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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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iure ctivmo-Königtums; nicht jenes Dogma
der Reaktion, sondern der Satz Thiers:, l^e
roi röMie, mais it ne Avuverno pas steht
künftig am Throne der deutschen Monarchie.
Ein tragischer Ausgang, wenn man auf ihre
glänzende Vergangenheit zurückblickt, aber
ein notwendiger, wiewohl durch die Einflüsse
der äußeren Politik vielleicht allzu beschleu¬
nigter Ausgang. Denn nur einem bewußt
oder von Natur kurzsichtigen Auge kann doch
verborgen bleiben, wie sich das Heute mit
zwingender Notwendigkeit aus dem Gestern
und Ehegestern entwickelt-hat. Es handelt
sich bei unserer Verfassungsänderung um
den Prozeß eines natürlichen Wachstums,
dessen einzelne Etappen man deutlich ver¬
folgen kann -- wir erinnern nur an die
Vorgänge bei Vülows Abschied und die
parlamentarischen Ereignisse im Jahre 1917.
Wenn die vollendeten Tatsachen den Zeit¬
genossen allzu Plötzlich und unvermittelt
erscheinen, so nur darum, weil die vorauf¬
gehenden Entwicklungsstadien gleichsam unter
der Oberfläche sich vollzogen und der schlie߬
lich" Durchbruch dann allerdings jäh und wie
im Augenblicke erfolgt. Dabei soll das trei¬
bende Moment der allgemeinen Weltlage gar
nicht geleugnet werden. Aber wer sich über
die Kniebeuge vor Wilson aufregt, möge doch
billigerweise bedenken, daß dieser Zusammen¬
hang zwischen innerer und äußerer Politik
kein Patengeschenk des deutschen Parlamen¬
tarismus ist, sondern von jeher und überall
Gesetz des staatlichen Lebens. Für das Zeit¬
alter der französischen Revolution sind solche
Beziehungen zwischen den militärischen Er¬
eignissen und der Lage in Paris von dem
heimischen Historiker Haulard ganz syste¬
matisch festgestellt worden. Auch aus un¬
serer Geschichte können wir den gleichen Zu¬
sammenhang nachweisen. Die Oktroyierung
der Preußischen Verfassung von 1848 War
nach einer begründeten historischen Lehr¬
meinung gedacht als Gegenschlag gegen die
Versuche der Erbkaiserlichen, den Staat Fried¬
rich Wilhelms des Vierten durch Übertragung
der Kaiserkrone an diesen Monarchen in
Deutschland aufgehen zu lassen. Und als
Bismarck 1367 das gleiche Wahlrecht "in die
Pfanne warf", da geschah dies nach seinen
eigenen ferneren Worten, um eine Waffe

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im Kampfe gegen Österreich, im Kampfe für
die deutsche Einheit und zugleich, um eine
Drohung mit letzten Mitteln im Kampfe
gegen Koalitionen zu haben. Die Rücksicht
auf Wilson bestimmte unleugbar die Regie
der letzten Reichstagsverhandlung. Man er¬
wartet von der Unterstellung der Militär¬
gewalt unter die Zivilgewalt günstige Wir¬
kungen auf die Stimmung im Lager der
Entente. Mag sein, daß man sich täuscht.
Das eine aber sollten die empörten Kritiker
der Regierung nicht vergessen: die Reformen
vom 26. Oktober wie überhaupt der letzten
Zeit sind doch auch um innerpolitischer Rück¬
sichten willen unternommen und notwendig
gewesen. Sie wollen der "deutschen Einheit"
dienen wie Bismarck vor fünfzig Jahren und
im geraden Gegensatz zur preußisch - parti-
kularistischen Politik von 1848.

"Die Zeit schreitet unter Stürmen vor¬
wärts und es ist ein vergebliches Bemühen,
sie aufzuhalten". So schrieb einst Metternich
an den badischen Minister von Berstett.
Trotz dieser Erkenntnis hat er sich ihr immer
wieder cntgegengestemmt, bis die Revolution
von 1848 üver seinein Werke und Kopfe zu¬
sammenschlug. Wer. heute über den inneren
"Umsturz" klagt, wie die "Deutsche Tages¬
zeitung" anläßlich der Beschlüsse vom 26. Ok¬
tober und von Revolutionen redet, der sollte
ein Metternichs Wort und Schicksal denken. Die
Phrase vom Schattenkaisertum ist töricht. Wem
das höchste Erdenglück der Menschenkinder, die
Persönlichkeit gegeben war, der hat sich auch
unter eingeschränkten Befugnissen auf dem
Throne durchgesetzt, wem diese Persönlichkeit
versagt blieb, der blieb ein Instrument in
den Händen anderer auch dann, wenn ihm
die höchste Machtfülle durch die Staatsgewalt
gegeben war. Auch künftig kann unter solchen
Voraussetzungen -- daS Beispiel Eduards des
Siebenten beweist es -- wieder Wahrheit
Werden, was man von der kaiserlichen Ge¬
walt in der deutschen Verfassung bis zum
Weltkriege gesagthat, daß sie rechtlich weniger,
tatsächlich mehr als in früheren Jahrhunderten
bedeutete.

"lieMa, secZ "ein impera", rief im sieb¬
zehnten Jahrhundert ein Polnischer Magnat
seinem Könige zu. Möchte dieses Wort zum
Wahlspruch der Hohenzollern des zwanzigsten

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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iure ctivmo-Königtums; nicht jenes Dogma
der Reaktion, sondern der Satz Thiers:, l^e
roi röMie, mais it ne Avuverno pas steht
künftig am Throne der deutschen Monarchie.
Ein tragischer Ausgang, wenn man auf ihre
glänzende Vergangenheit zurückblickt, aber
ein notwendiger, wiewohl durch die Einflüsse
der äußeren Politik vielleicht allzu beschleu¬
nigter Ausgang. Denn nur einem bewußt
oder von Natur kurzsichtigen Auge kann doch
verborgen bleiben, wie sich das Heute mit
zwingender Notwendigkeit aus dem Gestern
und Ehegestern entwickelt-hat. Es handelt
sich bei unserer Verfassungsänderung um
den Prozeß eines natürlichen Wachstums,
dessen einzelne Etappen man deutlich ver¬
folgen kann — wir erinnern nur an die
Vorgänge bei Vülows Abschied und die
parlamentarischen Ereignisse im Jahre 1917.
Wenn die vollendeten Tatsachen den Zeit¬
genossen allzu Plötzlich und unvermittelt
erscheinen, so nur darum, weil die vorauf¬
gehenden Entwicklungsstadien gleichsam unter
der Oberfläche sich vollzogen und der schlie߬
lich« Durchbruch dann allerdings jäh und wie
im Augenblicke erfolgt. Dabei soll das trei¬
bende Moment der allgemeinen Weltlage gar
nicht geleugnet werden. Aber wer sich über
die Kniebeuge vor Wilson aufregt, möge doch
billigerweise bedenken, daß dieser Zusammen¬
hang zwischen innerer und äußerer Politik
kein Patengeschenk des deutschen Parlamen¬
tarismus ist, sondern von jeher und überall
Gesetz des staatlichen Lebens. Für das Zeit¬
alter der französischen Revolution sind solche
Beziehungen zwischen den militärischen Er¬
eignissen und der Lage in Paris von dem
heimischen Historiker Haulard ganz syste¬
matisch festgestellt worden. Auch aus un¬
serer Geschichte können wir den gleichen Zu¬
sammenhang nachweisen. Die Oktroyierung
der Preußischen Verfassung von 1848 War
nach einer begründeten historischen Lehr¬
meinung gedacht als Gegenschlag gegen die
Versuche der Erbkaiserlichen, den Staat Fried¬
rich Wilhelms des Vierten durch Übertragung
der Kaiserkrone an diesen Monarchen in
Deutschland aufgehen zu lassen. Und als
Bismarck 1367 das gleiche Wahlrecht „in die
Pfanne warf", da geschah dies nach seinen
eigenen ferneren Worten, um eine Waffe

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im Kampfe gegen Österreich, im Kampfe für
die deutsche Einheit und zugleich, um eine
Drohung mit letzten Mitteln im Kampfe
gegen Koalitionen zu haben. Die Rücksicht
auf Wilson bestimmte unleugbar die Regie
der letzten Reichstagsverhandlung. Man er¬
wartet von der Unterstellung der Militär¬
gewalt unter die Zivilgewalt günstige Wir¬
kungen auf die Stimmung im Lager der
Entente. Mag sein, daß man sich täuscht.
Das eine aber sollten die empörten Kritiker
der Regierung nicht vergessen: die Reformen
vom 26. Oktober wie überhaupt der letzten
Zeit sind doch auch um innerpolitischer Rück¬
sichten willen unternommen und notwendig
gewesen. Sie wollen der „deutschen Einheit"
dienen wie Bismarck vor fünfzig Jahren und
im geraden Gegensatz zur preußisch - parti-
kularistischen Politik von 1848.

„Die Zeit schreitet unter Stürmen vor¬
wärts und es ist ein vergebliches Bemühen,
sie aufzuhalten". So schrieb einst Metternich
an den badischen Minister von Berstett.
Trotz dieser Erkenntnis hat er sich ihr immer
wieder cntgegengestemmt, bis die Revolution
von 1848 üver seinein Werke und Kopfe zu¬
sammenschlug. Wer. heute über den inneren
„Umsturz" klagt, wie die „Deutsche Tages¬
zeitung" anläßlich der Beschlüsse vom 26. Ok¬
tober und von Revolutionen redet, der sollte
ein Metternichs Wort und Schicksal denken. Die
Phrase vom Schattenkaisertum ist töricht. Wem
das höchste Erdenglück der Menschenkinder, die
Persönlichkeit gegeben war, der hat sich auch
unter eingeschränkten Befugnissen auf dem
Throne durchgesetzt, wem diese Persönlichkeit
versagt blieb, der blieb ein Instrument in
den Händen anderer auch dann, wenn ihm
die höchste Machtfülle durch die Staatsgewalt
gegeben war. Auch künftig kann unter solchen
Voraussetzungen — daS Beispiel Eduards des
Siebenten beweist es — wieder Wahrheit
Werden, was man von der kaiserlichen Ge¬
walt in der deutschen Verfassung bis zum
Weltkriege gesagthat, daß sie rechtlich weniger,
tatsächlich mehr als in früheren Jahrhunderten
bedeutete.

„lieMa, secZ «ein impera", rief im sieb¬
zehnten Jahrhundert ein Polnischer Magnat
seinem Könige zu. Möchte dieses Wort zum
Wahlspruch der Hohenzollern des zwanzigsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/159>, abgerufen am 25.08.2024.