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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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sein ließe, die Machtmittel Deutschösterreichs zu sammeln und zu verwerten und
die Gegensätze zwischen den feindlichen Nachbarn diplomatisch auszunützen, als
den Sünden der früheren Regierung nachzuspüren und (ganz im Sinne Eisners
und Friedrich Wilhelm Försters) den Scheinbeweis zu erbringen, daß die Mittel¬
mächte die Urheber und die alleinigen Verlängerer des Krieges seien. Ab¬
gesehen davon, daß dies angesichts der Brüsseler Aktenfunde und der Ent¬
hüllungen über Rußlands Verhalten 1914 ein vergebliches Bemühen bleiben
muß, könnte selbst ein solcher Nachweis, wenn er zu erbringen wäre, weder die
Schuld unserer Defaitisten an dem ungünstigen Ausgang des Krieges irgendwie
mildern, noch auch die Stimmung der feindlichen Staatsmänner günstig beein¬
flussen. Dieser Nachweis und ganz ebenso ein unbegründetes Schuldbekenntnis
der Teutschen in Osterreich und dem Rerch könnte vielmehr diese nur in ihren
Vergeltungsansprüchen und ihrer Rachsucht bestärken. Das Beispiel ist bezeich¬
nend dafür, daß die neue Regierung vielfach einem unfruchtbaren Doktrinaris¬
mus huldigt, der die Gefahr leidenschaftlicher Gegenströmungen leicht auslösen
könnte und nur dank der Besonnenheit und Wohl auch vielfach der Mutlosigkeit der
bürgerlichen Mitglieder der Nationalversammlung bisher noch' nicht ausgelöst
hat. Dagegen sind die Fortschritte in der Beseitigung des Bureaukratismus bis¬
her nicht sehr erheblich. Ein Spötter meinte kürzlich, der Amtsschimmel sei nun
rot aufgezäumt, aber sonst der alte. Man darf die Schwierigkeit der Aufgabe,
die hier zu bewältigen ist, nicht verkennen und muß auch eingestehen, daß die Be¬
völkerung bei ihrer Bewältigung nur geringe Unterstützung leistet. Tatsache
bleibt aber, daß die Zentralen - M i ß wirtschaft (von dieser sollte S. 174 die Rede
sein, was der Druckfehlerkobold verschleierte) zwar gemildert wurde, aber die
Zentralen-Wirtschaft mit manchen vermeidbaren Übelständen im wesentlichen
noch besteht (die zentrale Bewirtschaftung entspricht ja der sozialdemokratischen
Theorie und ist zurzeit Wohl noch unentbehrlich) und daß nicht nur neue unprak¬
tische Maßregeln der Zentralen, sondern sogar Höchstpreiserhöhungen in einer
Zeit erfolgt sind, in der Regierung und Bevölkerung fortwährend von: "Abbau
der Preise" reden. Was dem gemeinen Mann an den "Zentralen" vor allem
auffiel und die nationalen Politiker verstimmte, der starke Einfluß des Juden¬
tums, ist geblieben und in der neuen Regierung sind, wie im Deutschen Reiche,
die Angehörigen dieser Nation unverhältnismäßig stark vertreten. Bei dem Um¬
fang des Antisemitismus in Deutschösterreich, der in der Kriegs- und Kriegs¬
gewinnzeit noch erheblich gewachiseu ist, muß es Wohl als Beweis anerkennens¬
werter Disziplin bezeichnet werden, daß dagegen keine Einsprache erhoben wurde.
Im übrigen hat dieser Tage ein Staatssekretär mit Rücksicht auf das Bestehen
eines jüdischen Nationalrates die Rechtslage der Juden und ihren Anspruch aus
die Staatszugehörigkeit als offene Frage bezeichnet, die durch Verhandlungen mit
diesem Nationalrat zu lösen sei -- und so werden vielleicht, wenn diese Zeilen
gedruckt werden, die Gefahren klarer zutage liegen, die aus der Stellung der
Sozialdemokratie zum Judentum hervorgehen, vielleicht auch die Mittel, sie zu
bannen. Auch die Tschechen scheinen gewillt, zu der Judenfrage, die mit der
Gründung des Nationalstaates in Palästina ein neues Gesicht' bekommen hat,
nachdrücklich Stellung zu nehmen.

Die dringlichsten Fragen des neuen Staates sind die der Nationalversamm¬
lung, die Verteldigungs-, die Eruöhrungs- und die Abgrenznngsfrage, von denen
die drei zuletztgenannten auf das engste miteinander zusammenhängen. Nur
von ihnen soll hier die Rede sein, da die Wahlordnung und Wahlkreiseinteilung
für die "Konstituante"-- auch wenn man von den Problemen der künftigen Ver-
heissung, welche die Wahlprogramme beeinflussen müssen, ganz absieht -- eine
selbständige eingehende Behandlung verlangen würde.

Der Druckfehler, der auf S. 17? der Grenzboten -ans der "Nahrungs¬
mittelzusuhr uach Wien" eine "Nahrungsmittel g e f a h r" gemacht hat, trifft
leider nicht nur für Wien die Tatsachen, die sich aus der Verquickung des Ver¬
sorgungsproblems mit der militärischen Schwäche Deutschösterreichs und den Ge-
bieisansprüchen seiner Nachbarn ergeben. Nicht um die Nahrungssperre, sondern


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sein ließe, die Machtmittel Deutschösterreichs zu sammeln und zu verwerten und
die Gegensätze zwischen den feindlichen Nachbarn diplomatisch auszunützen, als
den Sünden der früheren Regierung nachzuspüren und (ganz im Sinne Eisners
und Friedrich Wilhelm Försters) den Scheinbeweis zu erbringen, daß die Mittel¬
mächte die Urheber und die alleinigen Verlängerer des Krieges seien. Ab¬
gesehen davon, daß dies angesichts der Brüsseler Aktenfunde und der Ent¬
hüllungen über Rußlands Verhalten 1914 ein vergebliches Bemühen bleiben
muß, könnte selbst ein solcher Nachweis, wenn er zu erbringen wäre, weder die
Schuld unserer Defaitisten an dem ungünstigen Ausgang des Krieges irgendwie
mildern, noch auch die Stimmung der feindlichen Staatsmänner günstig beein¬
flussen. Dieser Nachweis und ganz ebenso ein unbegründetes Schuldbekenntnis
der Teutschen in Osterreich und dem Rerch könnte vielmehr diese nur in ihren
Vergeltungsansprüchen und ihrer Rachsucht bestärken. Das Beispiel ist bezeich¬
nend dafür, daß die neue Regierung vielfach einem unfruchtbaren Doktrinaris¬
mus huldigt, der die Gefahr leidenschaftlicher Gegenströmungen leicht auslösen
könnte und nur dank der Besonnenheit und Wohl auch vielfach der Mutlosigkeit der
bürgerlichen Mitglieder der Nationalversammlung bisher noch' nicht ausgelöst
hat. Dagegen sind die Fortschritte in der Beseitigung des Bureaukratismus bis¬
her nicht sehr erheblich. Ein Spötter meinte kürzlich, der Amtsschimmel sei nun
rot aufgezäumt, aber sonst der alte. Man darf die Schwierigkeit der Aufgabe,
die hier zu bewältigen ist, nicht verkennen und muß auch eingestehen, daß die Be¬
völkerung bei ihrer Bewältigung nur geringe Unterstützung leistet. Tatsache
bleibt aber, daß die Zentralen - M i ß wirtschaft (von dieser sollte S. 174 die Rede
sein, was der Druckfehlerkobold verschleierte) zwar gemildert wurde, aber die
Zentralen-Wirtschaft mit manchen vermeidbaren Übelständen im wesentlichen
noch besteht (die zentrale Bewirtschaftung entspricht ja der sozialdemokratischen
Theorie und ist zurzeit Wohl noch unentbehrlich) und daß nicht nur neue unprak¬
tische Maßregeln der Zentralen, sondern sogar Höchstpreiserhöhungen in einer
Zeit erfolgt sind, in der Regierung und Bevölkerung fortwährend von: „Abbau
der Preise" reden. Was dem gemeinen Mann an den „Zentralen" vor allem
auffiel und die nationalen Politiker verstimmte, der starke Einfluß des Juden¬
tums, ist geblieben und in der neuen Regierung sind, wie im Deutschen Reiche,
die Angehörigen dieser Nation unverhältnismäßig stark vertreten. Bei dem Um¬
fang des Antisemitismus in Deutschösterreich, der in der Kriegs- und Kriegs¬
gewinnzeit noch erheblich gewachiseu ist, muß es Wohl als Beweis anerkennens¬
werter Disziplin bezeichnet werden, daß dagegen keine Einsprache erhoben wurde.
Im übrigen hat dieser Tage ein Staatssekretär mit Rücksicht auf das Bestehen
eines jüdischen Nationalrates die Rechtslage der Juden und ihren Anspruch aus
die Staatszugehörigkeit als offene Frage bezeichnet, die durch Verhandlungen mit
diesem Nationalrat zu lösen sei — und so werden vielleicht, wenn diese Zeilen
gedruckt werden, die Gefahren klarer zutage liegen, die aus der Stellung der
Sozialdemokratie zum Judentum hervorgehen, vielleicht auch die Mittel, sie zu
bannen. Auch die Tschechen scheinen gewillt, zu der Judenfrage, die mit der
Gründung des Nationalstaates in Palästina ein neues Gesicht' bekommen hat,
nachdrücklich Stellung zu nehmen.

Die dringlichsten Fragen des neuen Staates sind die der Nationalversamm¬
lung, die Verteldigungs-, die Eruöhrungs- und die Abgrenznngsfrage, von denen
die drei zuletztgenannten auf das engste miteinander zusammenhängen. Nur
von ihnen soll hier die Rede sein, da die Wahlordnung und Wahlkreiseinteilung
für die „Konstituante"— auch wenn man von den Problemen der künftigen Ver-
heissung, welche die Wahlprogramme beeinflussen müssen, ganz absieht — eine
selbständige eingehende Behandlung verlangen würde.

Der Druckfehler, der auf S. 17? der Grenzboten -ans der „Nahrungs¬
mittelzusuhr uach Wien" eine „Nahrungsmittel g e f a h r" gemacht hat, trifft
leider nicht nur für Wien die Tatsachen, die sich aus der Verquickung des Ver¬
sorgungsproblems mit der militärischen Schwäche Deutschösterreichs und den Ge-
bieisansprüchen seiner Nachbarn ergeben. Nicht um die Nahrungssperre, sondern


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[0265] Dcutschöstt'rieich und si'inn Nuchba^ Städte» sein ließe, die Machtmittel Deutschösterreichs zu sammeln und zu verwerten und die Gegensätze zwischen den feindlichen Nachbarn diplomatisch auszunützen, als den Sünden der früheren Regierung nachzuspüren und (ganz im Sinne Eisners und Friedrich Wilhelm Försters) den Scheinbeweis zu erbringen, daß die Mittel¬ mächte die Urheber und die alleinigen Verlängerer des Krieges seien. Ab¬ gesehen davon, daß dies angesichts der Brüsseler Aktenfunde und der Ent¬ hüllungen über Rußlands Verhalten 1914 ein vergebliches Bemühen bleiben muß, könnte selbst ein solcher Nachweis, wenn er zu erbringen wäre, weder die Schuld unserer Defaitisten an dem ungünstigen Ausgang des Krieges irgendwie mildern, noch auch die Stimmung der feindlichen Staatsmänner günstig beein¬ flussen. Dieser Nachweis und ganz ebenso ein unbegründetes Schuldbekenntnis der Teutschen in Osterreich und dem Rerch könnte vielmehr diese nur in ihren Vergeltungsansprüchen und ihrer Rachsucht bestärken. Das Beispiel ist bezeich¬ nend dafür, daß die neue Regierung vielfach einem unfruchtbaren Doktrinaris¬ mus huldigt, der die Gefahr leidenschaftlicher Gegenströmungen leicht auslösen könnte und nur dank der Besonnenheit und Wohl auch vielfach der Mutlosigkeit der bürgerlichen Mitglieder der Nationalversammlung bisher noch' nicht ausgelöst hat. Dagegen sind die Fortschritte in der Beseitigung des Bureaukratismus bis¬ her nicht sehr erheblich. Ein Spötter meinte kürzlich, der Amtsschimmel sei nun rot aufgezäumt, aber sonst der alte. Man darf die Schwierigkeit der Aufgabe, die hier zu bewältigen ist, nicht verkennen und muß auch eingestehen, daß die Be¬ völkerung bei ihrer Bewältigung nur geringe Unterstützung leistet. Tatsache bleibt aber, daß die Zentralen - M i ß wirtschaft (von dieser sollte S. 174 die Rede sein, was der Druckfehlerkobold verschleierte) zwar gemildert wurde, aber die Zentralen-Wirtschaft mit manchen vermeidbaren Übelständen im wesentlichen noch besteht (die zentrale Bewirtschaftung entspricht ja der sozialdemokratischen Theorie und ist zurzeit Wohl noch unentbehrlich) und daß nicht nur neue unprak¬ tische Maßregeln der Zentralen, sondern sogar Höchstpreiserhöhungen in einer Zeit erfolgt sind, in der Regierung und Bevölkerung fortwährend von: „Abbau der Preise" reden. Was dem gemeinen Mann an den „Zentralen" vor allem auffiel und die nationalen Politiker verstimmte, der starke Einfluß des Juden¬ tums, ist geblieben und in der neuen Regierung sind, wie im Deutschen Reiche, die Angehörigen dieser Nation unverhältnismäßig stark vertreten. Bei dem Um¬ fang des Antisemitismus in Deutschösterreich, der in der Kriegs- und Kriegs¬ gewinnzeit noch erheblich gewachiseu ist, muß es Wohl als Beweis anerkennens¬ werter Disziplin bezeichnet werden, daß dagegen keine Einsprache erhoben wurde. Im übrigen hat dieser Tage ein Staatssekretär mit Rücksicht auf das Bestehen eines jüdischen Nationalrates die Rechtslage der Juden und ihren Anspruch aus die Staatszugehörigkeit als offene Frage bezeichnet, die durch Verhandlungen mit diesem Nationalrat zu lösen sei — und so werden vielleicht, wenn diese Zeilen gedruckt werden, die Gefahren klarer zutage liegen, die aus der Stellung der Sozialdemokratie zum Judentum hervorgehen, vielleicht auch die Mittel, sie zu bannen. Auch die Tschechen scheinen gewillt, zu der Judenfrage, die mit der Gründung des Nationalstaates in Palästina ein neues Gesicht' bekommen hat, nachdrücklich Stellung zu nehmen. Die dringlichsten Fragen des neuen Staates sind die der Nationalversamm¬ lung, die Verteldigungs-, die Eruöhrungs- und die Abgrenznngsfrage, von denen die drei zuletztgenannten auf das engste miteinander zusammenhängen. Nur von ihnen soll hier die Rede sein, da die Wahlordnung und Wahlkreiseinteilung für die „Konstituante"— auch wenn man von den Problemen der künftigen Ver- heissung, welche die Wahlprogramme beeinflussen müssen, ganz absieht — eine selbständige eingehende Behandlung verlangen würde. Der Druckfehler, der auf S. 17? der Grenzboten -ans der „Nahrungs¬ mittelzusuhr uach Wien" eine „Nahrungsmittel g e f a h r" gemacht hat, trifft leider nicht nur für Wien die Tatsachen, die sich aus der Verquickung des Ver¬ sorgungsproblems mit der militärischen Schwäche Deutschösterreichs und den Ge- bieisansprüchen seiner Nachbarn ergeben. Nicht um die Nahrungssperre, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/265>, abgerufen am 24.11.2024.