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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Das Reformprogramm des preußischen Kultusministeriums

Hochschulen ihre altüberkommene korporative Selbständigkeit immer mehr
einbüßten und durch geistige Verkalkung die Behörden zu gewaltsamen. Ein¬
griffen von außen her zwängen. Wer die Entwicklung der Universitäten in der
letzten Zeit beobachtet hat, kann sich lebhaften Besorgnissen in dieser Richtung
nicht verschließen. In einzelnen Fächern, wie in der Philosophie, Literatur- und
Kunstwissenschaft, war die Tyrannei gewisser Universitätsmachthaber und ihrer
Hintermänner im Kultusministerium, war die Willkürlichkeit und die Einseitigkeit
der Berufungen in der letzten Zeit schon so skandalös, daß man ein Herabsinken
der Universitäten auf die kulturelle Bedeutungslosigkeit etwa der Kunstakademien
in allem Ernst befürchten könnte.

In der Frage der Volkshochschulen und der Reorganisation der Technischen
Hochschule und des Theaterlebens wird man die kommenden Einzelmaßnahmen
abwarten müssen. Die völlige Abschaffung der Theaterzensur dürfte recht
unerfreuliche Wirkungen zeitigen, mit denen auch die Gegner der heutigen geist¬
losen Geistespolizei nicht ganz einverstanden sein könnten. Die Fürsorge für
beschäftigungslose Künstler und Schriftsteller ist eine dankenswerte Maßnahme,
sehr wünschenswert wäre die Einbeziehung der freien Geistesarbeit in die staat¬
liche Zwangsversicherung und die Einführung staatlicher Aufsicht über die
jämmerlichen Lohnverhältnisse der geistigen Arbeit. Insbesondere hat der Krieg
kaum einen Stand so schwer getroffen wie die freien Schriftsteller, denen die
Erwerbsmöglichkeiten durch die Zeitlage außerordentlich verengert und dazu noch
die Honorarsätze im selben Maße gedrückt, als die Löhne des jüngsten Buchdrucker¬
lehrlings gesteigert wurden. Der kommende sozialistische Staat wird auf ganz
neue Formen sinnen müssen, um das deutsche Schrifttum vor völliger
Verelendung in den heraufziehenden schweren Zeiten zu bewahren.

Obgleich also diese Richtlinien in manchen Einzelpunkten zu einer scharfen
Kritik herausfordern, kann doch auch der Nichtsozialdemokrat ihnen in nicht
unbeträchtlichen Umfange folgen. Zu begrüßen ist vor allem, daß auf diesem
Gebiete überhaupt einmal der Anlauf zu wirklichen Reformen genommen wird.
Arbeit von bleibendem Werte wird freilich auch auf diesem Gebiet nicht geleistet
werden können, so lange die ganze bürgerliche Geistigkeit von der Mitwirkung
bei der Neugestaltung unserer Kultur ausgeschlossen ist. Die wenigen Führer
von geistigem Range, die unser Sozialismus aufzuweisen hat, sind einer solchen
Riesenarbeit, wie sie hier vor uns liegt, für sich allein natürlich nicht im
entferntesten gewachsen.

Die neue Regierung sollte sich Wohl vorsehen, daß sie nicht durch über¬
stürzte Reformen gerade auf religiösem Gebiete den Bestrebungen Vorschub leiste,
die sie als Gegenrevolution zusammenfaßt. Die Gegenparole, mit der das
geistige Bürgertum auf das Losungswort ver Trennung von Kirche und Staat
und auf andere Herausforderungen antworten könnte' heißt: Trennung von
Staat und Kultur. Wenn das Millionenheer von Geistesarbeitern, das bisher
auf dem Boden bürgerlicher Anschauungen im Staatsdienste Kulturarbeit
geleistet hat, dermaßen brüskiert wird, daß es dem Staat die Mitarbeit kündigt
und sich in neuen bürgerlich-sozialistischen Formen verselbständigt, dann soll der
neue sozialistische Staat einmal zusehen, wo er die Menschen herbekommt um
sein radikales Kulturprogramm durchzuführen. Nicht die neue "proletarische"
Regierung, sondern der alte bürgerliche Beamtenapparat hat uns in den letzten
Wochen vor dem Hungertode bewahrt, im Vertrauen auf sein geduldiges und
entsagendes Fortarbeiten konnten wir uns sogar den Luxus sich höchst absurd
gebärdender A.- und S.-Räte eine Zeitlang leisten. Das geistige Bürgertum ist
eine Großmacht, die bloß noch nicht zum Selbstbewußtsein gekommen ist, weil sie
das Gängelband des Obrigkeitstaates allzu sehr gewohnt war. Dies Bewußtsein
beginnt zu erwachen und es nähert sich damit die Stunde, wo dies Bürgertum
seine Forderungen auch auf kulturpolitischem Gebiet im Rahmen des freien
deutschen Volksstaates anmelden wird. Hoffentlich kann es alsdann diese Ver¬
handlungen mit einem Kultusminister führen, der nicht nur in einwandfreien
Deutsch Rede und Antwort zu stehen weiß, sondern, der auch über die Schlag-


Das Reformprogramm des preußischen Kultusministeriums

Hochschulen ihre altüberkommene korporative Selbständigkeit immer mehr
einbüßten und durch geistige Verkalkung die Behörden zu gewaltsamen. Ein¬
griffen von außen her zwängen. Wer die Entwicklung der Universitäten in der
letzten Zeit beobachtet hat, kann sich lebhaften Besorgnissen in dieser Richtung
nicht verschließen. In einzelnen Fächern, wie in der Philosophie, Literatur- und
Kunstwissenschaft, war die Tyrannei gewisser Universitätsmachthaber und ihrer
Hintermänner im Kultusministerium, war die Willkürlichkeit und die Einseitigkeit
der Berufungen in der letzten Zeit schon so skandalös, daß man ein Herabsinken
der Universitäten auf die kulturelle Bedeutungslosigkeit etwa der Kunstakademien
in allem Ernst befürchten könnte.

In der Frage der Volkshochschulen und der Reorganisation der Technischen
Hochschule und des Theaterlebens wird man die kommenden Einzelmaßnahmen
abwarten müssen. Die völlige Abschaffung der Theaterzensur dürfte recht
unerfreuliche Wirkungen zeitigen, mit denen auch die Gegner der heutigen geist¬
losen Geistespolizei nicht ganz einverstanden sein könnten. Die Fürsorge für
beschäftigungslose Künstler und Schriftsteller ist eine dankenswerte Maßnahme,
sehr wünschenswert wäre die Einbeziehung der freien Geistesarbeit in die staat¬
liche Zwangsversicherung und die Einführung staatlicher Aufsicht über die
jämmerlichen Lohnverhältnisse der geistigen Arbeit. Insbesondere hat der Krieg
kaum einen Stand so schwer getroffen wie die freien Schriftsteller, denen die
Erwerbsmöglichkeiten durch die Zeitlage außerordentlich verengert und dazu noch
die Honorarsätze im selben Maße gedrückt, als die Löhne des jüngsten Buchdrucker¬
lehrlings gesteigert wurden. Der kommende sozialistische Staat wird auf ganz
neue Formen sinnen müssen, um das deutsche Schrifttum vor völliger
Verelendung in den heraufziehenden schweren Zeiten zu bewahren.

Obgleich also diese Richtlinien in manchen Einzelpunkten zu einer scharfen
Kritik herausfordern, kann doch auch der Nichtsozialdemokrat ihnen in nicht
unbeträchtlichen Umfange folgen. Zu begrüßen ist vor allem, daß auf diesem
Gebiete überhaupt einmal der Anlauf zu wirklichen Reformen genommen wird.
Arbeit von bleibendem Werte wird freilich auch auf diesem Gebiet nicht geleistet
werden können, so lange die ganze bürgerliche Geistigkeit von der Mitwirkung
bei der Neugestaltung unserer Kultur ausgeschlossen ist. Die wenigen Führer
von geistigem Range, die unser Sozialismus aufzuweisen hat, sind einer solchen
Riesenarbeit, wie sie hier vor uns liegt, für sich allein natürlich nicht im
entferntesten gewachsen.

Die neue Regierung sollte sich Wohl vorsehen, daß sie nicht durch über¬
stürzte Reformen gerade auf religiösem Gebiete den Bestrebungen Vorschub leiste,
die sie als Gegenrevolution zusammenfaßt. Die Gegenparole, mit der das
geistige Bürgertum auf das Losungswort ver Trennung von Kirche und Staat
und auf andere Herausforderungen antworten könnte' heißt: Trennung von
Staat und Kultur. Wenn das Millionenheer von Geistesarbeitern, das bisher
auf dem Boden bürgerlicher Anschauungen im Staatsdienste Kulturarbeit
geleistet hat, dermaßen brüskiert wird, daß es dem Staat die Mitarbeit kündigt
und sich in neuen bürgerlich-sozialistischen Formen verselbständigt, dann soll der
neue sozialistische Staat einmal zusehen, wo er die Menschen herbekommt um
sein radikales Kulturprogramm durchzuführen. Nicht die neue „proletarische"
Regierung, sondern der alte bürgerliche Beamtenapparat hat uns in den letzten
Wochen vor dem Hungertode bewahrt, im Vertrauen auf sein geduldiges und
entsagendes Fortarbeiten konnten wir uns sogar den Luxus sich höchst absurd
gebärdender A.- und S.-Räte eine Zeitlang leisten. Das geistige Bürgertum ist
eine Großmacht, die bloß noch nicht zum Selbstbewußtsein gekommen ist, weil sie
das Gängelband des Obrigkeitstaates allzu sehr gewohnt war. Dies Bewußtsein
beginnt zu erwachen und es nähert sich damit die Stunde, wo dies Bürgertum
seine Forderungen auch auf kulturpolitischem Gebiet im Rahmen des freien
deutschen Volksstaates anmelden wird. Hoffentlich kann es alsdann diese Ver¬
handlungen mit einem Kultusminister führen, der nicht nur in einwandfreien
Deutsch Rede und Antwort zu stehen weiß, sondern, der auch über die Schlag-


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[0274] Das Reformprogramm des preußischen Kultusministeriums Hochschulen ihre altüberkommene korporative Selbständigkeit immer mehr einbüßten und durch geistige Verkalkung die Behörden zu gewaltsamen. Ein¬ griffen von außen her zwängen. Wer die Entwicklung der Universitäten in der letzten Zeit beobachtet hat, kann sich lebhaften Besorgnissen in dieser Richtung nicht verschließen. In einzelnen Fächern, wie in der Philosophie, Literatur- und Kunstwissenschaft, war die Tyrannei gewisser Universitätsmachthaber und ihrer Hintermänner im Kultusministerium, war die Willkürlichkeit und die Einseitigkeit der Berufungen in der letzten Zeit schon so skandalös, daß man ein Herabsinken der Universitäten auf die kulturelle Bedeutungslosigkeit etwa der Kunstakademien in allem Ernst befürchten könnte. In der Frage der Volkshochschulen und der Reorganisation der Technischen Hochschule und des Theaterlebens wird man die kommenden Einzelmaßnahmen abwarten müssen. Die völlige Abschaffung der Theaterzensur dürfte recht unerfreuliche Wirkungen zeitigen, mit denen auch die Gegner der heutigen geist¬ losen Geistespolizei nicht ganz einverstanden sein könnten. Die Fürsorge für beschäftigungslose Künstler und Schriftsteller ist eine dankenswerte Maßnahme, sehr wünschenswert wäre die Einbeziehung der freien Geistesarbeit in die staat¬ liche Zwangsversicherung und die Einführung staatlicher Aufsicht über die jämmerlichen Lohnverhältnisse der geistigen Arbeit. Insbesondere hat der Krieg kaum einen Stand so schwer getroffen wie die freien Schriftsteller, denen die Erwerbsmöglichkeiten durch die Zeitlage außerordentlich verengert und dazu noch die Honorarsätze im selben Maße gedrückt, als die Löhne des jüngsten Buchdrucker¬ lehrlings gesteigert wurden. Der kommende sozialistische Staat wird auf ganz neue Formen sinnen müssen, um das deutsche Schrifttum vor völliger Verelendung in den heraufziehenden schweren Zeiten zu bewahren. Obgleich also diese Richtlinien in manchen Einzelpunkten zu einer scharfen Kritik herausfordern, kann doch auch der Nichtsozialdemokrat ihnen in nicht unbeträchtlichen Umfange folgen. Zu begrüßen ist vor allem, daß auf diesem Gebiete überhaupt einmal der Anlauf zu wirklichen Reformen genommen wird. Arbeit von bleibendem Werte wird freilich auch auf diesem Gebiet nicht geleistet werden können, so lange die ganze bürgerliche Geistigkeit von der Mitwirkung bei der Neugestaltung unserer Kultur ausgeschlossen ist. Die wenigen Führer von geistigem Range, die unser Sozialismus aufzuweisen hat, sind einer solchen Riesenarbeit, wie sie hier vor uns liegt, für sich allein natürlich nicht im entferntesten gewachsen. Die neue Regierung sollte sich Wohl vorsehen, daß sie nicht durch über¬ stürzte Reformen gerade auf religiösem Gebiete den Bestrebungen Vorschub leiste, die sie als Gegenrevolution zusammenfaßt. Die Gegenparole, mit der das geistige Bürgertum auf das Losungswort ver Trennung von Kirche und Staat und auf andere Herausforderungen antworten könnte' heißt: Trennung von Staat und Kultur. Wenn das Millionenheer von Geistesarbeitern, das bisher auf dem Boden bürgerlicher Anschauungen im Staatsdienste Kulturarbeit geleistet hat, dermaßen brüskiert wird, daß es dem Staat die Mitarbeit kündigt und sich in neuen bürgerlich-sozialistischen Formen verselbständigt, dann soll der neue sozialistische Staat einmal zusehen, wo er die Menschen herbekommt um sein radikales Kulturprogramm durchzuführen. Nicht die neue „proletarische" Regierung, sondern der alte bürgerliche Beamtenapparat hat uns in den letzten Wochen vor dem Hungertode bewahrt, im Vertrauen auf sein geduldiges und entsagendes Fortarbeiten konnten wir uns sogar den Luxus sich höchst absurd gebärdender A.- und S.-Räte eine Zeitlang leisten. Das geistige Bürgertum ist eine Großmacht, die bloß noch nicht zum Selbstbewußtsein gekommen ist, weil sie das Gängelband des Obrigkeitstaates allzu sehr gewohnt war. Dies Bewußtsein beginnt zu erwachen und es nähert sich damit die Stunde, wo dies Bürgertum seine Forderungen auch auf kulturpolitischem Gebiet im Rahmen des freien deutschen Volksstaates anmelden wird. Hoffentlich kann es alsdann diese Ver¬ handlungen mit einem Kultusminister führen, der nicht nur in einwandfreien Deutsch Rede und Antwort zu stehen weiß, sondern, der auch über die Schlag-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/274>, abgerufen am 22.07.2024.