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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Das Reforwprogramm des preußischen Rnwisministenums

"inen durchaus liberal-reaktionären Akt des Kultusministeriums feststellen. Die
berechtigte Kritik, die sich an den Religionsunterricht in seiner überkommenen
Gestalt schließt, fußt auf der Einsicht, daß Religion ihrem Wesen nach nicht
lehrbar ist, daß Religionsunterricht also einen inneren Widerspruch birgt und
eine irreligiöse, ja eine antireligiöse Handlung darstellt. Auch läßt sich gegen die
unvermeidliche Berslachung der Religion durch den Durchschnittsunterricht
gerade von: religiösen Standpunkt aus Gewichtiges einwenden. Derselbe Vor¬
wurf aber trifft in gesteigertem Maße den konfessionslosen Moralunterricht.
Moral ist ebenso wie die Religion nicht Sache der Lehre, sondern der Ver¬
kündigung. Ein irgendwie kanonischer, also als Unterrichtsgegenstand eins-
' münzbarer Moralbestand ist außerhalb der kirchlichen Dogmen in unserer Kultur
nicht vorhanden. Adolf Hoffmann wird ihn durch seine Erlasse so wenig aus dem
Boden stampfen können, wie es etwa den Jüngern Nietzsches, des letzten großen
deutschen Moralisten, gelungen ist, seinen Werttafeln die Geltung in der Zeit zu
erringen. Tolstoi, Ibsen, Strindberg und Wedekind wird das Kultusministerium
vermutlich auch nicht zur Rep. Preußischen Staatsmoral erheben wollen,
ebensowenig wie den schalen Absud der stoisch-aufklärerischen Welttradition, an
Gehalt und Ausprägung weltenweit hinter dem Moralbestand der Evangelien
zurückstehend. Da die Kirchen aber die Jugendunterweisung vermutlich in einer
anderen Form doch beibehalten würden, könnte der Staat, wenn er ihnen das
Gastrecht in seiner Schule kündigt, sich den Moralunterricht auf Grund seiner
Neutralität in Weltanschauungsfragen dann auch schon ganz schenken; bloß sür
die Dissidentenikinder darf er uns nicht die Bezahlung von Lehrkräften zumuten.
Mögen doch Herrn Ostwalds Monistenbund oder andere Formen organisierter
aufgeklärter Freigeisterei zusehen, wie sie einen Ersatz für den verabscheuten
Religionsunterricht der Kirchen schaffen.

Viel wichtiger als der höchst fragwürdige Moralunterricht, der sehr lebhast
an den im Kern verfehlten vaterländischen Unterricht im Heere erinnert, scheint,
mir die Vermittelung religious- und kirchengeschiclMcher Kenntnisse in dem
Umfange, wie er als allgemeiner Bildungsbestandteil unerläßlich ist. Auch hier
schafft die Entfernung des konfessionellen Religionsunterrichts erhebliche
Schwierigkeiten, denn eine neutrale Behandlung dieser Fragen ist unmöglich, es
sei denn, daß der Staat sich auf den protestantischen Standpunkt vorurteilsfreier
Wissenschaftlichkeit stellt, wodurch er aber die ganze katholische Hälfte unseres
Volkes vor den Kopf stoßen und mit Notwendigkeit einen neuen Kulturkampf
heraufbeschwören würde. Noch größere organisatorische Schwierigkeiten macht
der Bildungsstoff, den die sogenannte biblische Geschichte bisher schon in früher
Jugend vermittelte. Ganz abgesehen von der religiösen Seite ist selbst um des
Verständnisses der ganzen abendländischen Kunst und Dichtung willen ein
gewisses Bertrautsein mit dem mythischen Stoss der Bibel, einerlei ob man ihn
historisch, absolut oder legendarisch auffaßt, schlechterdings unerläßlich. Auch
hier stellt jeder Schritt, der vom bisherigen Religionsunterricht wegführt, die
Reform vor neue Schwierigkeiten.

Auch die Koedukationsftage ist ein verwickeltes Problem, das nur aus dein
Boden der Erfahrung gelöst werden kann. Ich habe mich selbst als Gymnasiast
in Elsaß-Lothringen durch Augenschein von den höchst unerfreulichen Begleit¬
erscheinungen dieser Erziehungsform überzeugen können. Insbesondere ist unter
den Knaben die Abneigung gegen die Teilnahme von Mädchen an ihrem Unter¬
richt sehr tief eingewurzelt. Durch nichts löste ein Lehrer, der selber ein Gegner
der Koedukation war, stürmischeren Beifall bei den Jungen aus, als wenn er
die Mädchen in oorporo abfahren ließ. Eine Schuldirektoren-Konferenz in
Baden hat einige Jahre vor dem Krieg überwiegend schlechte Erfahrungen mit
der Koedukation zum Ausdruck gebracht. In der Tat werden grundsätzlich alle
diejenigen dieser Erziehungsform abgeneigt sein, die nicht in der hemmungslosen
Gleichmacherei das Heil der Welt erblicken. Eine andere Frage ist die Zulassung
der Koedukation als Notbehelf an Orten, wo den Mädchen sonst die höheren
Bildungsmöglichkeiten verschlossen sind. In diesem Sinne ist eine Aufhebung des


Das Reforwprogramm des preußischen Rnwisministenums

«inen durchaus liberal-reaktionären Akt des Kultusministeriums feststellen. Die
berechtigte Kritik, die sich an den Religionsunterricht in seiner überkommenen
Gestalt schließt, fußt auf der Einsicht, daß Religion ihrem Wesen nach nicht
lehrbar ist, daß Religionsunterricht also einen inneren Widerspruch birgt und
eine irreligiöse, ja eine antireligiöse Handlung darstellt. Auch läßt sich gegen die
unvermeidliche Berslachung der Religion durch den Durchschnittsunterricht
gerade von: religiösen Standpunkt aus Gewichtiges einwenden. Derselbe Vor¬
wurf aber trifft in gesteigertem Maße den konfessionslosen Moralunterricht.
Moral ist ebenso wie die Religion nicht Sache der Lehre, sondern der Ver¬
kündigung. Ein irgendwie kanonischer, also als Unterrichtsgegenstand eins-
' münzbarer Moralbestand ist außerhalb der kirchlichen Dogmen in unserer Kultur
nicht vorhanden. Adolf Hoffmann wird ihn durch seine Erlasse so wenig aus dem
Boden stampfen können, wie es etwa den Jüngern Nietzsches, des letzten großen
deutschen Moralisten, gelungen ist, seinen Werttafeln die Geltung in der Zeit zu
erringen. Tolstoi, Ibsen, Strindberg und Wedekind wird das Kultusministerium
vermutlich auch nicht zur Rep. Preußischen Staatsmoral erheben wollen,
ebensowenig wie den schalen Absud der stoisch-aufklärerischen Welttradition, an
Gehalt und Ausprägung weltenweit hinter dem Moralbestand der Evangelien
zurückstehend. Da die Kirchen aber die Jugendunterweisung vermutlich in einer
anderen Form doch beibehalten würden, könnte der Staat, wenn er ihnen das
Gastrecht in seiner Schule kündigt, sich den Moralunterricht auf Grund seiner
Neutralität in Weltanschauungsfragen dann auch schon ganz schenken; bloß sür
die Dissidentenikinder darf er uns nicht die Bezahlung von Lehrkräften zumuten.
Mögen doch Herrn Ostwalds Monistenbund oder andere Formen organisierter
aufgeklärter Freigeisterei zusehen, wie sie einen Ersatz für den verabscheuten
Religionsunterricht der Kirchen schaffen.

Viel wichtiger als der höchst fragwürdige Moralunterricht, der sehr lebhast
an den im Kern verfehlten vaterländischen Unterricht im Heere erinnert, scheint,
mir die Vermittelung religious- und kirchengeschiclMcher Kenntnisse in dem
Umfange, wie er als allgemeiner Bildungsbestandteil unerläßlich ist. Auch hier
schafft die Entfernung des konfessionellen Religionsunterrichts erhebliche
Schwierigkeiten, denn eine neutrale Behandlung dieser Fragen ist unmöglich, es
sei denn, daß der Staat sich auf den protestantischen Standpunkt vorurteilsfreier
Wissenschaftlichkeit stellt, wodurch er aber die ganze katholische Hälfte unseres
Volkes vor den Kopf stoßen und mit Notwendigkeit einen neuen Kulturkampf
heraufbeschwören würde. Noch größere organisatorische Schwierigkeiten macht
der Bildungsstoff, den die sogenannte biblische Geschichte bisher schon in früher
Jugend vermittelte. Ganz abgesehen von der religiösen Seite ist selbst um des
Verständnisses der ganzen abendländischen Kunst und Dichtung willen ein
gewisses Bertrautsein mit dem mythischen Stoss der Bibel, einerlei ob man ihn
historisch, absolut oder legendarisch auffaßt, schlechterdings unerläßlich. Auch
hier stellt jeder Schritt, der vom bisherigen Religionsunterricht wegführt, die
Reform vor neue Schwierigkeiten.

Auch die Koedukationsftage ist ein verwickeltes Problem, das nur aus dein
Boden der Erfahrung gelöst werden kann. Ich habe mich selbst als Gymnasiast
in Elsaß-Lothringen durch Augenschein von den höchst unerfreulichen Begleit¬
erscheinungen dieser Erziehungsform überzeugen können. Insbesondere ist unter
den Knaben die Abneigung gegen die Teilnahme von Mädchen an ihrem Unter¬
richt sehr tief eingewurzelt. Durch nichts löste ein Lehrer, der selber ein Gegner
der Koedukation war, stürmischeren Beifall bei den Jungen aus, als wenn er
die Mädchen in oorporo abfahren ließ. Eine Schuldirektoren-Konferenz in
Baden hat einige Jahre vor dem Krieg überwiegend schlechte Erfahrungen mit
der Koedukation zum Ausdruck gebracht. In der Tat werden grundsätzlich alle
diejenigen dieser Erziehungsform abgeneigt sein, die nicht in der hemmungslosen
Gleichmacherei das Heil der Welt erblicken. Eine andere Frage ist die Zulassung
der Koedukation als Notbehelf an Orten, wo den Mädchen sonst die höheren
Bildungsmöglichkeiten verschlossen sind. In diesem Sinne ist eine Aufhebung des


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[0271] Das Reforwprogramm des preußischen Rnwisministenums «inen durchaus liberal-reaktionären Akt des Kultusministeriums feststellen. Die berechtigte Kritik, die sich an den Religionsunterricht in seiner überkommenen Gestalt schließt, fußt auf der Einsicht, daß Religion ihrem Wesen nach nicht lehrbar ist, daß Religionsunterricht also einen inneren Widerspruch birgt und eine irreligiöse, ja eine antireligiöse Handlung darstellt. Auch läßt sich gegen die unvermeidliche Berslachung der Religion durch den Durchschnittsunterricht gerade von: religiösen Standpunkt aus Gewichtiges einwenden. Derselbe Vor¬ wurf aber trifft in gesteigertem Maße den konfessionslosen Moralunterricht. Moral ist ebenso wie die Religion nicht Sache der Lehre, sondern der Ver¬ kündigung. Ein irgendwie kanonischer, also als Unterrichtsgegenstand eins- ' münzbarer Moralbestand ist außerhalb der kirchlichen Dogmen in unserer Kultur nicht vorhanden. Adolf Hoffmann wird ihn durch seine Erlasse so wenig aus dem Boden stampfen können, wie es etwa den Jüngern Nietzsches, des letzten großen deutschen Moralisten, gelungen ist, seinen Werttafeln die Geltung in der Zeit zu erringen. Tolstoi, Ibsen, Strindberg und Wedekind wird das Kultusministerium vermutlich auch nicht zur Rep. Preußischen Staatsmoral erheben wollen, ebensowenig wie den schalen Absud der stoisch-aufklärerischen Welttradition, an Gehalt und Ausprägung weltenweit hinter dem Moralbestand der Evangelien zurückstehend. Da die Kirchen aber die Jugendunterweisung vermutlich in einer anderen Form doch beibehalten würden, könnte der Staat, wenn er ihnen das Gastrecht in seiner Schule kündigt, sich den Moralunterricht auf Grund seiner Neutralität in Weltanschauungsfragen dann auch schon ganz schenken; bloß sür die Dissidentenikinder darf er uns nicht die Bezahlung von Lehrkräften zumuten. Mögen doch Herrn Ostwalds Monistenbund oder andere Formen organisierter aufgeklärter Freigeisterei zusehen, wie sie einen Ersatz für den verabscheuten Religionsunterricht der Kirchen schaffen. Viel wichtiger als der höchst fragwürdige Moralunterricht, der sehr lebhast an den im Kern verfehlten vaterländischen Unterricht im Heere erinnert, scheint, mir die Vermittelung religious- und kirchengeschiclMcher Kenntnisse in dem Umfange, wie er als allgemeiner Bildungsbestandteil unerläßlich ist. Auch hier schafft die Entfernung des konfessionellen Religionsunterrichts erhebliche Schwierigkeiten, denn eine neutrale Behandlung dieser Fragen ist unmöglich, es sei denn, daß der Staat sich auf den protestantischen Standpunkt vorurteilsfreier Wissenschaftlichkeit stellt, wodurch er aber die ganze katholische Hälfte unseres Volkes vor den Kopf stoßen und mit Notwendigkeit einen neuen Kulturkampf heraufbeschwören würde. Noch größere organisatorische Schwierigkeiten macht der Bildungsstoff, den die sogenannte biblische Geschichte bisher schon in früher Jugend vermittelte. Ganz abgesehen von der religiösen Seite ist selbst um des Verständnisses der ganzen abendländischen Kunst und Dichtung willen ein gewisses Bertrautsein mit dem mythischen Stoss der Bibel, einerlei ob man ihn historisch, absolut oder legendarisch auffaßt, schlechterdings unerläßlich. Auch hier stellt jeder Schritt, der vom bisherigen Religionsunterricht wegführt, die Reform vor neue Schwierigkeiten. Auch die Koedukationsftage ist ein verwickeltes Problem, das nur aus dein Boden der Erfahrung gelöst werden kann. Ich habe mich selbst als Gymnasiast in Elsaß-Lothringen durch Augenschein von den höchst unerfreulichen Begleit¬ erscheinungen dieser Erziehungsform überzeugen können. Insbesondere ist unter den Knaben die Abneigung gegen die Teilnahme von Mädchen an ihrem Unter¬ richt sehr tief eingewurzelt. Durch nichts löste ein Lehrer, der selber ein Gegner der Koedukation war, stürmischeren Beifall bei den Jungen aus, als wenn er die Mädchen in oorporo abfahren ließ. Eine Schuldirektoren-Konferenz in Baden hat einige Jahre vor dem Krieg überwiegend schlechte Erfahrungen mit der Koedukation zum Ausdruck gebracht. In der Tat werden grundsätzlich alle diejenigen dieser Erziehungsform abgeneigt sein, die nicht in der hemmungslosen Gleichmacherei das Heil der Welt erblicken. Eine andere Frage ist die Zulassung der Koedukation als Notbehelf an Orten, wo den Mädchen sonst die höheren Bildungsmöglichkeiten verschlossen sind. In diesem Sinne ist eine Aufhebung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/271>, abgerufen am 23.07.2024.