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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Regierung und Parlament in Deutschland

Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts an so etwas denken I? -- wohl aber
in der Prüfung dieses Weltkrieges, wie sie früher und später nicht ihres gleichen
sah und sehen wird. Denn man komme uns doch nicht mit der doppelten Buch¬
führung "militärischer" und "politischer" Tüchtigkeit, wo es sich um die untrenn¬
bare Einheit völkisch-staatlicher Leistung handelt.

Und ferner: Man hört bei uns häufig das Bedauern, es fehle der deut¬
schen Politik an Einheitlichkeit, was ihr bitter not tue, sei Stabilität. Auch
das Ausland sieht in der "msnque et'nunc äans la clirection potiti^ne" eine
chronische Krankheit des Deutschen Reiches. Die Schuld wird sowohl auf die
Verschiedenheit der Wahlsysteme in Preußen und dem Gesamtstaate geschoben, wie
auf den Mangel einer Parteiverantwortlichkeit und. dadurch verursacht, fester Ziele
im Parlament nach innen und außen. Auch die unberechenbaren "Ueberraschungen"
von feiten des "persönlichen" Regimes spielen bei der Begründung eine Rolle.
Gewiß steckt in diesen Ueberlegungen viel Wahres. Also müßte man das parla¬
mentarische System herbeiwünschen, um die Dinge zu bessern? Das wäre ein
Mittel; nur daß man damit den Teufel durch Beelzebub austriebe, denn grade in
Ländern mit Parlamentsherrschaft erleben wir das chronische Leiden des be¬
schleunigten Ministerwechsels -- s. vor allem Frankreich! -- und die dadurch be¬
dingte Unmöglichkeit eines aus längere Zeit und höhere Interessen eingerichteten
Programms. Noch heute hat die französische Republik keine Einkommensteuer.
Daß sich der Organismus der Parteiregierung durch Selbstschutz einen Ausgleich
für diesen Schaden schafft, indem die Parteien, um allzu plötzliche Störungen
des Regierungskurses zu vermeiden, aufeinander Rücksicht nehmen und infolge¬
dessen namentlich in England die prinzipiellen Unterschiede zwischen Whigs und
Tories mit der Lupe zu suchen sind, ändert nichts an dem Tatbestand und kann
vor allem nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Gerade in dieser Be¬
ziehung bietet nun wieder das Beamtenregiment mit seinem ruhigen, gleichmäßigen
Entwicklungsgange unschätzbare Garantien für die Stetigkeit und Sicherheit der
Geschäftsführung. Um so mehr als jene parlamentarische Praxis gegenseitiger
Schonung ein neues Uebel im Gefolge hat: schon 1843 schrieb ein kluger Be¬
obachter des französischen Staatslebens, dort opponierten die Führer nicht, um
ein anderes System zur Herrschaft zu bringen, fondern um Minister zu werden
und hüteten sich vor Anträgen, deren Annahme ihnen als künftigen Ministern
selbst unbequem fallen könnte. Das wäre, fügt der Autor hinzu, "nur dann ein
Vorteil, wenn es in Frankreich nichts anzutragen, nichts zu .verbessern gäbe".
1917 hörten wir die gleichen Klagen aus dem Munde des Exministers Augagneur:
man verändere ja nur die Minister, nicht das System.

Zum dritten, damit wir nicht der Parteilichkeit geziehen werden: in Deutsch¬
land dünkt man sich sehr erhaben über die Korruption in parlamentarisch regierten
Ländern und betont den schädlichen Einfluß des Kapitals, der dort herrsche.
Aber auch unser eigenes politisches Leben ist von jenen kapitalistischen Einflüssen
nicht frei, das hat neuestens Max Weber wieder scharf unterstrichen. Ob nun
gerade, wie er meint, "Kapitalismus und Bureaukratie intim zusammen gehören",
kann dahingestellt bleiben, richtiger scheint es uns, mit Rathenau die "Herrschaft
einer gewaltigen Plutokratie in der gesamten zivilisierten Welt" als unentrinnbares
Schicksal anzunehmen, ohne persönliche Spitzen zu machen. Aber daraus kommt
es im Augenblicke nicht an. Wir wollten nur mit diesen Beispielen zeigen, wie
leicht es einseitige Kritik ermöglicht, auf einen Schelmen anderthalbe zu setzen oder
doch wenigstens mit gleicher Münze zu dienen.

Immer kommt es auf den Standpunkt an, von dem aus jaar die Dinge
sieht und dementsprechend sie dem einen rund oder als Punkt, dem anderen eckig
oder als Linie erscheinen. Wer weitere Belege wünscht, -- ihre Zahl ist Legion
-- der lese in der kürzlich erschienenen Schrift Pilotys*) das Plaidoyer zwischen



*) "Das Parlamentarische System. Eine Untersuchung seines Wesens und Wertes."
2. Aufl. W. Rothschild. Berlin 1917.
Regierung und Parlament in Deutschland

Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts an so etwas denken I? — wohl aber
in der Prüfung dieses Weltkrieges, wie sie früher und später nicht ihres gleichen
sah und sehen wird. Denn man komme uns doch nicht mit der doppelten Buch¬
führung „militärischer" und „politischer" Tüchtigkeit, wo es sich um die untrenn¬
bare Einheit völkisch-staatlicher Leistung handelt.

Und ferner: Man hört bei uns häufig das Bedauern, es fehle der deut¬
schen Politik an Einheitlichkeit, was ihr bitter not tue, sei Stabilität. Auch
das Ausland sieht in der »msnque et'nunc äans la clirection potiti^ne" eine
chronische Krankheit des Deutschen Reiches. Die Schuld wird sowohl auf die
Verschiedenheit der Wahlsysteme in Preußen und dem Gesamtstaate geschoben, wie
auf den Mangel einer Parteiverantwortlichkeit und. dadurch verursacht, fester Ziele
im Parlament nach innen und außen. Auch die unberechenbaren „Ueberraschungen"
von feiten des „persönlichen" Regimes spielen bei der Begründung eine Rolle.
Gewiß steckt in diesen Ueberlegungen viel Wahres. Also müßte man das parla¬
mentarische System herbeiwünschen, um die Dinge zu bessern? Das wäre ein
Mittel; nur daß man damit den Teufel durch Beelzebub austriebe, denn grade in
Ländern mit Parlamentsherrschaft erleben wir das chronische Leiden des be¬
schleunigten Ministerwechsels — s. vor allem Frankreich! — und die dadurch be¬
dingte Unmöglichkeit eines aus längere Zeit und höhere Interessen eingerichteten
Programms. Noch heute hat die französische Republik keine Einkommensteuer.
Daß sich der Organismus der Parteiregierung durch Selbstschutz einen Ausgleich
für diesen Schaden schafft, indem die Parteien, um allzu plötzliche Störungen
des Regierungskurses zu vermeiden, aufeinander Rücksicht nehmen und infolge¬
dessen namentlich in England die prinzipiellen Unterschiede zwischen Whigs und
Tories mit der Lupe zu suchen sind, ändert nichts an dem Tatbestand und kann
vor allem nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Gerade in dieser Be¬
ziehung bietet nun wieder das Beamtenregiment mit seinem ruhigen, gleichmäßigen
Entwicklungsgange unschätzbare Garantien für die Stetigkeit und Sicherheit der
Geschäftsführung. Um so mehr als jene parlamentarische Praxis gegenseitiger
Schonung ein neues Uebel im Gefolge hat: schon 1843 schrieb ein kluger Be¬
obachter des französischen Staatslebens, dort opponierten die Führer nicht, um
ein anderes System zur Herrschaft zu bringen, fondern um Minister zu werden
und hüteten sich vor Anträgen, deren Annahme ihnen als künftigen Ministern
selbst unbequem fallen könnte. Das wäre, fügt der Autor hinzu, „nur dann ein
Vorteil, wenn es in Frankreich nichts anzutragen, nichts zu .verbessern gäbe".
1917 hörten wir die gleichen Klagen aus dem Munde des Exministers Augagneur:
man verändere ja nur die Minister, nicht das System.

Zum dritten, damit wir nicht der Parteilichkeit geziehen werden: in Deutsch¬
land dünkt man sich sehr erhaben über die Korruption in parlamentarisch regierten
Ländern und betont den schädlichen Einfluß des Kapitals, der dort herrsche.
Aber auch unser eigenes politisches Leben ist von jenen kapitalistischen Einflüssen
nicht frei, das hat neuestens Max Weber wieder scharf unterstrichen. Ob nun
gerade, wie er meint, „Kapitalismus und Bureaukratie intim zusammen gehören",
kann dahingestellt bleiben, richtiger scheint es uns, mit Rathenau die „Herrschaft
einer gewaltigen Plutokratie in der gesamten zivilisierten Welt" als unentrinnbares
Schicksal anzunehmen, ohne persönliche Spitzen zu machen. Aber daraus kommt
es im Augenblicke nicht an. Wir wollten nur mit diesen Beispielen zeigen, wie
leicht es einseitige Kritik ermöglicht, auf einen Schelmen anderthalbe zu setzen oder
doch wenigstens mit gleicher Münze zu dienen.

Immer kommt es auf den Standpunkt an, von dem aus jaar die Dinge
sieht und dementsprechend sie dem einen rund oder als Punkt, dem anderen eckig
oder als Linie erscheinen. Wer weitere Belege wünscht, — ihre Zahl ist Legion
— der lese in der kürzlich erschienenen Schrift Pilotys*) das Plaidoyer zwischen



*) „Das Parlamentarische System. Eine Untersuchung seines Wesens und Wertes."
2. Aufl. W. Rothschild. Berlin 1917.
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[0096] Regierung und Parlament in Deutschland Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts an so etwas denken I? — wohl aber in der Prüfung dieses Weltkrieges, wie sie früher und später nicht ihres gleichen sah und sehen wird. Denn man komme uns doch nicht mit der doppelten Buch¬ führung „militärischer" und „politischer" Tüchtigkeit, wo es sich um die untrenn¬ bare Einheit völkisch-staatlicher Leistung handelt. Und ferner: Man hört bei uns häufig das Bedauern, es fehle der deut¬ schen Politik an Einheitlichkeit, was ihr bitter not tue, sei Stabilität. Auch das Ausland sieht in der »msnque et'nunc äans la clirection potiti^ne" eine chronische Krankheit des Deutschen Reiches. Die Schuld wird sowohl auf die Verschiedenheit der Wahlsysteme in Preußen und dem Gesamtstaate geschoben, wie auf den Mangel einer Parteiverantwortlichkeit und. dadurch verursacht, fester Ziele im Parlament nach innen und außen. Auch die unberechenbaren „Ueberraschungen" von feiten des „persönlichen" Regimes spielen bei der Begründung eine Rolle. Gewiß steckt in diesen Ueberlegungen viel Wahres. Also müßte man das parla¬ mentarische System herbeiwünschen, um die Dinge zu bessern? Das wäre ein Mittel; nur daß man damit den Teufel durch Beelzebub austriebe, denn grade in Ländern mit Parlamentsherrschaft erleben wir das chronische Leiden des be¬ schleunigten Ministerwechsels — s. vor allem Frankreich! — und die dadurch be¬ dingte Unmöglichkeit eines aus längere Zeit und höhere Interessen eingerichteten Programms. Noch heute hat die französische Republik keine Einkommensteuer. Daß sich der Organismus der Parteiregierung durch Selbstschutz einen Ausgleich für diesen Schaden schafft, indem die Parteien, um allzu plötzliche Störungen des Regierungskurses zu vermeiden, aufeinander Rücksicht nehmen und infolge¬ dessen namentlich in England die prinzipiellen Unterschiede zwischen Whigs und Tories mit der Lupe zu suchen sind, ändert nichts an dem Tatbestand und kann vor allem nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Gerade in dieser Be¬ ziehung bietet nun wieder das Beamtenregiment mit seinem ruhigen, gleichmäßigen Entwicklungsgange unschätzbare Garantien für die Stetigkeit und Sicherheit der Geschäftsführung. Um so mehr als jene parlamentarische Praxis gegenseitiger Schonung ein neues Uebel im Gefolge hat: schon 1843 schrieb ein kluger Be¬ obachter des französischen Staatslebens, dort opponierten die Führer nicht, um ein anderes System zur Herrschaft zu bringen, fondern um Minister zu werden und hüteten sich vor Anträgen, deren Annahme ihnen als künftigen Ministern selbst unbequem fallen könnte. Das wäre, fügt der Autor hinzu, „nur dann ein Vorteil, wenn es in Frankreich nichts anzutragen, nichts zu .verbessern gäbe". 1917 hörten wir die gleichen Klagen aus dem Munde des Exministers Augagneur: man verändere ja nur die Minister, nicht das System. Zum dritten, damit wir nicht der Parteilichkeit geziehen werden: in Deutsch¬ land dünkt man sich sehr erhaben über die Korruption in parlamentarisch regierten Ländern und betont den schädlichen Einfluß des Kapitals, der dort herrsche. Aber auch unser eigenes politisches Leben ist von jenen kapitalistischen Einflüssen nicht frei, das hat neuestens Max Weber wieder scharf unterstrichen. Ob nun gerade, wie er meint, „Kapitalismus und Bureaukratie intim zusammen gehören", kann dahingestellt bleiben, richtiger scheint es uns, mit Rathenau die „Herrschaft einer gewaltigen Plutokratie in der gesamten zivilisierten Welt" als unentrinnbares Schicksal anzunehmen, ohne persönliche Spitzen zu machen. Aber daraus kommt es im Augenblicke nicht an. Wir wollten nur mit diesen Beispielen zeigen, wie leicht es einseitige Kritik ermöglicht, auf einen Schelmen anderthalbe zu setzen oder doch wenigstens mit gleicher Münze zu dienen. Immer kommt es auf den Standpunkt an, von dem aus jaar die Dinge sieht und dementsprechend sie dem einen rund oder als Punkt, dem anderen eckig oder als Linie erscheinen. Wer weitere Belege wünscht, — ihre Zahl ist Legion — der lese in der kürzlich erschienenen Schrift Pilotys*) das Plaidoyer zwischen *) „Das Parlamentarische System. Eine Untersuchung seines Wesens und Wertes." 2. Aufl. W. Rothschild. Berlin 1917.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/96>, abgerufen am 22.07.2024.