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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zunächst auf dem Gebiet der inneren Politik
zu erwarten: von sozialdemokratischer Seite
sicher, von freisinniger und erzbergerischer
vielleicht werden dem neuen Staatssekretär
Schwierigkeiten bereitet werden. Von diesem
Gesichtspunkt aus warnte ich vor acht Tagen
davor, in diesen: Augenblick einen Wechsel im
Staatssekretariat vorzunehmen. Die Anforde¬
rungen an Herrn von Hintze werden jedenfalls
noch höher steigen, wie an seinen Vorgänger.
Herrn von Hintze wünschen wir deshalb für
Berlin dieselben guten Nerven, die er bisher
in Petersburg, Mexiko und Christiania in so
G. Lleinow hohem Maße bewiesen hat.

Der Gesandtenmord in Moskau.


Die
Scheußlichkeiten dieses Krieges sind um eine
neue Gemeinheit vermehrt worden: Gesandten¬
mord I In Moskau wurde am Sonnabend,
den 6. d. M. vormittags der deutsche Bot¬
schafter Graf Mirbach in seinem Empfangs¬
zimmer in Gegenwart des Geheimrath
Dr. Riezler und noch eines Herrn von zwei
Individuen durch Revolverschüsse und Hand¬
granatenwurf ermordet. Die Mörder ent¬
kamen I

Graf Mirbach ist das Opfer der innerpoli¬
tischen Kämpfe in Rußland. Die Beziehungen
des Gesandten zu den Regierungsvertretern,
insbesondere zu Tschitscherin, dem Kommissar
der auswärtigen Angelegenheiten, waren gut
und wuchsen sich immer mehr zu einem
Vertrauensverhältnis aus. Graf Mirbach
hat es in hohem Maße verstanden, der Mos¬
kaner Regierung Verständnis dafür einzu¬
flößen, welchen Nutzen sie und die Entwick¬
lung Nordrußlands unter ihrer Leitung von
einer Anlehnung an Deutschland haben werde,
und die Haltung der russischen Regierung in
allen schwebenden Fragen nahm in letzter
Zeit immer mehr den Charakter vertrauens¬
voller Hinneigung zu uns an. Es hat daher
Berechtigung, wenn gefolgert wird, daß der
Mord von jener Seite in Szene gesetzt wurde,
die der Entwicklung der deutsch-russischen
Beziehungen nur mit Mißbehagen zusehen
konnte, von feiten der Entente. So ange¬
sehen, wäre der Gesandtenmord von Moskau
geeignet, ein sehr grelles Licht auf Stimmung
und Loge bei unseren Gegnern zu werfen:
sähen sie sich nicht dem Zusammenbruch gegen¬
über, sie könnten als Antwort aus die ver¬

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söhnliche Halmng der deutschen Diplo¬
matie nicht mit dem furchtbarsten Verbrechen
antworten, eben mit Gesandtenmord. Es
wäre ein vollständiges va banque-Spiel, das
sich vor unseren entsetzten Augen entrollt,
nur denkbar unter der Voraussetzung, daß
die Entente kein ehrliches Kriegsmittel mehr
kennt, um ihre Stellung in diesem Ringen
zu retten.

Neben einer solchen Auslegung deS Mor¬
des und seiner Motive find aber noch genug Tat¬
sachen vorhanden, die auf näherliegende Ur¬
sachen deuten. Der politische Mord ist die übliche
Reaktion der Russen gegen Druck von oben.
Die Regierung der Bolschewiki hat mit den¬
selben und härteren Mitteln versucht, die
Ordnung in Nußland wieder herzustellen,
wie die gestürzte Regierung des Zaren.
Täglich fallen die Opfer der maximalistischen
Negierungsmethoden, und nach Tausenden
sind die Todesurteile zu beziffern, die ohne
ordentliche Gerichte, ohne sorgfältige Vor¬
untersuchung, ohne ordentlichen Spruch, viel¬
fach auf unbewiesene Denunziationen hin,
gefällt wurden. Daneben gedeiht das Be-
stechungsrmwesen unverhüllter denn je, und
die Ausplünderung der Gegner der Regie¬
rung hat einen Umfang und Formen ange¬
nommen, wie sie vielleicht in den orientalischen
Staaten früherer Jahrhunderte geblüht haben
mögen. Vor einigen Wochen erfolgte seit
Jahren der erste terroristische Akt im neuen
Rußland durch die Ermordung des Peters¬
burger Pressekommissars, der die bürger¬
liche Presse in unbegrenzter Nichtachtung
jeden Gesetzes drangsalierte. Die deutsche
Presse hat von jenem Vorgange nur wenig
Vermerk genommen.

Gewiß, es war ein blutiges Opfer mehr in
diesem KriegeI aber es war doch mehr: es
war das Zeichen zur Rückkehr der russischen
Gesellschaft zum Terror, von dem man sich
nach der Ermordung Plewes abgesagt hatte.
Das zweite Opfer ist nun unser Gesandter,
als Vertreter der Macht, die als die stärkste
moralische Stütze der maximalistischen Re¬
gierung gilt. Ich fürchte, nach dem geglückten
Attentat werden weitere folgen, und sie
werden sich ebenso gegen die Sowjetleute wie
gegen deren augenscheinliche Bundesgenossen,
die deutschen Regierungsvertreter richten. Auf

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zunächst auf dem Gebiet der inneren Politik
zu erwarten: von sozialdemokratischer Seite
sicher, von freisinniger und erzbergerischer
vielleicht werden dem neuen Staatssekretär
Schwierigkeiten bereitet werden. Von diesem
Gesichtspunkt aus warnte ich vor acht Tagen
davor, in diesen: Augenblick einen Wechsel im
Staatssekretariat vorzunehmen. Die Anforde¬
rungen an Herrn von Hintze werden jedenfalls
noch höher steigen, wie an seinen Vorgänger.
Herrn von Hintze wünschen wir deshalb für
Berlin dieselben guten Nerven, die er bisher
in Petersburg, Mexiko und Christiania in so
G. Lleinow hohem Maße bewiesen hat.

Der Gesandtenmord in Moskau.


Die
Scheußlichkeiten dieses Krieges sind um eine
neue Gemeinheit vermehrt worden: Gesandten¬
mord I In Moskau wurde am Sonnabend,
den 6. d. M. vormittags der deutsche Bot¬
schafter Graf Mirbach in seinem Empfangs¬
zimmer in Gegenwart des Geheimrath
Dr. Riezler und noch eines Herrn von zwei
Individuen durch Revolverschüsse und Hand¬
granatenwurf ermordet. Die Mörder ent¬
kamen I

Graf Mirbach ist das Opfer der innerpoli¬
tischen Kämpfe in Rußland. Die Beziehungen
des Gesandten zu den Regierungsvertretern,
insbesondere zu Tschitscherin, dem Kommissar
der auswärtigen Angelegenheiten, waren gut
und wuchsen sich immer mehr zu einem
Vertrauensverhältnis aus. Graf Mirbach
hat es in hohem Maße verstanden, der Mos¬
kaner Regierung Verständnis dafür einzu¬
flößen, welchen Nutzen sie und die Entwick¬
lung Nordrußlands unter ihrer Leitung von
einer Anlehnung an Deutschland haben werde,
und die Haltung der russischen Regierung in
allen schwebenden Fragen nahm in letzter
Zeit immer mehr den Charakter vertrauens¬
voller Hinneigung zu uns an. Es hat daher
Berechtigung, wenn gefolgert wird, daß der
Mord von jener Seite in Szene gesetzt wurde,
die der Entwicklung der deutsch-russischen
Beziehungen nur mit Mißbehagen zusehen
konnte, von feiten der Entente. So ange¬
sehen, wäre der Gesandtenmord von Moskau
geeignet, ein sehr grelles Licht auf Stimmung
und Loge bei unseren Gegnern zu werfen:
sähen sie sich nicht dem Zusammenbruch gegen¬
über, sie könnten als Antwort aus die ver¬

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söhnliche Halmng der deutschen Diplo¬
matie nicht mit dem furchtbarsten Verbrechen
antworten, eben mit Gesandtenmord. Es
wäre ein vollständiges va banque-Spiel, das
sich vor unseren entsetzten Augen entrollt,
nur denkbar unter der Voraussetzung, daß
die Entente kein ehrliches Kriegsmittel mehr
kennt, um ihre Stellung in diesem Ringen
zu retten.

Neben einer solchen Auslegung deS Mor¬
des und seiner Motive find aber noch genug Tat¬
sachen vorhanden, die auf näherliegende Ur¬
sachen deuten. Der politische Mord ist die übliche
Reaktion der Russen gegen Druck von oben.
Die Regierung der Bolschewiki hat mit den¬
selben und härteren Mitteln versucht, die
Ordnung in Nußland wieder herzustellen,
wie die gestürzte Regierung des Zaren.
Täglich fallen die Opfer der maximalistischen
Negierungsmethoden, und nach Tausenden
sind die Todesurteile zu beziffern, die ohne
ordentliche Gerichte, ohne sorgfältige Vor¬
untersuchung, ohne ordentlichen Spruch, viel¬
fach auf unbewiesene Denunziationen hin,
gefällt wurden. Daneben gedeiht das Be-
stechungsrmwesen unverhüllter denn je, und
die Ausplünderung der Gegner der Regie¬
rung hat einen Umfang und Formen ange¬
nommen, wie sie vielleicht in den orientalischen
Staaten früherer Jahrhunderte geblüht haben
mögen. Vor einigen Wochen erfolgte seit
Jahren der erste terroristische Akt im neuen
Rußland durch die Ermordung des Peters¬
burger Pressekommissars, der die bürger¬
liche Presse in unbegrenzter Nichtachtung
jeden Gesetzes drangsalierte. Die deutsche
Presse hat von jenem Vorgange nur wenig
Vermerk genommen.

Gewiß, es war ein blutiges Opfer mehr in
diesem KriegeI aber es war doch mehr: es
war das Zeichen zur Rückkehr der russischen
Gesellschaft zum Terror, von dem man sich
nach der Ermordung Plewes abgesagt hatte.
Das zweite Opfer ist nun unser Gesandter,
als Vertreter der Macht, die als die stärkste
moralische Stütze der maximalistischen Re¬
gierung gilt. Ich fürchte, nach dem geglückten
Attentat werden weitere folgen, und sie
werden sich ebenso gegen die Sowjetleute wie
gegen deren augenscheinliche Bundesgenossen,
die deutschen Regierungsvertreter richten. Auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/58>, abgerufen am 29.06.2024.