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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Neue Parteiprogramme

Begriffs: kraftvolle Volksvertretung durch die spätere Forderung: volkstümliche
und freiheitliche Ausgestaltung der Verfassung, ist dehnbar genug -- der "Vor¬
wärts" nennt sie einen "Schwamm", -- und zeigt die Parteiweisen als Meister
der Taktik. Für die "Germania" wird allerdings die Beziehung zur WahlrechtS-
frage "ohne weiteres klar", aber gerade die bisherige Behandlung dieser Frage
ist ein Musterbeispiel für die außerordentliche Manövrierfähigkeit der Partei, die
ein Janusgesicht zeigt und zeigen muß. Bekämpfen sich doch gerade hierbei in
ihrem Schoße die schärfsten Gegensätze von rechts und links, die jeden gewöhn¬
lichen politischen Verband sprengen würden und nur durch jene transzendenten
Bindemittel, wie sie eben nur dem Zentrum zur Verfügung stehen, zusammen-
gehalten werden. Auf der einen Seite scheinen zwar die funfzigjährigen Über¬
lieferungen der Partei, das Vermächtnis Windthorsts, in der Angelegenheit des
gleichen Wahlrechts die Entscheidung außerhalb jedes Zweifels zu stellen, und die
Haltung eines großen Teiles der Presse während der Verhandlungen des Abge¬
ordnetenhauses bestätigt diese "Prädestination". Andererseits stimmt es doch be¬
denklich, wenn man sieht, wie nicht nur die Gruppe dissentierender Elemente bis
zur vierten Lesung auf ein Drittel der Stimmen angewachsen ist, sondern mehr
noch, welchen Wert und welche Bedeutung gerade demokratische Beurteiler diesen
Elementen der Partei zuschreiben. So hat der Kölner sozialistische Redakteur und
Reichstagsabgeordnete Meerfeld in seiner durch Gerechtigkeit und Sachlichkeit aus¬
gezeichneten Geschichte der Zentrumspartei deren Wahlreformeifer, wie er in den
Anträgen von 1873 und 1907 zum Ausdruck gelangte, sehr gering angeschlagen
und auch angesichts der neueren Ereignisse an der Meinung festgehalten, daß sich
seit Gründung der Partei an ihrem streng konservativen Charakter nichts geändert
habe.*) Er zitiert eine Äußerung der Dortmunder Tremonia aus dem Jahre 1908:
Unendlich wichtiger als eine zwecklose Demonstration (für das Wahlrecht) sei der
Kampf gegen die große Gefahr, daß eine liberale Mehrheit im Abgeordnetenhause
die Leitung des Kultusministeriums übernehme. Nun hat sich ja in einem Jahr¬
zehnt viel geändert; heute schreibt dasselbe Blatt, das Episkopat stehe nicht hinter
Kardinal von Hartmann, der kein Freund des gleichen Wahlrechts sei, und die
katholische Arbeiterschaft stehe mit der Zentrumsmehrheit auf der Seite von König
und Staatsregierung. Man mag auch angesichts der Wahlrechtskundgebung der
christlich-nationalen Arbeiterschaft Westdeutschlands (26. Mai) oder der Kölner und
Essener Reden des Generalsekretärs Stegerwald (Ende Juli) von der Tatsache
Kenntnis nehmen, daß die demokratische Flut innerhalb des Zentrums ebenso im
Steigen begriffen ist wie anderswo -- mit einer "Demokratisierung" der Partei
dürfte es' trotzdem noch gute Weile haben, vollends eine "Z-ze-sssici plebis"' ins
sozialdemokratische Lager liegt jenseits aller Befürchtungen oder Hoffnungen;
darüber sind sich interessierte und neutrale Kreise einig. Und gerade der außer¬
ordentlich geschickte Kampfruf: Volkstümliche und freiheitliche Ausgestaltung der
Verfassung wird hier Las Seinige dazu beitragen.

Auch in der Außenpolitik (Abschnitt 2) haben die Richtlinien den Stein des
Anstoßes wohlweislich umgangen. Zwar ist vom Ausbau der internationalen
Schiedsgerichtsbarkeit die Rede, davor steht jedoch die Forderung, in politischer,
kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht die deutsche Weltstellung zu sichern und
auszubauen, als deren Bedingung die Freiheit der Meere besonders genannt ist.
Nirgends eine Erwähnung der Juliresolution, als deren geistiger Vater doch Herr
Erzberger zu gelten hat, sowie des Schlagwortes vom Verständigungsfrieden. Der
"Vorwärts" ist denn auch sehr ungehalten darüber, daß sich die Bundesgenossen
der Reichstagsmehrheit über die von Leo dem Dreizehnter und früheren Katho¬
likentagen so energisch vertretene Frage der Abrüstung und vor allem über die
Notwendigkeit eines "die Wiederholung ähnlicher Katastrophen" ausschließenden
Friedens so völlig ausschweigen. Er kann sich diese "beklagenswerte Zurück-



Sie selbst bezeichnet sich allerdings offiziös lieber als "Mittelpartei" mit der
Maxime vom Interessenausgleich unter den -verschiedenen Ständen (s. "Germania" Ur. 427).
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Begriffs: kraftvolle Volksvertretung durch die spätere Forderung: volkstümliche
und freiheitliche Ausgestaltung der Verfassung, ist dehnbar genug — der „Vor¬
wärts" nennt sie einen „Schwamm", — und zeigt die Parteiweisen als Meister
der Taktik. Für die „Germania" wird allerdings die Beziehung zur WahlrechtS-
frage „ohne weiteres klar", aber gerade die bisherige Behandlung dieser Frage
ist ein Musterbeispiel für die außerordentliche Manövrierfähigkeit der Partei, die
ein Janusgesicht zeigt und zeigen muß. Bekämpfen sich doch gerade hierbei in
ihrem Schoße die schärfsten Gegensätze von rechts und links, die jeden gewöhn¬
lichen politischen Verband sprengen würden und nur durch jene transzendenten
Bindemittel, wie sie eben nur dem Zentrum zur Verfügung stehen, zusammen-
gehalten werden. Auf der einen Seite scheinen zwar die funfzigjährigen Über¬
lieferungen der Partei, das Vermächtnis Windthorsts, in der Angelegenheit des
gleichen Wahlrechts die Entscheidung außerhalb jedes Zweifels zu stellen, und die
Haltung eines großen Teiles der Presse während der Verhandlungen des Abge¬
ordnetenhauses bestätigt diese „Prädestination". Andererseits stimmt es doch be¬
denklich, wenn man sieht, wie nicht nur die Gruppe dissentierender Elemente bis
zur vierten Lesung auf ein Drittel der Stimmen angewachsen ist, sondern mehr
noch, welchen Wert und welche Bedeutung gerade demokratische Beurteiler diesen
Elementen der Partei zuschreiben. So hat der Kölner sozialistische Redakteur und
Reichstagsabgeordnete Meerfeld in seiner durch Gerechtigkeit und Sachlichkeit aus¬
gezeichneten Geschichte der Zentrumspartei deren Wahlreformeifer, wie er in den
Anträgen von 1873 und 1907 zum Ausdruck gelangte, sehr gering angeschlagen
und auch angesichts der neueren Ereignisse an der Meinung festgehalten, daß sich
seit Gründung der Partei an ihrem streng konservativen Charakter nichts geändert
habe.*) Er zitiert eine Äußerung der Dortmunder Tremonia aus dem Jahre 1908:
Unendlich wichtiger als eine zwecklose Demonstration (für das Wahlrecht) sei der
Kampf gegen die große Gefahr, daß eine liberale Mehrheit im Abgeordnetenhause
die Leitung des Kultusministeriums übernehme. Nun hat sich ja in einem Jahr¬
zehnt viel geändert; heute schreibt dasselbe Blatt, das Episkopat stehe nicht hinter
Kardinal von Hartmann, der kein Freund des gleichen Wahlrechts sei, und die
katholische Arbeiterschaft stehe mit der Zentrumsmehrheit auf der Seite von König
und Staatsregierung. Man mag auch angesichts der Wahlrechtskundgebung der
christlich-nationalen Arbeiterschaft Westdeutschlands (26. Mai) oder der Kölner und
Essener Reden des Generalsekretärs Stegerwald (Ende Juli) von der Tatsache
Kenntnis nehmen, daß die demokratische Flut innerhalb des Zentrums ebenso im
Steigen begriffen ist wie anderswo — mit einer „Demokratisierung" der Partei
dürfte es' trotzdem noch gute Weile haben, vollends eine „Z-ze-sssici plebis"' ins
sozialdemokratische Lager liegt jenseits aller Befürchtungen oder Hoffnungen;
darüber sind sich interessierte und neutrale Kreise einig. Und gerade der außer¬
ordentlich geschickte Kampfruf: Volkstümliche und freiheitliche Ausgestaltung der
Verfassung wird hier Las Seinige dazu beitragen.

Auch in der Außenpolitik (Abschnitt 2) haben die Richtlinien den Stein des
Anstoßes wohlweislich umgangen. Zwar ist vom Ausbau der internationalen
Schiedsgerichtsbarkeit die Rede, davor steht jedoch die Forderung, in politischer,
kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht die deutsche Weltstellung zu sichern und
auszubauen, als deren Bedingung die Freiheit der Meere besonders genannt ist.
Nirgends eine Erwähnung der Juliresolution, als deren geistiger Vater doch Herr
Erzberger zu gelten hat, sowie des Schlagwortes vom Verständigungsfrieden. Der
„Vorwärts" ist denn auch sehr ungehalten darüber, daß sich die Bundesgenossen
der Reichstagsmehrheit über die von Leo dem Dreizehnter und früheren Katho¬
likentagen so energisch vertretene Frage der Abrüstung und vor allem über die
Notwendigkeit eines „die Wiederholung ähnlicher Katastrophen" ausschließenden
Friedens so völlig ausschweigen. Er kann sich diese „beklagenswerte Zurück-



Sie selbst bezeichnet sich allerdings offiziös lieber als „Mittelpartei" mit der
Maxime vom Interessenausgleich unter den -verschiedenen Ständen (s. „Germania" Ur. 427).
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[0335] Neue Parteiprogramme Begriffs: kraftvolle Volksvertretung durch die spätere Forderung: volkstümliche und freiheitliche Ausgestaltung der Verfassung, ist dehnbar genug — der „Vor¬ wärts" nennt sie einen „Schwamm", — und zeigt die Parteiweisen als Meister der Taktik. Für die „Germania" wird allerdings die Beziehung zur WahlrechtS- frage „ohne weiteres klar", aber gerade die bisherige Behandlung dieser Frage ist ein Musterbeispiel für die außerordentliche Manövrierfähigkeit der Partei, die ein Janusgesicht zeigt und zeigen muß. Bekämpfen sich doch gerade hierbei in ihrem Schoße die schärfsten Gegensätze von rechts und links, die jeden gewöhn¬ lichen politischen Verband sprengen würden und nur durch jene transzendenten Bindemittel, wie sie eben nur dem Zentrum zur Verfügung stehen, zusammen- gehalten werden. Auf der einen Seite scheinen zwar die funfzigjährigen Über¬ lieferungen der Partei, das Vermächtnis Windthorsts, in der Angelegenheit des gleichen Wahlrechts die Entscheidung außerhalb jedes Zweifels zu stellen, und die Haltung eines großen Teiles der Presse während der Verhandlungen des Abge¬ ordnetenhauses bestätigt diese „Prädestination". Andererseits stimmt es doch be¬ denklich, wenn man sieht, wie nicht nur die Gruppe dissentierender Elemente bis zur vierten Lesung auf ein Drittel der Stimmen angewachsen ist, sondern mehr noch, welchen Wert und welche Bedeutung gerade demokratische Beurteiler diesen Elementen der Partei zuschreiben. So hat der Kölner sozialistische Redakteur und Reichstagsabgeordnete Meerfeld in seiner durch Gerechtigkeit und Sachlichkeit aus¬ gezeichneten Geschichte der Zentrumspartei deren Wahlreformeifer, wie er in den Anträgen von 1873 und 1907 zum Ausdruck gelangte, sehr gering angeschlagen und auch angesichts der neueren Ereignisse an der Meinung festgehalten, daß sich seit Gründung der Partei an ihrem streng konservativen Charakter nichts geändert habe.*) Er zitiert eine Äußerung der Dortmunder Tremonia aus dem Jahre 1908: Unendlich wichtiger als eine zwecklose Demonstration (für das Wahlrecht) sei der Kampf gegen die große Gefahr, daß eine liberale Mehrheit im Abgeordnetenhause die Leitung des Kultusministeriums übernehme. Nun hat sich ja in einem Jahr¬ zehnt viel geändert; heute schreibt dasselbe Blatt, das Episkopat stehe nicht hinter Kardinal von Hartmann, der kein Freund des gleichen Wahlrechts sei, und die katholische Arbeiterschaft stehe mit der Zentrumsmehrheit auf der Seite von König und Staatsregierung. Man mag auch angesichts der Wahlrechtskundgebung der christlich-nationalen Arbeiterschaft Westdeutschlands (26. Mai) oder der Kölner und Essener Reden des Generalsekretärs Stegerwald (Ende Juli) von der Tatsache Kenntnis nehmen, daß die demokratische Flut innerhalb des Zentrums ebenso im Steigen begriffen ist wie anderswo — mit einer „Demokratisierung" der Partei dürfte es' trotzdem noch gute Weile haben, vollends eine „Z-ze-sssici plebis"' ins sozialdemokratische Lager liegt jenseits aller Befürchtungen oder Hoffnungen; darüber sind sich interessierte und neutrale Kreise einig. Und gerade der außer¬ ordentlich geschickte Kampfruf: Volkstümliche und freiheitliche Ausgestaltung der Verfassung wird hier Las Seinige dazu beitragen. Auch in der Außenpolitik (Abschnitt 2) haben die Richtlinien den Stein des Anstoßes wohlweislich umgangen. Zwar ist vom Ausbau der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit die Rede, davor steht jedoch die Forderung, in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht die deutsche Weltstellung zu sichern und auszubauen, als deren Bedingung die Freiheit der Meere besonders genannt ist. Nirgends eine Erwähnung der Juliresolution, als deren geistiger Vater doch Herr Erzberger zu gelten hat, sowie des Schlagwortes vom Verständigungsfrieden. Der „Vorwärts" ist denn auch sehr ungehalten darüber, daß sich die Bundesgenossen der Reichstagsmehrheit über die von Leo dem Dreizehnter und früheren Katho¬ likentagen so energisch vertretene Frage der Abrüstung und vor allem über die Notwendigkeit eines „die Wiederholung ähnlicher Katastrophen" ausschließenden Friedens so völlig ausschweigen. Er kann sich diese „beklagenswerte Zurück- Sie selbst bezeichnet sich allerdings offiziös lieber als „Mittelpartei" mit der Maxime vom Interessenausgleich unter den -verschiedenen Ständen (s. „Germania" Ur. 427).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/335>, abgerufen am 22.07.2024.