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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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von Kühlmann zu -- Hertling

so gerüsteter auf das diplomatische Parkett treten zu können. Dies entspricht auch
durchaus den Bedingungen seines Erscheinens an der Spitze deS Auswärtigen Amtes.
Wie ein frisches Reis wird er auf einen alten Stamm gepfropft! Ein Außenseiter,
noch dazu aus dem Ressort hervorgegangen, das in erbittertster Rivalität gegen
das Auswärtige Amt durch ein Jahrzehnt und länger der auswärtigen Politik
des Reiches die von seinen Leitern als notwendig erkannte Richtung zu geben
trachtete. Herr von Hintze ist von Haus aus Marineoffizier, der seine diplomatische
Begabung schon als junger Flaggoffizier nachzuweisen Gelegenheit hatte. Er wuchs
aus und bildete seinen politischen Charakter an den positiven Aufgaben, die dem
Admiralstab und dem Reichsmarineamt seit Beginn der großzügigen und weit¬
blickenden Flottenpolitik Kaiser Wilhelms des Zweiten gestellt waren. DaS Aus¬
wärtige Amt hat eine solche Erziehung seinem jungen Nachwuchs im allgemeinen
nicht angedeihen lassen können. Der Charakter seiner Politik war dazu verdammt,
passiv zu sein; es mußte die starken Individualitäten unter seinem Nachwuchs
unterdrücken und zurückdämmen, und nie ist es darin rücksichtsloser vor¬
gegangen, als zur Zeit der Reichskanzlerschaft des Fürsten Bülow. Dennoch
wird der neue Chef manch eine hervorragende Kraft unter seinen Mitarbeitern
finden und auch Charaktere, wie sie die Zeit benötigt. ES gilt, sie zu finden und
ihnen den ihnen gebührenden Platz anzuweisen. Doch wie dem auch sei: mit
Herrn von Hintze zieht in jedem Falle ein neuer Geist in das alte Gebäude in
der Wilhelmstraße. Ob er darin wird heimisch werden können, das hängt von
der Art ab, wie er sich und dem Amt die großen politischen Aufgaben stellt.
Bleiben sie wie bisher defensiver Natur, und stehn sie nicht im Einklang mit dem
mächtigen Aufwärtsstreben der Nation, das sich in der Entwicklung unserer
industriellen und sonstigen Unternehmungslust ebenso offenbarte wie seit vier
Jahren in den gewaltigen Leistungen von Heer und Flotte, so wird auch Herr
von Hintze nicht imstande sein, neues Leben in die Diplomatie zu bringen, und
er wird sich, wie seine Vorgänger, in Reffortkämpfen und Parlamentsmiseren
zerreiben. Kann aber die Diplomatie freier wie bisher und ungehindert durch die
Berliner Stimmungen an die militärischen Erfolge anknüpfen, und sich unbeirrt
durch schwachherziges Philosophieren und Asthetentum der großen Aufgabe, den
diplomatischen Ring um uns zu zerbrechen, widmen, mit einem Wort, wird Herr
von Hintze die Kraft haben, Deutschland durch die zwar noch enge Bresche zu
führen, die Hindenburg und Ludendorff schon jetzt zur Freiheit geschlagen haben,
dann wird er auch der von uns allen ersehnte Mann am Steuer sein, und in
der Geschichte der großen Politik des Deutschen Reiches könnte dann vielleicht ein
wichtiger Abschnitt sehr wohl heißen von Bethmann Hollweg zu Hintze. Das
eben beschlossene Kapitel, das nichts anderes erzählen kann wie die Entwicklung
der Politik von Kühlmann zu Hertling, wäre des Abschnittes zweiter Teil.




von Kühlmann zu — Hertling

so gerüsteter auf das diplomatische Parkett treten zu können. Dies entspricht auch
durchaus den Bedingungen seines Erscheinens an der Spitze deS Auswärtigen Amtes.
Wie ein frisches Reis wird er auf einen alten Stamm gepfropft! Ein Außenseiter,
noch dazu aus dem Ressort hervorgegangen, das in erbittertster Rivalität gegen
das Auswärtige Amt durch ein Jahrzehnt und länger der auswärtigen Politik
des Reiches die von seinen Leitern als notwendig erkannte Richtung zu geben
trachtete. Herr von Hintze ist von Haus aus Marineoffizier, der seine diplomatische
Begabung schon als junger Flaggoffizier nachzuweisen Gelegenheit hatte. Er wuchs
aus und bildete seinen politischen Charakter an den positiven Aufgaben, die dem
Admiralstab und dem Reichsmarineamt seit Beginn der großzügigen und weit¬
blickenden Flottenpolitik Kaiser Wilhelms des Zweiten gestellt waren. DaS Aus¬
wärtige Amt hat eine solche Erziehung seinem jungen Nachwuchs im allgemeinen
nicht angedeihen lassen können. Der Charakter seiner Politik war dazu verdammt,
passiv zu sein; es mußte die starken Individualitäten unter seinem Nachwuchs
unterdrücken und zurückdämmen, und nie ist es darin rücksichtsloser vor¬
gegangen, als zur Zeit der Reichskanzlerschaft des Fürsten Bülow. Dennoch
wird der neue Chef manch eine hervorragende Kraft unter seinen Mitarbeitern
finden und auch Charaktere, wie sie die Zeit benötigt. ES gilt, sie zu finden und
ihnen den ihnen gebührenden Platz anzuweisen. Doch wie dem auch sei: mit
Herrn von Hintze zieht in jedem Falle ein neuer Geist in das alte Gebäude in
der Wilhelmstraße. Ob er darin wird heimisch werden können, das hängt von
der Art ab, wie er sich und dem Amt die großen politischen Aufgaben stellt.
Bleiben sie wie bisher defensiver Natur, und stehn sie nicht im Einklang mit dem
mächtigen Aufwärtsstreben der Nation, das sich in der Entwicklung unserer
industriellen und sonstigen Unternehmungslust ebenso offenbarte wie seit vier
Jahren in den gewaltigen Leistungen von Heer und Flotte, so wird auch Herr
von Hintze nicht imstande sein, neues Leben in die Diplomatie zu bringen, und
er wird sich, wie seine Vorgänger, in Reffortkämpfen und Parlamentsmiseren
zerreiben. Kann aber die Diplomatie freier wie bisher und ungehindert durch die
Berliner Stimmungen an die militärischen Erfolge anknüpfen, und sich unbeirrt
durch schwachherziges Philosophieren und Asthetentum der großen Aufgabe, den
diplomatischen Ring um uns zu zerbrechen, widmen, mit einem Wort, wird Herr
von Hintze die Kraft haben, Deutschland durch die zwar noch enge Bresche zu
führen, die Hindenburg und Ludendorff schon jetzt zur Freiheit geschlagen haben,
dann wird er auch der von uns allen ersehnte Mann am Steuer sein, und in
der Geschichte der großen Politik des Deutschen Reiches könnte dann vielleicht ein
wichtiger Abschnitt sehr wohl heißen von Bethmann Hollweg zu Hintze. Das
eben beschlossene Kapitel, das nichts anderes erzählen kann wie die Entwicklung
der Politik von Kühlmann zu Hertling, wäre des Abschnittes zweiter Teil.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/66>, abgerufen am 29.06.2024.