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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die Behandlung der Teller und Lsten

haben wir uns bereits vor Augen geführt. Es sei daher hier zum Schlüsse nur
mehr auf die Gefahren hingewiesen, die dem Versuche einer psychologischen
Orientierung über das Lettentum und Estentum drohen. Hier werden wir
unsere Erfahrungen im wesentlichen selber machen müssen und mancherlei
Irrungen und Fehlschlusse werden unserer psychologischen Naivität dabei ganz
sicher nicht erspart bleiben. Für ein Studium dieser Psychologie sehlt es bisher
fast ganz an zuverlässigen Quellen. Die Literatur über die Letten und Ehlen ist
gering. Europa hatte bisher kaum einmal Gelegenheit, mit diesen kleinen zahlen¬
mäßig unbedeutenden Volkssplittern in Berührung zu kommen. Allein der
Deutschbalte verfügt über eine intime Kenntnis der lettischen und chemischen
Psyche, aber sein Urteil ist gerade durch die Erlebnisse der letzten Jahrzehnte
durch nationalen Kampf und soziale Verhetzung stark getrübt.

, Man kennt und schätzt den Letten als arbeitsam und rührig, als intelligent
und sehr anpassungsfähig. Im Innern Rußlands verrußt er erfahrungsgemäß
schnell. Für eine gewisse wirtschaftlich-rationale Nüchternheit spricht die auch
in völkischem Sinne für uns beachtliche Tatsache, daß das Zweikindershstem bei
ihm Eingang gefunden hat. Andererseits will man Hinterhältigkeit und
Unzuverlässigkeit im lettischen Wesen festgestellt haben.. Zur Erkenntnis des
chemischen Volks charakters gibt das stammverwandte finnische Volk einige Anhalts¬
punkte. Der Este ist weniger leidenschaftlich als der Leite, in noch aus¬
geprägterem Maße wirtschaftlicher Opportunist, energisch und nüchtern ver¬
anlagt. Die Mäßigkeitsbewegung hat in Estland bemerkenswerte Fortschritte
gemacht. Bezeichnend für den Ehlen ist seine Besonnenheit und sein außer¬
ordentlich starkes Mißtrauen. Die Revolution von 1305/06 ist in den chemischen
Teilen des Baltenlandes ruhiger und unblutiger verlaufen, als in den lettischen.
Auch in der bolschewistischen Revolution spielt das.Lettentum eine größere Rolle,
wie ja noch jetzt die lettischen Bataillone die eigentlichen maximalistischen Leib¬
garden stellen.

Wie bei allen Völkern, die jahrhundertelang unter gewissermaßen
anormalen Lebensverhältnissen ihr Dasein geführt haben, ist es schwer zu
entscheiden, wie weit diese und andere an ihnen bemerkte Eigenschaften urtümlich,
wie weit sie anerzogen und daher abgewöhnbar sind. Als Grundlage einer
Politik sind diese psychologischen Kenntnisse zu dürftig und zu schwankend. Und
schließlich: wenn sich dort im Lande durch Jahrhunderte die Verhältnisse als
stärker erwiesen haben, als der einheimische Menschenschlag, wenn konkrete
historische Mächte vornehmlich deutschen Ursprungs dein Land und seinen
Bewohnern ihr Gepräge aufgedrückt haben, dann ist nicht zu befürchten, daß eben
dies Land sich fürderhin deutscher Führung und deutscher Erziehung entziehen
werde, wenn diese in zeitgemäßen neuzeitlichen Formen austreten und einen
sichtlichen historischen Fortschritt bringen. Aber leicht ist die Ausgabe nicht, die
dem Deutschtum im Osten bevorsteht, und da die ersten Schritte so unendlich
vieles entscheiden, sollten gerade sie besonnen, darum freilich noch lange nicht
zaghaft und unsicher, sondern zuversichtlich und überlegen gegangen werden.




Gronzvutsn III 1918
Die Behandlung der Teller und Lsten

haben wir uns bereits vor Augen geführt. Es sei daher hier zum Schlüsse nur
mehr auf die Gefahren hingewiesen, die dem Versuche einer psychologischen
Orientierung über das Lettentum und Estentum drohen. Hier werden wir
unsere Erfahrungen im wesentlichen selber machen müssen und mancherlei
Irrungen und Fehlschlusse werden unserer psychologischen Naivität dabei ganz
sicher nicht erspart bleiben. Für ein Studium dieser Psychologie sehlt es bisher
fast ganz an zuverlässigen Quellen. Die Literatur über die Letten und Ehlen ist
gering. Europa hatte bisher kaum einmal Gelegenheit, mit diesen kleinen zahlen¬
mäßig unbedeutenden Volkssplittern in Berührung zu kommen. Allein der
Deutschbalte verfügt über eine intime Kenntnis der lettischen und chemischen
Psyche, aber sein Urteil ist gerade durch die Erlebnisse der letzten Jahrzehnte
durch nationalen Kampf und soziale Verhetzung stark getrübt.

, Man kennt und schätzt den Letten als arbeitsam und rührig, als intelligent
und sehr anpassungsfähig. Im Innern Rußlands verrußt er erfahrungsgemäß
schnell. Für eine gewisse wirtschaftlich-rationale Nüchternheit spricht die auch
in völkischem Sinne für uns beachtliche Tatsache, daß das Zweikindershstem bei
ihm Eingang gefunden hat. Andererseits will man Hinterhältigkeit und
Unzuverlässigkeit im lettischen Wesen festgestellt haben.. Zur Erkenntnis des
chemischen Volks charakters gibt das stammverwandte finnische Volk einige Anhalts¬
punkte. Der Este ist weniger leidenschaftlich als der Leite, in noch aus¬
geprägterem Maße wirtschaftlicher Opportunist, energisch und nüchtern ver¬
anlagt. Die Mäßigkeitsbewegung hat in Estland bemerkenswerte Fortschritte
gemacht. Bezeichnend für den Ehlen ist seine Besonnenheit und sein außer¬
ordentlich starkes Mißtrauen. Die Revolution von 1305/06 ist in den chemischen
Teilen des Baltenlandes ruhiger und unblutiger verlaufen, als in den lettischen.
Auch in der bolschewistischen Revolution spielt das.Lettentum eine größere Rolle,
wie ja noch jetzt die lettischen Bataillone die eigentlichen maximalistischen Leib¬
garden stellen.

Wie bei allen Völkern, die jahrhundertelang unter gewissermaßen
anormalen Lebensverhältnissen ihr Dasein geführt haben, ist es schwer zu
entscheiden, wie weit diese und andere an ihnen bemerkte Eigenschaften urtümlich,
wie weit sie anerzogen und daher abgewöhnbar sind. Als Grundlage einer
Politik sind diese psychologischen Kenntnisse zu dürftig und zu schwankend. Und
schließlich: wenn sich dort im Lande durch Jahrhunderte die Verhältnisse als
stärker erwiesen haben, als der einheimische Menschenschlag, wenn konkrete
historische Mächte vornehmlich deutschen Ursprungs dein Land und seinen
Bewohnern ihr Gepräge aufgedrückt haben, dann ist nicht zu befürchten, daß eben
dies Land sich fürderhin deutscher Führung und deutscher Erziehung entziehen
werde, wenn diese in zeitgemäßen neuzeitlichen Formen austreten und einen
sichtlichen historischen Fortschritt bringen. Aber leicht ist die Ausgabe nicht, die
dem Deutschtum im Osten bevorsteht, und da die ersten Schritte so unendlich
vieles entscheiden, sollten gerade sie besonnen, darum freilich noch lange nicht
zaghaft und unsicher, sondern zuversichtlich und überlegen gegangen werden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/333>, abgerufen am 22.07.2024.