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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Arbeit nach dem Preise besitzt daher eine teils willkommene, teils schauerliche
Realität. Man mag den Preis gerecht oder ungerecht finden, entscheidend oder
äußerlich: er ist es, der das Lebensniveau des Arbeitenden bestimmt, nicht nur
des Arbeitenden, sondern zugleich seiner Familie, seiner Nachkommen, und auch
noch der Nachkommen dieser Nachkommen, durch ungezählte Generationen. .Es
ist der Preis, der die Mehrzahl der Menschen auf ihrer Stufe festhält wie mit
einer Fußfalle oder in einem Gefängnis. Daß der Sohn des Bergmanns wieder
in den Schacht steigen soll, trotzdem Wunsch und Kraft ihn zum Wirten über Tage
treibt, und daß der Sohn des Direktors oben bleiben, von Schreibtisch und Klub¬
sessel aus dirigieren und mit Auto oder Jacht in der Welt sich tummeln darf,
trotzdem sein fetter Körper träges Blut und stumpfe Seele umschließt -- nur weil
sein Vater das Geld hatte, ihn in alle Schulen zu schicken und ihn in der
sogenannten Gesellschaft Verkehren zu Kissen, während der Sohn des anderen nur
gerade Lesen und Schreiben lernen durfte und über den Kreis mühseliger Berufs-
genossen nicht hinauszublicken vermochte: das ist die große Ungerechtigkeit, mit der
die Welt im Kampfe liegt.

Man proklamiert jetzt jedem Tüchtigen freie Bahn. Dagegen ist nichts
einzuwenden; nur daß es den Aufstieg aus tieferen Schichten in Ausnahmefällen
immer gegeben hat; und daß man über Ausnahmen, die der Zufall schafft, nie
hinausgelangen wird. Alle Tüchtigen sollen nach oben? Ja, wer wäre denn, bei
entsprechender Ausbildung (worunter nicht nur das bloße Lernen zu verstehen ist)
nicht imstande, Fabrikdirektor zu werden? Gewiß zwei Drittel der Menschen
hätten die Anlagen dazu. Wie viele gibt es denn, über deren natürliche Intelligenz
die Funktion eines Majors, eines Ncgimcntskominandeurs, ja noch höherer
Chargen hinaufginge? Die Hindenburgs sind selten -- wer zweifelt daran? --
aber was Beruf und Amt als solche fordern, das kann man mit dem gesunden
Menschenverstand und dem gehörigen Fachwissen leisten. Der Unterschied
zwischen dem Gemeinen und dem kommandierender General, zwischen dem Bor-
schullehrer und dem Mltusminister, zwischen dem Fabrikarbeiter und dem
Fabrikdirektor ist nicht so groß, wie Direktor, Minister und General sich und
anderen einzureden lieben. Freilich, sie haben das Missen, die Praxis, den
Schliff, die Tradition, lauter Dinge, die nicht unterschätzt werden dürfen; lauter
Dinge, die kaum nachgeholt werden können, sondern von Jugend auf leicht und
harmonisch erworben sein wollen. Aber eben darin liegt das Fatum der realen
Rangordnung der Berufe: daß sie leinen Autonmtismus erzeugen, dem sich der
einzelne nur unter ganz besonderen Glücksumständen entziehen kann: daß sie von
vornherein, vor kalter Prüfung der Fähigkeit und Würdigkeit, den einen zum
Herrn, den anderen zum Knecht, den einen zum freien, klugen, ehrlichen, unan¬
gefochtenen "höheren" Menschen, den anderen zum gezwungenen, dumpfen,
schwerkämpfenden, auf List und Gewalt angewiesenen Proletarier macht. Immer
wird der Sohn des Offiziers, der Sohn des Universitätsprofessors, der Sohn des -
Großkanfmanns einen ungeheueren, nie einzuholenden Borsprung vor dem Sohn
des Fabrikarbeiters haben. Dieser beginnt seinen Lauf an einem Punkt, der
zweihundert Jahre hinter dem Start jener zurückliegt.'

Da es -also eine Abstufung der Arbeit gibt, und da wir kein Mittel kennen,
sie entsprechend der natürlichen Begabung zu verteilen, so wäre es denn gerecht,
daß jeder an der niedrigen Arbeit beteiligt wird? Dies wäre schon deshalb
ungerecht, weil zwar der Arzt gezwungen werden kann, täglich ein oder zwei
Stunden lang die Straße zu reinigen, nicht aber der Straßenfeger imstande ist,
die Praxis des Arztes zu 'verwalten. Und welche Gesellschaft dürfte sich die Kraft¬
vergeudung gestatten, den Forscher laus seinein Laboratorium zu holen, damit er
Holz sägt, den Abgeordneten aus dem Parlament zu führen, damit er Steine
schleppt,' den Feldherrn von seinen Karten wegzuschicken, damit er Posten steht?
'

Kurzum: Schichtung ist ungerecht; aber wir vermögen sie weder ins
Gerechte zu korrigieren noch abzuschaffen. Um sie abschaffen zu können, müßte
etwas ganz anderes möglich sein: Abschaffung der Macht überhaupt. Das erst
wäre die demokratische Forderung in ihre^ radikalsten Konsequenz. Allein so


Arbeit nach dem Preise besitzt daher eine teils willkommene, teils schauerliche
Realität. Man mag den Preis gerecht oder ungerecht finden, entscheidend oder
äußerlich: er ist es, der das Lebensniveau des Arbeitenden bestimmt, nicht nur
des Arbeitenden, sondern zugleich seiner Familie, seiner Nachkommen, und auch
noch der Nachkommen dieser Nachkommen, durch ungezählte Generationen. .Es
ist der Preis, der die Mehrzahl der Menschen auf ihrer Stufe festhält wie mit
einer Fußfalle oder in einem Gefängnis. Daß der Sohn des Bergmanns wieder
in den Schacht steigen soll, trotzdem Wunsch und Kraft ihn zum Wirten über Tage
treibt, und daß der Sohn des Direktors oben bleiben, von Schreibtisch und Klub¬
sessel aus dirigieren und mit Auto oder Jacht in der Welt sich tummeln darf,
trotzdem sein fetter Körper träges Blut und stumpfe Seele umschließt — nur weil
sein Vater das Geld hatte, ihn in alle Schulen zu schicken und ihn in der
sogenannten Gesellschaft Verkehren zu Kissen, während der Sohn des anderen nur
gerade Lesen und Schreiben lernen durfte und über den Kreis mühseliger Berufs-
genossen nicht hinauszublicken vermochte: das ist die große Ungerechtigkeit, mit der
die Welt im Kampfe liegt.

Man proklamiert jetzt jedem Tüchtigen freie Bahn. Dagegen ist nichts
einzuwenden; nur daß es den Aufstieg aus tieferen Schichten in Ausnahmefällen
immer gegeben hat; und daß man über Ausnahmen, die der Zufall schafft, nie
hinausgelangen wird. Alle Tüchtigen sollen nach oben? Ja, wer wäre denn, bei
entsprechender Ausbildung (worunter nicht nur das bloße Lernen zu verstehen ist)
nicht imstande, Fabrikdirektor zu werden? Gewiß zwei Drittel der Menschen
hätten die Anlagen dazu. Wie viele gibt es denn, über deren natürliche Intelligenz
die Funktion eines Majors, eines Ncgimcntskominandeurs, ja noch höherer
Chargen hinaufginge? Die Hindenburgs sind selten — wer zweifelt daran? —
aber was Beruf und Amt als solche fordern, das kann man mit dem gesunden
Menschenverstand und dem gehörigen Fachwissen leisten. Der Unterschied
zwischen dem Gemeinen und dem kommandierender General, zwischen dem Bor-
schullehrer und dem Mltusminister, zwischen dem Fabrikarbeiter und dem
Fabrikdirektor ist nicht so groß, wie Direktor, Minister und General sich und
anderen einzureden lieben. Freilich, sie haben das Missen, die Praxis, den
Schliff, die Tradition, lauter Dinge, die nicht unterschätzt werden dürfen; lauter
Dinge, die kaum nachgeholt werden können, sondern von Jugend auf leicht und
harmonisch erworben sein wollen. Aber eben darin liegt das Fatum der realen
Rangordnung der Berufe: daß sie leinen Autonmtismus erzeugen, dem sich der
einzelne nur unter ganz besonderen Glücksumständen entziehen kann: daß sie von
vornherein, vor kalter Prüfung der Fähigkeit und Würdigkeit, den einen zum
Herrn, den anderen zum Knecht, den einen zum freien, klugen, ehrlichen, unan¬
gefochtenen „höheren" Menschen, den anderen zum gezwungenen, dumpfen,
schwerkämpfenden, auf List und Gewalt angewiesenen Proletarier macht. Immer
wird der Sohn des Offiziers, der Sohn des Universitätsprofessors, der Sohn des -
Großkanfmanns einen ungeheueren, nie einzuholenden Borsprung vor dem Sohn
des Fabrikarbeiters haben. Dieser beginnt seinen Lauf an einem Punkt, der
zweihundert Jahre hinter dem Start jener zurückliegt.'

Da es -also eine Abstufung der Arbeit gibt, und da wir kein Mittel kennen,
sie entsprechend der natürlichen Begabung zu verteilen, so wäre es denn gerecht,
daß jeder an der niedrigen Arbeit beteiligt wird? Dies wäre schon deshalb
ungerecht, weil zwar der Arzt gezwungen werden kann, täglich ein oder zwei
Stunden lang die Straße zu reinigen, nicht aber der Straßenfeger imstande ist,
die Praxis des Arztes zu 'verwalten. Und welche Gesellschaft dürfte sich die Kraft¬
vergeudung gestatten, den Forscher laus seinein Laboratorium zu holen, damit er
Holz sägt, den Abgeordneten aus dem Parlament zu führen, damit er Steine
schleppt,' den Feldherrn von seinen Karten wegzuschicken, damit er Posten steht?
'

Kurzum: Schichtung ist ungerecht; aber wir vermögen sie weder ins
Gerechte zu korrigieren noch abzuschaffen. Um sie abschaffen zu können, müßte
etwas ganz anderes möglich sein: Abschaffung der Macht überhaupt. Das erst
wäre die demokratische Forderung in ihre^ radikalsten Konsequenz. Allein so


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[0304] Arbeit nach dem Preise besitzt daher eine teils willkommene, teils schauerliche Realität. Man mag den Preis gerecht oder ungerecht finden, entscheidend oder äußerlich: er ist es, der das Lebensniveau des Arbeitenden bestimmt, nicht nur des Arbeitenden, sondern zugleich seiner Familie, seiner Nachkommen, und auch noch der Nachkommen dieser Nachkommen, durch ungezählte Generationen. .Es ist der Preis, der die Mehrzahl der Menschen auf ihrer Stufe festhält wie mit einer Fußfalle oder in einem Gefängnis. Daß der Sohn des Bergmanns wieder in den Schacht steigen soll, trotzdem Wunsch und Kraft ihn zum Wirten über Tage treibt, und daß der Sohn des Direktors oben bleiben, von Schreibtisch und Klub¬ sessel aus dirigieren und mit Auto oder Jacht in der Welt sich tummeln darf, trotzdem sein fetter Körper träges Blut und stumpfe Seele umschließt — nur weil sein Vater das Geld hatte, ihn in alle Schulen zu schicken und ihn in der sogenannten Gesellschaft Verkehren zu Kissen, während der Sohn des anderen nur gerade Lesen und Schreiben lernen durfte und über den Kreis mühseliger Berufs- genossen nicht hinauszublicken vermochte: das ist die große Ungerechtigkeit, mit der die Welt im Kampfe liegt. Man proklamiert jetzt jedem Tüchtigen freie Bahn. Dagegen ist nichts einzuwenden; nur daß es den Aufstieg aus tieferen Schichten in Ausnahmefällen immer gegeben hat; und daß man über Ausnahmen, die der Zufall schafft, nie hinausgelangen wird. Alle Tüchtigen sollen nach oben? Ja, wer wäre denn, bei entsprechender Ausbildung (worunter nicht nur das bloße Lernen zu verstehen ist) nicht imstande, Fabrikdirektor zu werden? Gewiß zwei Drittel der Menschen hätten die Anlagen dazu. Wie viele gibt es denn, über deren natürliche Intelligenz die Funktion eines Majors, eines Ncgimcntskominandeurs, ja noch höherer Chargen hinaufginge? Die Hindenburgs sind selten — wer zweifelt daran? — aber was Beruf und Amt als solche fordern, das kann man mit dem gesunden Menschenverstand und dem gehörigen Fachwissen leisten. Der Unterschied zwischen dem Gemeinen und dem kommandierender General, zwischen dem Bor- schullehrer und dem Mltusminister, zwischen dem Fabrikarbeiter und dem Fabrikdirektor ist nicht so groß, wie Direktor, Minister und General sich und anderen einzureden lieben. Freilich, sie haben das Missen, die Praxis, den Schliff, die Tradition, lauter Dinge, die nicht unterschätzt werden dürfen; lauter Dinge, die kaum nachgeholt werden können, sondern von Jugend auf leicht und harmonisch erworben sein wollen. Aber eben darin liegt das Fatum der realen Rangordnung der Berufe: daß sie leinen Autonmtismus erzeugen, dem sich der einzelne nur unter ganz besonderen Glücksumständen entziehen kann: daß sie von vornherein, vor kalter Prüfung der Fähigkeit und Würdigkeit, den einen zum Herrn, den anderen zum Knecht, den einen zum freien, klugen, ehrlichen, unan¬ gefochtenen „höheren" Menschen, den anderen zum gezwungenen, dumpfen, schwerkämpfenden, auf List und Gewalt angewiesenen Proletarier macht. Immer wird der Sohn des Offiziers, der Sohn des Universitätsprofessors, der Sohn des - Großkanfmanns einen ungeheueren, nie einzuholenden Borsprung vor dem Sohn des Fabrikarbeiters haben. Dieser beginnt seinen Lauf an einem Punkt, der zweihundert Jahre hinter dem Start jener zurückliegt.' Da es -also eine Abstufung der Arbeit gibt, und da wir kein Mittel kennen, sie entsprechend der natürlichen Begabung zu verteilen, so wäre es denn gerecht, daß jeder an der niedrigen Arbeit beteiligt wird? Dies wäre schon deshalb ungerecht, weil zwar der Arzt gezwungen werden kann, täglich ein oder zwei Stunden lang die Straße zu reinigen, nicht aber der Straßenfeger imstande ist, die Praxis des Arztes zu 'verwalten. Und welche Gesellschaft dürfte sich die Kraft¬ vergeudung gestatten, den Forscher laus seinein Laboratorium zu holen, damit er Holz sägt, den Abgeordneten aus dem Parlament zu führen, damit er Steine schleppt,' den Feldherrn von seinen Karten wegzuschicken, damit er Posten steht? ' Kurzum: Schichtung ist ungerecht; aber wir vermögen sie weder ins Gerechte zu korrigieren noch abzuschaffen. Um sie abschaffen zu können, müßte etwas ganz anderes möglich sein: Abschaffung der Macht überhaupt. Das erst wäre die demokratische Forderung in ihre^ radikalsten Konsequenz. Allein so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/304>, abgerufen am 24.11.2024.