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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Politik und Wissenschaft

Wir müssen zur Beantwortung jener Frage, zur Lösung jenes Problems
nun die Ergebnisse der Fachwissenschaften heranziehen, die auf dem Boden einma!
gegebener oder als gegeben angenommener Tatsachen mit den Dingen rechnen,
wie sie sind. Wir müssen bei der Gestaltung der äußeren Polili! ihre Objekt.',
die Staaten, ansehen als von den Wollungen einzelner unabänderliche, tatsäch¬
liche Wesen, die, wie sie Kjellön in seinem ebenso betitelten Buche") bezeichnete.
Lebensformen darstellen, für die ganz andere, als persönliche menschliche Willens-
einflüsse nachzuweisen sind. Der Staat ist nicht Objekt der Wollung des ein¬
zelnen zur politischen Idee, er ist vor allem Land und als solches Untersuchungs¬
objekt mit feststehenden geographischen und klimatischen Sonderheiten für die
Geopolitik, er ist damit zusammenhängend ein jeweils besonderer Ausdruck einer
eigenartigen Wirtschaft, er ist als Objekt der Ethnopolitik Volt, als Vorwurf für
die Sozialpolitik Gesellschaft und Vottsgesellschast und endlich als Rechtsträger
Niitersuchungsgegenstand der Rechts- oder Herrschaftspolitik'-).

Diese verschiedensten Seiten des Staates, die nur zum geringsten Teil dem
politischen Willen unterliegen können, der sich nach jener politischen Idee lichtet,
entziehen sich im größten Umfang jeder erkemchnskritischen. allgemeingültigen
Zielsetzung und damit den mit der Idee offenbar gefundenen Grundlagen einer
wissenschaftlich geleiteten Politik. Es liegen nun eben im Staat vor allem als
Reich und Volk eine Fülle von spezifischen Naturelementen, die als Natursaktoren
jeder kritisch gefundenen Idee und ihrer gewollten Durchsetzung spotten.¬

Aus diesen Nattirelementen der Staaten, die eben jene Hemmungen dar
stellen, entsprii ge überhaupt das Problem, das letzten Endes sich in den beiden
Schlagworten Macht- und Rechtspolitik darstellt, in seiner völligen Unlösbarkeit.
Die politische Politik, wie wir sie bezeichnen wollen, würde zur Selbstvernichtung
ihres eigenen Körpers, nämlich des "Staates und damit dessen Einzelangehörigeu,
gelangen, wenn sie unter Hintansetzung und Überhebung aller jener erdenschweren
Tatsachen, aus denen allein sich die äußeren Levensbedingungen der einzelnen
ergeben, eine Politik des Rechts, der Idee führen wollte. Dasselbe gilt zwischen
den Völkern und Staaten für die Wirtschaftspolitik, wie für die vielleicht besser
und zutreffender Zivilisationspoliiik bezeichnete Kulturpolitik im engeren Sinne
ixs Wortes. Ebenso ist im Verhältnis der Völker als Nationen, deren Taisäch-
lichreit doch nicht zu übersehen ist, die Handlungsweise der einzelnen nicht über¬
wiegend durch Vernunf!gründe, sondern einzig und allein durch Triebe, durch
Willen zur Selbsterhaltung, zum Leben, zur Macht bestimmt.

Damit ist aber nun keineswegs die völlige Ablehnung der politischen Idee
für die Handhabung der großen Politik ausgesprochen. Diese Idee wird zwar
für den Staat, der ja selbst verantwortliche Gemeinschaft für die Lebensmöglich¬
keit seiner Genossen ist, nicht Zug um Zug, wenn nicht unter Selbstmvrdgesuhr
und verantwortungsloser ideologischer Schemapolitik, durchführbar sein, kann und
soll aber wohl als hohe Richtlinie der Gedanken gelten.

"Niemals kann ein geschichtlicher Zustand diesem unbedingt richtenden Ge¬
danken voll und ohne Rest entsprechen. Aber es bildet diese Idee doch den Leit-
stern der bedingten Erfahrung"").

Dasselbe gilt in etwas verändertem Maße für die innere Politik. ,

Doch gelten hier noch einige besondere Teilartm der politischen Auswirkuug
wie bei der großen Politik Gewiß spielen hier auch wirtschaftliche und nationale
Gesichtspunkte entscheidend mit, aber die eigentliche Domäne der inneren Politik
.ist doch wesentlich das Gebiet der sozialen Politik, die selbstverständlich wiederum
beeinflußt wird durch wirtschaftliche Tatsächlichkeiten. Das leidende Objekt der
inneren Politik ist innerhalb der Gemeinschaft des Staates der einzelne Genosse
dieser Gemeinschaft. Sein persönliches Leben wird als Mittel für persönliches





n) Rudolf Kjellön, "Der Staat als Lebensform", 1917.
"-> Rudolf Kjellön. a. a. O. S. 46.
""
) Stammler "Recht und Macht S. 7.
Politik und Wissenschaft

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nun die Ergebnisse der Fachwissenschaften heranziehen, die auf dem Boden einma!
gegebener oder als gegeben angenommener Tatsachen mit den Dingen rechnen,
wie sie sind. Wir müssen bei der Gestaltung der äußeren Polili! ihre Objekt.',
die Staaten, ansehen als von den Wollungen einzelner unabänderliche, tatsäch¬
liche Wesen, die, wie sie Kjellön in seinem ebenso betitelten Buche") bezeichnete.
Lebensformen darstellen, für die ganz andere, als persönliche menschliche Willens-
einflüsse nachzuweisen sind. Der Staat ist nicht Objekt der Wollung des ein¬
zelnen zur politischen Idee, er ist vor allem Land und als solches Untersuchungs¬
objekt mit feststehenden geographischen und klimatischen Sonderheiten für die
Geopolitik, er ist damit zusammenhängend ein jeweils besonderer Ausdruck einer
eigenartigen Wirtschaft, er ist als Objekt der Ethnopolitik Volt, als Vorwurf für
die Sozialpolitik Gesellschaft und Vottsgesellschast und endlich als Rechtsträger
Niitersuchungsgegenstand der Rechts- oder Herrschaftspolitik'-).

Diese verschiedensten Seiten des Staates, die nur zum geringsten Teil dem
politischen Willen unterliegen können, der sich nach jener politischen Idee lichtet,
entziehen sich im größten Umfang jeder erkemchnskritischen. allgemeingültigen
Zielsetzung und damit den mit der Idee offenbar gefundenen Grundlagen einer
wissenschaftlich geleiteten Politik. Es liegen nun eben im Staat vor allem als
Reich und Volk eine Fülle von spezifischen Naturelementen, die als Natursaktoren
jeder kritisch gefundenen Idee und ihrer gewollten Durchsetzung spotten.¬

Aus diesen Nattirelementen der Staaten, die eben jene Hemmungen dar
stellen, entsprii ge überhaupt das Problem, das letzten Endes sich in den beiden
Schlagworten Macht- und Rechtspolitik darstellt, in seiner völligen Unlösbarkeit.
Die politische Politik, wie wir sie bezeichnen wollen, würde zur Selbstvernichtung
ihres eigenen Körpers, nämlich des «Staates und damit dessen Einzelangehörigeu,
gelangen, wenn sie unter Hintansetzung und Überhebung aller jener erdenschweren
Tatsachen, aus denen allein sich die äußeren Levensbedingungen der einzelnen
ergeben, eine Politik des Rechts, der Idee führen wollte. Dasselbe gilt zwischen
den Völkern und Staaten für die Wirtschaftspolitik, wie für die vielleicht besser
und zutreffender Zivilisationspoliiik bezeichnete Kulturpolitik im engeren Sinne
ixs Wortes. Ebenso ist im Verhältnis der Völker als Nationen, deren Taisäch-
lichreit doch nicht zu übersehen ist, die Handlungsweise der einzelnen nicht über¬
wiegend durch Vernunf!gründe, sondern einzig und allein durch Triebe, durch
Willen zur Selbsterhaltung, zum Leben, zur Macht bestimmt.

Damit ist aber nun keineswegs die völlige Ablehnung der politischen Idee
für die Handhabung der großen Politik ausgesprochen. Diese Idee wird zwar
für den Staat, der ja selbst verantwortliche Gemeinschaft für die Lebensmöglich¬
keit seiner Genossen ist, nicht Zug um Zug, wenn nicht unter Selbstmvrdgesuhr
und verantwortungsloser ideologischer Schemapolitik, durchführbar sein, kann und
soll aber wohl als hohe Richtlinie der Gedanken gelten.

„Niemals kann ein geschichtlicher Zustand diesem unbedingt richtenden Ge¬
danken voll und ohne Rest entsprechen. Aber es bildet diese Idee doch den Leit-
stern der bedingten Erfahrung"").

Dasselbe gilt in etwas verändertem Maße für die innere Politik. ,

Doch gelten hier noch einige besondere Teilartm der politischen Auswirkuug
wie bei der großen Politik Gewiß spielen hier auch wirtschaftliche und nationale
Gesichtspunkte entscheidend mit, aber die eigentliche Domäne der inneren Politik
.ist doch wesentlich das Gebiet der sozialen Politik, die selbstverständlich wiederum
beeinflußt wird durch wirtschaftliche Tatsächlichkeiten. Das leidende Objekt der
inneren Politik ist innerhalb der Gemeinschaft des Staates der einzelne Genosse
dieser Gemeinschaft. Sein persönliches Leben wird als Mittel für persönliches





n) Rudolf Kjellön, „Der Staat als Lebensform", 1917.
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[0246] Politik und Wissenschaft Wir müssen zur Beantwortung jener Frage, zur Lösung jenes Problems nun die Ergebnisse der Fachwissenschaften heranziehen, die auf dem Boden einma! gegebener oder als gegeben angenommener Tatsachen mit den Dingen rechnen, wie sie sind. Wir müssen bei der Gestaltung der äußeren Polili! ihre Objekt.', die Staaten, ansehen als von den Wollungen einzelner unabänderliche, tatsäch¬ liche Wesen, die, wie sie Kjellön in seinem ebenso betitelten Buche") bezeichnete. Lebensformen darstellen, für die ganz andere, als persönliche menschliche Willens- einflüsse nachzuweisen sind. Der Staat ist nicht Objekt der Wollung des ein¬ zelnen zur politischen Idee, er ist vor allem Land und als solches Untersuchungs¬ objekt mit feststehenden geographischen und klimatischen Sonderheiten für die Geopolitik, er ist damit zusammenhängend ein jeweils besonderer Ausdruck einer eigenartigen Wirtschaft, er ist als Objekt der Ethnopolitik Volt, als Vorwurf für die Sozialpolitik Gesellschaft und Vottsgesellschast und endlich als Rechtsträger Niitersuchungsgegenstand der Rechts- oder Herrschaftspolitik'-). Diese verschiedensten Seiten des Staates, die nur zum geringsten Teil dem politischen Willen unterliegen können, der sich nach jener politischen Idee lichtet, entziehen sich im größten Umfang jeder erkemchnskritischen. allgemeingültigen Zielsetzung und damit den mit der Idee offenbar gefundenen Grundlagen einer wissenschaftlich geleiteten Politik. Es liegen nun eben im Staat vor allem als Reich und Volk eine Fülle von spezifischen Naturelementen, die als Natursaktoren jeder kritisch gefundenen Idee und ihrer gewollten Durchsetzung spotten.¬ Aus diesen Nattirelementen der Staaten, die eben jene Hemmungen dar stellen, entsprii ge überhaupt das Problem, das letzten Endes sich in den beiden Schlagworten Macht- und Rechtspolitik darstellt, in seiner völligen Unlösbarkeit. Die politische Politik, wie wir sie bezeichnen wollen, würde zur Selbstvernichtung ihres eigenen Körpers, nämlich des «Staates und damit dessen Einzelangehörigeu, gelangen, wenn sie unter Hintansetzung und Überhebung aller jener erdenschweren Tatsachen, aus denen allein sich die äußeren Levensbedingungen der einzelnen ergeben, eine Politik des Rechts, der Idee führen wollte. Dasselbe gilt zwischen den Völkern und Staaten für die Wirtschaftspolitik, wie für die vielleicht besser und zutreffender Zivilisationspoliiik bezeichnete Kulturpolitik im engeren Sinne ixs Wortes. Ebenso ist im Verhältnis der Völker als Nationen, deren Taisäch- lichreit doch nicht zu übersehen ist, die Handlungsweise der einzelnen nicht über¬ wiegend durch Vernunf!gründe, sondern einzig und allein durch Triebe, durch Willen zur Selbsterhaltung, zum Leben, zur Macht bestimmt. Damit ist aber nun keineswegs die völlige Ablehnung der politischen Idee für die Handhabung der großen Politik ausgesprochen. Diese Idee wird zwar für den Staat, der ja selbst verantwortliche Gemeinschaft für die Lebensmöglich¬ keit seiner Genossen ist, nicht Zug um Zug, wenn nicht unter Selbstmvrdgesuhr und verantwortungsloser ideologischer Schemapolitik, durchführbar sein, kann und soll aber wohl als hohe Richtlinie der Gedanken gelten. „Niemals kann ein geschichtlicher Zustand diesem unbedingt richtenden Ge¬ danken voll und ohne Rest entsprechen. Aber es bildet diese Idee doch den Leit- stern der bedingten Erfahrung""). Dasselbe gilt in etwas verändertem Maße für die innere Politik. , Doch gelten hier noch einige besondere Teilartm der politischen Auswirkuug wie bei der großen Politik Gewiß spielen hier auch wirtschaftliche und nationale Gesichtspunkte entscheidend mit, aber die eigentliche Domäne der inneren Politik .ist doch wesentlich das Gebiet der sozialen Politik, die selbstverständlich wiederum beeinflußt wird durch wirtschaftliche Tatsächlichkeiten. Das leidende Objekt der inneren Politik ist innerhalb der Gemeinschaft des Staates der einzelne Genosse dieser Gemeinschaft. Sein persönliches Leben wird als Mittel für persönliches n) Rudolf Kjellön, „Der Staat als Lebensform", 1917. »-> Rudolf Kjellön. a. a. O. S. 46. »" ) Stammler „Recht und Macht S. 7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/246>, abgerufen am 24.11.2024.