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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Bismarcks Vermächtnis

ihres Widerstandes gegen das Vordringen der Türken trat das im Zeitalter
Peter des Großen und der Zarin Katharina erstarkte Rußland als Erne des
"kranken Mannes" in Konstantinopel für den sutorem Euiopas auf. Nach Westen
vergrößerte es seinen Besitz durch Zertrümmerung des allmählich durch Mißwirt¬
schaft und inneren Streit zerrütteten Wahitoiiigreichs Polen. Dabei fielen kleinere
Teile an Osterreich und an das während des Beifalles des allen deutschen Reichs
aus eigener Kraft unter dem großen Kurfürsten, dem Soldatenkönig und seinem
großen Sohn emporgekommen"; Preußen.

Aber Rußland blieb, abgeschlossen von den Hauptstraßen des Weltmeeres,
immer noch Großmacht nur zu Lande. England dagegen hatte sich, inzwischen
Beherrscherin der Meere geworden, an den Küsten aller Eidteile Stützpunkte
geschaffen und große Kolonien erworben und trat so in allen E> steilen als Welt¬
macht auf. Als solche konnte sich England erst recht frei nao innen und außen
festigen und entwickeln, nachdem sein grimmigster Gegner, Napoleon, rü.l Hilfe
der Zentralmächle und Rußlands niedergerungen und von einem englischen Schiff
als Gefangener nach Se. Helena verbracht woroen war.

Auf dem Wiener Kongreß wurde mit Errichtung des deutschen Bundes¬
tages als Zentrale der Glieder des ehemaligen Reiches die deutsche Frage, die
Frage der Bildung eines Nationalstaates unter B.teiligung des Volles üm Ge¬
stalten seiner eigenen Geschicke, in die Zukunft verschoben nicht gelöst. Getöse
werden konnte sie nicht vom großdeutscheu Standpunkte aus, der den Nationalitäten¬
staat an der Donau gespalten hätte, sondern unter Fiihrung der deutschen Macht,
die innerlich am festesten gefügt und militärisch am stärksten war.

Als Herr von Bismarck-Schönhausen als preußischer Gesandter nach Frank¬
furt ging, empfand er noch österreichisch im Sinne der dualistischen Auffassung
Österreich-Preußen für die deutsche Frage. Dort sah er bald ein, daß die gegen¬
seitige Anlehnung von Preußen und Österreich em "I-gern träumt" war, und
daß der gordische Knoten der deutschen Zustände mit der passiven Planlosigkeit
der preußischen Politik nicht in Liebe dualistisch gelöst, sondern nur iniliiärisch
durchhauen werden konnte, am leichtesten in Fühlung mit Ruß>a d. Bei seinem
Pariser Aufenthalte gewann er mi> dem Scharfblick des Mensch, nknners in der
Unterredung mit Napoleon dem Dritten den Eindrnck, daß die er nicht das Mine
ein asi, als welches er in der Welt galt, sondern ein von Piesng, nahm ergriffener
Schwächling war, der mit dem Gedanken, wenn nicht der Einverleibung des
ganzen linksrheinischen Gebietes, so doch einer pstite reLtikication 6es krontiöres
und eines von Frankreich ganz abhängigen Italiens mit iranzöuschen Küsten¬
punkten spielte. Auf den "Zwischenzustairo", der b>s zu dem in der Budget¬
kommission des preußischen Landtages gesprochenen Wort vom Blut und Euer
(30. September 1862) dauerte, folgte alsbald die erste vorbereitende Tat, die
vielgescholtene, aber für die notwendige Rückendeckung a" Rußland glücklich fort¬
wirkende Hilfe in dem Kampfe gegen die polnische ni point on.

Eine zweite, auf die Zukunft berechnete diplomatische Großtat war die dem
König Wilhelm dem Ersten abgerungene Mäßigung im Nlolsbnrger Frieden.
Der Donaumonarchie wurde ohne Teiuüngnng u> d Gebielsverkleiuernng der
Rang einer bündnisfähigen Großmacht erhalten, die berufen war, den Weg nach
Konstantinopel für Mitteleuropa offen zu halten und die Teilung des Besitzes der
Türkei zwischen Rußland und England zu verhindernd



d Fürst Bismarck hat sich über Fragen des nahen Orients je nach dem diplomatischen
Zweck, der sich aus der jeweiligen Konstellation ergab, verschieden gelöchert. Daß er wirklich
nicht nur Österreich-Ungarn im Stich, sondern tue Russen nach Bulgarien und Konstaminopcl
lassen wollte, wie Dr.'A. Küster jüngst in der "Glocke" <4. Jahrg, Ur. 13" brhauvtete,
stimmt gewiß nicht. Dem Russen sagte Fürst BisMarck: "Mach', was du willst, wir huben
dort keine direkte Interessen." Dem Bundesgenossen an der Donau riet er, erst zu diployieren,
wenn der Russe schon in Bulgarien stehe, weil man ihn dort in der schere have (Ende
Z88S). Als ihm von verschiedenen Blättern das Programm zugeschrieben wurde, das Bor¬
dringen Rußlands auf Konstantinopel zu unterstützen, erklärten die "Hamburger Rachrichten"
Bismarcks Vermächtnis

ihres Widerstandes gegen das Vordringen der Türken trat das im Zeitalter
Peter des Großen und der Zarin Katharina erstarkte Rußland als Erne des
„kranken Mannes" in Konstantinopel für den sutorem Euiopas auf. Nach Westen
vergrößerte es seinen Besitz durch Zertrümmerung des allmählich durch Mißwirt¬
schaft und inneren Streit zerrütteten Wahitoiiigreichs Polen. Dabei fielen kleinere
Teile an Osterreich und an das während des Beifalles des allen deutschen Reichs
aus eigener Kraft unter dem großen Kurfürsten, dem Soldatenkönig und seinem
großen Sohn emporgekommen«; Preußen.

Aber Rußland blieb, abgeschlossen von den Hauptstraßen des Weltmeeres,
immer noch Großmacht nur zu Lande. England dagegen hatte sich, inzwischen
Beherrscherin der Meere geworden, an den Küsten aller Eidteile Stützpunkte
geschaffen und große Kolonien erworben und trat so in allen E> steilen als Welt¬
macht auf. Als solche konnte sich England erst recht frei nao innen und außen
festigen und entwickeln, nachdem sein grimmigster Gegner, Napoleon, rü.l Hilfe
der Zentralmächle und Rußlands niedergerungen und von einem englischen Schiff
als Gefangener nach Se. Helena verbracht woroen war.

Auf dem Wiener Kongreß wurde mit Errichtung des deutschen Bundes¬
tages als Zentrale der Glieder des ehemaligen Reiches die deutsche Frage, die
Frage der Bildung eines Nationalstaates unter B.teiligung des Volles üm Ge¬
stalten seiner eigenen Geschicke, in die Zukunft verschoben nicht gelöst. Getöse
werden konnte sie nicht vom großdeutscheu Standpunkte aus, der den Nationalitäten¬
staat an der Donau gespalten hätte, sondern unter Fiihrung der deutschen Macht,
die innerlich am festesten gefügt und militärisch am stärksten war.

Als Herr von Bismarck-Schönhausen als preußischer Gesandter nach Frank¬
furt ging, empfand er noch österreichisch im Sinne der dualistischen Auffassung
Österreich-Preußen für die deutsche Frage. Dort sah er bald ein, daß die gegen¬
seitige Anlehnung von Preußen und Österreich em „I-gern träumt" war, und
daß der gordische Knoten der deutschen Zustände mit der passiven Planlosigkeit
der preußischen Politik nicht in Liebe dualistisch gelöst, sondern nur iniliiärisch
durchhauen werden konnte, am leichtesten in Fühlung mit Ruß>a d. Bei seinem
Pariser Aufenthalte gewann er mi> dem Scharfblick des Mensch, nknners in der
Unterredung mit Napoleon dem Dritten den Eindrnck, daß die er nicht das Mine
ein asi, als welches er in der Welt galt, sondern ein von Piesng, nahm ergriffener
Schwächling war, der mit dem Gedanken, wenn nicht der Einverleibung des
ganzen linksrheinischen Gebietes, so doch einer pstite reLtikication 6es krontiöres
und eines von Frankreich ganz abhängigen Italiens mit iranzöuschen Küsten¬
punkten spielte. Auf den „Zwischenzustairo", der b>s zu dem in der Budget¬
kommission des preußischen Landtages gesprochenen Wort vom Blut und Euer
(30. September 1862) dauerte, folgte alsbald die erste vorbereitende Tat, die
vielgescholtene, aber für die notwendige Rückendeckung a» Rußland glücklich fort¬
wirkende Hilfe in dem Kampfe gegen die polnische ni point on.

Eine zweite, auf die Zukunft berechnete diplomatische Großtat war die dem
König Wilhelm dem Ersten abgerungene Mäßigung im Nlolsbnrger Frieden.
Der Donaumonarchie wurde ohne Teiuüngnng u> d Gebielsverkleiuernng der
Rang einer bündnisfähigen Großmacht erhalten, die berufen war, den Weg nach
Konstantinopel für Mitteleuropa offen zu halten und die Teilung des Besitzes der
Türkei zwischen Rußland und England zu verhindernd



d Fürst Bismarck hat sich über Fragen des nahen Orients je nach dem diplomatischen
Zweck, der sich aus der jeweiligen Konstellation ergab, verschieden gelöchert. Daß er wirklich
nicht nur Österreich-Ungarn im Stich, sondern tue Russen nach Bulgarien und Konstaminopcl
lassen wollte, wie Dr.'A. Küster jüngst in der „Glocke" <4. Jahrg, Ur. 13» brhauvtete,
stimmt gewiß nicht. Dem Russen sagte Fürst BisMarck: „Mach', was du willst, wir huben
dort keine direkte Interessen." Dem Bundesgenossen an der Donau riet er, erst zu diployieren,
wenn der Russe schon in Bulgarien stehe, weil man ihn dort in der schere have (Ende
Z88S). Als ihm von verschiedenen Blättern das Programm zugeschrieben wurde, das Bor¬
dringen Rußlands auf Konstantinopel zu unterstützen, erklärten die „Hamburger Rachrichten"
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[0282] Bismarcks Vermächtnis ihres Widerstandes gegen das Vordringen der Türken trat das im Zeitalter Peter des Großen und der Zarin Katharina erstarkte Rußland als Erne des „kranken Mannes" in Konstantinopel für den sutorem Euiopas auf. Nach Westen vergrößerte es seinen Besitz durch Zertrümmerung des allmählich durch Mißwirt¬ schaft und inneren Streit zerrütteten Wahitoiiigreichs Polen. Dabei fielen kleinere Teile an Osterreich und an das während des Beifalles des allen deutschen Reichs aus eigener Kraft unter dem großen Kurfürsten, dem Soldatenkönig und seinem großen Sohn emporgekommen«; Preußen. Aber Rußland blieb, abgeschlossen von den Hauptstraßen des Weltmeeres, immer noch Großmacht nur zu Lande. England dagegen hatte sich, inzwischen Beherrscherin der Meere geworden, an den Küsten aller Eidteile Stützpunkte geschaffen und große Kolonien erworben und trat so in allen E> steilen als Welt¬ macht auf. Als solche konnte sich England erst recht frei nao innen und außen festigen und entwickeln, nachdem sein grimmigster Gegner, Napoleon, rü.l Hilfe der Zentralmächle und Rußlands niedergerungen und von einem englischen Schiff als Gefangener nach Se. Helena verbracht woroen war. Auf dem Wiener Kongreß wurde mit Errichtung des deutschen Bundes¬ tages als Zentrale der Glieder des ehemaligen Reiches die deutsche Frage, die Frage der Bildung eines Nationalstaates unter B.teiligung des Volles üm Ge¬ stalten seiner eigenen Geschicke, in die Zukunft verschoben nicht gelöst. Getöse werden konnte sie nicht vom großdeutscheu Standpunkte aus, der den Nationalitäten¬ staat an der Donau gespalten hätte, sondern unter Fiihrung der deutschen Macht, die innerlich am festesten gefügt und militärisch am stärksten war. Als Herr von Bismarck-Schönhausen als preußischer Gesandter nach Frank¬ furt ging, empfand er noch österreichisch im Sinne der dualistischen Auffassung Österreich-Preußen für die deutsche Frage. Dort sah er bald ein, daß die gegen¬ seitige Anlehnung von Preußen und Österreich em „I-gern träumt" war, und daß der gordische Knoten der deutschen Zustände mit der passiven Planlosigkeit der preußischen Politik nicht in Liebe dualistisch gelöst, sondern nur iniliiärisch durchhauen werden konnte, am leichtesten in Fühlung mit Ruß>a d. Bei seinem Pariser Aufenthalte gewann er mi> dem Scharfblick des Mensch, nknners in der Unterredung mit Napoleon dem Dritten den Eindrnck, daß die er nicht das Mine ein asi, als welches er in der Welt galt, sondern ein von Piesng, nahm ergriffener Schwächling war, der mit dem Gedanken, wenn nicht der Einverleibung des ganzen linksrheinischen Gebietes, so doch einer pstite reLtikication 6es krontiöres und eines von Frankreich ganz abhängigen Italiens mit iranzöuschen Küsten¬ punkten spielte. Auf den „Zwischenzustairo", der b>s zu dem in der Budget¬ kommission des preußischen Landtages gesprochenen Wort vom Blut und Euer (30. September 1862) dauerte, folgte alsbald die erste vorbereitende Tat, die vielgescholtene, aber für die notwendige Rückendeckung a» Rußland glücklich fort¬ wirkende Hilfe in dem Kampfe gegen die polnische ni point on. Eine zweite, auf die Zukunft berechnete diplomatische Großtat war die dem König Wilhelm dem Ersten abgerungene Mäßigung im Nlolsbnrger Frieden. Der Donaumonarchie wurde ohne Teiuüngnng u> d Gebielsverkleiuernng der Rang einer bündnisfähigen Großmacht erhalten, die berufen war, den Weg nach Konstantinopel für Mitteleuropa offen zu halten und die Teilung des Besitzes der Türkei zwischen Rußland und England zu verhindernd d Fürst Bismarck hat sich über Fragen des nahen Orients je nach dem diplomatischen Zweck, der sich aus der jeweiligen Konstellation ergab, verschieden gelöchert. Daß er wirklich nicht nur Österreich-Ungarn im Stich, sondern tue Russen nach Bulgarien und Konstaminopcl lassen wollte, wie Dr.'A. Küster jüngst in der „Glocke" <4. Jahrg, Ur. 13» brhauvtete, stimmt gewiß nicht. Dem Russen sagte Fürst BisMarck: „Mach', was du willst, wir huben dort keine direkte Interessen." Dem Bundesgenossen an der Donau riet er, erst zu diployieren, wenn der Russe schon in Bulgarien stehe, weil man ihn dort in der schere have (Ende Z88S). Als ihm von verschiedenen Blättern das Programm zugeschrieben wurde, das Bor¬ dringen Rußlands auf Konstantinopel zu unterstützen, erklärten die „Hamburger Rachrichten"

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/282>, abgerufen am 24.11.2024.