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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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volkgcharakter und Individuum

Wenigstens sehr viele derselben ganz andere Eigenschaften zu offenbaren Pflegen,
als diejenigen es sind, die das Volk als Ganzes in seiner Politik zum Beispiel
betätigt. Wer würde, wenn er über Shakespeares, Shellhs, Byrons eng-'
lischen Ursprung nichts wüßte, darauf kommen, daß sie als Individuen derselben
Nation angehörten, die mit so rücksichtsloser Brutalität jeden Gegner (um Llohd
Georges Ausdruck zu brauchen) niedergeboxt hat, mit so unablässiger Zähigkeit
einen, nationalen Herrenwillen durchgesetzt hat. Gewiß schimmern in den
meisten Individuen solche Gemeinsamkeiten durch, ohne jedoch in. jedem ein¬
zelnen Falle wesentliche Züge des Charakters lauszumachen. Und doch besteht
jener Volksgeist oder Bolkscharakter jenseits Mer Individuen als eine unbestreit¬
bare, weil ungeheuer wirksame Wirklichkeit.

Diese Beispiele mögen genügen, um die Realität des Volkscharakters als
einer überindividuellen psychologischen Wesenheit zu illustrieren. Sind wir
uns bewußt, daß er nicht in jedem Einzelangehörigen der Nation in Reinkultur
wiedergefunden zu werden braucht wie in jedem Wirbeltier das Rückgrat,
so können wir, um sein Wesen faßbarer zu machen, ihn immerhin einem fiktiven
Subjekt zuschreiben, das als der "Träger" des sonst in der Luft schwebenden
psychischen Agens des Volkscharakters gelten kann. In diesem Sinne kann man
von "dem" Deutschen, "dem" Engländer, "dem" Franzosen als den Trägern
jenes überindividuellen Geistes sprechen. Als wissenschaftliche Hilfskonstruktion,
vorausgesetzt, daß man sich ihrer fiktiven Natur bewußt ist, darf man also solche
Typenbildungen gelten lasten.




Vielleicht ist es nützlich, - die hier erörterte überindividuelle psychologische
Einheit des Volksgeistes noch durch eine analoge Erscheinung zu illustrieren, die
möglicherweise einzelnes noch schärfer hervortreten läßt: den Zeitgeist. Die neuerm
historischen Wissenschaften find mit immer wachsender Energie ans Werk
gegangen, den Geist verschiedener Zeitepochen in den Unterschieden möglichst
scharf zu kontrastieren. Man arbeitet etwa den Geist der Gotik, den Geist der
Renaissance, den Geist der Barockzeit in der jeweiligen Eigenart möglichst scharf
hieraus, man erkennt dabei, daß die verschiedenen Stileigenheiten Auswirkungen
ganz bestimmter seelischer Funktionen oder Prävalenzverhältnisse sind, die sich
einer klar umschreibbaren Subjektivität zuordnen lassen; danach spricht man, als
wären es reale Größen, von einem "gotischen Menschen", einem "Menschen der
Renaissancezeit" und einem "Menschen des Barock". In der Tat nämlich setzen
die besonderen Stile jeder dieser Epochen ganz bestimmte seelische Grundlagen
voraus:, verschiedene Arten des Sehens, des Fühlens, des Temperaments.
Während zum Beispiel der Mensch der Renaissance die Welt statisch, in klarer
Gliederung, rational sieht und, denkt, sieht und denkt der Mensch der Barockzeit
die Welt dynamisch, in gewallter Fülle und Unübersichtlichkeit, worin er sich
berauscht; das Irrationale der Welt überwiegt für ihn den rationalen oder ratio¬
nalisierbaren Gehalt. Vergleicht man die Kunst dieser Epochen mit dem philo¬
sophischen Denken oder dem sozialen Leben der gleichen Zeit, so findet man
überall dieselben Phänomene, die man nur als Auswirkungen einer gleichen
Subjektivität, des gleichen "Diapason" verständlich machen kann."

Nun ist natürlich nicht anzunehmen, daß in der einen Zeit nur "statisch
veranlagte, in der andern Zeit nur "dynamisch" veranlagte Individuen geboren
wären: man hat sich die Sache so zu denken, daß eine überindividuelle, aber,
darum nicht etwa mystische, sondern sehr reale Wesenheit gleichsam durch die
Einzelseelen hindurch wirksam ist und sie in größerem oder geringerem Maße
sich unterwirst.

Diese Wirksamkeit des überindividuellen Zeitgeistes kann jeder Mensch an
sich beobachten an einer Erscheinung, deren Einfluß wir beständig, wenn auch in
der Regel unbewußt, unterliegen: an der Mode. Man mag wollen oder nicht,
man mag es wissen oder nicht, man wird in seinen ästhetischen Urteilen von dieser
überindividuellen Macht beeinflußt. Heute z. B. findet man in der Frauentracht


volkgcharakter und Individuum

Wenigstens sehr viele derselben ganz andere Eigenschaften zu offenbaren Pflegen,
als diejenigen es sind, die das Volk als Ganzes in seiner Politik zum Beispiel
betätigt. Wer würde, wenn er über Shakespeares, Shellhs, Byrons eng-'
lischen Ursprung nichts wüßte, darauf kommen, daß sie als Individuen derselben
Nation angehörten, die mit so rücksichtsloser Brutalität jeden Gegner (um Llohd
Georges Ausdruck zu brauchen) niedergeboxt hat, mit so unablässiger Zähigkeit
einen, nationalen Herrenwillen durchgesetzt hat. Gewiß schimmern in den
meisten Individuen solche Gemeinsamkeiten durch, ohne jedoch in. jedem ein¬
zelnen Falle wesentliche Züge des Charakters lauszumachen. Und doch besteht
jener Volksgeist oder Bolkscharakter jenseits Mer Individuen als eine unbestreit¬
bare, weil ungeheuer wirksame Wirklichkeit.

Diese Beispiele mögen genügen, um die Realität des Volkscharakters als
einer überindividuellen psychologischen Wesenheit zu illustrieren. Sind wir
uns bewußt, daß er nicht in jedem Einzelangehörigen der Nation in Reinkultur
wiedergefunden zu werden braucht wie in jedem Wirbeltier das Rückgrat,
so können wir, um sein Wesen faßbarer zu machen, ihn immerhin einem fiktiven
Subjekt zuschreiben, das als der „Träger" des sonst in der Luft schwebenden
psychischen Agens des Volkscharakters gelten kann. In diesem Sinne kann man
von „dem" Deutschen, „dem" Engländer, „dem" Franzosen als den Trägern
jenes überindividuellen Geistes sprechen. Als wissenschaftliche Hilfskonstruktion,
vorausgesetzt, daß man sich ihrer fiktiven Natur bewußt ist, darf man also solche
Typenbildungen gelten lasten.




Vielleicht ist es nützlich, - die hier erörterte überindividuelle psychologische
Einheit des Volksgeistes noch durch eine analoge Erscheinung zu illustrieren, die
möglicherweise einzelnes noch schärfer hervortreten läßt: den Zeitgeist. Die neuerm
historischen Wissenschaften find mit immer wachsender Energie ans Werk
gegangen, den Geist verschiedener Zeitepochen in den Unterschieden möglichst
scharf zu kontrastieren. Man arbeitet etwa den Geist der Gotik, den Geist der
Renaissance, den Geist der Barockzeit in der jeweiligen Eigenart möglichst scharf
hieraus, man erkennt dabei, daß die verschiedenen Stileigenheiten Auswirkungen
ganz bestimmter seelischer Funktionen oder Prävalenzverhältnisse sind, die sich
einer klar umschreibbaren Subjektivität zuordnen lassen; danach spricht man, als
wären es reale Größen, von einem „gotischen Menschen", einem „Menschen der
Renaissancezeit" und einem „Menschen des Barock". In der Tat nämlich setzen
die besonderen Stile jeder dieser Epochen ganz bestimmte seelische Grundlagen
voraus:, verschiedene Arten des Sehens, des Fühlens, des Temperaments.
Während zum Beispiel der Mensch der Renaissance die Welt statisch, in klarer
Gliederung, rational sieht und, denkt, sieht und denkt der Mensch der Barockzeit
die Welt dynamisch, in gewallter Fülle und Unübersichtlichkeit, worin er sich
berauscht; das Irrationale der Welt überwiegt für ihn den rationalen oder ratio¬
nalisierbaren Gehalt. Vergleicht man die Kunst dieser Epochen mit dem philo¬
sophischen Denken oder dem sozialen Leben der gleichen Zeit, so findet man
überall dieselben Phänomene, die man nur als Auswirkungen einer gleichen
Subjektivität, des gleichen „Diapason" verständlich machen kann."

Nun ist natürlich nicht anzunehmen, daß in der einen Zeit nur „statisch
veranlagte, in der andern Zeit nur „dynamisch" veranlagte Individuen geboren
wären: man hat sich die Sache so zu denken, daß eine überindividuelle, aber,
darum nicht etwa mystische, sondern sehr reale Wesenheit gleichsam durch die
Einzelseelen hindurch wirksam ist und sie in größerem oder geringerem Maße
sich unterwirst.

Diese Wirksamkeit des überindividuellen Zeitgeistes kann jeder Mensch an
sich beobachten an einer Erscheinung, deren Einfluß wir beständig, wenn auch in
der Regel unbewußt, unterliegen: an der Mode. Man mag wollen oder nicht,
man mag es wissen oder nicht, man wird in seinen ästhetischen Urteilen von dieser
überindividuellen Macht beeinflußt. Heute z. B. findet man in der Frauentracht


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[0124] volkgcharakter und Individuum Wenigstens sehr viele derselben ganz andere Eigenschaften zu offenbaren Pflegen, als diejenigen es sind, die das Volk als Ganzes in seiner Politik zum Beispiel betätigt. Wer würde, wenn er über Shakespeares, Shellhs, Byrons eng-' lischen Ursprung nichts wüßte, darauf kommen, daß sie als Individuen derselben Nation angehörten, die mit so rücksichtsloser Brutalität jeden Gegner (um Llohd Georges Ausdruck zu brauchen) niedergeboxt hat, mit so unablässiger Zähigkeit einen, nationalen Herrenwillen durchgesetzt hat. Gewiß schimmern in den meisten Individuen solche Gemeinsamkeiten durch, ohne jedoch in. jedem ein¬ zelnen Falle wesentliche Züge des Charakters lauszumachen. Und doch besteht jener Volksgeist oder Bolkscharakter jenseits Mer Individuen als eine unbestreit¬ bare, weil ungeheuer wirksame Wirklichkeit. Diese Beispiele mögen genügen, um die Realität des Volkscharakters als einer überindividuellen psychologischen Wesenheit zu illustrieren. Sind wir uns bewußt, daß er nicht in jedem Einzelangehörigen der Nation in Reinkultur wiedergefunden zu werden braucht wie in jedem Wirbeltier das Rückgrat, so können wir, um sein Wesen faßbarer zu machen, ihn immerhin einem fiktiven Subjekt zuschreiben, das als der „Träger" des sonst in der Luft schwebenden psychischen Agens des Volkscharakters gelten kann. In diesem Sinne kann man von „dem" Deutschen, „dem" Engländer, „dem" Franzosen als den Trägern jenes überindividuellen Geistes sprechen. Als wissenschaftliche Hilfskonstruktion, vorausgesetzt, daß man sich ihrer fiktiven Natur bewußt ist, darf man also solche Typenbildungen gelten lasten. Vielleicht ist es nützlich, - die hier erörterte überindividuelle psychologische Einheit des Volksgeistes noch durch eine analoge Erscheinung zu illustrieren, die möglicherweise einzelnes noch schärfer hervortreten läßt: den Zeitgeist. Die neuerm historischen Wissenschaften find mit immer wachsender Energie ans Werk gegangen, den Geist verschiedener Zeitepochen in den Unterschieden möglichst scharf zu kontrastieren. Man arbeitet etwa den Geist der Gotik, den Geist der Renaissance, den Geist der Barockzeit in der jeweiligen Eigenart möglichst scharf hieraus, man erkennt dabei, daß die verschiedenen Stileigenheiten Auswirkungen ganz bestimmter seelischer Funktionen oder Prävalenzverhältnisse sind, die sich einer klar umschreibbaren Subjektivität zuordnen lassen; danach spricht man, als wären es reale Größen, von einem „gotischen Menschen", einem „Menschen der Renaissancezeit" und einem „Menschen des Barock". In der Tat nämlich setzen die besonderen Stile jeder dieser Epochen ganz bestimmte seelische Grundlagen voraus:, verschiedene Arten des Sehens, des Fühlens, des Temperaments. Während zum Beispiel der Mensch der Renaissance die Welt statisch, in klarer Gliederung, rational sieht und, denkt, sieht und denkt der Mensch der Barockzeit die Welt dynamisch, in gewallter Fülle und Unübersichtlichkeit, worin er sich berauscht; das Irrationale der Welt überwiegt für ihn den rationalen oder ratio¬ nalisierbaren Gehalt. Vergleicht man die Kunst dieser Epochen mit dem philo¬ sophischen Denken oder dem sozialen Leben der gleichen Zeit, so findet man überall dieselben Phänomene, die man nur als Auswirkungen einer gleichen Subjektivität, des gleichen „Diapason" verständlich machen kann." Nun ist natürlich nicht anzunehmen, daß in der einen Zeit nur „statisch veranlagte, in der andern Zeit nur „dynamisch" veranlagte Individuen geboren wären: man hat sich die Sache so zu denken, daß eine überindividuelle, aber, darum nicht etwa mystische, sondern sehr reale Wesenheit gleichsam durch die Einzelseelen hindurch wirksam ist und sie in größerem oder geringerem Maße sich unterwirst. Diese Wirksamkeit des überindividuellen Zeitgeistes kann jeder Mensch an sich beobachten an einer Erscheinung, deren Einfluß wir beständig, wenn auch in der Regel unbewußt, unterliegen: an der Mode. Man mag wollen oder nicht, man mag es wissen oder nicht, man wird in seinen ästhetischen Urteilen von dieser überindividuellen Macht beeinflußt. Heute z. B. findet man in der Frauentracht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/124>, abgerufen am 24.11.2024.