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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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"In tausend Zungen"

Drang sich melden, auswärts die nahrungschaffenden, erfrischenden Volkskräfte
zu suchen, die das eigene Volk nicht mehr erzeugt.

Einstmals war Deutschland das Reservoir solcher Kräfte für Europa.
Seitdem aber Deutschland sich zu einem Eigenleben erhob und seine Kräfte zu
eigener Sicherung zu organisieren strebte, mußte es mit der Zeit unfehlbar dahin
kommen, daß entweder Deutschland seine Volkskräfte in Europa nur unter eigener
Leitung zu organisieren suchte, sie also nicht mehr der Fremde einfach preisgab
-- daher der Vorwurf des Strebens nach Herrschaft in Europa --, oder daß alle
anderen Völker zu Gegnern Deutschlands wurden und die Zurückführung der
früheren Zustände, eine Zersplitterung des deutschen Volkes erstrebten. Hier, in
dieser tiefsten Lebensfrage der uns feindlichen Völker liegt der letzte Grund deS
Weltkrieges. Es ist das Zusammentreffen von Ursachen, die heute wie immer
die gleichen Wirkungen erzeugten, einstmals die Einkreisung und Zerreißung
Deutschlands in einem Kriege von 30 Jahren, dann die Einkreisung Preußens
im siebenjährigen Kriege, die beide nichts anderes bedeuteten wie heute: die
Auflehnung der europäischen Völker gegen eine starke und geschlossene Eigen-
cntfaltung des deutschen Volkes. Und hier berühren wir nicht minder die Ursache
der weniger als lauen Haltung der Neutralen uns gegenüber, so weit sie, wie
z. V. Holland oder die Schweiz, an dem gleichen Leiden kranken: in Holland an
der Dezimierung der eigenen landbauenden Bevölkerung und in der Schweiz an
dem Raubbau am eigenen Volke durch die Fremdenindustrie und die fort¬
schreitende Industrialisierung des Landes. Wie wenig die Schweiz imstande ist,
ihr Volk aus eigenen Produkten zu ernähren, das hat der Krieg zum Schrecken
aller gezeigt.

Und hier bietet sich das Gegenbild im kleinen zur deutschen Entwicklung.
Der Wille der Basler und vor allem der Berner Aristokratie war nicht mehr
stark genug, den Willen des bodenlosen Intellektualismus, wie er in Zürich und
Genf vor allem Raum gewann, zu paralysieren, während das Bauerntum in
Deutschland in der landbauenden ostelbischen Junkerschaft einen starken sozialen
Rückhalt fand.

Die energische Aufnahme der Sozialpolitik vermochte nicht, die jäh ein¬
reihende Bodenlosigkeit ganz zu verhindern. Die Entwicklung zur Industrie war
notwendig geworden und ließ sich nicht hemmen. Was sich aber hemmen ließ,
das war das Versinken ganzer Bevölkerungsschichten ins Proletentum. Der
deutsche Proletarier weiß es heute, daß viele Wege aus seinem Stande wieder
aufwärts zu führen vermögen. Und einer der ersten und besten ist der, der dahin
führt, neuen Boden zu gewinnen. Er muß immer mehr beschritten, und alle
Mittel müssen aufgewendet werden, unser Volk diesem Ziele näherzubringen und
es zu erreichen. Land und Volk -- das gehört zusammen, als eine untrennbare
Einheit, und sie allein kann uns die starke und gesunde Zukunft bringen, die wir
für Deutschland und sein herrliches Volk wünschen.




„In tausend Zungen"

Drang sich melden, auswärts die nahrungschaffenden, erfrischenden Volkskräfte
zu suchen, die das eigene Volk nicht mehr erzeugt.

Einstmals war Deutschland das Reservoir solcher Kräfte für Europa.
Seitdem aber Deutschland sich zu einem Eigenleben erhob und seine Kräfte zu
eigener Sicherung zu organisieren strebte, mußte es mit der Zeit unfehlbar dahin
kommen, daß entweder Deutschland seine Volkskräfte in Europa nur unter eigener
Leitung zu organisieren suchte, sie also nicht mehr der Fremde einfach preisgab
— daher der Vorwurf des Strebens nach Herrschaft in Europa —, oder daß alle
anderen Völker zu Gegnern Deutschlands wurden und die Zurückführung der
früheren Zustände, eine Zersplitterung des deutschen Volkes erstrebten. Hier, in
dieser tiefsten Lebensfrage der uns feindlichen Völker liegt der letzte Grund deS
Weltkrieges. Es ist das Zusammentreffen von Ursachen, die heute wie immer
die gleichen Wirkungen erzeugten, einstmals die Einkreisung und Zerreißung
Deutschlands in einem Kriege von 30 Jahren, dann die Einkreisung Preußens
im siebenjährigen Kriege, die beide nichts anderes bedeuteten wie heute: die
Auflehnung der europäischen Völker gegen eine starke und geschlossene Eigen-
cntfaltung des deutschen Volkes. Und hier berühren wir nicht minder die Ursache
der weniger als lauen Haltung der Neutralen uns gegenüber, so weit sie, wie
z. V. Holland oder die Schweiz, an dem gleichen Leiden kranken: in Holland an
der Dezimierung der eigenen landbauenden Bevölkerung und in der Schweiz an
dem Raubbau am eigenen Volke durch die Fremdenindustrie und die fort¬
schreitende Industrialisierung des Landes. Wie wenig die Schweiz imstande ist,
ihr Volk aus eigenen Produkten zu ernähren, das hat der Krieg zum Schrecken
aller gezeigt.

Und hier bietet sich das Gegenbild im kleinen zur deutschen Entwicklung.
Der Wille der Basler und vor allem der Berner Aristokratie war nicht mehr
stark genug, den Willen des bodenlosen Intellektualismus, wie er in Zürich und
Genf vor allem Raum gewann, zu paralysieren, während das Bauerntum in
Deutschland in der landbauenden ostelbischen Junkerschaft einen starken sozialen
Rückhalt fand.

Die energische Aufnahme der Sozialpolitik vermochte nicht, die jäh ein¬
reihende Bodenlosigkeit ganz zu verhindern. Die Entwicklung zur Industrie war
notwendig geworden und ließ sich nicht hemmen. Was sich aber hemmen ließ,
das war das Versinken ganzer Bevölkerungsschichten ins Proletentum. Der
deutsche Proletarier weiß es heute, daß viele Wege aus seinem Stande wieder
aufwärts zu führen vermögen. Und einer der ersten und besten ist der, der dahin
führt, neuen Boden zu gewinnen. Er muß immer mehr beschritten, und alle
Mittel müssen aufgewendet werden, unser Volk diesem Ziele näherzubringen und
es zu erreichen. Land und Volk — das gehört zusammen, als eine untrennbare
Einheit, und sie allein kann uns die starke und gesunde Zukunft bringen, die wir
für Deutschland und sein herrliches Volk wünschen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/27>, abgerufen am 03.07.2024.