Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Jahrhunderts werden, möchte er es noch Europas Tod. Hedda Gabler, die Man sollte meinen, daß die Schauer des sind!" so sprach zum anderen Male der, Warum diese Erschütterung der Heimat¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Jahrhunderts werden, möchte er es noch Europas Tod. Hedda Gabler, die Man sollte meinen, daß die Schauer des sind!" so sprach zum anderen Male der, Warum diese Erschütterung der Heimat¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88398"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_663" prev="#ID_662"> Jahrhunderts werden, möchte er es noch<lb/><note type="byline"> H. G. M.</note> werden können! </p> </div> <div n="2"> <head> Europas Tod.</head> <p xml:id="ID_664"> Hedda Gabler, die<lb/> Hysterische, wollte einst inSchönheit sterben,—<lb/> wir sterben in der Apotheose einer „Idee",<lb/> weil auch wir innerlich haltlos wurden. Hier<lb/> wie dort gibt's trotzdem keine Versöhnung,<lb/> denn der Tod ist realer als alles andere,<lb/> seine Schatten umdüstern Schönheit und Recht.<lb/> Europas Herz hat aufgehört zu schlagen!<lb/> Man bedenke: nach Abschluß dieses Krieges<lb/> gibt es keine Großmacht mehr auf dem euro¬<lb/> päischen Kontinent. Rußland sank dahin unter<lb/> den wuchtigen Schlägen des fiebernden Her¬<lb/> zens Europas, Frankreich trank das Gift seines<lb/> Todes, Osterreich zerfiel, weil kein warmes<lb/> Blut mehr durch seine Glieder rann. DaS<lb/> Angelsachsentum mit seinem außereuropäischen<lb/> Schwergewicht regiert die Welt. „Völker<lb/> Europas, wahrt eure heiligsten Güter!" so<lb/> sprach einst der, dessen Wort jetzt nicht mehr<lb/> gilt. Es war zu spät. Das Geschick hat<lb/> sich erfüllt.</p> <p xml:id="ID_665" next="#ID_666"> Man sollte meinen, daß die Schauer des<lb/> Todes über Europas > blutgetränkte Erde<lb/> gehen, daß ein Klageruf ohne Gleichen die<lb/> Luft durchdringt —, aber nein, wir hören<lb/> Jubelklänge! die ententefreundlichen Neu¬<lb/> tralen Europas frohlocken in der eigenen<lb/> Sterbestunde und im Taumel absoluter Ver-<lb/> ständnislosigkeit für die Weltwende bejubeln<lb/> junge Völker ihre „Freiheit" und recken ihre<lb/> ungefügen Glieder. Und das Herzland selbst?<lb/> Es ächzt und stöhnt in seinen besten Söhnen<lb/> und Töchtern, aber mißtönig gellt das Wort<lb/> der Überlingen: „Wir haben es kommen sehen,<lb/> wir haben eS immer gesagt!" Schmach über<lb/> sie, die so, sich selbst unbewußt, zur Schuld<lb/> bekennen, denn sie und niemand anderes<lb/> unterhöhlten das Vertrauen. Glauben sie<lb/> denn wirklich, daß es in Deutschland einen<lb/> Menschen gab, der nicht in namenloser Angst<lb/> die Möglichkeit des Siegs der anderen ins<lb/> Auge faßte, der nicht die ungeheure Über¬<lb/> macht in Rechnung zog? Aber das wußten<lb/> die Beherzten: führen wir Krieg, so müssen<lb/> wir an die Möglichkeit der Selbstbehauptung<lb/> glauben, und ein siebzigmillionenfachcr Glaube<lb/> verbürgt den Sieg. „Seid einig, denn die<lb/> Deutschen sind unbesiegbar, wenn sie einig</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_666" prev="#ID_665"> sind!" so sprach zum anderen Male der,<lb/> dessen Wort jetzt nicht mehr gilt. Auch hier<lb/> umsonst! Uneinig wurden wir, ach, schon<lb/> so bald nach Kriegsbeginn. Zunächst dachten<lb/> wir nur daran, uns unserer Haut zu wehren,<lb/> aber die überraschende Entwicklung der Kriegs¬<lb/> lage trieb dahin, daß wir uns um des Kaisers<lb/> Bart, um Kriegsziele zu streiten begannen.<lb/> Schon dieser Streit beweist, daß wir den<lb/> Krieg nicht haben wollen können, denn wenn<lb/> vor dem Kriege das Bild reicherer Lebens¬<lb/> möglichkeiten, die mit der Waffe zu erobern<lb/> wären, auch nur in ungefähren Umrissen im<lb/> Volke gelebt hätte, wir hätten uns nicht<lb/> mitten im blutigen Tanze in unfruchtbarem<lb/> Gezänke aufgerieben.</p> <p xml:id="ID_667" next="#ID_668"> Warum diese Erschütterung der Heimat¬<lb/> front? so fragen wir heute, da auch der Be¬<lb/> scheidenste unter uns sein Kriegsziel begrub.<lb/> War es wirklich klug von den Überlingen,<lb/> das Feuer derer zu dämpfen, die im Sieges¬<lb/> rausch nach Früchten griffen, die zu hoch<lb/> hingen? Heute weiß jedes Kind, daß die<lb/> Freunde des Verzichts und der Versöhnung<lb/> sich ja selbst in der gleichen Lage befanden,<lb/> sofern sie Unversehrtheit des Reichsgebietes —<lb/> und das war doch ihre Forderung — ins<lb/> Auge faßten. Die Wirkung nach außen?<lb/> „Deutschland hat gesiegt, wenn es nicht be¬<lb/> siegt ist", hat Balfour gesagt und damit die<lb/> Selbstbehauptung Deutschlands in seinen alten<lb/> Grenzen nicht als berechtigt gelten lassen<lb/> wollen. ES war gleich, ob wir Belgien be¬<lb/> gehrten oder keine Annexionen machen zu<lb/> wollen beschworen. Kein Friedensangebot<lb/> konnte wirken, solange es nicht Selbstver-<lb/> nichtung in sich schloß. Hat man dies bei<lb/> uns wirklich nicht gewußt, obgleich die Staats¬<lb/> männer der Gegner immer wieder freimütig<lb/> ihren Vernichtungswillen bekundeten? Und<lb/> wenn man das wußte, warum gab man<lb/> jenes Stichwort des „Verzichtes" aus? Liegt<lb/> es nicht nahe, hier den Versuch zu vermuten,<lb/> psychisch auf die breiten Massen zu wirken?<lb/> „Wir kämpfen nicht um Eroberungen willen!"<lb/> Wie schön klingt das, wie sittlich rein! Wie<lb/> hoch steht man über dem, der einen errungenen<lb/> Vorteil nutzen möchte. Wer aber trotz des<lb/> besseren Wissens, daß unser Kriegsziel in<lb/> jedem Falle den Entschluß des Feindes durch¬<lb/> kreuzt, in solchen Zeiten mit solchen Mitteln</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0160]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Jahrhunderts werden, möchte er es noch
H. G. M. werden können!
Europas Tod. Hedda Gabler, die
Hysterische, wollte einst inSchönheit sterben,—
wir sterben in der Apotheose einer „Idee",
weil auch wir innerlich haltlos wurden. Hier
wie dort gibt's trotzdem keine Versöhnung,
denn der Tod ist realer als alles andere,
seine Schatten umdüstern Schönheit und Recht.
Europas Herz hat aufgehört zu schlagen!
Man bedenke: nach Abschluß dieses Krieges
gibt es keine Großmacht mehr auf dem euro¬
päischen Kontinent. Rußland sank dahin unter
den wuchtigen Schlägen des fiebernden Her¬
zens Europas, Frankreich trank das Gift seines
Todes, Osterreich zerfiel, weil kein warmes
Blut mehr durch seine Glieder rann. DaS
Angelsachsentum mit seinem außereuropäischen
Schwergewicht regiert die Welt. „Völker
Europas, wahrt eure heiligsten Güter!" so
sprach einst der, dessen Wort jetzt nicht mehr
gilt. Es war zu spät. Das Geschick hat
sich erfüllt.
Man sollte meinen, daß die Schauer des
Todes über Europas > blutgetränkte Erde
gehen, daß ein Klageruf ohne Gleichen die
Luft durchdringt —, aber nein, wir hören
Jubelklänge! die ententefreundlichen Neu¬
tralen Europas frohlocken in der eigenen
Sterbestunde und im Taumel absoluter Ver-
ständnislosigkeit für die Weltwende bejubeln
junge Völker ihre „Freiheit" und recken ihre
ungefügen Glieder. Und das Herzland selbst?
Es ächzt und stöhnt in seinen besten Söhnen
und Töchtern, aber mißtönig gellt das Wort
der Überlingen: „Wir haben es kommen sehen,
wir haben eS immer gesagt!" Schmach über
sie, die so, sich selbst unbewußt, zur Schuld
bekennen, denn sie und niemand anderes
unterhöhlten das Vertrauen. Glauben sie
denn wirklich, daß es in Deutschland einen
Menschen gab, der nicht in namenloser Angst
die Möglichkeit des Siegs der anderen ins
Auge faßte, der nicht die ungeheure Über¬
macht in Rechnung zog? Aber das wußten
die Beherzten: führen wir Krieg, so müssen
wir an die Möglichkeit der Selbstbehauptung
glauben, und ein siebzigmillionenfachcr Glaube
verbürgt den Sieg. „Seid einig, denn die
Deutschen sind unbesiegbar, wenn sie einig
sind!" so sprach zum anderen Male der,
dessen Wort jetzt nicht mehr gilt. Auch hier
umsonst! Uneinig wurden wir, ach, schon
so bald nach Kriegsbeginn. Zunächst dachten
wir nur daran, uns unserer Haut zu wehren,
aber die überraschende Entwicklung der Kriegs¬
lage trieb dahin, daß wir uns um des Kaisers
Bart, um Kriegsziele zu streiten begannen.
Schon dieser Streit beweist, daß wir den
Krieg nicht haben wollen können, denn wenn
vor dem Kriege das Bild reicherer Lebens¬
möglichkeiten, die mit der Waffe zu erobern
wären, auch nur in ungefähren Umrissen im
Volke gelebt hätte, wir hätten uns nicht
mitten im blutigen Tanze in unfruchtbarem
Gezänke aufgerieben.
Warum diese Erschütterung der Heimat¬
front? so fragen wir heute, da auch der Be¬
scheidenste unter uns sein Kriegsziel begrub.
War es wirklich klug von den Überlingen,
das Feuer derer zu dämpfen, die im Sieges¬
rausch nach Früchten griffen, die zu hoch
hingen? Heute weiß jedes Kind, daß die
Freunde des Verzichts und der Versöhnung
sich ja selbst in der gleichen Lage befanden,
sofern sie Unversehrtheit des Reichsgebietes —
und das war doch ihre Forderung — ins
Auge faßten. Die Wirkung nach außen?
„Deutschland hat gesiegt, wenn es nicht be¬
siegt ist", hat Balfour gesagt und damit die
Selbstbehauptung Deutschlands in seinen alten
Grenzen nicht als berechtigt gelten lassen
wollen. ES war gleich, ob wir Belgien be¬
gehrten oder keine Annexionen machen zu
wollen beschworen. Kein Friedensangebot
konnte wirken, solange es nicht Selbstver-
nichtung in sich schloß. Hat man dies bei
uns wirklich nicht gewußt, obgleich die Staats¬
männer der Gegner immer wieder freimütig
ihren Vernichtungswillen bekundeten? Und
wenn man das wußte, warum gab man
jenes Stichwort des „Verzichtes" aus? Liegt
es nicht nahe, hier den Versuch zu vermuten,
psychisch auf die breiten Massen zu wirken?
„Wir kämpfen nicht um Eroberungen willen!"
Wie schön klingt das, wie sittlich rein! Wie
hoch steht man über dem, der einen errungenen
Vorteil nutzen möchte. Wer aber trotz des
besseren Wissens, daß unser Kriegsziel in
jedem Falle den Entschluß des Feindes durch¬
kreuzt, in solchen Zeiten mit solchen Mitteln
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |