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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Llsaß-Lothringen im deutschen Industriestaat

Waren im Industriegebiet fand. So hat auch der lothringische Bauer ein großes
Interesse an der Lebensfähigkeit der lothringischen Industrie. Der elsässische Bauer,
den der hohe Vogesenwall von Frankreich trennt, sucht sein Absatzgebiet im rechts¬
rheinischen Land. Wie auf die Eisenindustrie, so hat die Rückkehr zum Reich auch
auf andere wirtschaftliche Kreise günstig gewirkt. Man denke an die oberelsässische
Textilindustrie, die sich ein günstiges Absatzgebiet auf dem deutschen Markt sicherte,
wcchrend sie in Frankreich von den ostfranzösischen Webereien erdrückt werden
würde. Ferner sei an den Weinbau erinnert, eine Quelle größten Wohlstandes
heute, 1869 aber noch kümmerlich unter dem Wettbewerb der billigen französischen
Weine. '

Diese Entwicklung aller Kräfte führte dazu, daß sich Wohlstand und Kultur
eit 1870 bedeutend gehoben haben. Die Vetnebslänge der Eisenbahnen wuchs;
le'Zahl der Postanstalten vermehrte sich; die Städte dehnten sich aus -- Stra߬
burg hat seine Einwohnerzahl verdoppelt --; die Zahl der Schulen stieg auf das
Dreifache; die Universität wurde eine der besuchtesten Deutschlands usw. Wohin
man blickt, haben die Verbindungen mit dem großen deutschen Markt und die
über alle Welt gespannten Beziehungen Deutschlands lebend und befruchtend auf
alle Gebiete der Wirtschaft in Elsaß-Lothringen gewirkt. Daß das politische Leben
Deutschlands nicht ebenso günstig wirkte, lag eben daran, daß der politische Markt
noch nicht eröffnet war; heute ist er es.

Würde die Neutralität oder der Anschluß an Frankreich eine ähnlich gedeihliche
Zukunft gewährleisten? In nächster Nachbarschaft zum deutsch-lothringischen Eisenerz¬
gebiet liegt das französische Eisenerzlager von Briey undLongwy, in dem sich vor dem
Kriege der größte Teil der französischen Schwerindustrie befand. Wir hatten früher
gehofft, daß bei der Schaffung eines besseren Grenzschutzes für unsere Eisenwerk¬
stätte an der Grenze auch diese wichtigen Lager mit zu Deutschland kämen, wo¬
hin ihre Verkehrslage sie auch hinweist. Diese Hoffnungen sind verflogen. Heute
müssen wir darüber nachsinnen, ob durch die Nentralisierung oder Annexion Elsaß-
Lothringens uns die wichtigste Bezugsquelle unserer Eisenerze nicht verschlossen
würde. Die Annexion Elsaß-Lothringens durch Frankreich aus politischen
Gründen dürste wirtschaftlich für das Land wahrscheinlich Verkümmerung seiner
Kräfte bedeuten, da Frankreich für, eine Verwertung sowohl der Erze wie der
bedeutenden Roheisenerzeugung Lothringens nicht leistungsfähig genug ist. Die
lothringischen Hütten find groß geworden durch die deutsche eisenverarbeitende
Industrie. Im Falle der Neutralität würden zweifellos die engen wirtschaft¬
lichen Beziehungen mit Deutschland bestehen bleiben. Für die deutsche Industrie
waren die lothringischen Erze unentbehrliche Vorbedingung der Entwicklung.
300 Hochöfen verarbeiten das lothringische Erz; 20 Millionen Tonnen Roheisen
gewinnen wir jährlich daraus. ' Würde das deutsch-lothringische Erzlager von
Frankreich annektiert, so müßte es den Wettbewerb mit Briey und Longwy auf¬
nehmen. In Briey und Longwy liegt der bessere Teil der lothringischen Minette.
Die Erze haben einen größeren Eisengehalt, durchschnittlich 35 Prozent, während
die in Deutsch-Lothringen nur 26--30 Prozent enthalten. Dementsprechend wäre
zu erwarten, daß Elsaß-Lothringen an Bedeutung verlieren würde, da für Frank¬
reich die Erze von Briey und Longwy wertvoller sind. Es kommt aber weiterhin
noch hinzu, daß Frankreich im Begriffe ist, den Standort seiner Schwerindustrie
zu wechseln, indem es die von deutschen Unternehmern erschlossenen hochwertigen
normannischen Erze, die Erze von durchschnittlich 45 Prozent enthalten.' immer stärker
ausgebeutet und während des Krieges seine Rüstungsindustrie darauf aufgebaut hat.
Dadurch verlierendielothringischenErzlagervielvonihrerfrüherenBedeutung. Wo will
Frankreich überhaupt mit seinem großen Erzreichtum hin? Das kohlenarme Frankreich,
das bisher auf deutschen Koth angewiesen war! Das volkarme Frankreich, dein es
an Arbeitskräften fehlt! Frankreich, dessen Roheisenerzeugung 1913 nur 5 Mil¬
lionen Tonnen betrug! Will Frankreich auf diesem Schatz als Monopolhüter
sitzen, um sich als Eroberer die Rente der Arbeiterschaft des unterlegenen Deutschland
zahlen zu lassen? Man sieht, eine wirtschaftliche Annäherung Elsaß-Lothringens


Grenzboten IV 1918 12
Llsaß-Lothringen im deutschen Industriestaat

Waren im Industriegebiet fand. So hat auch der lothringische Bauer ein großes
Interesse an der Lebensfähigkeit der lothringischen Industrie. Der elsässische Bauer,
den der hohe Vogesenwall von Frankreich trennt, sucht sein Absatzgebiet im rechts¬
rheinischen Land. Wie auf die Eisenindustrie, so hat die Rückkehr zum Reich auch
auf andere wirtschaftliche Kreise günstig gewirkt. Man denke an die oberelsässische
Textilindustrie, die sich ein günstiges Absatzgebiet auf dem deutschen Markt sicherte,
wcchrend sie in Frankreich von den ostfranzösischen Webereien erdrückt werden
würde. Ferner sei an den Weinbau erinnert, eine Quelle größten Wohlstandes
heute, 1869 aber noch kümmerlich unter dem Wettbewerb der billigen französischen
Weine. '

Diese Entwicklung aller Kräfte führte dazu, daß sich Wohlstand und Kultur
eit 1870 bedeutend gehoben haben. Die Vetnebslänge der Eisenbahnen wuchs;
le'Zahl der Postanstalten vermehrte sich; die Städte dehnten sich aus — Stra߬
burg hat seine Einwohnerzahl verdoppelt —; die Zahl der Schulen stieg auf das
Dreifache; die Universität wurde eine der besuchtesten Deutschlands usw. Wohin
man blickt, haben die Verbindungen mit dem großen deutschen Markt und die
über alle Welt gespannten Beziehungen Deutschlands lebend und befruchtend auf
alle Gebiete der Wirtschaft in Elsaß-Lothringen gewirkt. Daß das politische Leben
Deutschlands nicht ebenso günstig wirkte, lag eben daran, daß der politische Markt
noch nicht eröffnet war; heute ist er es.

Würde die Neutralität oder der Anschluß an Frankreich eine ähnlich gedeihliche
Zukunft gewährleisten? In nächster Nachbarschaft zum deutsch-lothringischen Eisenerz¬
gebiet liegt das französische Eisenerzlager von Briey undLongwy, in dem sich vor dem
Kriege der größte Teil der französischen Schwerindustrie befand. Wir hatten früher
gehofft, daß bei der Schaffung eines besseren Grenzschutzes für unsere Eisenwerk¬
stätte an der Grenze auch diese wichtigen Lager mit zu Deutschland kämen, wo¬
hin ihre Verkehrslage sie auch hinweist. Diese Hoffnungen sind verflogen. Heute
müssen wir darüber nachsinnen, ob durch die Nentralisierung oder Annexion Elsaß-
Lothringens uns die wichtigste Bezugsquelle unserer Eisenerze nicht verschlossen
würde. Die Annexion Elsaß-Lothringens durch Frankreich aus politischen
Gründen dürste wirtschaftlich für das Land wahrscheinlich Verkümmerung seiner
Kräfte bedeuten, da Frankreich für, eine Verwertung sowohl der Erze wie der
bedeutenden Roheisenerzeugung Lothringens nicht leistungsfähig genug ist. Die
lothringischen Hütten find groß geworden durch die deutsche eisenverarbeitende
Industrie. Im Falle der Neutralität würden zweifellos die engen wirtschaft¬
lichen Beziehungen mit Deutschland bestehen bleiben. Für die deutsche Industrie
waren die lothringischen Erze unentbehrliche Vorbedingung der Entwicklung.
300 Hochöfen verarbeiten das lothringische Erz; 20 Millionen Tonnen Roheisen
gewinnen wir jährlich daraus. ' Würde das deutsch-lothringische Erzlager von
Frankreich annektiert, so müßte es den Wettbewerb mit Briey und Longwy auf¬
nehmen. In Briey und Longwy liegt der bessere Teil der lothringischen Minette.
Die Erze haben einen größeren Eisengehalt, durchschnittlich 35 Prozent, während
die in Deutsch-Lothringen nur 26—30 Prozent enthalten. Dementsprechend wäre
zu erwarten, daß Elsaß-Lothringen an Bedeutung verlieren würde, da für Frank¬
reich die Erze von Briey und Longwy wertvoller sind. Es kommt aber weiterhin
noch hinzu, daß Frankreich im Begriffe ist, den Standort seiner Schwerindustrie
zu wechseln, indem es die von deutschen Unternehmern erschlossenen hochwertigen
normannischen Erze, die Erze von durchschnittlich 45 Prozent enthalten.' immer stärker
ausgebeutet und während des Krieges seine Rüstungsindustrie darauf aufgebaut hat.
Dadurch verlierendielothringischenErzlagervielvonihrerfrüherenBedeutung. Wo will
Frankreich überhaupt mit seinem großen Erzreichtum hin? Das kohlenarme Frankreich,
das bisher auf deutschen Koth angewiesen war! Das volkarme Frankreich, dein es
an Arbeitskräften fehlt! Frankreich, dessen Roheisenerzeugung 1913 nur 5 Mil¬
lionen Tonnen betrug! Will Frankreich auf diesem Schatz als Monopolhüter
sitzen, um sich als Eroberer die Rente der Arbeiterschaft des unterlegenen Deutschland
zahlen zu lassen? Man sieht, eine wirtschaftliche Annäherung Elsaß-Lothringens


Grenzboten IV 1918 12
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[0157] Llsaß-Lothringen im deutschen Industriestaat Waren im Industriegebiet fand. So hat auch der lothringische Bauer ein großes Interesse an der Lebensfähigkeit der lothringischen Industrie. Der elsässische Bauer, den der hohe Vogesenwall von Frankreich trennt, sucht sein Absatzgebiet im rechts¬ rheinischen Land. Wie auf die Eisenindustrie, so hat die Rückkehr zum Reich auch auf andere wirtschaftliche Kreise günstig gewirkt. Man denke an die oberelsässische Textilindustrie, die sich ein günstiges Absatzgebiet auf dem deutschen Markt sicherte, wcchrend sie in Frankreich von den ostfranzösischen Webereien erdrückt werden würde. Ferner sei an den Weinbau erinnert, eine Quelle größten Wohlstandes heute, 1869 aber noch kümmerlich unter dem Wettbewerb der billigen französischen Weine. ' Diese Entwicklung aller Kräfte führte dazu, daß sich Wohlstand und Kultur eit 1870 bedeutend gehoben haben. Die Vetnebslänge der Eisenbahnen wuchs; le'Zahl der Postanstalten vermehrte sich; die Städte dehnten sich aus — Stra߬ burg hat seine Einwohnerzahl verdoppelt —; die Zahl der Schulen stieg auf das Dreifache; die Universität wurde eine der besuchtesten Deutschlands usw. Wohin man blickt, haben die Verbindungen mit dem großen deutschen Markt und die über alle Welt gespannten Beziehungen Deutschlands lebend und befruchtend auf alle Gebiete der Wirtschaft in Elsaß-Lothringen gewirkt. Daß das politische Leben Deutschlands nicht ebenso günstig wirkte, lag eben daran, daß der politische Markt noch nicht eröffnet war; heute ist er es. Würde die Neutralität oder der Anschluß an Frankreich eine ähnlich gedeihliche Zukunft gewährleisten? In nächster Nachbarschaft zum deutsch-lothringischen Eisenerz¬ gebiet liegt das französische Eisenerzlager von Briey undLongwy, in dem sich vor dem Kriege der größte Teil der französischen Schwerindustrie befand. Wir hatten früher gehofft, daß bei der Schaffung eines besseren Grenzschutzes für unsere Eisenwerk¬ stätte an der Grenze auch diese wichtigen Lager mit zu Deutschland kämen, wo¬ hin ihre Verkehrslage sie auch hinweist. Diese Hoffnungen sind verflogen. Heute müssen wir darüber nachsinnen, ob durch die Nentralisierung oder Annexion Elsaß- Lothringens uns die wichtigste Bezugsquelle unserer Eisenerze nicht verschlossen würde. Die Annexion Elsaß-Lothringens durch Frankreich aus politischen Gründen dürste wirtschaftlich für das Land wahrscheinlich Verkümmerung seiner Kräfte bedeuten, da Frankreich für, eine Verwertung sowohl der Erze wie der bedeutenden Roheisenerzeugung Lothringens nicht leistungsfähig genug ist. Die lothringischen Hütten find groß geworden durch die deutsche eisenverarbeitende Industrie. Im Falle der Neutralität würden zweifellos die engen wirtschaft¬ lichen Beziehungen mit Deutschland bestehen bleiben. Für die deutsche Industrie waren die lothringischen Erze unentbehrliche Vorbedingung der Entwicklung. 300 Hochöfen verarbeiten das lothringische Erz; 20 Millionen Tonnen Roheisen gewinnen wir jährlich daraus. ' Würde das deutsch-lothringische Erzlager von Frankreich annektiert, so müßte es den Wettbewerb mit Briey und Longwy auf¬ nehmen. In Briey und Longwy liegt der bessere Teil der lothringischen Minette. Die Erze haben einen größeren Eisengehalt, durchschnittlich 35 Prozent, während die in Deutsch-Lothringen nur 26—30 Prozent enthalten. Dementsprechend wäre zu erwarten, daß Elsaß-Lothringen an Bedeutung verlieren würde, da für Frank¬ reich die Erze von Briey und Longwy wertvoller sind. Es kommt aber weiterhin noch hinzu, daß Frankreich im Begriffe ist, den Standort seiner Schwerindustrie zu wechseln, indem es die von deutschen Unternehmern erschlossenen hochwertigen normannischen Erze, die Erze von durchschnittlich 45 Prozent enthalten.' immer stärker ausgebeutet und während des Krieges seine Rüstungsindustrie darauf aufgebaut hat. Dadurch verlierendielothringischenErzlagervielvonihrerfrüherenBedeutung. Wo will Frankreich überhaupt mit seinem großen Erzreichtum hin? Das kohlenarme Frankreich, das bisher auf deutschen Koth angewiesen war! Das volkarme Frankreich, dein es an Arbeitskräften fehlt! Frankreich, dessen Roheisenerzeugung 1913 nur 5 Mil¬ lionen Tonnen betrug! Will Frankreich auf diesem Schatz als Monopolhüter sitzen, um sich als Eroberer die Rente der Arbeiterschaft des unterlegenen Deutschland zahlen zu lassen? Man sieht, eine wirtschaftliche Annäherung Elsaß-Lothringens Grenzboten IV 1918 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/157>, abgerufen am 24.11.2024.