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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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^'i'ehrt die heutige demokratische Bewegung zum Einheitsstaat

"918 betonten mehrere Soldaten, sie wollten den preußischen Radikalismus nicht
nach Baden verpflanzt wissen. Am Tage vorher hatte der Abgeordnete von
Schulze--Gävernitz in Mannheim in einer Versammlung der fortschrittlichen
Polkspartei erklärt: "Wenn in Berlin wirklich die bolschewistische Strömung
siege, dann müsse man sich besinnen, daß die Reichshauptstadt noch lange nicht
das Reich sei. Süddeutschland würde sich nicht von einem Berlin der Spartakus¬
gruppe, falls diese dort wirklich die Herrschaft an sich reißen könnte, zerrütten
lassen. Man müsse in diesem Fall die Reichshauptstadt etwa nach München ver¬
legen." Am 19. November äußerte in einer Freiburger Volksversammlung der
Sprecher des Soldatenrats Dr. Kraus: "Nichtbadische Elemente suche man im
Freiburger Soldatenrat nach Möglichkeit auszuschalten; auf jeden Fall mache
man die Berlinerei nicht mit." Ungefähr gleichzeitig schrieb die "Karlsrither
Zeitung", das offiziöse Blatt auch der neuen badischen Regierung, nachdem sie
darauf hingewiesen, daß sich in der letzten Zeit Partlkularistische Strömungen mit
außerordentlicher Kraft in den Vordergrund drängten: "Die erdrückende Mehr¬
heit der badische" Bevölkerung empfindet föderalistisch, bundesstaatlich; bei aller
Hingabe an das große, gemeinsame Vaterland lehnt sie den Einheitsftaatsge-
danken ab." Am 20. November erklärte der neue badische Minister des Aeußern,
Dietrich, in einer nationalliberalen Versammlung in Karlsruhe: "Wir wider¬
streben allen Absichten, die darauf ausgehen, aus Teutschland einen Einheits¬
staat zu machen. Die glückliche Entwicklung des Reiches beruht auf den kraftvolle"
Bundesstaaten, und darum .wollen wir Äadener uns wehren gegen fremde Ele¬
mente, die unsere Wesensart nicht kennen und die sich in unsere Angelegenheiten
einmischen und sich anmaßen uns zu kommandieren. Wir wollen die Ordnung
unserer Angelegenheiten selbst besorgen." (Stürmischer Beifall.)

Es sei sogleich darauf hingewiesen, daß man in Süddeutschland den nord¬
deutschen, berlinischen Radikalismus nicht bloß mit Worten, sondern auch mit
der Tat ablehnt: in Bayern, Württemberg und Baden sitzen neben Sozial¬
demokraten auch bürgerliche Vertreter, im Gegensatz zu Berlin.

Wer hätte gedacht, daß dieselben Kreise, die noch eben erst Preußen als
reaktionär, als die süddeutsche Demokratie bedrohend angeklagt hatten, so schnell
zu der Meinung gelangen würden, daß Preußen um seines demokratischen Radi¬
kalismus willen abgelehnt werden müsse! Der Abgeordnete von Schulze-Gäver¬
nitz war einer der eifrigsten Ankläger des "preußischen Junkerregiments". Er hatte
noch vor ganz kurzem seine lebhafte Freude darüber ausgesprochen, daß Preußen
unter die Leitung von Süddeutschen -- Erzberger, Payer, Grober, Haußmann --
gelangt sei. Aber diese Herrschaft der Süddeutschen in Berlin war nur eine
Eintagshcrrschaft; sie hat nur gerade dazu gedient, den Übergang zur Herrschaft
der Sozialdemokratie, unter Ausschluß aller bürgerliche" Gruppen, zu erleichtern.
Im Laufe weniger Tage hat sich Abgeordneter von Schulze-Gävernitz genötigt
gesehen, seine Freunde in eine Klage über die Bedrohung Süddeutschlands durch
das radikale "Berlinerin"! umzusetzen. Und er geht nun soweit, daß er gegebenen¬
falls die deutsche Hauptstadt von Berlin nach München wegverlegen will. Die
angebliche Bedrohung Süddeutschlands durch das "preußische Iunkerregiment"
ist nie einem Süddeutschen so gefahrvoll erschienen, daß er deshalb die Verlegung
der Reichshauptstadt nach Süddeutschland vorgeschlagen hätte. Wenn der Abge¬
ordnete von Schulze-Gävernitz eine solche Verlegung nur für den Fall des Sieges
der Spartakusgruppe in Aussicht nimmt, so sieht man doch aus den angeführten
Äußerungen, daß ein allgemeiner Gegensatz gegen die norddeutsche Sozialdemo--
kratie in Süddeutschland'vorhanden ist.

Der badische Minister des Äußern Dietrich, vorher Oberbürgermeister in
Konstanz, ist ein Maler von ausgeprägt nationaler Gesinnung. Ihm liegt ganz
gewiß eigentlicher Partikularismus fern. Aber die Entwicklung in Norddeutsch¬
land erscheint ihn: so bedrohlich, daß er empfiehlt, Baden solle seine Verhältnisse
selbst ordnen, mit Ausschluß "fremder Elemente."

Es fehlt freilich auch in Süddeutschland nicht an Äußerungen des Radika¬
lismus. In eine"! Jndnstrieort wie Mannheim zum Beispiel beobachten wir


^'i'ehrt die heutige demokratische Bewegung zum Einheitsstaat

»918 betonten mehrere Soldaten, sie wollten den preußischen Radikalismus nicht
nach Baden verpflanzt wissen. Am Tage vorher hatte der Abgeordnete von
Schulze--Gävernitz in Mannheim in einer Versammlung der fortschrittlichen
Polkspartei erklärt: „Wenn in Berlin wirklich die bolschewistische Strömung
siege, dann müsse man sich besinnen, daß die Reichshauptstadt noch lange nicht
das Reich sei. Süddeutschland würde sich nicht von einem Berlin der Spartakus¬
gruppe, falls diese dort wirklich die Herrschaft an sich reißen könnte, zerrütten
lassen. Man müsse in diesem Fall die Reichshauptstadt etwa nach München ver¬
legen." Am 19. November äußerte in einer Freiburger Volksversammlung der
Sprecher des Soldatenrats Dr. Kraus: „Nichtbadische Elemente suche man im
Freiburger Soldatenrat nach Möglichkeit auszuschalten; auf jeden Fall mache
man die Berlinerei nicht mit." Ungefähr gleichzeitig schrieb die „Karlsrither
Zeitung", das offiziöse Blatt auch der neuen badischen Regierung, nachdem sie
darauf hingewiesen, daß sich in der letzten Zeit Partlkularistische Strömungen mit
außerordentlicher Kraft in den Vordergrund drängten: „Die erdrückende Mehr¬
heit der badische» Bevölkerung empfindet föderalistisch, bundesstaatlich; bei aller
Hingabe an das große, gemeinsame Vaterland lehnt sie den Einheitsftaatsge-
danken ab." Am 20. November erklärte der neue badische Minister des Aeußern,
Dietrich, in einer nationalliberalen Versammlung in Karlsruhe: „Wir wider¬
streben allen Absichten, die darauf ausgehen, aus Teutschland einen Einheits¬
staat zu machen. Die glückliche Entwicklung des Reiches beruht auf den kraftvolle»
Bundesstaaten, und darum .wollen wir Äadener uns wehren gegen fremde Ele¬
mente, die unsere Wesensart nicht kennen und die sich in unsere Angelegenheiten
einmischen und sich anmaßen uns zu kommandieren. Wir wollen die Ordnung
unserer Angelegenheiten selbst besorgen." (Stürmischer Beifall.)

Es sei sogleich darauf hingewiesen, daß man in Süddeutschland den nord¬
deutschen, berlinischen Radikalismus nicht bloß mit Worten, sondern auch mit
der Tat ablehnt: in Bayern, Württemberg und Baden sitzen neben Sozial¬
demokraten auch bürgerliche Vertreter, im Gegensatz zu Berlin.

Wer hätte gedacht, daß dieselben Kreise, die noch eben erst Preußen als
reaktionär, als die süddeutsche Demokratie bedrohend angeklagt hatten, so schnell
zu der Meinung gelangen würden, daß Preußen um seines demokratischen Radi¬
kalismus willen abgelehnt werden müsse! Der Abgeordnete von Schulze-Gäver¬
nitz war einer der eifrigsten Ankläger des „preußischen Junkerregiments". Er hatte
noch vor ganz kurzem seine lebhafte Freude darüber ausgesprochen, daß Preußen
unter die Leitung von Süddeutschen — Erzberger, Payer, Grober, Haußmann —
gelangt sei. Aber diese Herrschaft der Süddeutschen in Berlin war nur eine
Eintagshcrrschaft; sie hat nur gerade dazu gedient, den Übergang zur Herrschaft
der Sozialdemokratie, unter Ausschluß aller bürgerliche» Gruppen, zu erleichtern.
Im Laufe weniger Tage hat sich Abgeordneter von Schulze-Gävernitz genötigt
gesehen, seine Freunde in eine Klage über die Bedrohung Süddeutschlands durch
das radikale «Berlinerin»! umzusetzen. Und er geht nun soweit, daß er gegebenen¬
falls die deutsche Hauptstadt von Berlin nach München wegverlegen will. Die
angebliche Bedrohung Süddeutschlands durch das „preußische Iunkerregiment"
ist nie einem Süddeutschen so gefahrvoll erschienen, daß er deshalb die Verlegung
der Reichshauptstadt nach Süddeutschland vorgeschlagen hätte. Wenn der Abge¬
ordnete von Schulze-Gävernitz eine solche Verlegung nur für den Fall des Sieges
der Spartakusgruppe in Aussicht nimmt, so sieht man doch aus den angeführten
Äußerungen, daß ein allgemeiner Gegensatz gegen die norddeutsche Sozialdemo--
kratie in Süddeutschland'vorhanden ist.

Der badische Minister des Äußern Dietrich, vorher Oberbürgermeister in
Konstanz, ist ein Maler von ausgeprägt nationaler Gesinnung. Ihm liegt ganz
gewiß eigentlicher Partikularismus fern. Aber die Entwicklung in Norddeutsch¬
land erscheint ihn: so bedrohlich, daß er empfiehlt, Baden solle seine Verhältnisse
selbst ordnen, mit Ausschluß „fremder Elemente."

Es fehlt freilich auch in Süddeutschland nicht an Äußerungen des Radika¬
lismus. In eine»! Jndnstrieort wie Mannheim zum Beispiel beobachten wir


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[0234] ^'i'ehrt die heutige demokratische Bewegung zum Einheitsstaat »918 betonten mehrere Soldaten, sie wollten den preußischen Radikalismus nicht nach Baden verpflanzt wissen. Am Tage vorher hatte der Abgeordnete von Schulze--Gävernitz in Mannheim in einer Versammlung der fortschrittlichen Polkspartei erklärt: „Wenn in Berlin wirklich die bolschewistische Strömung siege, dann müsse man sich besinnen, daß die Reichshauptstadt noch lange nicht das Reich sei. Süddeutschland würde sich nicht von einem Berlin der Spartakus¬ gruppe, falls diese dort wirklich die Herrschaft an sich reißen könnte, zerrütten lassen. Man müsse in diesem Fall die Reichshauptstadt etwa nach München ver¬ legen." Am 19. November äußerte in einer Freiburger Volksversammlung der Sprecher des Soldatenrats Dr. Kraus: „Nichtbadische Elemente suche man im Freiburger Soldatenrat nach Möglichkeit auszuschalten; auf jeden Fall mache man die Berlinerei nicht mit." Ungefähr gleichzeitig schrieb die „Karlsrither Zeitung", das offiziöse Blatt auch der neuen badischen Regierung, nachdem sie darauf hingewiesen, daß sich in der letzten Zeit Partlkularistische Strömungen mit außerordentlicher Kraft in den Vordergrund drängten: „Die erdrückende Mehr¬ heit der badische» Bevölkerung empfindet föderalistisch, bundesstaatlich; bei aller Hingabe an das große, gemeinsame Vaterland lehnt sie den Einheitsftaatsge- danken ab." Am 20. November erklärte der neue badische Minister des Aeußern, Dietrich, in einer nationalliberalen Versammlung in Karlsruhe: „Wir wider¬ streben allen Absichten, die darauf ausgehen, aus Teutschland einen Einheits¬ staat zu machen. Die glückliche Entwicklung des Reiches beruht auf den kraftvolle» Bundesstaaten, und darum .wollen wir Äadener uns wehren gegen fremde Ele¬ mente, die unsere Wesensart nicht kennen und die sich in unsere Angelegenheiten einmischen und sich anmaßen uns zu kommandieren. Wir wollen die Ordnung unserer Angelegenheiten selbst besorgen." (Stürmischer Beifall.) Es sei sogleich darauf hingewiesen, daß man in Süddeutschland den nord¬ deutschen, berlinischen Radikalismus nicht bloß mit Worten, sondern auch mit der Tat ablehnt: in Bayern, Württemberg und Baden sitzen neben Sozial¬ demokraten auch bürgerliche Vertreter, im Gegensatz zu Berlin. Wer hätte gedacht, daß dieselben Kreise, die noch eben erst Preußen als reaktionär, als die süddeutsche Demokratie bedrohend angeklagt hatten, so schnell zu der Meinung gelangen würden, daß Preußen um seines demokratischen Radi¬ kalismus willen abgelehnt werden müsse! Der Abgeordnete von Schulze-Gäver¬ nitz war einer der eifrigsten Ankläger des „preußischen Junkerregiments". Er hatte noch vor ganz kurzem seine lebhafte Freude darüber ausgesprochen, daß Preußen unter die Leitung von Süddeutschen — Erzberger, Payer, Grober, Haußmann — gelangt sei. Aber diese Herrschaft der Süddeutschen in Berlin war nur eine Eintagshcrrschaft; sie hat nur gerade dazu gedient, den Übergang zur Herrschaft der Sozialdemokratie, unter Ausschluß aller bürgerliche» Gruppen, zu erleichtern. Im Laufe weniger Tage hat sich Abgeordneter von Schulze-Gävernitz genötigt gesehen, seine Freunde in eine Klage über die Bedrohung Süddeutschlands durch das radikale «Berlinerin»! umzusetzen. Und er geht nun soweit, daß er gegebenen¬ falls die deutsche Hauptstadt von Berlin nach München wegverlegen will. Die angebliche Bedrohung Süddeutschlands durch das „preußische Iunkerregiment" ist nie einem Süddeutschen so gefahrvoll erschienen, daß er deshalb die Verlegung der Reichshauptstadt nach Süddeutschland vorgeschlagen hätte. Wenn der Abge¬ ordnete von Schulze-Gävernitz eine solche Verlegung nur für den Fall des Sieges der Spartakusgruppe in Aussicht nimmt, so sieht man doch aus den angeführten Äußerungen, daß ein allgemeiner Gegensatz gegen die norddeutsche Sozialdemo-- kratie in Süddeutschland'vorhanden ist. Der badische Minister des Äußern Dietrich, vorher Oberbürgermeister in Konstanz, ist ein Maler von ausgeprägt nationaler Gesinnung. Ihm liegt ganz gewiß eigentlicher Partikularismus fern. Aber die Entwicklung in Norddeutsch¬ land erscheint ihn: so bedrohlich, daß er empfiehlt, Baden solle seine Verhältnisse selbst ordnen, mit Ausschluß „fremder Elemente." Es fehlt freilich auch in Süddeutschland nicht an Äußerungen des Radika¬ lismus. In eine»! Jndnstrieort wie Mannheim zum Beispiel beobachten wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/234>, abgerufen am 24.11.2024.