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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Berufswahl und Begabtenschule

Ichaftskreis der Eltern hineingeboren, und sie sind bestrebt, ihm diejenige Bildung
zuteil werden zu lassen, die von den Voraussetzungen und Vorurteilen, aber auch
der materiellen Lage der Eltern und ihres sozialen Kreises gefordert wird;
immerhin unter der auslesenden Kontrolle einer unabhängigen und ständisch un-
de?influßten Schulbehörde, deren Bestreben dahin geht, die ganz unbrauchbaren
Elemente auszuscheiden. Hierdurch wird bereits jenes Streben nach Erhaltung
des ständischen Charakters der jungen Generation vielfach durchkreuzt; noch stärker
aber ist die Verschiebung, die eintritt durch die "Aufstrebenden". Es geht -- und
das wird von den Kämpfern gegen die "Standesschule" (als welche die höhere
Schule bezeichnet wird) fortwährend übersehen -- ein steter starker Strom von
Kindern geringerer Stände in die höheren Schulen und zu höherer Standesgeltung
empor, vor allem aus dein Kleinbeamten-, Kleinkaufmanns- und Handwerkerstand,
aber auch aus den Arbeiterkreisen; in vielen Schulen überwiegen diese Schüler
bei weitem. Diese Förderung durch oft rührend eutsagungsreiches Mühen und
Sparen der Eltern kommt durchaus nicht nur den Tüchtigen zugute, sondern oft
auch recht schwachen Begabungen, denen man wünschen möchte, daß die Eltern
sie nicht in die ihnen fremde Sphäre hineingedrängt hätten. Anders ist es mit
jenen Gutbegabtm, denen durch Freistellen, Stiftungen, Stipendien der Weg, aus
tieferen sozialen Schichten in höhere geebnet wird; ihre Würdigkeit untersteht einer
immerwährenden, ziemlich scharfen Kontrolle; versagen sie, so verlieren sie die
Unterstützungen. Die Zahl dieser Stipendiaten des Talentes ist .nicht gering.
Im ganzen aber entstammt von den Hochschulstudenten noch rund ein Drittel den
unteren Schichten. ,

Diesen Zustrom, der sich im Widerspruch mit dem erwähnten absterbenden
Ständeprinzip vollzieht, wird man als eine gesunde Ergänzung unserer höheren
Stände werten müssen. Freilich- je größer der soziale Abstand des Elternhauses
von der gebildeten Sphäre, desto gewaltsamer ist der Übergang, desto empfindlicher
der Mangel an Kinderstube, an Tradition; empfindlich sür den Kreis, in den diese
Neulinge treten, empfindlicher noch für diese Neulinge selbst, wenn ihr Inneres
nicht robust genug ist, sich über diese Mängel keck hinwegzusetzen. Auch die Los-
lösung von dem organischen Zusammenhang mit ihrer Familie läßt diese Leute
innerlich verarmen, wenn ihr Gemüt nicht fruchtbar alles ersetzt. Am wenigsten
fühlbar ist all das, wenn die aufsteigenden Elemente nicht mit einem Schritte
den Zwischenraum etwa zwischen dem Handarbeiter und dem Akademiker durch¬
messen, sondern wenn die Familie als solche diesen Weg zurücklegt, indem sie eine
Generation des unteren Mittelstandes oder kleinen Beamtentums einschiebt.

Je stärker dieser Zustrom standesfremder Elemente anschwillt, desto schwerer
wird es dem höheren Stande, diese mit seiner alten Kultur zu durchsäuern. An
der Erhaltung einer alten Kultur, die nur im Zusammenhang generationenlanger
Züchtung gedeiht, sollte dem Volksganzen, also auch dem Staat -- will er nicht
ein bloßer Mechanismus erscheinen '-- gelegen sein. Daher müßte er den Zustrom
in dem Sinne regulieren, daß die Erhaltung einer kultivierten Oberschicht nicht
in Frag- gestellt wird durch das Zuströmen von Massen, denen zwar nicht die
Kenntnisse, wohl aber die kulturellen Werte abgehen. Dies solange, als die Ober¬
schicht mit der normalen Verstärkung von unten sich nicht unfähig erwiesen hätte,
die ihr gestellten Aufgaben zu lösen.

Wie steht die Sache nun heute? Erfordert die Oberschicht notwendig einen
außerordentlichen Nachschub von unten, weil sie ihrer Aufgaben nicht Herr werden
kann? Müssen also neue Kanäle angelegt werden, die frisches Blut einführen?
Man wird nicht leugnen können, daß einige Angehörige dieses Volksteiles geneigt
waren, sich als beati vossiäentes zu fühlen und die Verpflichtungen der bevor¬
zugten Stellung, waren sie einmal in sie gelangt, leichter zu nehmen, als sür das
Ganze ersprießlich war. Aber dieser Gefahr wird man auch durch frischen Nach¬
schub nicht begegnen können, will man nicht durch jährlich neue Auslese die Würdig¬
keit feststellen und damit das soziale Gefüge immer neuen Stößen aussetzen, von
der Schwierigkeit der Wertung ganz abgesehen. Und wie sollte es mit dem


Berufswahl und Begabtenschule

Ichaftskreis der Eltern hineingeboren, und sie sind bestrebt, ihm diejenige Bildung
zuteil werden zu lassen, die von den Voraussetzungen und Vorurteilen, aber auch
der materiellen Lage der Eltern und ihres sozialen Kreises gefordert wird;
immerhin unter der auslesenden Kontrolle einer unabhängigen und ständisch un-
de?influßten Schulbehörde, deren Bestreben dahin geht, die ganz unbrauchbaren
Elemente auszuscheiden. Hierdurch wird bereits jenes Streben nach Erhaltung
des ständischen Charakters der jungen Generation vielfach durchkreuzt; noch stärker
aber ist die Verschiebung, die eintritt durch die „Aufstrebenden". Es geht — und
das wird von den Kämpfern gegen die „Standesschule" (als welche die höhere
Schule bezeichnet wird) fortwährend übersehen — ein steter starker Strom von
Kindern geringerer Stände in die höheren Schulen und zu höherer Standesgeltung
empor, vor allem aus dein Kleinbeamten-, Kleinkaufmanns- und Handwerkerstand,
aber auch aus den Arbeiterkreisen; in vielen Schulen überwiegen diese Schüler
bei weitem. Diese Förderung durch oft rührend eutsagungsreiches Mühen und
Sparen der Eltern kommt durchaus nicht nur den Tüchtigen zugute, sondern oft
auch recht schwachen Begabungen, denen man wünschen möchte, daß die Eltern
sie nicht in die ihnen fremde Sphäre hineingedrängt hätten. Anders ist es mit
jenen Gutbegabtm, denen durch Freistellen, Stiftungen, Stipendien der Weg, aus
tieferen sozialen Schichten in höhere geebnet wird; ihre Würdigkeit untersteht einer
immerwährenden, ziemlich scharfen Kontrolle; versagen sie, so verlieren sie die
Unterstützungen. Die Zahl dieser Stipendiaten des Talentes ist .nicht gering.
Im ganzen aber entstammt von den Hochschulstudenten noch rund ein Drittel den
unteren Schichten. ,

Diesen Zustrom, der sich im Widerspruch mit dem erwähnten absterbenden
Ständeprinzip vollzieht, wird man als eine gesunde Ergänzung unserer höheren
Stände werten müssen. Freilich- je größer der soziale Abstand des Elternhauses
von der gebildeten Sphäre, desto gewaltsamer ist der Übergang, desto empfindlicher
der Mangel an Kinderstube, an Tradition; empfindlich sür den Kreis, in den diese
Neulinge treten, empfindlicher noch für diese Neulinge selbst, wenn ihr Inneres
nicht robust genug ist, sich über diese Mängel keck hinwegzusetzen. Auch die Los-
lösung von dem organischen Zusammenhang mit ihrer Familie läßt diese Leute
innerlich verarmen, wenn ihr Gemüt nicht fruchtbar alles ersetzt. Am wenigsten
fühlbar ist all das, wenn die aufsteigenden Elemente nicht mit einem Schritte
den Zwischenraum etwa zwischen dem Handarbeiter und dem Akademiker durch¬
messen, sondern wenn die Familie als solche diesen Weg zurücklegt, indem sie eine
Generation des unteren Mittelstandes oder kleinen Beamtentums einschiebt.

Je stärker dieser Zustrom standesfremder Elemente anschwillt, desto schwerer
wird es dem höheren Stande, diese mit seiner alten Kultur zu durchsäuern. An
der Erhaltung einer alten Kultur, die nur im Zusammenhang generationenlanger
Züchtung gedeiht, sollte dem Volksganzen, also auch dem Staat — will er nicht
ein bloßer Mechanismus erscheinen '— gelegen sein. Daher müßte er den Zustrom
in dem Sinne regulieren, daß die Erhaltung einer kultivierten Oberschicht nicht
in Frag- gestellt wird durch das Zuströmen von Massen, denen zwar nicht die
Kenntnisse, wohl aber die kulturellen Werte abgehen. Dies solange, als die Ober¬
schicht mit der normalen Verstärkung von unten sich nicht unfähig erwiesen hätte,
die ihr gestellten Aufgaben zu lösen.

Wie steht die Sache nun heute? Erfordert die Oberschicht notwendig einen
außerordentlichen Nachschub von unten, weil sie ihrer Aufgaben nicht Herr werden
kann? Müssen also neue Kanäle angelegt werden, die frisches Blut einführen?
Man wird nicht leugnen können, daß einige Angehörige dieses Volksteiles geneigt
waren, sich als beati vossiäentes zu fühlen und die Verpflichtungen der bevor¬
zugten Stellung, waren sie einmal in sie gelangt, leichter zu nehmen, als sür das
Ganze ersprießlich war. Aber dieser Gefahr wird man auch durch frischen Nach¬
schub nicht begegnen können, will man nicht durch jährlich neue Auslese die Würdig¬
keit feststellen und damit das soziale Gefüge immer neuen Stößen aussetzen, von
der Schwierigkeit der Wertung ganz abgesehen. Und wie sollte es mit dem


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[0152] Berufswahl und Begabtenschule Ichaftskreis der Eltern hineingeboren, und sie sind bestrebt, ihm diejenige Bildung zuteil werden zu lassen, die von den Voraussetzungen und Vorurteilen, aber auch der materiellen Lage der Eltern und ihres sozialen Kreises gefordert wird; immerhin unter der auslesenden Kontrolle einer unabhängigen und ständisch un- de?influßten Schulbehörde, deren Bestreben dahin geht, die ganz unbrauchbaren Elemente auszuscheiden. Hierdurch wird bereits jenes Streben nach Erhaltung des ständischen Charakters der jungen Generation vielfach durchkreuzt; noch stärker aber ist die Verschiebung, die eintritt durch die „Aufstrebenden". Es geht — und das wird von den Kämpfern gegen die „Standesschule" (als welche die höhere Schule bezeichnet wird) fortwährend übersehen — ein steter starker Strom von Kindern geringerer Stände in die höheren Schulen und zu höherer Standesgeltung empor, vor allem aus dein Kleinbeamten-, Kleinkaufmanns- und Handwerkerstand, aber auch aus den Arbeiterkreisen; in vielen Schulen überwiegen diese Schüler bei weitem. Diese Förderung durch oft rührend eutsagungsreiches Mühen und Sparen der Eltern kommt durchaus nicht nur den Tüchtigen zugute, sondern oft auch recht schwachen Begabungen, denen man wünschen möchte, daß die Eltern sie nicht in die ihnen fremde Sphäre hineingedrängt hätten. Anders ist es mit jenen Gutbegabtm, denen durch Freistellen, Stiftungen, Stipendien der Weg, aus tieferen sozialen Schichten in höhere geebnet wird; ihre Würdigkeit untersteht einer immerwährenden, ziemlich scharfen Kontrolle; versagen sie, so verlieren sie die Unterstützungen. Die Zahl dieser Stipendiaten des Talentes ist .nicht gering. Im ganzen aber entstammt von den Hochschulstudenten noch rund ein Drittel den unteren Schichten. , Diesen Zustrom, der sich im Widerspruch mit dem erwähnten absterbenden Ständeprinzip vollzieht, wird man als eine gesunde Ergänzung unserer höheren Stände werten müssen. Freilich- je größer der soziale Abstand des Elternhauses von der gebildeten Sphäre, desto gewaltsamer ist der Übergang, desto empfindlicher der Mangel an Kinderstube, an Tradition; empfindlich sür den Kreis, in den diese Neulinge treten, empfindlicher noch für diese Neulinge selbst, wenn ihr Inneres nicht robust genug ist, sich über diese Mängel keck hinwegzusetzen. Auch die Los- lösung von dem organischen Zusammenhang mit ihrer Familie läßt diese Leute innerlich verarmen, wenn ihr Gemüt nicht fruchtbar alles ersetzt. Am wenigsten fühlbar ist all das, wenn die aufsteigenden Elemente nicht mit einem Schritte den Zwischenraum etwa zwischen dem Handarbeiter und dem Akademiker durch¬ messen, sondern wenn die Familie als solche diesen Weg zurücklegt, indem sie eine Generation des unteren Mittelstandes oder kleinen Beamtentums einschiebt. Je stärker dieser Zustrom standesfremder Elemente anschwillt, desto schwerer wird es dem höheren Stande, diese mit seiner alten Kultur zu durchsäuern. An der Erhaltung einer alten Kultur, die nur im Zusammenhang generationenlanger Züchtung gedeiht, sollte dem Volksganzen, also auch dem Staat — will er nicht ein bloßer Mechanismus erscheinen '— gelegen sein. Daher müßte er den Zustrom in dem Sinne regulieren, daß die Erhaltung einer kultivierten Oberschicht nicht in Frag- gestellt wird durch das Zuströmen von Massen, denen zwar nicht die Kenntnisse, wohl aber die kulturellen Werte abgehen. Dies solange, als die Ober¬ schicht mit der normalen Verstärkung von unten sich nicht unfähig erwiesen hätte, die ihr gestellten Aufgaben zu lösen. Wie steht die Sache nun heute? Erfordert die Oberschicht notwendig einen außerordentlichen Nachschub von unten, weil sie ihrer Aufgaben nicht Herr werden kann? Müssen also neue Kanäle angelegt werden, die frisches Blut einführen? Man wird nicht leugnen können, daß einige Angehörige dieses Volksteiles geneigt waren, sich als beati vossiäentes zu fühlen und die Verpflichtungen der bevor¬ zugten Stellung, waren sie einmal in sie gelangt, leichter zu nehmen, als sür das Ganze ersprießlich war. Aber dieser Gefahr wird man auch durch frischen Nach¬ schub nicht begegnen können, will man nicht durch jährlich neue Auslese die Würdig¬ keit feststellen und damit das soziale Gefüge immer neuen Stößen aussetzen, von der Schwierigkeit der Wertung ganz abgesehen. Und wie sollte es mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/152>, abgerufen am 22.07.2024.