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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Bismarcks Vermächtnis

jochter Völker nicht von Bestand sein konnte. Das Drei-Kaiser-Bündnis von 1872
h as fürs eiste über die Sorge hinweg, die Richtung der aggressiven Tendenzen des
russischen Nachbars von der Mitte Europas abzulenken und einen Bund zwischen
ihm und dem allen Feind im Westen, wenn nicht zu verhindern, so doch wenigstens
hinauszuschieben. Aber schon 1876 wurde Fürst Bismarck von dem russischen-
Kanzler Füist Gortscka'off, der sich im Jahre vorher als Friedensrettcr aufzuspielen
ve> sucht holte, vor die Frage gestellt, ob Deutschland im Falle eines Krieges mit
Österreich-Ungarn wegen der orientalischen Fragen neutral bleiben würde. Die
Antwort lautete dahin, das; sich bei Gefährdung der Integrität Österreich Ungarns
für Deuischlund die Zwangslage ergäbe, für die Monarchie einzutreten, deren
lebensgefährliche Verwundung es nicht dulden könnte. Die Gegenfrage Bismarcks,,
ob Gorlsch't'vff gegen Unwstiitzung im Orient auf einen Garantievertrug für den
deutschen Besitzstand eingehen wolle, wurde rundweg abgelehnt,

Lubesdienste konnten Rußland nicht für die Dauer an Deutschland fesseln.
Bismarck war sich stets klar darüber, daß den russischen Despoten und ihrem
panslaw heischen Anhang d.r Wen der deutschen F Kundschaft durch ein möglichst
freundliches Verhältnis zu England fühlbar gemacht werden müßte. Umgekehrt
lag freilich der Fall ganz ähnlich: Ein offenes Zerwürfnis mit Rußland hätte uns
abhängig von England gemacht. Deshalb widerstand er jeder offenen oder ver¬
steckten englischen Versuchung, die russiche Freundschaft der englischen zu opfern"
und suchte eine Vorzeit ge Option für die eine oder die andere Seite zu vermeiden.
Wie er voraussah, stieß d>r russische Koloß bei seinem Vorrücken im türkischen
Kriege über den Balkan bis vor den "Eckstein der Erde" auf den Einspruch der
Weltmacht England,

Der Berliner Kongreß sah den Fürsten Bismarck auf der Höhe seiner
diplomatischen Kunst. Aber trotz aller ehilichen Maklerschafl verließ Fürst Gorlschcikoff
den Kongreß mit ungestillten Ehrgeiz. Bald darauf erscholl zum erstenmal aus
der panslawistischen Presse der Ruf: "Konstantinopel muß in Berlin erobert
werden", der später in wenig veränderter Fassung aus dein Munde Skvbeleffs
zum geflügelten Wort wurde. Fürst Bismarck hatte gesagt, im Reichstag am
L. Dezember 1876: "Niemand als die kaiierlich-ruisiiche Regierung selbst wäre-
imstande, in die erprobte hundertjährige Freundschaft zwischen ihr und der
pieußischcn Regierung einen Riß zu machen", und zu Gortschatvff in Berlin 1873
während des Kongresses: "Zwingen Sie mich nicht, zwischen Nußland und Österreich-
Ungarn zu wählen." Der Inhalt der Warnung wurde schon 1879 zur Tatsache.
Die Umstände, unter denen sich Bismarck zum' schleunigen Abschlüsse des Bünd¬
nisses mit Österreich-Ungern gedrängt sah, sind noch nicht in allen Einzelheiten
aufgeklärt. Ganz klar wird man erst sehen, wenn veraltete Rücksichten fallen und
die Alten des Auso, artigen Amtes den Geschichtschreibern zur vollständigen Einsicht
geöffnet werden. Jedenfalls waren es nicht die wütenden Ausfälle der russischen
Presse gegen Deutschland nach dem Einrücken Österreich-Ungarns in das Limgebiet
(Novivozar), auch nicht bloß der Drohbrief des Zaren Alexander des Zweiten an seinen
kaiserlichen Oheim, sondern auch geheime, auf ein offensives Vorgehen gerichtete
Besprechungen zwi chen Petersburg und Paris, die im Hochsommer 1879 den
Füisten Bismarck bestimmten, während seiner Gasteiner Kur und in Wien zu¬
sammen in>t dem Grafen Andvassy das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich-
Ungarn ins Werk zu setzen. Schon im Juni 1879 hatte Fürst Gortschcikoff in
Baden-Baden einem vom Herzog von Decazes empfohlenen Vertreter des Pariser
"Soleil" erklärt, er habe sich die Feindschaft Bismarcks zugezogen, weil er offen
die Ansicht vertrete, daß Frankreich sich stark machen und wieder die ihm gebührende
Stellung unter den europäischen Mächten einnehmen müsse. °)




Vjfl, L. Naschdmu "Der deutsch-russische Nückversichcrungsvertrag" in dem
"Grenzboien" vom 12. Ayrt t918, S. 27.
°
) Ein Jahr darauf erregie eine Wahlrede des früheren württembergischen Stacits-
lmnist"S ftrhrn. v. Varnbüler oroszes Aufsehen. Darin hiesz es nach Erwähnung der
russischen Truppenmihäufung in Polen 1879: "Rußland holte an Frankreich den Antrag
Bismarcks Vermächtnis

jochter Völker nicht von Bestand sein konnte. Das Drei-Kaiser-Bündnis von 1872
h as fürs eiste über die Sorge hinweg, die Richtung der aggressiven Tendenzen des
russischen Nachbars von der Mitte Europas abzulenken und einen Bund zwischen
ihm und dem allen Feind im Westen, wenn nicht zu verhindern, so doch wenigstens
hinauszuschieben. Aber schon 1876 wurde Fürst Bismarck von dem russischen-
Kanzler Füist Gortscka'off, der sich im Jahre vorher als Friedensrettcr aufzuspielen
ve> sucht holte, vor die Frage gestellt, ob Deutschland im Falle eines Krieges mit
Österreich-Ungarn wegen der orientalischen Fragen neutral bleiben würde. Die
Antwort lautete dahin, das; sich bei Gefährdung der Integrität Österreich Ungarns
für Deuischlund die Zwangslage ergäbe, für die Monarchie einzutreten, deren
lebensgefährliche Verwundung es nicht dulden könnte. Die Gegenfrage Bismarcks,,
ob Gorlsch't'vff gegen Unwstiitzung im Orient auf einen Garantievertrug für den
deutschen Besitzstand eingehen wolle, wurde rundweg abgelehnt,

Lubesdienste konnten Rußland nicht für die Dauer an Deutschland fesseln.
Bismarck war sich stets klar darüber, daß den russischen Despoten und ihrem
panslaw heischen Anhang d.r Wen der deutschen F Kundschaft durch ein möglichst
freundliches Verhältnis zu England fühlbar gemacht werden müßte. Umgekehrt
lag freilich der Fall ganz ähnlich: Ein offenes Zerwürfnis mit Rußland hätte uns
abhängig von England gemacht. Deshalb widerstand er jeder offenen oder ver¬
steckten englischen Versuchung, die russiche Freundschaft der englischen zu opfern»
und suchte eine Vorzeit ge Option für die eine oder die andere Seite zu vermeiden.
Wie er voraussah, stieß d>r russische Koloß bei seinem Vorrücken im türkischen
Kriege über den Balkan bis vor den „Eckstein der Erde" auf den Einspruch der
Weltmacht England,

Der Berliner Kongreß sah den Fürsten Bismarck auf der Höhe seiner
diplomatischen Kunst. Aber trotz aller ehilichen Maklerschafl verließ Fürst Gorlschcikoff
den Kongreß mit ungestillten Ehrgeiz. Bald darauf erscholl zum erstenmal aus
der panslawistischen Presse der Ruf: „Konstantinopel muß in Berlin erobert
werden", der später in wenig veränderter Fassung aus dein Munde Skvbeleffs
zum geflügelten Wort wurde. Fürst Bismarck hatte gesagt, im Reichstag am
L. Dezember 1876: „Niemand als die kaiierlich-ruisiiche Regierung selbst wäre-
imstande, in die erprobte hundertjährige Freundschaft zwischen ihr und der
pieußischcn Regierung einen Riß zu machen", und zu Gortschatvff in Berlin 1873
während des Kongresses: „Zwingen Sie mich nicht, zwischen Nußland und Österreich-
Ungarn zu wählen." Der Inhalt der Warnung wurde schon 1879 zur Tatsache.
Die Umstände, unter denen sich Bismarck zum' schleunigen Abschlüsse des Bünd¬
nisses mit Österreich-Ungern gedrängt sah, sind noch nicht in allen Einzelheiten
aufgeklärt. Ganz klar wird man erst sehen, wenn veraltete Rücksichten fallen und
die Alten des Auso, artigen Amtes den Geschichtschreibern zur vollständigen Einsicht
geöffnet werden. Jedenfalls waren es nicht die wütenden Ausfälle der russischen
Presse gegen Deutschland nach dem Einrücken Österreich-Ungarns in das Limgebiet
(Novivozar), auch nicht bloß der Drohbrief des Zaren Alexander des Zweiten an seinen
kaiserlichen Oheim, sondern auch geheime, auf ein offensives Vorgehen gerichtete
Besprechungen zwi chen Petersburg und Paris, die im Hochsommer 1879 den
Füisten Bismarck bestimmten, während seiner Gasteiner Kur und in Wien zu¬
sammen in>t dem Grafen Andvassy das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich-
Ungarn ins Werk zu setzen. Schon im Juni 1879 hatte Fürst Gortschcikoff in
Baden-Baden einem vom Herzog von Decazes empfohlenen Vertreter des Pariser
„Soleil" erklärt, er habe sich die Feindschaft Bismarcks zugezogen, weil er offen
die Ansicht vertrete, daß Frankreich sich stark machen und wieder die ihm gebührende
Stellung unter den europäischen Mächten einnehmen müsse. °)




Vjfl, L. Naschdmu „Der deutsch-russische Nückversichcrungsvertrag" in dem
„Grenzboien" vom 12. Ayrt t918, S. 27.
°
) Ein Jahr darauf erregie eine Wahlrede des früheren württembergischen Stacits-
lmnist«S ftrhrn. v. Varnbüler oroszes Aufsehen. Darin hiesz es nach Erwähnung der
russischen Truppenmihäufung in Polen 1879: „Rußland holte an Frankreich den Antrag
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[0284] Bismarcks Vermächtnis jochter Völker nicht von Bestand sein konnte. Das Drei-Kaiser-Bündnis von 1872 h as fürs eiste über die Sorge hinweg, die Richtung der aggressiven Tendenzen des russischen Nachbars von der Mitte Europas abzulenken und einen Bund zwischen ihm und dem allen Feind im Westen, wenn nicht zu verhindern, so doch wenigstens hinauszuschieben. Aber schon 1876 wurde Fürst Bismarck von dem russischen- Kanzler Füist Gortscka'off, der sich im Jahre vorher als Friedensrettcr aufzuspielen ve> sucht holte, vor die Frage gestellt, ob Deutschland im Falle eines Krieges mit Österreich-Ungarn wegen der orientalischen Fragen neutral bleiben würde. Die Antwort lautete dahin, das; sich bei Gefährdung der Integrität Österreich Ungarns für Deuischlund die Zwangslage ergäbe, für die Monarchie einzutreten, deren lebensgefährliche Verwundung es nicht dulden könnte. Die Gegenfrage Bismarcks,, ob Gorlsch't'vff gegen Unwstiitzung im Orient auf einen Garantievertrug für den deutschen Besitzstand eingehen wolle, wurde rundweg abgelehnt, Lubesdienste konnten Rußland nicht für die Dauer an Deutschland fesseln. Bismarck war sich stets klar darüber, daß den russischen Despoten und ihrem panslaw heischen Anhang d.r Wen der deutschen F Kundschaft durch ein möglichst freundliches Verhältnis zu England fühlbar gemacht werden müßte. Umgekehrt lag freilich der Fall ganz ähnlich: Ein offenes Zerwürfnis mit Rußland hätte uns abhängig von England gemacht. Deshalb widerstand er jeder offenen oder ver¬ steckten englischen Versuchung, die russiche Freundschaft der englischen zu opfern» und suchte eine Vorzeit ge Option für die eine oder die andere Seite zu vermeiden. Wie er voraussah, stieß d>r russische Koloß bei seinem Vorrücken im türkischen Kriege über den Balkan bis vor den „Eckstein der Erde" auf den Einspruch der Weltmacht England, Der Berliner Kongreß sah den Fürsten Bismarck auf der Höhe seiner diplomatischen Kunst. Aber trotz aller ehilichen Maklerschafl verließ Fürst Gorlschcikoff den Kongreß mit ungestillten Ehrgeiz. Bald darauf erscholl zum erstenmal aus der panslawistischen Presse der Ruf: „Konstantinopel muß in Berlin erobert werden", der später in wenig veränderter Fassung aus dein Munde Skvbeleffs zum geflügelten Wort wurde. Fürst Bismarck hatte gesagt, im Reichstag am L. Dezember 1876: „Niemand als die kaiierlich-ruisiiche Regierung selbst wäre- imstande, in die erprobte hundertjährige Freundschaft zwischen ihr und der pieußischcn Regierung einen Riß zu machen", und zu Gortschatvff in Berlin 1873 während des Kongresses: „Zwingen Sie mich nicht, zwischen Nußland und Österreich- Ungarn zu wählen." Der Inhalt der Warnung wurde schon 1879 zur Tatsache. Die Umstände, unter denen sich Bismarck zum' schleunigen Abschlüsse des Bünd¬ nisses mit Österreich-Ungern gedrängt sah, sind noch nicht in allen Einzelheiten aufgeklärt. Ganz klar wird man erst sehen, wenn veraltete Rücksichten fallen und die Alten des Auso, artigen Amtes den Geschichtschreibern zur vollständigen Einsicht geöffnet werden. Jedenfalls waren es nicht die wütenden Ausfälle der russischen Presse gegen Deutschland nach dem Einrücken Österreich-Ungarns in das Limgebiet (Novivozar), auch nicht bloß der Drohbrief des Zaren Alexander des Zweiten an seinen kaiserlichen Oheim, sondern auch geheime, auf ein offensives Vorgehen gerichtete Besprechungen zwi chen Petersburg und Paris, die im Hochsommer 1879 den Füisten Bismarck bestimmten, während seiner Gasteiner Kur und in Wien zu¬ sammen in>t dem Grafen Andvassy das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich- Ungarn ins Werk zu setzen. Schon im Juni 1879 hatte Fürst Gortschcikoff in Baden-Baden einem vom Herzog von Decazes empfohlenen Vertreter des Pariser „Soleil" erklärt, er habe sich die Feindschaft Bismarcks zugezogen, weil er offen die Ansicht vertrete, daß Frankreich sich stark machen und wieder die ihm gebührende Stellung unter den europäischen Mächten einnehmen müsse. °) Vjfl, L. Naschdmu „Der deutsch-russische Nückversichcrungsvertrag" in dem „Grenzboien" vom 12. Ayrt t918, S. 27. ° ) Ein Jahr darauf erregie eine Wahlrede des früheren württembergischen Stacits- lmnist«S ftrhrn. v. Varnbüler oroszes Aufsehen. Darin hiesz es nach Erwähnung der russischen Truppenmihäufung in Polen 1879: „Rußland holte an Frankreich den Antrag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/284>, abgerufen am 24.11.2024.