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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Süddeutsche Stimmungen

unter der gleichen Dynastie gestanden hat, und daß dadurch die Assimilation der
dem Kernlande zuwachsenden, zum Teil recht fremdartigen Stücke sehr rasch und
sehr gründlich erfolgte, so ergibt sich das Bild einer einheitlichen geschichtlichen
Individualität, deren Partikularismus unter jedem Aspekt verständlich ist.

Die anderen süddeutschen Staaten find -- teils mehr, teils minder, alle aber
überwiegend -- unnatürliche Gebild!-, die der napoleonische Sturm um einen
kleinen 'Kern zusammengeblasen hat. Keiner von ihnen konnte in seinen Grenzen
vor 100 Jahren ein dynastisches. Staats- oder sonst ein Zusammengehörigkeits¬
gefühl vorzeigen: sie sind auch heute noch konfessionell und in den Dialekten in
sich selbst nichts weniger als einheitlich. Was sie trotzdem zusammenschweißte
(so fest, daß ihre ganz willkürlichen Grenzen auch die jetzige Umwälzung über¬
dauern dürfte), das waren -- eine außerordentlich lehrreiche Tatsache -- die im
Verhältnis zu ihrer deutschen Umwelt ungemein freiheitlichen Verfassungseinrich¬
tungen, mit denen sie fast unmittelbar nach ihrer Entstehung begabt wurden und
die seither in ununterbrochenem 'Fortschritt weitergeführt wurden; das liberale
"Musterländle" Baden ist ja sprichwörtlich, steht aber längst nicht allein. Ähnlich
wie wir das in Amerika sehen, floß aus diesen Zuständen ein gewisser bürger¬
licher Stolz ("ve are in a rres countr^"), floß eine- gewisse demokratische Grund¬
stimmung, nicht so sehr in den staatsrechtlichen Formen (dem weniger wichtigen),
als in der Gesinnung von Mensch zu Mensch, von Bürger zu Staat und Re¬
gierung. Wozu noch beigetragen haben mag, daß sich das ganze öffentliche Leben
im Dialekt abspielt und die Scheidung zwischen der Sprache der Herrschenden und
der Bevölkerung, wie sie im niederdeutschen Sprachgebiet die Regel bildet, dem
Süden unbekannt ist und monströs erscheint.

Die zuletzt geschilderte Entwicklung ist in Bayern gleichlaufend vor sich
gegangen; mit dieser Einheitlichkeit der Grundstimmung sind die Süddeutschen
1870 in das Reich eingetreten. Die innere Annäherung machte nach Überwindung
der ersten Schwierigkeiten zunächst rasche Fortschritte; aber etwa von Beginn des
neuen Jahrhunderts an setzte eine Gegenströmung ein, deren letzte Ursache ich in
der preußischen Wahlrechtsfrage erkennen zu müssen glaube. Das ausführlicy zu
begründen, würde zu weit führen; es sei nur darauf hingewiesen, daß im ganzen
Süden der Adel weder wirtschaftlich noch politisch eine irgendwie ins Gewicht
fallende Rolle spielt, und daß daher die ausschlaggebende Stellung des preußischen
Kleinadels in Preußen und damit im Reich, wie sie das preußische Wahlrecht
garantierte, dem Süddeutschen (auch dem Konservativen) unsympathisch war und
unwürdig vorkam, umsomehr, als sich im "Junkertum" neben vielen tüchtigen
doch auch gerade die minder-liebenswürdigen Züge des Preußentums in teilweise
recht aggressiver Weise verkörpert fanden. Daß der Instinkt des Südens, der
dies nicht den "Junkern", sondern den "Preußen" im allgemeinen zurechnete,
damit nicht so ganz im Unrecht war, beweist die Gegenwart.

Nun kam der Krieg. Soweit es sich um die Kämpfer draußen handelte-
hätte er, trotz nicht immer ganz unbedeutender Häkeleien unter den Truppen der
einzelnen Stämme, sicher letzten Endes die Einheit nur gestärkt; die entscheidenden
Fehler wurden auch in diesen Dingen in der Heimat gemacht. Die vollendete
Kopflosigkeit der militärischen Bürokratie gegenüber der Tatsache eines nicht bloß
vierteljährigen Krieges führte zu der bekannten Konzentration der Kriegswirtschaft
und vor allem der Kriegs auftrüge in Berlin; es drohte dahin zu kommen, daß
die ganze ungeheure Vermögensumwälzung, die die Kriegsgewinne mit sich
brachten, fast ausschließlich dem Norden zugute kam, während an den Menschen¬
opfern und Geldkosten der Süden ebenso trug wie der Norden. Ganz soweit tst
es ja nun nicht gekommen; ober es bedürfte langer Zeit und unendlicher und
verbitternder Kämpfe, um eine einigermaßen gerechte Verteilung der Kriegsanf-
träge herbeizuführen/ Und die Tatsache, daß so gut wie alle Witschaftszentralm
in Berlin vereinigt waren, mit allen Schwierigkeiten und Reibungen und unver¬
meidlichen Zurücksetzungen, blieb.


Süddeutsche Stimmungen

unter der gleichen Dynastie gestanden hat, und daß dadurch die Assimilation der
dem Kernlande zuwachsenden, zum Teil recht fremdartigen Stücke sehr rasch und
sehr gründlich erfolgte, so ergibt sich das Bild einer einheitlichen geschichtlichen
Individualität, deren Partikularismus unter jedem Aspekt verständlich ist.

Die anderen süddeutschen Staaten find — teils mehr, teils minder, alle aber
überwiegend — unnatürliche Gebild!-, die der napoleonische Sturm um einen
kleinen 'Kern zusammengeblasen hat. Keiner von ihnen konnte in seinen Grenzen
vor 100 Jahren ein dynastisches. Staats- oder sonst ein Zusammengehörigkeits¬
gefühl vorzeigen: sie sind auch heute noch konfessionell und in den Dialekten in
sich selbst nichts weniger als einheitlich. Was sie trotzdem zusammenschweißte
(so fest, daß ihre ganz willkürlichen Grenzen auch die jetzige Umwälzung über¬
dauern dürfte), das waren — eine außerordentlich lehrreiche Tatsache — die im
Verhältnis zu ihrer deutschen Umwelt ungemein freiheitlichen Verfassungseinrich¬
tungen, mit denen sie fast unmittelbar nach ihrer Entstehung begabt wurden und
die seither in ununterbrochenem 'Fortschritt weitergeführt wurden; das liberale
„Musterländle" Baden ist ja sprichwörtlich, steht aber längst nicht allein. Ähnlich
wie wir das in Amerika sehen, floß aus diesen Zuständen ein gewisser bürger¬
licher Stolz („ve are in a rres countr^"), floß eine- gewisse demokratische Grund¬
stimmung, nicht so sehr in den staatsrechtlichen Formen (dem weniger wichtigen),
als in der Gesinnung von Mensch zu Mensch, von Bürger zu Staat und Re¬
gierung. Wozu noch beigetragen haben mag, daß sich das ganze öffentliche Leben
im Dialekt abspielt und die Scheidung zwischen der Sprache der Herrschenden und
der Bevölkerung, wie sie im niederdeutschen Sprachgebiet die Regel bildet, dem
Süden unbekannt ist und monströs erscheint.

Die zuletzt geschilderte Entwicklung ist in Bayern gleichlaufend vor sich
gegangen; mit dieser Einheitlichkeit der Grundstimmung sind die Süddeutschen
1870 in das Reich eingetreten. Die innere Annäherung machte nach Überwindung
der ersten Schwierigkeiten zunächst rasche Fortschritte; aber etwa von Beginn des
neuen Jahrhunderts an setzte eine Gegenströmung ein, deren letzte Ursache ich in
der preußischen Wahlrechtsfrage erkennen zu müssen glaube. Das ausführlicy zu
begründen, würde zu weit führen; es sei nur darauf hingewiesen, daß im ganzen
Süden der Adel weder wirtschaftlich noch politisch eine irgendwie ins Gewicht
fallende Rolle spielt, und daß daher die ausschlaggebende Stellung des preußischen
Kleinadels in Preußen und damit im Reich, wie sie das preußische Wahlrecht
garantierte, dem Süddeutschen (auch dem Konservativen) unsympathisch war und
unwürdig vorkam, umsomehr, als sich im „Junkertum" neben vielen tüchtigen
doch auch gerade die minder-liebenswürdigen Züge des Preußentums in teilweise
recht aggressiver Weise verkörpert fanden. Daß der Instinkt des Südens, der
dies nicht den „Junkern", sondern den „Preußen" im allgemeinen zurechnete,
damit nicht so ganz im Unrecht war, beweist die Gegenwart.

Nun kam der Krieg. Soweit es sich um die Kämpfer draußen handelte-
hätte er, trotz nicht immer ganz unbedeutender Häkeleien unter den Truppen der
einzelnen Stämme, sicher letzten Endes die Einheit nur gestärkt; die entscheidenden
Fehler wurden auch in diesen Dingen in der Heimat gemacht. Die vollendete
Kopflosigkeit der militärischen Bürokratie gegenüber der Tatsache eines nicht bloß
vierteljährigen Krieges führte zu der bekannten Konzentration der Kriegswirtschaft
und vor allem der Kriegs auftrüge in Berlin; es drohte dahin zu kommen, daß
die ganze ungeheure Vermögensumwälzung, die die Kriegsgewinne mit sich
brachten, fast ausschließlich dem Norden zugute kam, während an den Menschen¬
opfern und Geldkosten der Süden ebenso trug wie der Norden. Ganz soweit tst
es ja nun nicht gekommen; ober es bedürfte langer Zeit und unendlicher und
verbitternder Kämpfe, um eine einigermaßen gerechte Verteilung der Kriegsanf-
träge herbeizuführen/ Und die Tatsache, daß so gut wie alle Witschaftszentralm
in Berlin vereinigt waren, mit allen Schwierigkeiten und Reibungen und unver¬
meidlichen Zurücksetzungen, blieb.


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[0252] Süddeutsche Stimmungen unter der gleichen Dynastie gestanden hat, und daß dadurch die Assimilation der dem Kernlande zuwachsenden, zum Teil recht fremdartigen Stücke sehr rasch und sehr gründlich erfolgte, so ergibt sich das Bild einer einheitlichen geschichtlichen Individualität, deren Partikularismus unter jedem Aspekt verständlich ist. Die anderen süddeutschen Staaten find — teils mehr, teils minder, alle aber überwiegend — unnatürliche Gebild!-, die der napoleonische Sturm um einen kleinen 'Kern zusammengeblasen hat. Keiner von ihnen konnte in seinen Grenzen vor 100 Jahren ein dynastisches. Staats- oder sonst ein Zusammengehörigkeits¬ gefühl vorzeigen: sie sind auch heute noch konfessionell und in den Dialekten in sich selbst nichts weniger als einheitlich. Was sie trotzdem zusammenschweißte (so fest, daß ihre ganz willkürlichen Grenzen auch die jetzige Umwälzung über¬ dauern dürfte), das waren — eine außerordentlich lehrreiche Tatsache — die im Verhältnis zu ihrer deutschen Umwelt ungemein freiheitlichen Verfassungseinrich¬ tungen, mit denen sie fast unmittelbar nach ihrer Entstehung begabt wurden und die seither in ununterbrochenem 'Fortschritt weitergeführt wurden; das liberale „Musterländle" Baden ist ja sprichwörtlich, steht aber längst nicht allein. Ähnlich wie wir das in Amerika sehen, floß aus diesen Zuständen ein gewisser bürger¬ licher Stolz („ve are in a rres countr^"), floß eine- gewisse demokratische Grund¬ stimmung, nicht so sehr in den staatsrechtlichen Formen (dem weniger wichtigen), als in der Gesinnung von Mensch zu Mensch, von Bürger zu Staat und Re¬ gierung. Wozu noch beigetragen haben mag, daß sich das ganze öffentliche Leben im Dialekt abspielt und die Scheidung zwischen der Sprache der Herrschenden und der Bevölkerung, wie sie im niederdeutschen Sprachgebiet die Regel bildet, dem Süden unbekannt ist und monströs erscheint. Die zuletzt geschilderte Entwicklung ist in Bayern gleichlaufend vor sich gegangen; mit dieser Einheitlichkeit der Grundstimmung sind die Süddeutschen 1870 in das Reich eingetreten. Die innere Annäherung machte nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten zunächst rasche Fortschritte; aber etwa von Beginn des neuen Jahrhunderts an setzte eine Gegenströmung ein, deren letzte Ursache ich in der preußischen Wahlrechtsfrage erkennen zu müssen glaube. Das ausführlicy zu begründen, würde zu weit führen; es sei nur darauf hingewiesen, daß im ganzen Süden der Adel weder wirtschaftlich noch politisch eine irgendwie ins Gewicht fallende Rolle spielt, und daß daher die ausschlaggebende Stellung des preußischen Kleinadels in Preußen und damit im Reich, wie sie das preußische Wahlrecht garantierte, dem Süddeutschen (auch dem Konservativen) unsympathisch war und unwürdig vorkam, umsomehr, als sich im „Junkertum" neben vielen tüchtigen doch auch gerade die minder-liebenswürdigen Züge des Preußentums in teilweise recht aggressiver Weise verkörpert fanden. Daß der Instinkt des Südens, der dies nicht den „Junkern", sondern den „Preußen" im allgemeinen zurechnete, damit nicht so ganz im Unrecht war, beweist die Gegenwart. Nun kam der Krieg. Soweit es sich um die Kämpfer draußen handelte- hätte er, trotz nicht immer ganz unbedeutender Häkeleien unter den Truppen der einzelnen Stämme, sicher letzten Endes die Einheit nur gestärkt; die entscheidenden Fehler wurden auch in diesen Dingen in der Heimat gemacht. Die vollendete Kopflosigkeit der militärischen Bürokratie gegenüber der Tatsache eines nicht bloß vierteljährigen Krieges führte zu der bekannten Konzentration der Kriegswirtschaft und vor allem der Kriegs auftrüge in Berlin; es drohte dahin zu kommen, daß die ganze ungeheure Vermögensumwälzung, die die Kriegsgewinne mit sich brachten, fast ausschließlich dem Norden zugute kam, während an den Menschen¬ opfern und Geldkosten der Süden ebenso trug wie der Norden. Ganz soweit tst es ja nun nicht gekommen; ober es bedürfte langer Zeit und unendlicher und verbitternder Kämpfe, um eine einigermaßen gerechte Verteilung der Kriegsanf- träge herbeizuführen/ Und die Tatsache, daß so gut wie alle Witschaftszentralm in Berlin vereinigt waren, mit allen Schwierigkeiten und Reibungen und unver¬ meidlichen Zurücksetzungen, blieb.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/252>, abgerufen am 22.07.2024.