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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Das Reformgrogramm des preußischen Kultusministeriums

Ersten, den Ungekrönten wie Blücher und Stein, Bismarck, Moltke und
Hindenburg ausgetrieben werden soll, obgleich sich diese Verehrung nicht gerade
aus republikanischen Prinzipien herleiten läßt. Dies Verlangen würde einen
Gewissenszwang für die überwältigende Mehrheit unserer Lehrerschaft bedeuten,
den ihr das Kultusministerium hoffentlich nicht zumuten wird. Und wenn die
Verherrlichung des Krieges unterbleiben soll, so wird man unsern Jungen doch
hoffentlich noch sagen dürfen, daß ihre Vorväter bei Leuthen und Leipzig, bei
Gravelotte und Seoan, daß ihre Väter und Brüder bei Tannenberg und Gorlice,
von Flandern bis zum Elsaß Taten getan haben, für die ihnen der ehrfürchtige
Dank und die heiße Bewunderung von Geschlechtern gebührt. Im Grunde rennt
dieser Reformpuntt offene Türen ein. Kriegshetzerei ist in unseren Schulen nie
und nirgends in irgend beachtenswerten Maße getrieben worden, wie das im
Gegensatz zum "militaristischen" Deutschland im demokratischen Frankreich der
Fall war. Im übrigen werden die nächsten Monate zeigen müssen, ob wir das
Schwert für absehbare Zeit beiseite legen können, oder ob uns die Sklavenkette
der Friedensbedingungen die Vorbereitungen für einen neuen und letzten
Verzweiflungskampf aufzwingt. Die heute herrschende Partei, die vorab die
Interessen der Arbeiterschaft vertritt, dürfte Wohl die letzte sein, die die Wirt-
schaftlicye Versklavung und Verelendung Deutschlands als einen endgültigen
Zustand anerkennen konnte.

Den Zusammentritt einer Reichsschulkonferenz wird man nur begrüßen
können. Entscheidend ist freilich ihre Zusammensetzung. Was bisher über die
Auswahl von pädagogischen Vertrauensleuten Adolf Hoffmanns bekannt
geworden ist, gibt den breitesten Befürchtungen Raum. Der Umgang, in dem
die Entmilitarisierung der Jugendpflege, die ich bereits zu Anfang des Krieges
befürwortet habe, bei der nunmehrigen Entwicklung der Dinge Platz greifen
kann, hängt mit dem soeben angeführten Gesichtspunkte zusammen. Die Um¬
gestaltung der Abiturien und die Verminderung der Prüfungen wäre sehr ver¬
dienstlich, das Übermaß an Prüfungen und der daran geknüpfte Apparat
abstrakter Berechtigungen hat bei uns einen fast chinesischen Zustand herauf¬
geführt, vor dem schon dem alten Friedrich Paulsen graute. Das Problem der
Einheitsschule ist eine organisatorische Frage zweiten Ranges. Der Abbau der
Vorschule ist eine Folgeerscheinung der allgemeinen Demokratisierung, mit der
sich die bislang gesellschaftlich führenden Kreise wie mit mancher unliebsamen
Neuerung abfinden müssen. Es lassen sich gute Gründe sür die Beibehaltung der
Vorschule anführen, die jedoch im Augenblick auf so wenig Resonanz recynen
können, daß es nicht lohnt, sich bei ihnen auszuhalten.

Damit wären die Hauptpunkte gekennzeichnet, die sich auf die Umgestaltung
der Schule beziehen. Wesentlich kürzer sind die Reformpläne für die
Universitäten. Daß der sozialistische Staat namhafte Vertreter des wissenschaft¬
lichen (Vvzialismus auf die Lehrstühle der Universitäten berufen will, ist
verständlich, obgleich die Auswahl an Gelehrten von unanfechtbaren wissen¬
schaftlichem Rang nicht gerade groß sein dürfte. Ein großer Fortschritt wäre es,
wenn das Kultusministerium in der Tat auch unbegüterten Gelehrten den
Zugang zur Universitätslaufbahn öffnete. Die gegenwärtige Verteuerung der
Lebenshaltung würde die höchst unerfreuliche Plutokratisierung unserer
Professorenschaft noch steigern und der Überflutung der Hochschulen mit
Lehrern aus den Kreisen der kapitalkräftigen Judenheit noch unliebsamen
Vorschub leisten. Im übrigen ist die Verfassung unserer Universitäten viel
reformbedürftiger als das niedere Schulwesen. Die Vergreisung der Hochschulen,
die Entrechtung der Privatdozenten und der außerordentlichen Professoren, also
des gesamten wissenschaftlichen Nachwuchses, ist dem Fortschritt sehr im Wege.
Auch wäre zu fragen, ob die mittelalterliche Fakultäteneinteilung, die bei manchen
Berufungen zu unsinnigen Mehrheitsverhältnissen führt, nicht endlich durch eine
moderne Einteilung der Lehrfächer ersetzt werden könnte. Sehr erfreulich wäre
es, wenn in den Universitätskreisen selber der Wille zu durchgreifenden
Neuerungen erwachte. "Wir würden es auf das lebhafteste bedauern, wenn die


Grenzboten IV 19t822
Das Reformgrogramm des preußischen Kultusministeriums

Ersten, den Ungekrönten wie Blücher und Stein, Bismarck, Moltke und
Hindenburg ausgetrieben werden soll, obgleich sich diese Verehrung nicht gerade
aus republikanischen Prinzipien herleiten läßt. Dies Verlangen würde einen
Gewissenszwang für die überwältigende Mehrheit unserer Lehrerschaft bedeuten,
den ihr das Kultusministerium hoffentlich nicht zumuten wird. Und wenn die
Verherrlichung des Krieges unterbleiben soll, so wird man unsern Jungen doch
hoffentlich noch sagen dürfen, daß ihre Vorväter bei Leuthen und Leipzig, bei
Gravelotte und Seoan, daß ihre Väter und Brüder bei Tannenberg und Gorlice,
von Flandern bis zum Elsaß Taten getan haben, für die ihnen der ehrfürchtige
Dank und die heiße Bewunderung von Geschlechtern gebührt. Im Grunde rennt
dieser Reformpuntt offene Türen ein. Kriegshetzerei ist in unseren Schulen nie
und nirgends in irgend beachtenswerten Maße getrieben worden, wie das im
Gegensatz zum „militaristischen" Deutschland im demokratischen Frankreich der
Fall war. Im übrigen werden die nächsten Monate zeigen müssen, ob wir das
Schwert für absehbare Zeit beiseite legen können, oder ob uns die Sklavenkette
der Friedensbedingungen die Vorbereitungen für einen neuen und letzten
Verzweiflungskampf aufzwingt. Die heute herrschende Partei, die vorab die
Interessen der Arbeiterschaft vertritt, dürfte Wohl die letzte sein, die die Wirt-
schaftlicye Versklavung und Verelendung Deutschlands als einen endgültigen
Zustand anerkennen konnte.

Den Zusammentritt einer Reichsschulkonferenz wird man nur begrüßen
können. Entscheidend ist freilich ihre Zusammensetzung. Was bisher über die
Auswahl von pädagogischen Vertrauensleuten Adolf Hoffmanns bekannt
geworden ist, gibt den breitesten Befürchtungen Raum. Der Umgang, in dem
die Entmilitarisierung der Jugendpflege, die ich bereits zu Anfang des Krieges
befürwortet habe, bei der nunmehrigen Entwicklung der Dinge Platz greifen
kann, hängt mit dem soeben angeführten Gesichtspunkte zusammen. Die Um¬
gestaltung der Abiturien und die Verminderung der Prüfungen wäre sehr ver¬
dienstlich, das Übermaß an Prüfungen und der daran geknüpfte Apparat
abstrakter Berechtigungen hat bei uns einen fast chinesischen Zustand herauf¬
geführt, vor dem schon dem alten Friedrich Paulsen graute. Das Problem der
Einheitsschule ist eine organisatorische Frage zweiten Ranges. Der Abbau der
Vorschule ist eine Folgeerscheinung der allgemeinen Demokratisierung, mit der
sich die bislang gesellschaftlich führenden Kreise wie mit mancher unliebsamen
Neuerung abfinden müssen. Es lassen sich gute Gründe sür die Beibehaltung der
Vorschule anführen, die jedoch im Augenblick auf so wenig Resonanz recynen
können, daß es nicht lohnt, sich bei ihnen auszuhalten.

Damit wären die Hauptpunkte gekennzeichnet, die sich auf die Umgestaltung
der Schule beziehen. Wesentlich kürzer sind die Reformpläne für die
Universitäten. Daß der sozialistische Staat namhafte Vertreter des wissenschaft¬
lichen (Vvzialismus auf die Lehrstühle der Universitäten berufen will, ist
verständlich, obgleich die Auswahl an Gelehrten von unanfechtbaren wissen¬
schaftlichem Rang nicht gerade groß sein dürfte. Ein großer Fortschritt wäre es,
wenn das Kultusministerium in der Tat auch unbegüterten Gelehrten den
Zugang zur Universitätslaufbahn öffnete. Die gegenwärtige Verteuerung der
Lebenshaltung würde die höchst unerfreuliche Plutokratisierung unserer
Professorenschaft noch steigern und der Überflutung der Hochschulen mit
Lehrern aus den Kreisen der kapitalkräftigen Judenheit noch unliebsamen
Vorschub leisten. Im übrigen ist die Verfassung unserer Universitäten viel
reformbedürftiger als das niedere Schulwesen. Die Vergreisung der Hochschulen,
die Entrechtung der Privatdozenten und der außerordentlichen Professoren, also
des gesamten wissenschaftlichen Nachwuchses, ist dem Fortschritt sehr im Wege.
Auch wäre zu fragen, ob die mittelalterliche Fakultäteneinteilung, die bei manchen
Berufungen zu unsinnigen Mehrheitsverhältnissen führt, nicht endlich durch eine
moderne Einteilung der Lehrfächer ersetzt werden könnte. Sehr erfreulich wäre
es, wenn in den Universitätskreisen selber der Wille zu durchgreifenden
Neuerungen erwachte. "Wir würden es auf das lebhafteste bedauern, wenn die


Grenzboten IV 19t822
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[0273] Das Reformgrogramm des preußischen Kultusministeriums Ersten, den Ungekrönten wie Blücher und Stein, Bismarck, Moltke und Hindenburg ausgetrieben werden soll, obgleich sich diese Verehrung nicht gerade aus republikanischen Prinzipien herleiten läßt. Dies Verlangen würde einen Gewissenszwang für die überwältigende Mehrheit unserer Lehrerschaft bedeuten, den ihr das Kultusministerium hoffentlich nicht zumuten wird. Und wenn die Verherrlichung des Krieges unterbleiben soll, so wird man unsern Jungen doch hoffentlich noch sagen dürfen, daß ihre Vorväter bei Leuthen und Leipzig, bei Gravelotte und Seoan, daß ihre Väter und Brüder bei Tannenberg und Gorlice, von Flandern bis zum Elsaß Taten getan haben, für die ihnen der ehrfürchtige Dank und die heiße Bewunderung von Geschlechtern gebührt. Im Grunde rennt dieser Reformpuntt offene Türen ein. Kriegshetzerei ist in unseren Schulen nie und nirgends in irgend beachtenswerten Maße getrieben worden, wie das im Gegensatz zum „militaristischen" Deutschland im demokratischen Frankreich der Fall war. Im übrigen werden die nächsten Monate zeigen müssen, ob wir das Schwert für absehbare Zeit beiseite legen können, oder ob uns die Sklavenkette der Friedensbedingungen die Vorbereitungen für einen neuen und letzten Verzweiflungskampf aufzwingt. Die heute herrschende Partei, die vorab die Interessen der Arbeiterschaft vertritt, dürfte Wohl die letzte sein, die die Wirt- schaftlicye Versklavung und Verelendung Deutschlands als einen endgültigen Zustand anerkennen konnte. Den Zusammentritt einer Reichsschulkonferenz wird man nur begrüßen können. Entscheidend ist freilich ihre Zusammensetzung. Was bisher über die Auswahl von pädagogischen Vertrauensleuten Adolf Hoffmanns bekannt geworden ist, gibt den breitesten Befürchtungen Raum. Der Umgang, in dem die Entmilitarisierung der Jugendpflege, die ich bereits zu Anfang des Krieges befürwortet habe, bei der nunmehrigen Entwicklung der Dinge Platz greifen kann, hängt mit dem soeben angeführten Gesichtspunkte zusammen. Die Um¬ gestaltung der Abiturien und die Verminderung der Prüfungen wäre sehr ver¬ dienstlich, das Übermaß an Prüfungen und der daran geknüpfte Apparat abstrakter Berechtigungen hat bei uns einen fast chinesischen Zustand herauf¬ geführt, vor dem schon dem alten Friedrich Paulsen graute. Das Problem der Einheitsschule ist eine organisatorische Frage zweiten Ranges. Der Abbau der Vorschule ist eine Folgeerscheinung der allgemeinen Demokratisierung, mit der sich die bislang gesellschaftlich führenden Kreise wie mit mancher unliebsamen Neuerung abfinden müssen. Es lassen sich gute Gründe sür die Beibehaltung der Vorschule anführen, die jedoch im Augenblick auf so wenig Resonanz recynen können, daß es nicht lohnt, sich bei ihnen auszuhalten. Damit wären die Hauptpunkte gekennzeichnet, die sich auf die Umgestaltung der Schule beziehen. Wesentlich kürzer sind die Reformpläne für die Universitäten. Daß der sozialistische Staat namhafte Vertreter des wissenschaft¬ lichen (Vvzialismus auf die Lehrstühle der Universitäten berufen will, ist verständlich, obgleich die Auswahl an Gelehrten von unanfechtbaren wissen¬ schaftlichem Rang nicht gerade groß sein dürfte. Ein großer Fortschritt wäre es, wenn das Kultusministerium in der Tat auch unbegüterten Gelehrten den Zugang zur Universitätslaufbahn öffnete. Die gegenwärtige Verteuerung der Lebenshaltung würde die höchst unerfreuliche Plutokratisierung unserer Professorenschaft noch steigern und der Überflutung der Hochschulen mit Lehrern aus den Kreisen der kapitalkräftigen Judenheit noch unliebsamen Vorschub leisten. Im übrigen ist die Verfassung unserer Universitäten viel reformbedürftiger als das niedere Schulwesen. Die Vergreisung der Hochschulen, die Entrechtung der Privatdozenten und der außerordentlichen Professoren, also des gesamten wissenschaftlichen Nachwuchses, ist dem Fortschritt sehr im Wege. Auch wäre zu fragen, ob die mittelalterliche Fakultäteneinteilung, die bei manchen Berufungen zu unsinnigen Mehrheitsverhältnissen führt, nicht endlich durch eine moderne Einteilung der Lehrfächer ersetzt werden könnte. Sehr erfreulich wäre es, wenn in den Universitätskreisen selber der Wille zu durchgreifenden Neuerungen erwachte. "Wir würden es auf das lebhafteste bedauern, wenn die Grenzboten IV 19t822

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/273>, abgerufen am 25.08.2024.