Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lage in Elsaß-Lothringen

Einer der Haupteinwände ist in Molsässischen Kreisen die Altdeutschen^
frage. Die Unbeliebtheit des "Schwob", des eingewanderten Altdeutschen, hat
sich durch die Kriegsjahre für das elsässische Gefühl bis zur Unerträglichkeit ge-
steigert. Die Ausstoßung dieses völkischen Fremdkörpers ist unbekümmert um
die wirtschaftliche Schädigung des Landes heute rein gefühlsmäßig für die ein¬
geborene Bevölkerung die beherrschende Sorge. Sie befürchtet aber, daß bei einer
Neutralisierung alles beim alten und die ganze Einwandererschicht im Lande
bleiben könnte. Durch ein freiwilliges und planmäßiges Zurückziehen der alt¬
deutschen Beamtenschaft, deren Unterbringung und Sicherstellung überhaupt eine
Ehrenpflicht des deutschen Volkes ist und rechtzeitig mit Umsicht in die Hand
genommen werden sollte, könnten wir dem Neutralitätsgedanken entschiedenen
Vorschub leisten. Einstweilen merkt man im Reichsland von einer zielbewußter
deutschen Politik über die nächsten drei Schritte hinaus natürlich nichts. Mit
großem Geschick streut dagegen der Franzose seine Gerüchte aus und bläst mit
bestem Erfolg die Rattenfängerflöte. Man weiß im Elsaß ganz genau, daß in
Belfort bereits Lebensmittel lagern, um sofort ins Land geworfen zu werden.
Der liebe Pöbel glaubt sogar daran, daß jedem Elsässer von den Franzosen
100 Liter Wein als Morgengabe beim Einmarsch dediziert werden sollen. Den
Klerus, die entscheidende Macht, sucht Frankreich zu gewinnen, indem es auf
Trennung von Kirche und Staat vorerst verzichten will. Auch Erleichterung
der Kriegssteuern wird in Aussicht gestellt. Die Personalsvagen gelten schon als
ganz erledigt. Der ehemalige Berliner Botschafter Cambon soll zum Minister¬
residenten ausersehen sein. Auch für andere Posten werden Namen, zum Teil
bekannter Altelsässer, genannt. Man weiß ferner, daß in Frankreich zwei Rich¬
tungen einander gegenüberstehen, eine schärfere, die bezeichnenderweise durch
Wetterls und Blumenthal vertreten ist und die sich für eine radikale Aufteilung
in Departements und glatte Einverleibung in Frankreich einsetzt, und eine
mildere, die dem Lande weitgehende Autonomie innerhalb Frankreichs gewähren
will. Der letztere Standpunkt soll gegenwärtig die Oberhand haben.

So schwirrt es im Lande von Gerüchten, mit denen geschickt sür die fran¬
zösische Orientierung geworben wird. Die rührige franzosenfreundliche Clique
der Bourgeoisie rüstet sich fieberhaft auf den Empfang der Besatzungstruppen.
Alles näht dort Trikoloren und Elsässer Trachten, in denen die Ehrenjungfrauen
den Poltus entgogenziehen wollen. Den sehr zahlreichen Gegnern dieser fran¬
zösischen Orientierung sind dagegen die Hände gebunden. Die deutsche Zensur
erlaubt ja nicht einmal das offene Eintreten für die Neutralität. Und niemand
weiß, ob ihm jenseits des Rheines ein Asyl offen steht, wenn er mit einer anti-
französifchen Politik in seiner Heimat gescheitert sein sollte.

Wenn diese Zeilen an die Öffentlichkeit kommen, dürfte es bereits ent-
schieden sein, ob französische oder neutrale Truppen das Land bis zur endgültigen
Entscheidung seines Schicksals besetzen werden. Sollten die Franzosen einrücken,
so ist damit jede Agitation auch nur sür den Neutralitätsgedanken innerhalb des
Landes selber erstickt. Und es kann von uns nur den Anhängern der deutschen
Orientierung eine Agitation von außerhalb, den Verfechtern des Neutralitäts¬
gedankens insbesondere eine Propaganda im neutralen Auslande ermöglicht
werden. Daß diese Stimmen der Gegner der Französieruug, die breite Volks¬
massen hinter sich haben, auch dann recht laut zu Worte kommen, wenn heute
wenig Aussicht auf Verwirklichung ihrer Ideen bestehen sollte, daran hat
Deutschland ein vitales Interesse. Die gewaltsame Einverleibung Elsaß-Loth¬
ringens in Frankreich ist eine Lösung der elsaß-lothringischen Frage, der wir uns
vielleicht notgedrungen fügen müßten, die wir aber nie und nimmer als end¬
gültig ansehen könnten. Und es ist daher sehr wünschenswert, daß es dem
Präsidenten Wilson durch Elsässer und Lothringer selber recht unverblümt zum
Bewußtsein gebracht wird, daß er durch Billigung einer solchen Lösung diesen
Konfliktstosf Europas und damit der Welt nicht beseitigt. Der junge Völkerbund
wird alsdann die elsaß-lothringische Frage niemals von seiner Tagesordnung
verschwinden sehen. Und die historisch belegbar" Tatsache, daß Frankreich zwar


Die Lage in Elsaß-Lothringen

Einer der Haupteinwände ist in Molsässischen Kreisen die Altdeutschen^
frage. Die Unbeliebtheit des „Schwob", des eingewanderten Altdeutschen, hat
sich durch die Kriegsjahre für das elsässische Gefühl bis zur Unerträglichkeit ge-
steigert. Die Ausstoßung dieses völkischen Fremdkörpers ist unbekümmert um
die wirtschaftliche Schädigung des Landes heute rein gefühlsmäßig für die ein¬
geborene Bevölkerung die beherrschende Sorge. Sie befürchtet aber, daß bei einer
Neutralisierung alles beim alten und die ganze Einwandererschicht im Lande
bleiben könnte. Durch ein freiwilliges und planmäßiges Zurückziehen der alt¬
deutschen Beamtenschaft, deren Unterbringung und Sicherstellung überhaupt eine
Ehrenpflicht des deutschen Volkes ist und rechtzeitig mit Umsicht in die Hand
genommen werden sollte, könnten wir dem Neutralitätsgedanken entschiedenen
Vorschub leisten. Einstweilen merkt man im Reichsland von einer zielbewußter
deutschen Politik über die nächsten drei Schritte hinaus natürlich nichts. Mit
großem Geschick streut dagegen der Franzose seine Gerüchte aus und bläst mit
bestem Erfolg die Rattenfängerflöte. Man weiß im Elsaß ganz genau, daß in
Belfort bereits Lebensmittel lagern, um sofort ins Land geworfen zu werden.
Der liebe Pöbel glaubt sogar daran, daß jedem Elsässer von den Franzosen
100 Liter Wein als Morgengabe beim Einmarsch dediziert werden sollen. Den
Klerus, die entscheidende Macht, sucht Frankreich zu gewinnen, indem es auf
Trennung von Kirche und Staat vorerst verzichten will. Auch Erleichterung
der Kriegssteuern wird in Aussicht gestellt. Die Personalsvagen gelten schon als
ganz erledigt. Der ehemalige Berliner Botschafter Cambon soll zum Minister¬
residenten ausersehen sein. Auch für andere Posten werden Namen, zum Teil
bekannter Altelsässer, genannt. Man weiß ferner, daß in Frankreich zwei Rich¬
tungen einander gegenüberstehen, eine schärfere, die bezeichnenderweise durch
Wetterls und Blumenthal vertreten ist und die sich für eine radikale Aufteilung
in Departements und glatte Einverleibung in Frankreich einsetzt, und eine
mildere, die dem Lande weitgehende Autonomie innerhalb Frankreichs gewähren
will. Der letztere Standpunkt soll gegenwärtig die Oberhand haben.

So schwirrt es im Lande von Gerüchten, mit denen geschickt sür die fran¬
zösische Orientierung geworben wird. Die rührige franzosenfreundliche Clique
der Bourgeoisie rüstet sich fieberhaft auf den Empfang der Besatzungstruppen.
Alles näht dort Trikoloren und Elsässer Trachten, in denen die Ehrenjungfrauen
den Poltus entgogenziehen wollen. Den sehr zahlreichen Gegnern dieser fran¬
zösischen Orientierung sind dagegen die Hände gebunden. Die deutsche Zensur
erlaubt ja nicht einmal das offene Eintreten für die Neutralität. Und niemand
weiß, ob ihm jenseits des Rheines ein Asyl offen steht, wenn er mit einer anti-
französifchen Politik in seiner Heimat gescheitert sein sollte.

Wenn diese Zeilen an die Öffentlichkeit kommen, dürfte es bereits ent-
schieden sein, ob französische oder neutrale Truppen das Land bis zur endgültigen
Entscheidung seines Schicksals besetzen werden. Sollten die Franzosen einrücken,
so ist damit jede Agitation auch nur sür den Neutralitätsgedanken innerhalb des
Landes selber erstickt. Und es kann von uns nur den Anhängern der deutschen
Orientierung eine Agitation von außerhalb, den Verfechtern des Neutralitäts¬
gedankens insbesondere eine Propaganda im neutralen Auslande ermöglicht
werden. Daß diese Stimmen der Gegner der Französieruug, die breite Volks¬
massen hinter sich haben, auch dann recht laut zu Worte kommen, wenn heute
wenig Aussicht auf Verwirklichung ihrer Ideen bestehen sollte, daran hat
Deutschland ein vitales Interesse. Die gewaltsame Einverleibung Elsaß-Loth¬
ringens in Frankreich ist eine Lösung der elsaß-lothringischen Frage, der wir uns
vielleicht notgedrungen fügen müßten, die wir aber nie und nimmer als end¬
gültig ansehen könnten. Und es ist daher sehr wünschenswert, daß es dem
Präsidenten Wilson durch Elsässer und Lothringer selber recht unverblümt zum
Bewußtsein gebracht wird, daß er durch Billigung einer solchen Lösung diesen
Konfliktstosf Europas und damit der Welt nicht beseitigt. Der junge Völkerbund
wird alsdann die elsaß-lothringische Frage niemals von seiner Tagesordnung
verschwinden sehen. Und die historisch belegbar« Tatsache, daß Frankreich zwar


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88418"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lage in Elsaß-Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_752"> Einer der Haupteinwände ist in Molsässischen Kreisen die Altdeutschen^<lb/>
frage. Die Unbeliebtheit des &#x201E;Schwob", des eingewanderten Altdeutschen, hat<lb/>
sich durch die Kriegsjahre für das elsässische Gefühl bis zur Unerträglichkeit ge-<lb/>
steigert. Die Ausstoßung dieses völkischen Fremdkörpers ist unbekümmert um<lb/>
die wirtschaftliche Schädigung des Landes heute rein gefühlsmäßig für die ein¬<lb/>
geborene Bevölkerung die beherrschende Sorge. Sie befürchtet aber, daß bei einer<lb/>
Neutralisierung alles beim alten und die ganze Einwandererschicht im Lande<lb/>
bleiben könnte. Durch ein freiwilliges und planmäßiges Zurückziehen der alt¬<lb/>
deutschen Beamtenschaft, deren Unterbringung und Sicherstellung überhaupt eine<lb/>
Ehrenpflicht des deutschen Volkes ist und rechtzeitig mit Umsicht in die Hand<lb/>
genommen werden sollte, könnten wir dem Neutralitätsgedanken entschiedenen<lb/>
Vorschub leisten. Einstweilen merkt man im Reichsland von einer zielbewußter<lb/>
deutschen Politik über die nächsten drei Schritte hinaus natürlich nichts. Mit<lb/>
großem Geschick streut dagegen der Franzose seine Gerüchte aus und bläst mit<lb/>
bestem Erfolg die Rattenfängerflöte. Man weiß im Elsaß ganz genau, daß in<lb/>
Belfort bereits Lebensmittel lagern, um sofort ins Land geworfen zu werden.<lb/>
Der liebe Pöbel glaubt sogar daran, daß jedem Elsässer von den Franzosen<lb/>
100 Liter Wein als Morgengabe beim Einmarsch dediziert werden sollen. Den<lb/>
Klerus, die entscheidende Macht, sucht Frankreich zu gewinnen, indem es auf<lb/>
Trennung von Kirche und Staat vorerst verzichten will. Auch Erleichterung<lb/>
der Kriegssteuern wird in Aussicht gestellt. Die Personalsvagen gelten schon als<lb/>
ganz erledigt. Der ehemalige Berliner Botschafter Cambon soll zum Minister¬<lb/>
residenten ausersehen sein. Auch für andere Posten werden Namen, zum Teil<lb/>
bekannter Altelsässer, genannt. Man weiß ferner, daß in Frankreich zwei Rich¬<lb/>
tungen einander gegenüberstehen, eine schärfere, die bezeichnenderweise durch<lb/>
Wetterls und Blumenthal vertreten ist und die sich für eine radikale Aufteilung<lb/>
in Departements und glatte Einverleibung in Frankreich einsetzt, und eine<lb/>
mildere, die dem Lande weitgehende Autonomie innerhalb Frankreichs gewähren<lb/>
will. Der letztere Standpunkt soll gegenwärtig die Oberhand haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_753"> So schwirrt es im Lande von Gerüchten, mit denen geschickt sür die fran¬<lb/>
zösische Orientierung geworben wird. Die rührige franzosenfreundliche Clique<lb/>
der Bourgeoisie rüstet sich fieberhaft auf den Empfang der Besatzungstruppen.<lb/>
Alles näht dort Trikoloren und Elsässer Trachten, in denen die Ehrenjungfrauen<lb/>
den Poltus entgogenziehen wollen. Den sehr zahlreichen Gegnern dieser fran¬<lb/>
zösischen Orientierung sind dagegen die Hände gebunden. Die deutsche Zensur<lb/>
erlaubt ja nicht einmal das offene Eintreten für die Neutralität. Und niemand<lb/>
weiß, ob ihm jenseits des Rheines ein Asyl offen steht, wenn er mit einer anti-<lb/>
französifchen Politik in seiner Heimat gescheitert sein sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_754" next="#ID_755"> Wenn diese Zeilen an die Öffentlichkeit kommen, dürfte es bereits ent-<lb/>
schieden sein, ob französische oder neutrale Truppen das Land bis zur endgültigen<lb/>
Entscheidung seines Schicksals besetzen werden. Sollten die Franzosen einrücken,<lb/>
so ist damit jede Agitation auch nur sür den Neutralitätsgedanken innerhalb des<lb/>
Landes selber erstickt. Und es kann von uns nur den Anhängern der deutschen<lb/>
Orientierung eine Agitation von außerhalb, den Verfechtern des Neutralitäts¬<lb/>
gedankens insbesondere eine Propaganda im neutralen Auslande ermöglicht<lb/>
werden. Daß diese Stimmen der Gegner der Französieruug, die breite Volks¬<lb/>
massen hinter sich haben, auch dann recht laut zu Worte kommen, wenn heute<lb/>
wenig Aussicht auf Verwirklichung ihrer Ideen bestehen sollte, daran hat<lb/>
Deutschland ein vitales Interesse. Die gewaltsame Einverleibung Elsaß-Loth¬<lb/>
ringens in Frankreich ist eine Lösung der elsaß-lothringischen Frage, der wir uns<lb/>
vielleicht notgedrungen fügen müßten, die wir aber nie und nimmer als end¬<lb/>
gültig ansehen könnten. Und es ist daher sehr wünschenswert, daß es dem<lb/>
Präsidenten Wilson durch Elsässer und Lothringer selber recht unverblümt zum<lb/>
Bewußtsein gebracht wird, daß er durch Billigung einer solchen Lösung diesen<lb/>
Konfliktstosf Europas und damit der Welt nicht beseitigt. Der junge Völkerbund<lb/>
wird alsdann die elsaß-lothringische Frage niemals von seiner Tagesordnung<lb/>
verschwinden sehen. Und die historisch belegbar« Tatsache, daß Frankreich zwar</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] Die Lage in Elsaß-Lothringen Einer der Haupteinwände ist in Molsässischen Kreisen die Altdeutschen^ frage. Die Unbeliebtheit des „Schwob", des eingewanderten Altdeutschen, hat sich durch die Kriegsjahre für das elsässische Gefühl bis zur Unerträglichkeit ge- steigert. Die Ausstoßung dieses völkischen Fremdkörpers ist unbekümmert um die wirtschaftliche Schädigung des Landes heute rein gefühlsmäßig für die ein¬ geborene Bevölkerung die beherrschende Sorge. Sie befürchtet aber, daß bei einer Neutralisierung alles beim alten und die ganze Einwandererschicht im Lande bleiben könnte. Durch ein freiwilliges und planmäßiges Zurückziehen der alt¬ deutschen Beamtenschaft, deren Unterbringung und Sicherstellung überhaupt eine Ehrenpflicht des deutschen Volkes ist und rechtzeitig mit Umsicht in die Hand genommen werden sollte, könnten wir dem Neutralitätsgedanken entschiedenen Vorschub leisten. Einstweilen merkt man im Reichsland von einer zielbewußter deutschen Politik über die nächsten drei Schritte hinaus natürlich nichts. Mit großem Geschick streut dagegen der Franzose seine Gerüchte aus und bläst mit bestem Erfolg die Rattenfängerflöte. Man weiß im Elsaß ganz genau, daß in Belfort bereits Lebensmittel lagern, um sofort ins Land geworfen zu werden. Der liebe Pöbel glaubt sogar daran, daß jedem Elsässer von den Franzosen 100 Liter Wein als Morgengabe beim Einmarsch dediziert werden sollen. Den Klerus, die entscheidende Macht, sucht Frankreich zu gewinnen, indem es auf Trennung von Kirche und Staat vorerst verzichten will. Auch Erleichterung der Kriegssteuern wird in Aussicht gestellt. Die Personalsvagen gelten schon als ganz erledigt. Der ehemalige Berliner Botschafter Cambon soll zum Minister¬ residenten ausersehen sein. Auch für andere Posten werden Namen, zum Teil bekannter Altelsässer, genannt. Man weiß ferner, daß in Frankreich zwei Rich¬ tungen einander gegenüberstehen, eine schärfere, die bezeichnenderweise durch Wetterls und Blumenthal vertreten ist und die sich für eine radikale Aufteilung in Departements und glatte Einverleibung in Frankreich einsetzt, und eine mildere, die dem Lande weitgehende Autonomie innerhalb Frankreichs gewähren will. Der letztere Standpunkt soll gegenwärtig die Oberhand haben. So schwirrt es im Lande von Gerüchten, mit denen geschickt sür die fran¬ zösische Orientierung geworben wird. Die rührige franzosenfreundliche Clique der Bourgeoisie rüstet sich fieberhaft auf den Empfang der Besatzungstruppen. Alles näht dort Trikoloren und Elsässer Trachten, in denen die Ehrenjungfrauen den Poltus entgogenziehen wollen. Den sehr zahlreichen Gegnern dieser fran¬ zösischen Orientierung sind dagegen die Hände gebunden. Die deutsche Zensur erlaubt ja nicht einmal das offene Eintreten für die Neutralität. Und niemand weiß, ob ihm jenseits des Rheines ein Asyl offen steht, wenn er mit einer anti- französifchen Politik in seiner Heimat gescheitert sein sollte. Wenn diese Zeilen an die Öffentlichkeit kommen, dürfte es bereits ent- schieden sein, ob französische oder neutrale Truppen das Land bis zur endgültigen Entscheidung seines Schicksals besetzen werden. Sollten die Franzosen einrücken, so ist damit jede Agitation auch nur sür den Neutralitätsgedanken innerhalb des Landes selber erstickt. Und es kann von uns nur den Anhängern der deutschen Orientierung eine Agitation von außerhalb, den Verfechtern des Neutralitäts¬ gedankens insbesondere eine Propaganda im neutralen Auslande ermöglicht werden. Daß diese Stimmen der Gegner der Französieruug, die breite Volks¬ massen hinter sich haben, auch dann recht laut zu Worte kommen, wenn heute wenig Aussicht auf Verwirklichung ihrer Ideen bestehen sollte, daran hat Deutschland ein vitales Interesse. Die gewaltsame Einverleibung Elsaß-Loth¬ ringens in Frankreich ist eine Lösung der elsaß-lothringischen Frage, der wir uns vielleicht notgedrungen fügen müßten, die wir aber nie und nimmer als end¬ gültig ansehen könnten. Und es ist daher sehr wünschenswert, daß es dem Präsidenten Wilson durch Elsässer und Lothringer selber recht unverblümt zum Bewußtsein gebracht wird, daß er durch Billigung einer solchen Lösung diesen Konfliktstosf Europas und damit der Welt nicht beseitigt. Der junge Völkerbund wird alsdann die elsaß-lothringische Frage niemals von seiner Tagesordnung verschwinden sehen. Und die historisch belegbar« Tatsache, daß Frankreich zwar

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/180>, abgerufen am 22.07.2024.