Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das politische Weltgleichgewicht als Ziel des Weltkrieges

sollten daher den einzigen Einsatz Englands bei dieser Neuordnung der europäi¬
schen Verhältnisse darstellen. Die bekannten Worte Greys, die er in der ent¬
scheidenden Unterhaussitzung äußerte, daß England, wenn es am Kriege teil¬
nehme, nicht schlimmer daran sein werde, als wenn es neutral bliebe, entsprachen
völlig den obigen Erwägungen und gaben sicherlich auch die Grundanschauungen
des englischen Volkes wieder.

Aber alle diese Berechnungen, jede Voraussicht überhaupt hat der Verlauf
des Krieges sehr bald als fehlerhaft erwiesen. Nur sein unmittelbarer Beginn
stimmte zu den gehegten Erwartungen: die beiden Zentralmächte blieben isoliert,
Italien wie Rumänien entzogen sich, wie man erwartet, ihrer Bündnispflicht.
Dann aber veränderte der Beitritt Japans zur Entente, gleichsam als Auftakt
zum bevorstehenden Konzert, sogleich seine ganze Signatur, der Krieg machte
sichtbar Miene, über den europäischen Rahmen hinauszuwachsen. Mit untrüg¬
lichem Instinkt erkannten die zielsicheren japanischen Diplomaten sofort die
Schwere und Bedeutung der europäischen Verwicklung, und ihr ehrgeiziger
Wille, zur Erweiterung der eigenen Macht sich einzumischen, stand Wohl von
vornherein fest. Weniger bestimmt war, ihrer Beutelust entsprechend, die Wahl
der Partei. Die Verbindung mit den Zentralmächten verhieß im Falle des
Sieges eine gewaltige Bereicherung: die Mandschurei, die sibirische Küste mit
Wladiwostok; der Beitritt zur Entente nur Kiautschou und die deutschen Inseln
im Pazifik. Man entschied sich für die kleinere Beute. Die Entscheidung ist
lehrreich, sie beweist, daß man auch in Japan im Anfang sicher an den Sieg der
Entente geglaubt hat. Zwei Monate später fand ein anderer bedeutsamer An-
chluß statt, die Türkei trat an die Seite der Mittemächte. Auch dieser Ent-
chluß ist und zwar in doppelter Hinficht lehrreich: einmal zeigt er, daß die Ent¬
wicklung des Konfliktes zum Weltkrieg inzwischen einen weiteren Fortschritt
gemacht, und sodann, daß der Kurs der Parteien sich bereits geändert hatte.
Denn wenn damals das Osmcmenreich sein Schicksal, über das schon im Jahre
1908 von feiten Englands und Rußlands bei der Kaiserzusammenkunft in Reval
selbstherrlich und frevelhaft entschieden war, an das Geschick des Zweibundes
kettete, so sprach es damit dieser neuen Macht die überlegene Kraft zu, entgegen
dem verderblichen Machtwillen jener beiden Staaten den Schutz der Türkei zu
übernehmen und ihren Besitzstand zu gewährleisten. Den Grund zu dieser
hohen Bewertung bildeten natürlich die bis dahin erzielten Erfolge Deutsch¬
lands auf beiden Kriegsschauplätzen. Und die weitere Fortführung des Fest¬
landskrieges hat dieser Auffassung der osmanischen Diplomaten recht gegeben.
Sehr bald ward es zur Gewißheit, daß das sogenannte europäische Gleichgewicht
schon vor dem Kriege nur eine gefällige Selbsttäuschung der zeitgenössischen
Diplomatie gewesen, daß in Deutschland eme neue, weit über Europa hinaus¬
weisende planetarische Weltmacht herangewachsen sei. Schon Ende des Jahres
1914 war die deutsche Front unverrückbar fest in Frankreichs Boden verankert,
war die Völkerflut Rußlands für immer zum Stehen gebracht. Und wie sich
England in den militärischen Leistungen seiner Bundesgenossen geirrt hatte, so
sah es sich auch in seinen eigenen Erfolgen zur See getäuscht. Wohl verschwand
Deutschlands Flagge von den Ozeanen, Wohl wurden die Küsten der Mitte¬
mächte blockiert und jeder Stoff, der nur im entferntesten zur Kriegführung Ver¬
wendung finden konnte, als Bannware gesperrt, aber der erwartete Zusammen- '
bruns ihrer Kriegsindustrie blieb aus. Denn auch die Wissenschaft der Zentral¬
mächte erwies sich als durchaus überlegen, die deutsche Kriegschemie feierte durch
Passende Ersetzung der Grundstoffe und durch Beschaffung immer neuer, immer
wirkungsvollerer Verbindungen dauernde Triumphe. Hinzu kam, daß Deutsch¬
land schon im Frieden die unbedingte Führung auf dem Eifenmarkte über¬
nommen hatte. "Es hat uns überaus viel genützt, daß die Eisenindustrien Eng¬
lands, Frankreichs, Italiens und Rußlands zusammengenommen nicht mehr
Eisen und Stahl im Kriege zu schaffen vermochten als Deutschland allein und daß
die österreichische Leistung der belgischen gleichkam." (I. Reichere, Aus Deutsch¬
lands Waffenschmiede.) Wie eine ungeheure Kraftmaschine, deren Strom-


Das politische Weltgleichgewicht als Ziel des Weltkrieges

sollten daher den einzigen Einsatz Englands bei dieser Neuordnung der europäi¬
schen Verhältnisse darstellen. Die bekannten Worte Greys, die er in der ent¬
scheidenden Unterhaussitzung äußerte, daß England, wenn es am Kriege teil¬
nehme, nicht schlimmer daran sein werde, als wenn es neutral bliebe, entsprachen
völlig den obigen Erwägungen und gaben sicherlich auch die Grundanschauungen
des englischen Volkes wieder.

Aber alle diese Berechnungen, jede Voraussicht überhaupt hat der Verlauf
des Krieges sehr bald als fehlerhaft erwiesen. Nur sein unmittelbarer Beginn
stimmte zu den gehegten Erwartungen: die beiden Zentralmächte blieben isoliert,
Italien wie Rumänien entzogen sich, wie man erwartet, ihrer Bündnispflicht.
Dann aber veränderte der Beitritt Japans zur Entente, gleichsam als Auftakt
zum bevorstehenden Konzert, sogleich seine ganze Signatur, der Krieg machte
sichtbar Miene, über den europäischen Rahmen hinauszuwachsen. Mit untrüg¬
lichem Instinkt erkannten die zielsicheren japanischen Diplomaten sofort die
Schwere und Bedeutung der europäischen Verwicklung, und ihr ehrgeiziger
Wille, zur Erweiterung der eigenen Macht sich einzumischen, stand Wohl von
vornherein fest. Weniger bestimmt war, ihrer Beutelust entsprechend, die Wahl
der Partei. Die Verbindung mit den Zentralmächten verhieß im Falle des
Sieges eine gewaltige Bereicherung: die Mandschurei, die sibirische Küste mit
Wladiwostok; der Beitritt zur Entente nur Kiautschou und die deutschen Inseln
im Pazifik. Man entschied sich für die kleinere Beute. Die Entscheidung ist
lehrreich, sie beweist, daß man auch in Japan im Anfang sicher an den Sieg der
Entente geglaubt hat. Zwei Monate später fand ein anderer bedeutsamer An-
chluß statt, die Türkei trat an die Seite der Mittemächte. Auch dieser Ent-
chluß ist und zwar in doppelter Hinficht lehrreich: einmal zeigt er, daß die Ent¬
wicklung des Konfliktes zum Weltkrieg inzwischen einen weiteren Fortschritt
gemacht, und sodann, daß der Kurs der Parteien sich bereits geändert hatte.
Denn wenn damals das Osmcmenreich sein Schicksal, über das schon im Jahre
1908 von feiten Englands und Rußlands bei der Kaiserzusammenkunft in Reval
selbstherrlich und frevelhaft entschieden war, an das Geschick des Zweibundes
kettete, so sprach es damit dieser neuen Macht die überlegene Kraft zu, entgegen
dem verderblichen Machtwillen jener beiden Staaten den Schutz der Türkei zu
übernehmen und ihren Besitzstand zu gewährleisten. Den Grund zu dieser
hohen Bewertung bildeten natürlich die bis dahin erzielten Erfolge Deutsch¬
lands auf beiden Kriegsschauplätzen. Und die weitere Fortführung des Fest¬
landskrieges hat dieser Auffassung der osmanischen Diplomaten recht gegeben.
Sehr bald ward es zur Gewißheit, daß das sogenannte europäische Gleichgewicht
schon vor dem Kriege nur eine gefällige Selbsttäuschung der zeitgenössischen
Diplomatie gewesen, daß in Deutschland eme neue, weit über Europa hinaus¬
weisende planetarische Weltmacht herangewachsen sei. Schon Ende des Jahres
1914 war die deutsche Front unverrückbar fest in Frankreichs Boden verankert,
war die Völkerflut Rußlands für immer zum Stehen gebracht. Und wie sich
England in den militärischen Leistungen seiner Bundesgenossen geirrt hatte, so
sah es sich auch in seinen eigenen Erfolgen zur See getäuscht. Wohl verschwand
Deutschlands Flagge von den Ozeanen, Wohl wurden die Küsten der Mitte¬
mächte blockiert und jeder Stoff, der nur im entferntesten zur Kriegführung Ver¬
wendung finden konnte, als Bannware gesperrt, aber der erwartete Zusammen- '
bruns ihrer Kriegsindustrie blieb aus. Denn auch die Wissenschaft der Zentral¬
mächte erwies sich als durchaus überlegen, die deutsche Kriegschemie feierte durch
Passende Ersetzung der Grundstoffe und durch Beschaffung immer neuer, immer
wirkungsvollerer Verbindungen dauernde Triumphe. Hinzu kam, daß Deutsch¬
land schon im Frieden die unbedingte Führung auf dem Eifenmarkte über¬
nommen hatte. „Es hat uns überaus viel genützt, daß die Eisenindustrien Eng¬
lands, Frankreichs, Italiens und Rußlands zusammengenommen nicht mehr
Eisen und Stahl im Kriege zu schaffen vermochten als Deutschland allein und daß
die österreichische Leistung der belgischen gleichkam." (I. Reichere, Aus Deutsch¬
lands Waffenschmiede.) Wie eine ungeheure Kraftmaschine, deren Strom-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/334164"/>
          <fw type="header" place="top"> Das politische Weltgleichgewicht als Ziel des Weltkrieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1301" prev="#ID_1300"> sollten daher den einzigen Einsatz Englands bei dieser Neuordnung der europäi¬<lb/>
schen Verhältnisse darstellen. Die bekannten Worte Greys, die er in der ent¬<lb/>
scheidenden Unterhaussitzung äußerte, daß England, wenn es am Kriege teil¬<lb/>
nehme, nicht schlimmer daran sein werde, als wenn es neutral bliebe, entsprachen<lb/>
völlig den obigen Erwägungen und gaben sicherlich auch die Grundanschauungen<lb/>
des englischen Volkes wieder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1302" next="#ID_1303"> Aber alle diese Berechnungen, jede Voraussicht überhaupt hat der Verlauf<lb/>
des Krieges sehr bald als fehlerhaft erwiesen.  Nur sein unmittelbarer Beginn<lb/>
stimmte zu den gehegten Erwartungen: die beiden Zentralmächte blieben isoliert,<lb/>
Italien wie Rumänien entzogen sich, wie man erwartet, ihrer Bündnispflicht.<lb/>
Dann aber veränderte der Beitritt Japans zur Entente, gleichsam als Auftakt<lb/>
zum bevorstehenden Konzert, sogleich seine ganze Signatur, der Krieg machte<lb/>
sichtbar Miene, über den europäischen Rahmen hinauszuwachsen. Mit untrüg¬<lb/>
lichem Instinkt erkannten die zielsicheren japanischen Diplomaten sofort die<lb/>
Schwere und Bedeutung der europäischen Verwicklung,  und ihr ehrgeiziger<lb/>
Wille, zur Erweiterung der eigenen Macht sich einzumischen, stand Wohl von<lb/>
vornherein fest. Weniger bestimmt war, ihrer Beutelust entsprechend, die Wahl<lb/>
der  Partei.  Die Verbindung mit den Zentralmächten verhieß im Falle des<lb/>
Sieges eine gewaltige Bereicherung:  die Mandschurei, die sibirische Küste mit<lb/>
Wladiwostok; der Beitritt zur Entente nur Kiautschou und die deutschen Inseln<lb/>
im Pazifik.  Man entschied sich für die kleinere Beute.  Die Entscheidung ist<lb/>
lehrreich, sie beweist, daß man auch in Japan im Anfang sicher an den Sieg der<lb/>
Entente geglaubt hat. Zwei Monate später fand ein anderer bedeutsamer An-<lb/>
chluß statt, die Türkei trat an die Seite der Mittemächte.  Auch dieser Ent-<lb/>
chluß ist und zwar in doppelter Hinficht lehrreich: einmal zeigt er, daß die Ent¬<lb/>
wicklung des Konfliktes zum Weltkrieg inzwischen einen weiteren Fortschritt<lb/>
gemacht, und sodann,  daß der Kurs der Parteien sich bereits geändert hatte.<lb/>
Denn wenn damals das Osmcmenreich sein Schicksal, über das schon im Jahre<lb/>
1908 von feiten Englands und Rußlands bei der Kaiserzusammenkunft in Reval<lb/>
selbstherrlich und frevelhaft entschieden war,  an das Geschick des Zweibundes<lb/>
kettete, so sprach es damit dieser neuen Macht die überlegene Kraft zu, entgegen<lb/>
dem verderblichen Machtwillen jener beiden Staaten den Schutz der Türkei zu<lb/>
übernehmen  und ihren Besitzstand zu gewährleisten.  Den Grund zu dieser<lb/>
hohen Bewertung bildeten natürlich die bis dahin erzielten Erfolge Deutsch¬<lb/>
lands auf beiden Kriegsschauplätzen.  Und die weitere Fortführung des Fest¬<lb/>
landskrieges hat dieser Auffassung der osmanischen Diplomaten recht gegeben.<lb/>
Sehr bald ward es zur Gewißheit, daß das sogenannte europäische Gleichgewicht<lb/>
schon  vor dem Kriege nur eine gefällige Selbsttäuschung der zeitgenössischen<lb/>
Diplomatie gewesen, daß in Deutschland eme neue, weit über Europa hinaus¬<lb/>
weisende planetarische Weltmacht herangewachsen sei.  Schon Ende des Jahres<lb/>
1914 war die deutsche Front unverrückbar fest in Frankreichs Boden verankert,<lb/>
war die Völkerflut Rußlands für immer zum Stehen gebracht.  Und wie sich<lb/>
England in den militärischen Leistungen seiner Bundesgenossen geirrt hatte, so<lb/>
sah es sich auch in seinen eigenen Erfolgen zur See getäuscht. Wohl verschwand<lb/>
Deutschlands Flagge von den Ozeanen, Wohl wurden die Küsten der Mitte¬<lb/>
mächte blockiert und jeder Stoff, der nur im entferntesten zur Kriegführung Ver¬<lb/>
wendung finden konnte, als Bannware gesperrt, aber der erwartete Zusammen- '<lb/>
bruns ihrer Kriegsindustrie blieb aus. Denn auch die Wissenschaft der Zentral¬<lb/>
mächte erwies sich als durchaus überlegen, die deutsche Kriegschemie feierte durch<lb/>
Passende Ersetzung der Grundstoffe und durch Beschaffung immer neuer, immer<lb/>
wirkungsvollerer Verbindungen dauernde Triumphe.  Hinzu kam, daß Deutsch¬<lb/>
land schon im Frieden die unbedingte Führung auf dem Eifenmarkte über¬<lb/>
nommen hatte. &#x201E;Es hat uns überaus viel genützt, daß die Eisenindustrien Eng¬<lb/>
lands, Frankreichs, Italiens und Rußlands zusammengenommen nicht mehr<lb/>
Eisen und Stahl im Kriege zu schaffen vermochten als Deutschland allein und daß<lb/>
die österreichische Leistung der belgischen gleichkam." (I. Reichere, Aus Deutsch¬<lb/>
lands Waffenschmiede.)  Wie eine ungeheure Kraftmaschine,  deren Strom-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0319] Das politische Weltgleichgewicht als Ziel des Weltkrieges sollten daher den einzigen Einsatz Englands bei dieser Neuordnung der europäi¬ schen Verhältnisse darstellen. Die bekannten Worte Greys, die er in der ent¬ scheidenden Unterhaussitzung äußerte, daß England, wenn es am Kriege teil¬ nehme, nicht schlimmer daran sein werde, als wenn es neutral bliebe, entsprachen völlig den obigen Erwägungen und gaben sicherlich auch die Grundanschauungen des englischen Volkes wieder. Aber alle diese Berechnungen, jede Voraussicht überhaupt hat der Verlauf des Krieges sehr bald als fehlerhaft erwiesen. Nur sein unmittelbarer Beginn stimmte zu den gehegten Erwartungen: die beiden Zentralmächte blieben isoliert, Italien wie Rumänien entzogen sich, wie man erwartet, ihrer Bündnispflicht. Dann aber veränderte der Beitritt Japans zur Entente, gleichsam als Auftakt zum bevorstehenden Konzert, sogleich seine ganze Signatur, der Krieg machte sichtbar Miene, über den europäischen Rahmen hinauszuwachsen. Mit untrüg¬ lichem Instinkt erkannten die zielsicheren japanischen Diplomaten sofort die Schwere und Bedeutung der europäischen Verwicklung, und ihr ehrgeiziger Wille, zur Erweiterung der eigenen Macht sich einzumischen, stand Wohl von vornherein fest. Weniger bestimmt war, ihrer Beutelust entsprechend, die Wahl der Partei. Die Verbindung mit den Zentralmächten verhieß im Falle des Sieges eine gewaltige Bereicherung: die Mandschurei, die sibirische Küste mit Wladiwostok; der Beitritt zur Entente nur Kiautschou und die deutschen Inseln im Pazifik. Man entschied sich für die kleinere Beute. Die Entscheidung ist lehrreich, sie beweist, daß man auch in Japan im Anfang sicher an den Sieg der Entente geglaubt hat. Zwei Monate später fand ein anderer bedeutsamer An- chluß statt, die Türkei trat an die Seite der Mittemächte. Auch dieser Ent- chluß ist und zwar in doppelter Hinficht lehrreich: einmal zeigt er, daß die Ent¬ wicklung des Konfliktes zum Weltkrieg inzwischen einen weiteren Fortschritt gemacht, und sodann, daß der Kurs der Parteien sich bereits geändert hatte. Denn wenn damals das Osmcmenreich sein Schicksal, über das schon im Jahre 1908 von feiten Englands und Rußlands bei der Kaiserzusammenkunft in Reval selbstherrlich und frevelhaft entschieden war, an das Geschick des Zweibundes kettete, so sprach es damit dieser neuen Macht die überlegene Kraft zu, entgegen dem verderblichen Machtwillen jener beiden Staaten den Schutz der Türkei zu übernehmen und ihren Besitzstand zu gewährleisten. Den Grund zu dieser hohen Bewertung bildeten natürlich die bis dahin erzielten Erfolge Deutsch¬ lands auf beiden Kriegsschauplätzen. Und die weitere Fortführung des Fest¬ landskrieges hat dieser Auffassung der osmanischen Diplomaten recht gegeben. Sehr bald ward es zur Gewißheit, daß das sogenannte europäische Gleichgewicht schon vor dem Kriege nur eine gefällige Selbsttäuschung der zeitgenössischen Diplomatie gewesen, daß in Deutschland eme neue, weit über Europa hinaus¬ weisende planetarische Weltmacht herangewachsen sei. Schon Ende des Jahres 1914 war die deutsche Front unverrückbar fest in Frankreichs Boden verankert, war die Völkerflut Rußlands für immer zum Stehen gebracht. Und wie sich England in den militärischen Leistungen seiner Bundesgenossen geirrt hatte, so sah es sich auch in seinen eigenen Erfolgen zur See getäuscht. Wohl verschwand Deutschlands Flagge von den Ozeanen, Wohl wurden die Küsten der Mitte¬ mächte blockiert und jeder Stoff, der nur im entferntesten zur Kriegführung Ver¬ wendung finden konnte, als Bannware gesperrt, aber der erwartete Zusammen- ' bruns ihrer Kriegsindustrie blieb aus. Denn auch die Wissenschaft der Zentral¬ mächte erwies sich als durchaus überlegen, die deutsche Kriegschemie feierte durch Passende Ersetzung der Grundstoffe und durch Beschaffung immer neuer, immer wirkungsvollerer Verbindungen dauernde Triumphe. Hinzu kam, daß Deutsch¬ land schon im Frieden die unbedingte Führung auf dem Eifenmarkte über¬ nommen hatte. „Es hat uns überaus viel genützt, daß die Eisenindustrien Eng¬ lands, Frankreichs, Italiens und Rußlands zusammengenommen nicht mehr Eisen und Stahl im Kriege zu schaffen vermochten als Deutschland allein und daß die österreichische Leistung der belgischen gleichkam." (I. Reichere, Aus Deutsch¬ lands Waffenschmiede.) Wie eine ungeheure Kraftmaschine, deren Strom-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/319
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/319>, abgerufen am 22.07.2024.