Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.von Uühlmann zu-- Hertling lediglich unter dem einen Gesichtspunkt der vorläufigen Befriedigung der Linken Herr Graf Hertling legte sich damals, am 29. NovemberKder Reichstags¬ 5"
von Uühlmann zu— Hertling lediglich unter dem einen Gesichtspunkt der vorläufigen Befriedigung der Linken Herr Graf Hertling legte sich damals, am 29. NovemberKder Reichstags¬ 5»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333908"/> <fw type="header" place="top"> von Uühlmann zu— Hertling</fw><lb/> <p xml:id="ID_233" prev="#ID_232"> lediglich unter dem einen Gesichtspunkt der vorläufigen Befriedigung der Linken<lb/> und der vorübergehenden Stärkung der inneren Front betrachtet wird, gewisse<lb/> Erfolge gezeitigt. Die Übernahme der Reichskanzlergeschäfte durch den Grafen<lb/> Hertling bedeutete für den damaligen Augenblick eine starke innerpolitische Ent-<lb/> lastung, und seine ruhige, vornehme, Vertrauen heischende Geschäftsführung hat<lb/> sich wiederholt bewährt. Die Festigung der inneren Front ging um so leichter<lb/> von statten, als bald auch die großen militärischen Siege in Italien die Stim¬<lb/> mung allenthalben neu belebten und während des Winters Ernährungsschwierig¬<lb/> keiten, wenigstens in Deutschland, nicht eintraten.</p><lb/> <p xml:id="ID_234" next="#ID_235"> Herr Graf Hertling legte sich damals, am 29. NovemberKder Reichstags¬<lb/> mehrheit gegenüber auf jenes Programm fest, als dessen Träger in den Augen der<lb/> Linken Herr von Kühlmann galt. Das war der Angelpunkt zu Kühlmanns Stellung<lb/> im Reichstag. Darum war es auch kaum zu vermeiden, daß die Stimmung<lb/> wieder abzuflauen begann, als die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk jene<lb/> gewaltsame Korrektur erfuhr, die sich äußerlich an den Namen des Generals<lb/> Hoffmann knüpfte; auch die großen militärischen Erfolge des abgelaufenen<lb/> Frühjahrs vermochten sie nicht oder doch nur sehr vorübergehend zu beleben.<lb/> Die Unerfreulichkeiten des Monats Juni, die sehr grelle Schlaglichter aus<lb/> die Verhältnisse bei unserem Bundesgenossen an der Donau warfen, schienen<lb/> sie völlig umzuwerfen. Die nationalen Parteien waren empört durch die Art,<lb/> wie die Verhandlungen geführt wurden, die Linke dagegen beleidigt, daß wir<lb/> in Brest-Litowsk nicht ohne weiteres alle von Rußland gewonnenen Faust¬<lb/> pfänder Herausgaben und die von uns besetzten Gebiete räumten; sie rief nach<lb/> der Verpflichtung vom 29. November und verwies die Regierung auf die Ent¬<lb/> schließung vom 19. Juli, „keine Annexionen, keine Kontributionen!" Die Furcht<lb/> tauchte wieder auf und wurde von der Linken und von Männern, die dem Staats¬<lb/> sekretär als befreundet galten, geflissentlich weiter getragen, daß die Brester<lb/> Methoden niemals zum Frieden führen würden. Herr von Kühlmann verlor,<lb/> als man auf der Linken zu bemerken glaubte, daß er in Brest-Litowsk eine<lb/> Politik gegen seine Überzeugung führte, an Vertrauen. Dann kam der Friede von<lb/> Bukarest. Er ist wohl der Gesamtheit des deutschen Volkes unverständlich geblieben:<lb/> keine nennenswerte Kriegsentschädigung als Strafe für den gemeinen Verrat<lb/> Rumäniens, keine Beseitigung des willensschwachen Königsl Herr von Kühl-<lb/> mann aber trat als Träger einer bestimmten Richtung immer mehr in den Vorder¬<lb/> grund. Natürlich umgeben von der eigenartig nebligen Atmosphäre, die die Luft<lb/> des Diplomaten ist; sie läßt den Kämpfer selten in scharf umrissenen Linien<lb/> erscheinen, wo sein Hauptverteidigungsmittel die Verschleierung ist. Kühlmann<lb/> erschien auch seinen Freunden nicht als der heroische Vorkämpfer für den Vorteil<lb/> seines Landes, als den sie ihn sich gewünscht haben, sondern als ein verschmitzter<lb/> und durchaus vorurteilsloser Diplomat, der alle Verhältnisse nur kaltblütig<lb/> benutzte, um ein eigenes, zunächst nicht klar erkennbares Programm schließlich durch-<lb/> zusetzen, wenn es so weit sein würde. Die Angriffe der alldeutschen Presse ließen<lb/> das persönliche Element in Kühlmanns Politik noch schärfer hervortreten. Es<lb/> war bald nicht mehr von der Politik des Reichskanzlers, sondern von der Kühl-<lb/> manns die Rede. Graf Hertling schien für die auswärtige Politik abgedankt<lb/> zu haben, wenn er auch wiederholt Gelegenheit nahm zu betonen, daß</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 5»</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
von Uühlmann zu— Hertling
lediglich unter dem einen Gesichtspunkt der vorläufigen Befriedigung der Linken
und der vorübergehenden Stärkung der inneren Front betrachtet wird, gewisse
Erfolge gezeitigt. Die Übernahme der Reichskanzlergeschäfte durch den Grafen
Hertling bedeutete für den damaligen Augenblick eine starke innerpolitische Ent-
lastung, und seine ruhige, vornehme, Vertrauen heischende Geschäftsführung hat
sich wiederholt bewährt. Die Festigung der inneren Front ging um so leichter
von statten, als bald auch die großen militärischen Siege in Italien die Stim¬
mung allenthalben neu belebten und während des Winters Ernährungsschwierig¬
keiten, wenigstens in Deutschland, nicht eintraten.
Herr Graf Hertling legte sich damals, am 29. NovemberKder Reichstags¬
mehrheit gegenüber auf jenes Programm fest, als dessen Träger in den Augen der
Linken Herr von Kühlmann galt. Das war der Angelpunkt zu Kühlmanns Stellung
im Reichstag. Darum war es auch kaum zu vermeiden, daß die Stimmung
wieder abzuflauen begann, als die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk jene
gewaltsame Korrektur erfuhr, die sich äußerlich an den Namen des Generals
Hoffmann knüpfte; auch die großen militärischen Erfolge des abgelaufenen
Frühjahrs vermochten sie nicht oder doch nur sehr vorübergehend zu beleben.
Die Unerfreulichkeiten des Monats Juni, die sehr grelle Schlaglichter aus
die Verhältnisse bei unserem Bundesgenossen an der Donau warfen, schienen
sie völlig umzuwerfen. Die nationalen Parteien waren empört durch die Art,
wie die Verhandlungen geführt wurden, die Linke dagegen beleidigt, daß wir
in Brest-Litowsk nicht ohne weiteres alle von Rußland gewonnenen Faust¬
pfänder Herausgaben und die von uns besetzten Gebiete räumten; sie rief nach
der Verpflichtung vom 29. November und verwies die Regierung auf die Ent¬
schließung vom 19. Juli, „keine Annexionen, keine Kontributionen!" Die Furcht
tauchte wieder auf und wurde von der Linken und von Männern, die dem Staats¬
sekretär als befreundet galten, geflissentlich weiter getragen, daß die Brester
Methoden niemals zum Frieden führen würden. Herr von Kühlmann verlor,
als man auf der Linken zu bemerken glaubte, daß er in Brest-Litowsk eine
Politik gegen seine Überzeugung führte, an Vertrauen. Dann kam der Friede von
Bukarest. Er ist wohl der Gesamtheit des deutschen Volkes unverständlich geblieben:
keine nennenswerte Kriegsentschädigung als Strafe für den gemeinen Verrat
Rumäniens, keine Beseitigung des willensschwachen Königsl Herr von Kühl-
mann aber trat als Träger einer bestimmten Richtung immer mehr in den Vorder¬
grund. Natürlich umgeben von der eigenartig nebligen Atmosphäre, die die Luft
des Diplomaten ist; sie läßt den Kämpfer selten in scharf umrissenen Linien
erscheinen, wo sein Hauptverteidigungsmittel die Verschleierung ist. Kühlmann
erschien auch seinen Freunden nicht als der heroische Vorkämpfer für den Vorteil
seines Landes, als den sie ihn sich gewünscht haben, sondern als ein verschmitzter
und durchaus vorurteilsloser Diplomat, der alle Verhältnisse nur kaltblütig
benutzte, um ein eigenes, zunächst nicht klar erkennbares Programm schließlich durch-
zusetzen, wenn es so weit sein würde. Die Angriffe der alldeutschen Presse ließen
das persönliche Element in Kühlmanns Politik noch schärfer hervortreten. Es
war bald nicht mehr von der Politik des Reichskanzlers, sondern von der Kühl-
manns die Rede. Graf Hertling schien für die auswärtige Politik abgedankt
zu haben, wenn er auch wiederholt Gelegenheit nahm zu betonen, daß
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