
Staat verpflichtet, die Möglichkeit zu regelmäßiger Pflege der Frömmigkeit als
einen Teil seiner allgemeinen Kulturaufgaben zu betrachten. Genau so wie er
für Bildung, Kunst und Wissenschaft sorgt, ohne den einzelnen zu Kunst und
Wissenschaft zu zwingen, -genau so handelte der Staat recht, wenn er die Religion
als eine Kulturaufgabe in seine allgemeinen Pflichten hineinnahm. Und es
wird auch auf protestantischer Seite als eine verletzende Schroffheit -der neuen
republikanischen Verfassung empfunden werden, wenn auf der einen Seite der
Staat von den Bürgern ungeheure Opfer fordert, anderseits aber plötzlich für die
Pflege eine noch so tief wurzelnden Kulturgutes, der Religion und Kirche, nichts
mehr bewilligte. Es wäre ungeheuer kurzsichtig, wenn man die 'Unkirchlichkeit
in den Großstädten zum Maßstab sür die Schätzung -der Kirche im ganzen Volke
machen wollte. Es -gäbe einen Sturm des Zornes gegen „Berlin", einen neuen
Kulturkampf, noch schlimmer als den ersten zu Bismarcks Zeiten.

Der Staat trat ferner bisher mit vielen Schutzbestimmungen für die Heili¬
gung der kirchlichen Feiertage ein, für -die Pflege der Frömmigkeit in den staat¬
lichen Erziehungsansr.alte-n, Lazaretten und im Herr und Marine; — wird die
Volkskirche Kraft hoben, auf den Staat einen Druck auszuüben, daß diese religiöse
Pflege zum mindesten nicht gehindert wird, wenn sie von der Kirche übernommen
werden müßte?

Die finanzielle Regelung bei der etwaigen Trennung ist sehr sorg¬
fältig zu behandeln. Bis jetzt wurden -die Kosten für d-as kirchliche Leben auf
dreifache Weise aufgebracht: durch Staatsbeihilfe, Kirchensteuern und durch das
eigene Vermögen der Kirche. — Um mit dem letzten anzufangen, so ist dem viel¬
fach verbreiteten Irrtum entgegenzutreten, als wenn die preußische Landeskirche
über großen Reichtum verfügte.' Davon ist keine Rede! Natürlich hat die Kirche
Vermögen. Wer es ist kein Vermögen in „toter Hand". Die „Hand" ist sehr
lebendig. Ohne -dies Vermögen wäre die kirchliche Pflege der Frömmigkeit gar


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[0324] Tvonmuig von Stciat und Kirche Mit allen Mitteln -ist zu verhüten, daß die evangelischen Gemeinden aus¬ einanderfallen. Die Uneinigkeit der Evangelischen war immer ihr eigener Schaden. Der bisherigen landeskirchlichen Leitung bleibt das Verdienst, daß sie die Zersplitterung verhütet und eine schroffe kirchliche Parteiherrschaft im wesentlichen ferngehalten hat. Auf dieser Grundlage der Weitherzigkeit ist ganz allein die Existenz der künftigen Volkskirche möglich. Nur jetzt nicht auch noch kirchliche Unversöhnlichkeit! Und wenn es sich nur.um leinen kirchlichen „Zweck¬ verband" handelte, der sür -alle mehr äußeren Dinge bestände, er müßte geschaffen werden. Wir wollen und dürfen uns nicht durch theologische und kirchliche Partei¬ gegensätze schwächen; die Laien hätten -daran die geringste Freude und würden einer solchen streitsüchtigen Kirche wenig Liebe entgegenbringen. Von den religiös angeregten „Gemeinschaften" ist zu -erwarten, daß sie die „er-zu^a, asi", den kirchlichen Frieden im Dienste Gottes ernst nehmen. Alle ernsten Kräfte müssen der Gesamtheit dienen!' Das kirchliche Wahlrecht wird den Frauen zu gewähren sein; wir ver¬ sprechen uns von ihrer Mitarbeit wertvolle Dienste. Die Form der Kirchen- Wahlen kann in der jetzigen Form (persönliche Anmeldung zur Wählerliste) nicht bleiben; irgendwie muß aber eine Sicherheit erstrebt werden, daß nur solche wählen, denen -an dem Aufbau der Kirche liegt;,in -dieser Beziehung wird auch der Appell an das Gewissen ergehen müssen. Eine neue Sorge -aver ist, ob solch eine Volkskirche in unserer Zeit noch mög¬ lich ist oder ab es schon zur spät für sie ist. Hat die Gesamtheit unseres Volkes noch Neigung, das kirchliche Leben zu Pflegen und zu schützen? Wir bleiben der bisherigen Swatsverfasfung dafür dankbar, daß die Religion nicht lediglich als „Privatsache", sondern -als „Volkssache" angesehen wurde.' Auch bisher galt die Religion grundsätzlich als persönliche Angelegenheit des Staatsbürgers; wirk¬ lich gezwungen werden konte niemand, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß trotzdem nicht immer ein gewisser Druck auf die Erfüllung kirchlicher Pflich¬ ten namentlich bei den Beamten vermieden wurde. Grundsätzlich war in der preußischen Verfassung Religionsfreiheit garantiert.. Trotzdem fühlte sich der Staat verpflichtet, die Möglichkeit zu regelmäßiger Pflege der Frömmigkeit als einen Teil seiner allgemeinen Kulturaufgaben zu betrachten. Genau so wie er für Bildung, Kunst und Wissenschaft sorgt, ohne den einzelnen zu Kunst und Wissenschaft zu zwingen, -genau so handelte der Staat recht, wenn er die Religion als eine Kulturaufgabe in seine allgemeinen Pflichten hineinnahm. Und es wird auch auf protestantischer Seite als eine verletzende Schroffheit -der neuen republikanischen Verfassung empfunden werden, wenn auf der einen Seite der Staat von den Bürgern ungeheure Opfer fordert, anderseits aber plötzlich für die Pflege eine noch so tief wurzelnden Kulturgutes, der Religion und Kirche, nichts mehr bewilligte. Es wäre ungeheuer kurzsichtig, wenn man die 'Unkirchlichkeit in den Großstädten zum Maßstab sür die Schätzung -der Kirche im ganzen Volke machen wollte. Es -gäbe einen Sturm des Zornes gegen „Berlin", einen neuen Kulturkampf, noch schlimmer als den ersten zu Bismarcks Zeiten. Der Staat trat ferner bisher mit vielen Schutzbestimmungen für die Heili¬ gung der kirchlichen Feiertage ein, für -die Pflege der Frömmigkeit in den staat¬ lichen Erziehungsansr.alte-n, Lazaretten und im Herr und Marine; — wird die Volkskirche Kraft hoben, auf den Staat einen Druck auszuüben, daß diese religiöse Pflege zum mindesten nicht gehindert wird, wenn sie von der Kirche übernommen werden müßte? Die finanzielle Regelung bei der etwaigen Trennung ist sehr sorg¬ fältig zu behandeln. Bis jetzt wurden -die Kosten für d-as kirchliche Leben auf dreifache Weise aufgebracht: durch Staatsbeihilfe, Kirchensteuern und durch das eigene Vermögen der Kirche. — Um mit dem letzten anzufangen, so ist dem viel¬ fach verbreiteten Irrtum entgegenzutreten, als wenn die preußische Landeskirche über großen Reichtum verfügte.' Davon ist keine Rede! Natürlich hat die Kirche Vermögen. Wer es ist kein Vermögen in „toter Hand". Die „Hand" ist sehr lebendig. Ohne -dies Vermögen wäre die kirchliche Pflege der Frömmigkeit gar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/324>, abgerufen am 24.11.2024.