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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Führt die heutige
demokratische Bewegung zum Einheitsstaat oder zu
einer Verstärkung des Partikularismus?
Dr. G. von Below von profossor

n meinem "Parlamentarischen Wahlrecht" habe ich dargelegt, wel¬
chen großen Dienst das Preußische Abgeordnetenhaus der Politik
Bismarcks, besonders seit 1879, geleistet hat. Es hat eine wahr¬
haft deutsche Reichspolitik gestützt und zugleich das Eigenleben der
deutschen Einzelstaaten gesichert. Es ist zwar oft behauptet worden,
das "preußische Junkerregiment" beeinträchtige und bedrohe
Smzelstäaten, besonders die süddeutschen. Tatsächlich sind sie jedoch
durch den preußischen Landtag gar nicht gestört worden. Ich wies darauf hin,
daß eine Gefahr ihnen vielmehr von einem radikal demokratisierten preußischen
Landtag drohe: die Gefahr der Beherrschung durch einen norddeutschen, ber¬
linischen großstädtischen Radikalismus. Als ich im Jahre 1917 in meinen
"Kriegs- und Friedensfragen" die Wahlrechtsfragen besprach, konnte ich die,
weitgehende Zustimmung feststellen, die meine Darstellung in den Kreisen der
Historiker und Juristen gefunden hatte. Ein namhafter Historiker stimmte mir
vollkommen darin bei, daß das preußische nichtdemokvatische Abgeordnetenhaus
der Politik Bismarcks in der erwähnten Zeit die wertvollsten Dienste gelei'
habe, daß ohne es eine wahrhaft deutsche Politik damals nicht möglich gewe
wäre. Aber er meinte, gegenwärtig könne man ohne Bedenken die Radikali
rung des preußischen Wahlrechts vornehmen.tet
en
le-

Wie verhalten sich die Dinge heute? Mit einer Schnelligkeit, wie ich sie
nicht im entferntesten geahnt, ist meine Prophezeiung eingetroffen. Die Radika¬
lisierung Norddeutschlands hat sofort die stärkste Wirkung auf die süddeutschen
Einzelstaaten ausgeübt. Von Norddeutschland, von preußischen industriellen
Hauptpunkten ging die neue radikale Bewegung aus. Schon ehe die bürgerlichen
Gruppen ganz an die Wand gedrückt wurden, merkte man den Einfluß des demo¬
kratisierten Norddeutschland auf Süddeutschland: die Parlamentarisierung, die
in Berlin vorgenommen Wurde, weckte schnell in Süddeutschland den Reiz zur
Nachahmung. Aber ehe noch diesem Anreiz hier in der Praxis stattgegeben worden
war, war man in Berlin vom Parlamentarismus zur einfachen sozialistischen
Herrschaft übergegangen, und sofort sprangen diese Gelüste nach Süddeutschland
über. Hier jedoch erkannte man jetzt auch sogleich die Gefahr, die der nord¬
deutsche Radikalismus den siiddeutschen Staaten bringt. Ich führe einige bezeich-
nende Äußerungen aus Süddeutschland, die in der jüngsten Zeit gefallen
find, an. In einer Versammlung des Freiburger Soldatenvats am 13. November


Grenzboten IV 1918 19


Führt die heutige
demokratische Bewegung zum Einheitsstaat oder zu
einer Verstärkung des Partikularismus?
Dr. G. von Below von profossor

n meinem „Parlamentarischen Wahlrecht" habe ich dargelegt, wel¬
chen großen Dienst das Preußische Abgeordnetenhaus der Politik
Bismarcks, besonders seit 1879, geleistet hat. Es hat eine wahr¬
haft deutsche Reichspolitik gestützt und zugleich das Eigenleben der
deutschen Einzelstaaten gesichert. Es ist zwar oft behauptet worden,
das „preußische Junkerregiment" beeinträchtige und bedrohe
Smzelstäaten, besonders die süddeutschen. Tatsächlich sind sie jedoch
durch den preußischen Landtag gar nicht gestört worden. Ich wies darauf hin,
daß eine Gefahr ihnen vielmehr von einem radikal demokratisierten preußischen
Landtag drohe: die Gefahr der Beherrschung durch einen norddeutschen, ber¬
linischen großstädtischen Radikalismus. Als ich im Jahre 1917 in meinen
„Kriegs- und Friedensfragen" die Wahlrechtsfragen besprach, konnte ich die,
weitgehende Zustimmung feststellen, die meine Darstellung in den Kreisen der
Historiker und Juristen gefunden hatte. Ein namhafter Historiker stimmte mir
vollkommen darin bei, daß das preußische nichtdemokvatische Abgeordnetenhaus
der Politik Bismarcks in der erwähnten Zeit die wertvollsten Dienste gelei'
habe, daß ohne es eine wahrhaft deutsche Politik damals nicht möglich gewe
wäre. Aber er meinte, gegenwärtig könne man ohne Bedenken die Radikali
rung des preußischen Wahlrechts vornehmen.tet
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Wie verhalten sich die Dinge heute? Mit einer Schnelligkeit, wie ich sie
nicht im entferntesten geahnt, ist meine Prophezeiung eingetroffen. Die Radika¬
lisierung Norddeutschlands hat sofort die stärkste Wirkung auf die süddeutschen
Einzelstaaten ausgeübt. Von Norddeutschland, von preußischen industriellen
Hauptpunkten ging die neue radikale Bewegung aus. Schon ehe die bürgerlichen
Gruppen ganz an die Wand gedrückt wurden, merkte man den Einfluß des demo¬
kratisierten Norddeutschland auf Süddeutschland: die Parlamentarisierung, die
in Berlin vorgenommen Wurde, weckte schnell in Süddeutschland den Reiz zur
Nachahmung. Aber ehe noch diesem Anreiz hier in der Praxis stattgegeben worden
war, war man in Berlin vom Parlamentarismus zur einfachen sozialistischen
Herrschaft übergegangen, und sofort sprangen diese Gelüste nach Süddeutschland
über. Hier jedoch erkannte man jetzt auch sogleich die Gefahr, die der nord¬
deutsche Radikalismus den siiddeutschen Staaten bringt. Ich führe einige bezeich-
nende Äußerungen aus Süddeutschland, die in der jüngsten Zeit gefallen
find, an. In einer Versammlung des Freiburger Soldatenvats am 13. November


Grenzboten IV 1918 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/233>, abgerufen am 22.07.2024.