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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Die drohende Atomisierung der Großmächte

einem Teil der Niederlage behüten, wie Frankreich oder Italien die Siegesfrüchte
wieder abnehmen. Es bestehen Anzeichen, daß der Verband diesen Gefahren gegen¬
über nicht blind ist und daß er sich daher bei der Ausführung der Bestimmungen
mäßigen wird."

Diese neutrale Betrachtung ist sehr interessant. Sie bestätigt gewisse Hoff¬
nungen, die man in den ersten Revolutionstagen in einigen deutschen Presse¬
organen fand, die man dann aber als Ausflüsse eines übertriebenen Optimismus
anzusehen geneigt war. Eine Verbrüderung der vorher feindlichen Soldaten, die
durch das holländische Blatt bestätigt wird, hat sicherlich stattgefunden; haben doch
nach der deutschen Revolution Flieger auch in französischen Schützengräben schon
rote Fahnen gesehen! Eine umfassende praktische Wirkung des Überspringens der
revolutionären Gesinnung aus die Feindesfront darf mal freilich nicht schnell er¬
warten. Bei einem siegreich vordringenden Heere sind Meutereien naturgemäß
eine Unmöglichkeit. Aber ausbleiben dürften die Folgeerscheinungen des tiefen
Eindrucks, den der deutsche Umsturz bei den französischen "Genossen" gemacht hat,
dennoch nicht auf die Dauer.

Denken wir daran, daß im Mürz und April 1917, nach der russischen Re¬
volution, auch ein der nordöstlichen Front Verbrüderungen in großem Umfange
.vorkamen, was die noch intakten deutschen Heere dennoch "nicht hinderte, später
die Schlachten bei Riga und Jakobstadt zu gewinnen, die Ösel-Expedition durch¬
zuführen und im Februar und März 1918 den Vormarsch ins Baltikum und nach
Weißrußland zu unternehmen, der zur Besetzung von Dorpat, Reval, Narwa,
Pleskau. Düuaburg Minsk usw. führte. Über IV2 Jahre währte die Inkubations¬
zeit, ehe die im Frühjahr 1917 erfolgte psychische Ansteckung zum Krankheits¬
ausbruch im deutscheu Heere führte. Im Westen mag sehr wohl eine ebenso lange
Zeit vergehen, ehe die hier im November 1918 erfolgte Infektion äußerlich er¬
kennbar wird. Vielleicht erfolgt freilich die Wirkung auch schneller, wenn das
feindliche Heer in die Heimat zurückkehrt, denn es ist zu bedenken, daß die Be¬
rührung mit dein revolutionären Deutschland aus nächster Nähe, wie sie die Be¬
setzung von Mainz, Koblenz und Köln und das voraussichtliche Auftauchen eng¬
lischer Marinetruppen in deutschen Hafenstädten mit sich bringt, notwendig eine
stark suggestive Wirkung ausüben muß. Empfänglich ist der Boden bei den uns
feindlichen Völkern seit langem für die revolutionäre Saat in einer Weise, von
der man sich keine rechte Vorstellung machen kann, wenn man nicht in der feind-
lichen Presse selbst die Entwicklung verfolgt hat und die Anzeichen sich hat häufen
sehen. Die Tatsache, daß bei den Franzosen der linke Flügel der Sozialisten
unter Longuets Führung, den der internationale Sozialismus zu einer scharfen
Gegnerschaft gegen alle imperialistischen Eroberungsziele und gegen den Kapita¬
lismus gedrängt hat, im Herbst 1918 die Mehrheit der Partei für sich gewann,
spricht nicht minder deutlich für ein auch dort heranziehendes soziales Unwetter,
wie die erschreckend schnelle Zunahme gefährlicher Streiks in England seit Sep¬
tember 1918. die derartig leichtfertig von den Arbeitnehmern heraufbeschworen
wurden, daß sie fast wie eine Provokation wirkten. Die englischen Zeitungen
klagten in allen Tonarten über die englische Haltung der Regierung, die, um die
Kriegsversorgung nicht zu gefährden, den Arbeitern alle Forderungen bewilligte
und immer neue Lohnerhöhungen bei immer kürzeren Arbeitszeiten zugestand.
Daß daraus in der einen oder anderen Weise Unheil erwachsen muß. ja, daß. man
in den letzten Monaten schon mehrfach haarscharf an schwerem Unheil noch eben
vorbeigesteuert ist, wurde in verschiedenen englischen Blättern mit allem Nachdruck
betont Noch steht in Frankreich und England kein vulkanischer Ausbruch zu er¬
warten, aber die Stimmung, die ihn vorbereitet, dürfte durch die deutsche sozia¬
listische Revolution mächtig gefördert worden sein und imZLcmfe des Jahres 1919
zu noch nicht übersehbaren, weitreichenden Folgeerscheinungen Veranlassung geben.
Der psychische Krankheitsprozeß, dem die zweiundzwanzig deutschen Dynastien
binnen wenigen Tagen sämtlich erlegen sind, hat sich in den neutralen Ländern
Holland und der Schweiz ebenfalls bereits bemerkbar gemacht, wenn auch vor-


Die drohende Atomisierung der Großmächte

einem Teil der Niederlage behüten, wie Frankreich oder Italien die Siegesfrüchte
wieder abnehmen. Es bestehen Anzeichen, daß der Verband diesen Gefahren gegen¬
über nicht blind ist und daß er sich daher bei der Ausführung der Bestimmungen
mäßigen wird."

Diese neutrale Betrachtung ist sehr interessant. Sie bestätigt gewisse Hoff¬
nungen, die man in den ersten Revolutionstagen in einigen deutschen Presse¬
organen fand, die man dann aber als Ausflüsse eines übertriebenen Optimismus
anzusehen geneigt war. Eine Verbrüderung der vorher feindlichen Soldaten, die
durch das holländische Blatt bestätigt wird, hat sicherlich stattgefunden; haben doch
nach der deutschen Revolution Flieger auch in französischen Schützengräben schon
rote Fahnen gesehen! Eine umfassende praktische Wirkung des Überspringens der
revolutionären Gesinnung aus die Feindesfront darf mal freilich nicht schnell er¬
warten. Bei einem siegreich vordringenden Heere sind Meutereien naturgemäß
eine Unmöglichkeit. Aber ausbleiben dürften die Folgeerscheinungen des tiefen
Eindrucks, den der deutsche Umsturz bei den französischen „Genossen" gemacht hat,
dennoch nicht auf die Dauer.

Denken wir daran, daß im Mürz und April 1917, nach der russischen Re¬
volution, auch ein der nordöstlichen Front Verbrüderungen in großem Umfange
.vorkamen, was die noch intakten deutschen Heere dennoch „nicht hinderte, später
die Schlachten bei Riga und Jakobstadt zu gewinnen, die Ösel-Expedition durch¬
zuführen und im Februar und März 1918 den Vormarsch ins Baltikum und nach
Weißrußland zu unternehmen, der zur Besetzung von Dorpat, Reval, Narwa,
Pleskau. Düuaburg Minsk usw. führte. Über IV2 Jahre währte die Inkubations¬
zeit, ehe die im Frühjahr 1917 erfolgte psychische Ansteckung zum Krankheits¬
ausbruch im deutscheu Heere führte. Im Westen mag sehr wohl eine ebenso lange
Zeit vergehen, ehe die hier im November 1918 erfolgte Infektion äußerlich er¬
kennbar wird. Vielleicht erfolgt freilich die Wirkung auch schneller, wenn das
feindliche Heer in die Heimat zurückkehrt, denn es ist zu bedenken, daß die Be¬
rührung mit dein revolutionären Deutschland aus nächster Nähe, wie sie die Be¬
setzung von Mainz, Koblenz und Köln und das voraussichtliche Auftauchen eng¬
lischer Marinetruppen in deutschen Hafenstädten mit sich bringt, notwendig eine
stark suggestive Wirkung ausüben muß. Empfänglich ist der Boden bei den uns
feindlichen Völkern seit langem für die revolutionäre Saat in einer Weise, von
der man sich keine rechte Vorstellung machen kann, wenn man nicht in der feind-
lichen Presse selbst die Entwicklung verfolgt hat und die Anzeichen sich hat häufen
sehen. Die Tatsache, daß bei den Franzosen der linke Flügel der Sozialisten
unter Longuets Führung, den der internationale Sozialismus zu einer scharfen
Gegnerschaft gegen alle imperialistischen Eroberungsziele und gegen den Kapita¬
lismus gedrängt hat, im Herbst 1918 die Mehrheit der Partei für sich gewann,
spricht nicht minder deutlich für ein auch dort heranziehendes soziales Unwetter,
wie die erschreckend schnelle Zunahme gefährlicher Streiks in England seit Sep¬
tember 1918. die derartig leichtfertig von den Arbeitnehmern heraufbeschworen
wurden, daß sie fast wie eine Provokation wirkten. Die englischen Zeitungen
klagten in allen Tonarten über die englische Haltung der Regierung, die, um die
Kriegsversorgung nicht zu gefährden, den Arbeitern alle Forderungen bewilligte
und immer neue Lohnerhöhungen bei immer kürzeren Arbeitszeiten zugestand.
Daß daraus in der einen oder anderen Weise Unheil erwachsen muß. ja, daß. man
in den letzten Monaten schon mehrfach haarscharf an schwerem Unheil noch eben
vorbeigesteuert ist, wurde in verschiedenen englischen Blättern mit allem Nachdruck
betont Noch steht in Frankreich und England kein vulkanischer Ausbruch zu er¬
warten, aber die Stimmung, die ihn vorbereitet, dürfte durch die deutsche sozia¬
listische Revolution mächtig gefördert worden sein und imZLcmfe des Jahres 1919
zu noch nicht übersehbaren, weitreichenden Folgeerscheinungen Veranlassung geben.
Der psychische Krankheitsprozeß, dem die zweiundzwanzig deutschen Dynastien
binnen wenigen Tagen sämtlich erlegen sind, hat sich in den neutralen Ländern
Holland und der Schweiz ebenfalls bereits bemerkbar gemacht, wenn auch vor-


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[0237] Die drohende Atomisierung der Großmächte einem Teil der Niederlage behüten, wie Frankreich oder Italien die Siegesfrüchte wieder abnehmen. Es bestehen Anzeichen, daß der Verband diesen Gefahren gegen¬ über nicht blind ist und daß er sich daher bei der Ausführung der Bestimmungen mäßigen wird." Diese neutrale Betrachtung ist sehr interessant. Sie bestätigt gewisse Hoff¬ nungen, die man in den ersten Revolutionstagen in einigen deutschen Presse¬ organen fand, die man dann aber als Ausflüsse eines übertriebenen Optimismus anzusehen geneigt war. Eine Verbrüderung der vorher feindlichen Soldaten, die durch das holländische Blatt bestätigt wird, hat sicherlich stattgefunden; haben doch nach der deutschen Revolution Flieger auch in französischen Schützengräben schon rote Fahnen gesehen! Eine umfassende praktische Wirkung des Überspringens der revolutionären Gesinnung aus die Feindesfront darf mal freilich nicht schnell er¬ warten. Bei einem siegreich vordringenden Heere sind Meutereien naturgemäß eine Unmöglichkeit. Aber ausbleiben dürften die Folgeerscheinungen des tiefen Eindrucks, den der deutsche Umsturz bei den französischen „Genossen" gemacht hat, dennoch nicht auf die Dauer. Denken wir daran, daß im Mürz und April 1917, nach der russischen Re¬ volution, auch ein der nordöstlichen Front Verbrüderungen in großem Umfange .vorkamen, was die noch intakten deutschen Heere dennoch „nicht hinderte, später die Schlachten bei Riga und Jakobstadt zu gewinnen, die Ösel-Expedition durch¬ zuführen und im Februar und März 1918 den Vormarsch ins Baltikum und nach Weißrußland zu unternehmen, der zur Besetzung von Dorpat, Reval, Narwa, Pleskau. Düuaburg Minsk usw. führte. Über IV2 Jahre währte die Inkubations¬ zeit, ehe die im Frühjahr 1917 erfolgte psychische Ansteckung zum Krankheits¬ ausbruch im deutscheu Heere führte. Im Westen mag sehr wohl eine ebenso lange Zeit vergehen, ehe die hier im November 1918 erfolgte Infektion äußerlich er¬ kennbar wird. Vielleicht erfolgt freilich die Wirkung auch schneller, wenn das feindliche Heer in die Heimat zurückkehrt, denn es ist zu bedenken, daß die Be¬ rührung mit dein revolutionären Deutschland aus nächster Nähe, wie sie die Be¬ setzung von Mainz, Koblenz und Köln und das voraussichtliche Auftauchen eng¬ lischer Marinetruppen in deutschen Hafenstädten mit sich bringt, notwendig eine stark suggestive Wirkung ausüben muß. Empfänglich ist der Boden bei den uns feindlichen Völkern seit langem für die revolutionäre Saat in einer Weise, von der man sich keine rechte Vorstellung machen kann, wenn man nicht in der feind- lichen Presse selbst die Entwicklung verfolgt hat und die Anzeichen sich hat häufen sehen. Die Tatsache, daß bei den Franzosen der linke Flügel der Sozialisten unter Longuets Führung, den der internationale Sozialismus zu einer scharfen Gegnerschaft gegen alle imperialistischen Eroberungsziele und gegen den Kapita¬ lismus gedrängt hat, im Herbst 1918 die Mehrheit der Partei für sich gewann, spricht nicht minder deutlich für ein auch dort heranziehendes soziales Unwetter, wie die erschreckend schnelle Zunahme gefährlicher Streiks in England seit Sep¬ tember 1918. die derartig leichtfertig von den Arbeitnehmern heraufbeschworen wurden, daß sie fast wie eine Provokation wirkten. Die englischen Zeitungen klagten in allen Tonarten über die englische Haltung der Regierung, die, um die Kriegsversorgung nicht zu gefährden, den Arbeitern alle Forderungen bewilligte und immer neue Lohnerhöhungen bei immer kürzeren Arbeitszeiten zugestand. Daß daraus in der einen oder anderen Weise Unheil erwachsen muß. ja, daß. man in den letzten Monaten schon mehrfach haarscharf an schwerem Unheil noch eben vorbeigesteuert ist, wurde in verschiedenen englischen Blättern mit allem Nachdruck betont Noch steht in Frankreich und England kein vulkanischer Ausbruch zu er¬ warten, aber die Stimmung, die ihn vorbereitet, dürfte durch die deutsche sozia¬ listische Revolution mächtig gefördert worden sein und imZLcmfe des Jahres 1919 zu noch nicht übersehbaren, weitreichenden Folgeerscheinungen Veranlassung geben. Der psychische Krankheitsprozeß, dem die zweiundzwanzig deutschen Dynastien binnen wenigen Tagen sämtlich erlegen sind, hat sich in den neutralen Ländern Holland und der Schweiz ebenfalls bereits bemerkbar gemacht, wenn auch vor-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/237>, abgerufen am 23.07.2024.