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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die Behandlung der Letten und Lsten

als Trägerin des lettischen Volkswillens ausgibt, nach ihrer wahren Bedeutung
etwas richtiger bei uns einschätzen, als das häufig der Fall ist. Es ist keine
Frage, daß auch der politische Separatismus der Letten und Ehlen nach wie
vor aus diesen kulturellen Sonderbestrebungen neue Kräfte ziehen wird. Anderer¬
seits aber ist die kulturelle Sphäre als Ablenkungsgebiet des politischen
Selbständigkeitsstrebens so wertvoll und die Gefahr eines überwucherns dieser
Duodezkulturen so gering, daß man gerade im Gebiet der Kulturpolitik nicht ohne
Not das Odium des Unterdrückers aus sich laden sollte. Vor Sprachenparität in
der Verwaltung ist zu warnen. Wir haben keinen Grund, im Lande tschechische
Verhältnisse groß zu ziehen. Die Letten sind eine fremde Behördensprache, bis
vor kurzem die deutsche, in den letzten Jahrzehnten die russische, gewohnt und
sind übrigens sehr fprachenbegabt, so daß ihnen das Erlernen des Deutschen
keine Mühe macht. Wenn wir diese Tradition nicht selbst mutwillig zerstören, so.
wird auch fernerhin am Deutschen, als der Sprache der Behörden und der gesell¬
schaftlich führenden Schicht, der Glanz des Vornehmen haften bleiben. Kur"
ländische -Pastoren berichten, wie noch jetzt die lettischen Eltern ihre Kinder
gerade in den deutschen Konfirmandenunterricht bringen. Ein vortrefflicher
Beweis für die wahre Schätzung, die das Deutschtum' bei den Letten genießt.
Ein Este erzählte mir kürzlich, daß seine Volksgenossen sich zu den deutschen
Kursen geradezu drängen, und daß alle Lehrbücher des Deutschen ausverkauft
seien. Die Lettisierung und Estisierung der Staatsschulen wäre darum ein
Fehler, vor dem man sich hüten sollte. Andererseits ist die Duldung keltischer
und chemischer höherer Privatschulen, die die letzte Schulordnung unserer
Okkupationsbehörde vorsieht, als ein erfreulich liberaler Akt zu begrüßen. Und
wenn auch die Ansprüche auf eine paritätische Ausgestaltung der Universität
Dorpat haltlos und undurchführbar sind, so wäre doch auch da die Schaffung
einiger national - keltischer und chemischer Professuren, z. B. in der lettisch¬
litauischen -und in der ugrofinnischen Sprachwissenschaft und Altertumkunde, sehr
Wohl zu erwägen. Um der Intelligenz des Letten- und Estentums auch einen
Wirkungskreis in Deutschland zu öffnen und sogleich die studierende lettisch-
estnische Jugend möglichst mit deutschen Kulwrverhältnissen vertraut zu machen,
wäre die Schaffung ähnlicher Professuren auch an deutschen Universitäten,
z. B. in Königsberg oder Breslau, und die Besetzung dieser Lehrstühle, sowie
zahlreicher Lektorate an anderen Universitäten mit Letten und Ehlen lebhaft zu
begrüßen. Zugleich wäre das eine Möglichkeit, unruhige Elemente der dortigen
Intellektuellen nach Deutschland abzuleiten und ihrem Widerspruchsgeist durch
Pöstchen, Titel und Würden das Waffer abzugraben. Wie ein reicher Zustrom
reichsdeutscher Studenten nach Dorpat, so wäre anch der Ausstrom deutsch¬
baltischer, keltischer und chemischer Studenten auf reichsdeutsche Universitäten mit
allen Mitteln, namentlich auch in der Richtung des Examens- und Berechtigungs-
sowie des Stipendienwefens zu fördern und zu beleben. Auch hier winkt unserem
privaten Großkapital eine politisch gar nicht zu unterschätzende Ausgabe. Unter
steter Berücksichtigung der deutschen politischen Interessen sollte 'das deutsche
Regiment jedenfalls in der Duldung der kulturellen Sonderbestrebungen der
Letten und Ehlen möglichste Nachsicht und Weitherzigkeit walten lassen.

Wir stellten zu Anfang unserer Betrachtung die Mentalität eines Volkes
als selbständiges Behandlungsmoment dem System feiner politischen und
kulturellen Gewöhnungen gegenüber. Die ausführliche Aufrollung des letzteren
Fragenkomplexes'hat bereits mannigfache Gelegenheit gegeben, auch auf diese
ethnopsychologischen Gesichtspunkte in Einzelfragen Bezug zu nehmen. Die über¬
ragende Bedeutung des bisher behandelten Gesichtspunkts für den Sinn und
Zweck dieser Darlegung erhellt auch daraus, daß man das Verständnis einer
verwickelten geschichtlichen Lage sozusagen logisch gewinnen kann, auf dem gleichen
Wege aber schwerlich zum Verständnis eines Volkscharakters durchdringen wird,
wenn dieser nicht eben an Hand eines objektiv ausgeprägten Lebenssystems dar¬
gestellt und zur Anschauung gebracht werden kann. Ein solches Lebensshstem
fehlt beim lettischen wie beim chemischen Volke. Was an dessen Stelle stand,


Die Behandlung der Letten und Lsten

als Trägerin des lettischen Volkswillens ausgibt, nach ihrer wahren Bedeutung
etwas richtiger bei uns einschätzen, als das häufig der Fall ist. Es ist keine
Frage, daß auch der politische Separatismus der Letten und Ehlen nach wie
vor aus diesen kulturellen Sonderbestrebungen neue Kräfte ziehen wird. Anderer¬
seits aber ist die kulturelle Sphäre als Ablenkungsgebiet des politischen
Selbständigkeitsstrebens so wertvoll und die Gefahr eines überwucherns dieser
Duodezkulturen so gering, daß man gerade im Gebiet der Kulturpolitik nicht ohne
Not das Odium des Unterdrückers aus sich laden sollte. Vor Sprachenparität in
der Verwaltung ist zu warnen. Wir haben keinen Grund, im Lande tschechische
Verhältnisse groß zu ziehen. Die Letten sind eine fremde Behördensprache, bis
vor kurzem die deutsche, in den letzten Jahrzehnten die russische, gewohnt und
sind übrigens sehr fprachenbegabt, so daß ihnen das Erlernen des Deutschen
keine Mühe macht. Wenn wir diese Tradition nicht selbst mutwillig zerstören, so.
wird auch fernerhin am Deutschen, als der Sprache der Behörden und der gesell¬
schaftlich führenden Schicht, der Glanz des Vornehmen haften bleiben. Kur«
ländische -Pastoren berichten, wie noch jetzt die lettischen Eltern ihre Kinder
gerade in den deutschen Konfirmandenunterricht bringen. Ein vortrefflicher
Beweis für die wahre Schätzung, die das Deutschtum' bei den Letten genießt.
Ein Este erzählte mir kürzlich, daß seine Volksgenossen sich zu den deutschen
Kursen geradezu drängen, und daß alle Lehrbücher des Deutschen ausverkauft
seien. Die Lettisierung und Estisierung der Staatsschulen wäre darum ein
Fehler, vor dem man sich hüten sollte. Andererseits ist die Duldung keltischer
und chemischer höherer Privatschulen, die die letzte Schulordnung unserer
Okkupationsbehörde vorsieht, als ein erfreulich liberaler Akt zu begrüßen. Und
wenn auch die Ansprüche auf eine paritätische Ausgestaltung der Universität
Dorpat haltlos und undurchführbar sind, so wäre doch auch da die Schaffung
einiger national - keltischer und chemischer Professuren, z. B. in der lettisch¬
litauischen -und in der ugrofinnischen Sprachwissenschaft und Altertumkunde, sehr
Wohl zu erwägen. Um der Intelligenz des Letten- und Estentums auch einen
Wirkungskreis in Deutschland zu öffnen und sogleich die studierende lettisch-
estnische Jugend möglichst mit deutschen Kulwrverhältnissen vertraut zu machen,
wäre die Schaffung ähnlicher Professuren auch an deutschen Universitäten,
z. B. in Königsberg oder Breslau, und die Besetzung dieser Lehrstühle, sowie
zahlreicher Lektorate an anderen Universitäten mit Letten und Ehlen lebhaft zu
begrüßen. Zugleich wäre das eine Möglichkeit, unruhige Elemente der dortigen
Intellektuellen nach Deutschland abzuleiten und ihrem Widerspruchsgeist durch
Pöstchen, Titel und Würden das Waffer abzugraben. Wie ein reicher Zustrom
reichsdeutscher Studenten nach Dorpat, so wäre anch der Ausstrom deutsch¬
baltischer, keltischer und chemischer Studenten auf reichsdeutsche Universitäten mit
allen Mitteln, namentlich auch in der Richtung des Examens- und Berechtigungs-
sowie des Stipendienwefens zu fördern und zu beleben. Auch hier winkt unserem
privaten Großkapital eine politisch gar nicht zu unterschätzende Ausgabe. Unter
steter Berücksichtigung der deutschen politischen Interessen sollte 'das deutsche
Regiment jedenfalls in der Duldung der kulturellen Sonderbestrebungen der
Letten und Ehlen möglichste Nachsicht und Weitherzigkeit walten lassen.

Wir stellten zu Anfang unserer Betrachtung die Mentalität eines Volkes
als selbständiges Behandlungsmoment dem System feiner politischen und
kulturellen Gewöhnungen gegenüber. Die ausführliche Aufrollung des letzteren
Fragenkomplexes'hat bereits mannigfache Gelegenheit gegeben, auch auf diese
ethnopsychologischen Gesichtspunkte in Einzelfragen Bezug zu nehmen. Die über¬
ragende Bedeutung des bisher behandelten Gesichtspunkts für den Sinn und
Zweck dieser Darlegung erhellt auch daraus, daß man das Verständnis einer
verwickelten geschichtlichen Lage sozusagen logisch gewinnen kann, auf dem gleichen
Wege aber schwerlich zum Verständnis eines Volkscharakters durchdringen wird,
wenn dieser nicht eben an Hand eines objektiv ausgeprägten Lebenssystems dar¬
gestellt und zur Anschauung gebracht werden kann. Ein solches Lebensshstem
fehlt beim lettischen wie beim chemischen Volke. Was an dessen Stelle stand,


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[0332] Die Behandlung der Letten und Lsten als Trägerin des lettischen Volkswillens ausgibt, nach ihrer wahren Bedeutung etwas richtiger bei uns einschätzen, als das häufig der Fall ist. Es ist keine Frage, daß auch der politische Separatismus der Letten und Ehlen nach wie vor aus diesen kulturellen Sonderbestrebungen neue Kräfte ziehen wird. Anderer¬ seits aber ist die kulturelle Sphäre als Ablenkungsgebiet des politischen Selbständigkeitsstrebens so wertvoll und die Gefahr eines überwucherns dieser Duodezkulturen so gering, daß man gerade im Gebiet der Kulturpolitik nicht ohne Not das Odium des Unterdrückers aus sich laden sollte. Vor Sprachenparität in der Verwaltung ist zu warnen. Wir haben keinen Grund, im Lande tschechische Verhältnisse groß zu ziehen. Die Letten sind eine fremde Behördensprache, bis vor kurzem die deutsche, in den letzten Jahrzehnten die russische, gewohnt und sind übrigens sehr fprachenbegabt, so daß ihnen das Erlernen des Deutschen keine Mühe macht. Wenn wir diese Tradition nicht selbst mutwillig zerstören, so. wird auch fernerhin am Deutschen, als der Sprache der Behörden und der gesell¬ schaftlich führenden Schicht, der Glanz des Vornehmen haften bleiben. Kur« ländische -Pastoren berichten, wie noch jetzt die lettischen Eltern ihre Kinder gerade in den deutschen Konfirmandenunterricht bringen. Ein vortrefflicher Beweis für die wahre Schätzung, die das Deutschtum' bei den Letten genießt. Ein Este erzählte mir kürzlich, daß seine Volksgenossen sich zu den deutschen Kursen geradezu drängen, und daß alle Lehrbücher des Deutschen ausverkauft seien. Die Lettisierung und Estisierung der Staatsschulen wäre darum ein Fehler, vor dem man sich hüten sollte. Andererseits ist die Duldung keltischer und chemischer höherer Privatschulen, die die letzte Schulordnung unserer Okkupationsbehörde vorsieht, als ein erfreulich liberaler Akt zu begrüßen. Und wenn auch die Ansprüche auf eine paritätische Ausgestaltung der Universität Dorpat haltlos und undurchführbar sind, so wäre doch auch da die Schaffung einiger national - keltischer und chemischer Professuren, z. B. in der lettisch¬ litauischen -und in der ugrofinnischen Sprachwissenschaft und Altertumkunde, sehr Wohl zu erwägen. Um der Intelligenz des Letten- und Estentums auch einen Wirkungskreis in Deutschland zu öffnen und sogleich die studierende lettisch- estnische Jugend möglichst mit deutschen Kulwrverhältnissen vertraut zu machen, wäre die Schaffung ähnlicher Professuren auch an deutschen Universitäten, z. B. in Königsberg oder Breslau, und die Besetzung dieser Lehrstühle, sowie zahlreicher Lektorate an anderen Universitäten mit Letten und Ehlen lebhaft zu begrüßen. Zugleich wäre das eine Möglichkeit, unruhige Elemente der dortigen Intellektuellen nach Deutschland abzuleiten und ihrem Widerspruchsgeist durch Pöstchen, Titel und Würden das Waffer abzugraben. Wie ein reicher Zustrom reichsdeutscher Studenten nach Dorpat, so wäre anch der Ausstrom deutsch¬ baltischer, keltischer und chemischer Studenten auf reichsdeutsche Universitäten mit allen Mitteln, namentlich auch in der Richtung des Examens- und Berechtigungs- sowie des Stipendienwefens zu fördern und zu beleben. Auch hier winkt unserem privaten Großkapital eine politisch gar nicht zu unterschätzende Ausgabe. Unter steter Berücksichtigung der deutschen politischen Interessen sollte 'das deutsche Regiment jedenfalls in der Duldung der kulturellen Sonderbestrebungen der Letten und Ehlen möglichste Nachsicht und Weitherzigkeit walten lassen. Wir stellten zu Anfang unserer Betrachtung die Mentalität eines Volkes als selbständiges Behandlungsmoment dem System feiner politischen und kulturellen Gewöhnungen gegenüber. Die ausführliche Aufrollung des letzteren Fragenkomplexes'hat bereits mannigfache Gelegenheit gegeben, auch auf diese ethnopsychologischen Gesichtspunkte in Einzelfragen Bezug zu nehmen. Die über¬ ragende Bedeutung des bisher behandelten Gesichtspunkts für den Sinn und Zweck dieser Darlegung erhellt auch daraus, daß man das Verständnis einer verwickelten geschichtlichen Lage sozusagen logisch gewinnen kann, auf dem gleichen Wege aber schwerlich zum Verständnis eines Volkscharakters durchdringen wird, wenn dieser nicht eben an Hand eines objektiv ausgeprägten Lebenssystems dar¬ gestellt und zur Anschauung gebracht werden kann. Ein solches Lebensshstem fehlt beim lettischen wie beim chemischen Volke. Was an dessen Stelle stand,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/332>, abgerufen am 22.07.2024.