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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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von freiwilligen Helfern zur Verfügung gehabt, jeder gebildete Deutsch¬
österreicher, der zugleich Teutschland kannte, und deren gab es doch wahrlich
genug, stand bedingungslos zur Verfügung. Wer immer aber mit den Zentral¬
stellen zu tun hatte, ging verschnupft wieder weg. Nur wer mit Titeln und einer
offiziellen Würde aufwarten konnte, hatte einige Aussicht, bis zu maßgebenderen
Leuten vorzudringen, die anderen, und wenn sie noch so nahe Fühlung mit den
wirklichen politischen Kräften hatten, wurden an nil minoruw, gsutlul", gewiesen
und verloren bei irgendeinem gelangweilten und ahnungslosen Lencuionsrat
oder Vizekonsul ihre Zeit. So bannte man tatsächlich nur das k. k. Österreichs
und wer vor diesem warnte, erregte Mißtrauen. Man hatte nicht das geringste
Verständnis für jene Art deutsch-österreichischer Loyalität, der das Bündnis so
viel galt wie der Staat, und für die ein von Deutschland getrenntes Osterreich
kein Vaterland mehr bedeutete. Mau hatte nicht das geringste Verständnis dasür,
daß die Völker die treibenden Kräfte der österreichischen Politik waren, man
glaubte bis tief in den Krieg hinein an ein k. k. österreichisches Volk, von dem
man zur Not ein ungarisches unterschied. Man berief sich den Warnungen gegen¬
über auf die Loyalität der offiziellen Kreise und hatte, weil man deren Psychologie
und das so beziehungsreiche und uneinheitliche Leben in Osterreich nicht kannte,
nicht den geringsten Sinn für "Nuancen". Daß es zwischen unbedingter
Bündnistreue und nacktem Verrat eine unendliche Fülle von Abstufungen gab,
daß der Diplomat aus Metternichscher Schule viel virtuoser und viel liebens¬
würdiger lügen kann, als der meist sehr einfach konstruierte, trotz heißen
Bemühens im Lügen dilettantische deutsche Kollege, ja daß es eine besondere Art
von österreichischer Lüge gibt, die eigentlich keine ist, weil eben der k. k. Öster¬
reicher mehrere Seelen in seiner Brust hat, von denen eine an die andere nicht
glaubt -- das wußte man nicht. So ließ man sich jahrelang von Leuten
düpieren, die, wie alle Eingeweihten wußten, Ententisten waren und bedenkliche
"Nuancen" der. Bundestreue sich gestatteten. Es gibt einen hohen Offizier in
halbdiplomatischer, jedenfalls politisch bedeutsamer Stellung, dem man trotz
aller Warnungen erst ganz zuletzt auf seine Schliche gekommen ist. Man gestattete
ohne Widerspruch, daß an reichsdeutschen Äußerungen so lange herumgedeutelt
wurde, bis sie geeignet waren, nicht nur eine gewisse gut bezahlte Wiener Presse
gegen Deutschland zu Hetzen, sondern sogar die tveuesten Bündnissreunde gegen
Teutschland mißtrauisch zu machen. Man scheute sich nicht, zu solchen Intrigen
den haltlosen Kaiser zu benutzen, der seinerseits von seinen "Nuancen" etwas
hinzugab. Fand man sich dank seiner Vertrauensseligkeit betrogen, so verfiel.man
in das plumpe Gegenteil: in verständnislosen Kasernenton. Nirgend hat sich die
Unfähigkeit der deutschen leitenden Kreise: die Menschen so zu nehmen, wie sie
sind, und nicht so sich zurecht zu machen, wie man sie haben möchte, bitterer
gerächt als in der Bündnispolitik. Ähnlich wie die Zentrale arbeitete die
Botschaft. Der frühere Botschafter Tschirschky hatte Wohl feineres Verständnis
für das österreichische Leben, war aber eine viel zu passive Natur und hatte ja
auch noch das Unglück, in einer Zeit zu .amtieren, in der man in Berlin besonders
harthörig und selbstsicher war. Sein Nachfolger hat gewiß guten Willen gehabt,
aber schon von Budapest -den Ruf eines nicht sehr überragenden Geistes mit¬
gebracht, den er in Wien durchaus nicht verbessert hat. Man sah in den beiden
letzten Jahren freilich die Unzulänglichkeit des Apparates ein und suchte da und
dort zu bessern. Aber an den Zentralstellen änderte sich nichts Wesentliches, die
Leute, die österreichisch-ungarische Fragen mit genau der technischen Selbst¬
sicherheit und sachlich kenntnislosen UMteiligtheit behandelten, wie etwa unsere
Beziehungen zu Paraguay, blieben in den maßgebenden Stellen, zu ihren
Helfern aber rückten Leute auf, die ihre Wahl reinem Zufall verdankten. Man
hatte nach wie vor äußerst unzulängliche Beziehungen zur Öffentlichkeit und
blieb in den Schranken jener Begriffe von Diplomatie, die eine wesentliche
Leistung vollbracht zu haben nlaubt, wenn sie iraendemen der jungen Leute mit
einem Politiker oder Journalisten, der leidliche Kinderstube hat, frühstücken läßt.


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Der Susammenbruch (Oesterreichs und unsere Diplomatie

und natürlich mit Mißtrauen aufgenommen wurden. Dabei hätte man Scharen
von freiwilligen Helfern zur Verfügung gehabt, jeder gebildete Deutsch¬
österreicher, der zugleich Teutschland kannte, und deren gab es doch wahrlich
genug, stand bedingungslos zur Verfügung. Wer immer aber mit den Zentral¬
stellen zu tun hatte, ging verschnupft wieder weg. Nur wer mit Titeln und einer
offiziellen Würde aufwarten konnte, hatte einige Aussicht, bis zu maßgebenderen
Leuten vorzudringen, die anderen, und wenn sie noch so nahe Fühlung mit den
wirklichen politischen Kräften hatten, wurden an nil minoruw, gsutlul«, gewiesen
und verloren bei irgendeinem gelangweilten und ahnungslosen Lencuionsrat
oder Vizekonsul ihre Zeit. So bannte man tatsächlich nur das k. k. Österreichs
und wer vor diesem warnte, erregte Mißtrauen. Man hatte nicht das geringste
Verständnis für jene Art deutsch-österreichischer Loyalität, der das Bündnis so
viel galt wie der Staat, und für die ein von Deutschland getrenntes Osterreich
kein Vaterland mehr bedeutete. Mau hatte nicht das geringste Verständnis dasür,
daß die Völker die treibenden Kräfte der österreichischen Politik waren, man
glaubte bis tief in den Krieg hinein an ein k. k. österreichisches Volk, von dem
man zur Not ein ungarisches unterschied. Man berief sich den Warnungen gegen¬
über auf die Loyalität der offiziellen Kreise und hatte, weil man deren Psychologie
und das so beziehungsreiche und uneinheitliche Leben in Osterreich nicht kannte,
nicht den geringsten Sinn für „Nuancen". Daß es zwischen unbedingter
Bündnistreue und nacktem Verrat eine unendliche Fülle von Abstufungen gab,
daß der Diplomat aus Metternichscher Schule viel virtuoser und viel liebens¬
würdiger lügen kann, als der meist sehr einfach konstruierte, trotz heißen
Bemühens im Lügen dilettantische deutsche Kollege, ja daß es eine besondere Art
von österreichischer Lüge gibt, die eigentlich keine ist, weil eben der k. k. Öster¬
reicher mehrere Seelen in seiner Brust hat, von denen eine an die andere nicht
glaubt — das wußte man nicht. So ließ man sich jahrelang von Leuten
düpieren, die, wie alle Eingeweihten wußten, Ententisten waren und bedenkliche
„Nuancen" der. Bundestreue sich gestatteten. Es gibt einen hohen Offizier in
halbdiplomatischer, jedenfalls politisch bedeutsamer Stellung, dem man trotz
aller Warnungen erst ganz zuletzt auf seine Schliche gekommen ist. Man gestattete
ohne Widerspruch, daß an reichsdeutschen Äußerungen so lange herumgedeutelt
wurde, bis sie geeignet waren, nicht nur eine gewisse gut bezahlte Wiener Presse
gegen Deutschland zu Hetzen, sondern sogar die tveuesten Bündnissreunde gegen
Teutschland mißtrauisch zu machen. Man scheute sich nicht, zu solchen Intrigen
den haltlosen Kaiser zu benutzen, der seinerseits von seinen „Nuancen" etwas
hinzugab. Fand man sich dank seiner Vertrauensseligkeit betrogen, so verfiel.man
in das plumpe Gegenteil: in verständnislosen Kasernenton. Nirgend hat sich die
Unfähigkeit der deutschen leitenden Kreise: die Menschen so zu nehmen, wie sie
sind, und nicht so sich zurecht zu machen, wie man sie haben möchte, bitterer
gerächt als in der Bündnispolitik. Ähnlich wie die Zentrale arbeitete die
Botschaft. Der frühere Botschafter Tschirschky hatte Wohl feineres Verständnis
für das österreichische Leben, war aber eine viel zu passive Natur und hatte ja
auch noch das Unglück, in einer Zeit zu .amtieren, in der man in Berlin besonders
harthörig und selbstsicher war. Sein Nachfolger hat gewiß guten Willen gehabt,
aber schon von Budapest -den Ruf eines nicht sehr überragenden Geistes mit¬
gebracht, den er in Wien durchaus nicht verbessert hat. Man sah in den beiden
letzten Jahren freilich die Unzulänglichkeit des Apparates ein und suchte da und
dort zu bessern. Aber an den Zentralstellen änderte sich nichts Wesentliches, die
Leute, die österreichisch-ungarische Fragen mit genau der technischen Selbst¬
sicherheit und sachlich kenntnislosen UMteiligtheit behandelten, wie etwa unsere
Beziehungen zu Paraguay, blieben in den maßgebenden Stellen, zu ihren
Helfern aber rückten Leute auf, die ihre Wahl reinem Zufall verdankten. Man
hatte nach wie vor äußerst unzulängliche Beziehungen zur Öffentlichkeit und
blieb in den Schranken jener Begriffe von Diplomatie, die eine wesentliche
Leistung vollbracht zu haben nlaubt, wenn sie iraendemen der jungen Leute mit
einem Politiker oder Journalisten, der leidliche Kinderstube hat, frühstücken läßt.


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[0167] Der Susammenbruch (Oesterreichs und unsere Diplomatie und natürlich mit Mißtrauen aufgenommen wurden. Dabei hätte man Scharen von freiwilligen Helfern zur Verfügung gehabt, jeder gebildete Deutsch¬ österreicher, der zugleich Teutschland kannte, und deren gab es doch wahrlich genug, stand bedingungslos zur Verfügung. Wer immer aber mit den Zentral¬ stellen zu tun hatte, ging verschnupft wieder weg. Nur wer mit Titeln und einer offiziellen Würde aufwarten konnte, hatte einige Aussicht, bis zu maßgebenderen Leuten vorzudringen, die anderen, und wenn sie noch so nahe Fühlung mit den wirklichen politischen Kräften hatten, wurden an nil minoruw, gsutlul«, gewiesen und verloren bei irgendeinem gelangweilten und ahnungslosen Lencuionsrat oder Vizekonsul ihre Zeit. So bannte man tatsächlich nur das k. k. Österreichs und wer vor diesem warnte, erregte Mißtrauen. Man hatte nicht das geringste Verständnis für jene Art deutsch-österreichischer Loyalität, der das Bündnis so viel galt wie der Staat, und für die ein von Deutschland getrenntes Osterreich kein Vaterland mehr bedeutete. Mau hatte nicht das geringste Verständnis dasür, daß die Völker die treibenden Kräfte der österreichischen Politik waren, man glaubte bis tief in den Krieg hinein an ein k. k. österreichisches Volk, von dem man zur Not ein ungarisches unterschied. Man berief sich den Warnungen gegen¬ über auf die Loyalität der offiziellen Kreise und hatte, weil man deren Psychologie und das so beziehungsreiche und uneinheitliche Leben in Osterreich nicht kannte, nicht den geringsten Sinn für „Nuancen". Daß es zwischen unbedingter Bündnistreue und nacktem Verrat eine unendliche Fülle von Abstufungen gab, daß der Diplomat aus Metternichscher Schule viel virtuoser und viel liebens¬ würdiger lügen kann, als der meist sehr einfach konstruierte, trotz heißen Bemühens im Lügen dilettantische deutsche Kollege, ja daß es eine besondere Art von österreichischer Lüge gibt, die eigentlich keine ist, weil eben der k. k. Öster¬ reicher mehrere Seelen in seiner Brust hat, von denen eine an die andere nicht glaubt — das wußte man nicht. So ließ man sich jahrelang von Leuten düpieren, die, wie alle Eingeweihten wußten, Ententisten waren und bedenkliche „Nuancen" der. Bundestreue sich gestatteten. Es gibt einen hohen Offizier in halbdiplomatischer, jedenfalls politisch bedeutsamer Stellung, dem man trotz aller Warnungen erst ganz zuletzt auf seine Schliche gekommen ist. Man gestattete ohne Widerspruch, daß an reichsdeutschen Äußerungen so lange herumgedeutelt wurde, bis sie geeignet waren, nicht nur eine gewisse gut bezahlte Wiener Presse gegen Deutschland zu Hetzen, sondern sogar die tveuesten Bündnissreunde gegen Teutschland mißtrauisch zu machen. Man scheute sich nicht, zu solchen Intrigen den haltlosen Kaiser zu benutzen, der seinerseits von seinen „Nuancen" etwas hinzugab. Fand man sich dank seiner Vertrauensseligkeit betrogen, so verfiel.man in das plumpe Gegenteil: in verständnislosen Kasernenton. Nirgend hat sich die Unfähigkeit der deutschen leitenden Kreise: die Menschen so zu nehmen, wie sie sind, und nicht so sich zurecht zu machen, wie man sie haben möchte, bitterer gerächt als in der Bündnispolitik. Ähnlich wie die Zentrale arbeitete die Botschaft. Der frühere Botschafter Tschirschky hatte Wohl feineres Verständnis für das österreichische Leben, war aber eine viel zu passive Natur und hatte ja auch noch das Unglück, in einer Zeit zu .amtieren, in der man in Berlin besonders harthörig und selbstsicher war. Sein Nachfolger hat gewiß guten Willen gehabt, aber schon von Budapest -den Ruf eines nicht sehr überragenden Geistes mit¬ gebracht, den er in Wien durchaus nicht verbessert hat. Man sah in den beiden letzten Jahren freilich die Unzulänglichkeit des Apparates ein und suchte da und dort zu bessern. Aber an den Zentralstellen änderte sich nichts Wesentliches, die Leute, die österreichisch-ungarische Fragen mit genau der technischen Selbst¬ sicherheit und sachlich kenntnislosen UMteiligtheit behandelten, wie etwa unsere Beziehungen zu Paraguay, blieben in den maßgebenden Stellen, zu ihren Helfern aber rückten Leute auf, die ihre Wahl reinem Zufall verdankten. Man hatte nach wie vor äußerst unzulängliche Beziehungen zur Öffentlichkeit und blieb in den Schranken jener Begriffe von Diplomatie, die eine wesentliche Leistung vollbracht zu haben nlaubt, wenn sie iraendemen der jungen Leute mit einem Politiker oder Journalisten, der leidliche Kinderstube hat, frühstücken läßt. 13»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/167>, abgerufen am 25.08.2024.