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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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lveshalb brauchen wir ein Reichsgesetz über Jugendämter?

einzelnen Behörden besser arbeiten, sondern um sie wirklich zu beseitigen, müssen
diese Behörden geändert und in ihrer ganzen Einrichtung mehr den Bedürfnissen
der Schutzbefohlenen angepaßt werden. Das sind aber gerade Aufgaben, zu deren
Lösung die Gesetzgebung mitwirken kann.

Ja, manche dieser Ausgaben kann nur die Gesetzgebung lösen. Das Zu¬
sammenwirken bei den Leistungen von Behörden beruht zu einem großen Teil
darauf, daß jede von ihnen ihr eigenes Gebiet hat und nicht ins Gebiet der
anderen, selbst in der besten Absicht nicht, störend hineingreift. Wo die Gesetze
falsche Grenzen vorschreiben, da ist eine Besserung der Verhältnisse nur durch eine
Änderung der Gesetze zu erreichen.

In diesem Sinne kann auch unsere öffentliche Kinderfürsorge lediglich durch
Änderung ihrer gesetzlichen Grundlagen so gestaltet werden, daß sie ihre bedeut¬
samen Aufgaben wirklich zu lösen vermag.

Schwieriger ist die letzte Frage, ob es nötig sei, die Reichsgesetzgebung in
Bewegung zu setzen oder ob einzelne Landesgesetze nicht zum Ziel führen können.
Darüber wurde in den letzten Jahren besonders eifrig im preußischen Abgeordneten¬
haus verhandelt, das bisher stets den Standpunkt einnahm, eine Regelung der
öffentlichen Kinderfürsorge könne nur durch das Reich erfolgen. Eben jetzt da¬
gegen soll es einen preußischen Gesetzentwurf über Jugendämter beraten. Sehen
wir von den rein rechtlichen Fragen ab, so bleibt als wichtigster Grund für ein
Reichsgesetz folgende Erwägung übrig, die wir am besten am Kostkinderwesen be¬
leuchten können.

Immer wieder, wenn man durch örtlich beschränkte Gesetze oder Verord¬
nungen die Aufsicht über das Kostkinderwesen eines Bezirks verbesserte, führte das
dazu, daß die gefährdeten Koflkmder ihr einfach entzogen werden konnten,
indem man sie an einem anderen Orte unterbrachte, wo diese Aufsicht nicht oder
nicht so geübt wurde. Wer in diesen Dingen über die engen örtlichen Grenzen
hinaus zu arbeiten hatte, konnte oft genug beobachten, wie gewisse Orte plötzlich
zur Unterbringung von Kostkindern bevorzugt wurden, die womöglich alle aus
derselben Gegend kamen. Aus ganz ähnlichen Gründen treiben die übelberüch-
tigten Entbindungsanstalten, wie sie Gabriele Reuter in ihrem "Tränenhaus" ge¬
schildert hat, gerade in den kleinen Staaten und in entlegenen ländlichen Bezirken,
womöglich in derNähe irgendeiner Grenze ihr Unwesen, wo sie ungestört die uneheliche
Mutter ausbeuten, die Kinder meist recht schlecht irgend wohin verschleppen und
so eine Fülle von Unheil über Mutter und Kind bringen. Ging man ihnen
schärfer zuleide, so erwies sich das fast stets als unmöglich, weil es dort an den
gesetzlichen Handhaben fehlte oder ohne ein festes Eingreifen von außen her in dem
kleinen Örtchen irgendwelche erfolgreiche Aufsicht gegen dieses Treiben, das sich
nach außen hin schon zu verstecken sucht, nicht zu erreichen war. Es konnte jahre¬
lang dauern, bis es nach unendlichen Mühen gelang, ein solches böses Geschwür
am' Volkskörper aufzuschneiden. Oft verschwand es erst, wenn die Gründer
mit ihrem Gewinn sich in Sicherheit gebracht hatten.

Die Verschiedenheit der Gerichte und Verwaltungsverhältnisse in den vielen
Einzelstaaten erschwert eine gründliche Kinderfürsorge sehr. Gewiß sollte man
nicht alles über einen Kamm scheren. Gerade die Verschiedenheit unserer deut¬
schen Länder hat oft in dem einen wertvolle neue Einrichtungen entstehen lassen,
die später von anderen'nachgeahmt wurden. Dennoch ist ein Grundstock einheit¬
licher Ordnung dringend zu wünschen. Ohne ihn werden sich gewisse Fort¬
schritte überhaupt nicht erringen lassen. - Man müßte denn auf den umständlichen
Weg warten wollen, daß alle Einzelstaaten nach und nach gleichartige Gesetze er¬
lassen und so mühsam die gewünschte Einheit herstellen. Das hieße praktisch eine'
wirkliche Besserung auf den Nimmerleinstag verschieben.

Wenn wir eine gründliche Besserung der öffentlichen Kinderfürsorge
wünschen, und wir müssen sie wünschen, so ist dafür aus praktischen Gründen der
Weg durch die Reichsgesetzgebung der beste.

Es drängen dahin auch jene Rechtsfragen, die bereits erwähnt wurden. Große
Rechtsgebiete, die hier in Frage kommen, sind ganz oder zum großen Teil reichs-


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lveshalb brauchen wir ein Reichsgesetz über Jugendämter?

einzelnen Behörden besser arbeiten, sondern um sie wirklich zu beseitigen, müssen
diese Behörden geändert und in ihrer ganzen Einrichtung mehr den Bedürfnissen
der Schutzbefohlenen angepaßt werden. Das sind aber gerade Aufgaben, zu deren
Lösung die Gesetzgebung mitwirken kann.

Ja, manche dieser Ausgaben kann nur die Gesetzgebung lösen. Das Zu¬
sammenwirken bei den Leistungen von Behörden beruht zu einem großen Teil
darauf, daß jede von ihnen ihr eigenes Gebiet hat und nicht ins Gebiet der
anderen, selbst in der besten Absicht nicht, störend hineingreift. Wo die Gesetze
falsche Grenzen vorschreiben, da ist eine Besserung der Verhältnisse nur durch eine
Änderung der Gesetze zu erreichen.

In diesem Sinne kann auch unsere öffentliche Kinderfürsorge lediglich durch
Änderung ihrer gesetzlichen Grundlagen so gestaltet werden, daß sie ihre bedeut¬
samen Aufgaben wirklich zu lösen vermag.

Schwieriger ist die letzte Frage, ob es nötig sei, die Reichsgesetzgebung in
Bewegung zu setzen oder ob einzelne Landesgesetze nicht zum Ziel führen können.
Darüber wurde in den letzten Jahren besonders eifrig im preußischen Abgeordneten¬
haus verhandelt, das bisher stets den Standpunkt einnahm, eine Regelung der
öffentlichen Kinderfürsorge könne nur durch das Reich erfolgen. Eben jetzt da¬
gegen soll es einen preußischen Gesetzentwurf über Jugendämter beraten. Sehen
wir von den rein rechtlichen Fragen ab, so bleibt als wichtigster Grund für ein
Reichsgesetz folgende Erwägung übrig, die wir am besten am Kostkinderwesen be¬
leuchten können.

Immer wieder, wenn man durch örtlich beschränkte Gesetze oder Verord¬
nungen die Aufsicht über das Kostkinderwesen eines Bezirks verbesserte, führte das
dazu, daß die gefährdeten Koflkmder ihr einfach entzogen werden konnten,
indem man sie an einem anderen Orte unterbrachte, wo diese Aufsicht nicht oder
nicht so geübt wurde. Wer in diesen Dingen über die engen örtlichen Grenzen
hinaus zu arbeiten hatte, konnte oft genug beobachten, wie gewisse Orte plötzlich
zur Unterbringung von Kostkindern bevorzugt wurden, die womöglich alle aus
derselben Gegend kamen. Aus ganz ähnlichen Gründen treiben die übelberüch-
tigten Entbindungsanstalten, wie sie Gabriele Reuter in ihrem „Tränenhaus" ge¬
schildert hat, gerade in den kleinen Staaten und in entlegenen ländlichen Bezirken,
womöglich in derNähe irgendeiner Grenze ihr Unwesen, wo sie ungestört die uneheliche
Mutter ausbeuten, die Kinder meist recht schlecht irgend wohin verschleppen und
so eine Fülle von Unheil über Mutter und Kind bringen. Ging man ihnen
schärfer zuleide, so erwies sich das fast stets als unmöglich, weil es dort an den
gesetzlichen Handhaben fehlte oder ohne ein festes Eingreifen von außen her in dem
kleinen Örtchen irgendwelche erfolgreiche Aufsicht gegen dieses Treiben, das sich
nach außen hin schon zu verstecken sucht, nicht zu erreichen war. Es konnte jahre¬
lang dauern, bis es nach unendlichen Mühen gelang, ein solches böses Geschwür
am' Volkskörper aufzuschneiden. Oft verschwand es erst, wenn die Gründer
mit ihrem Gewinn sich in Sicherheit gebracht hatten.

Die Verschiedenheit der Gerichte und Verwaltungsverhältnisse in den vielen
Einzelstaaten erschwert eine gründliche Kinderfürsorge sehr. Gewiß sollte man
nicht alles über einen Kamm scheren. Gerade die Verschiedenheit unserer deut¬
schen Länder hat oft in dem einen wertvolle neue Einrichtungen entstehen lassen,
die später von anderen'nachgeahmt wurden. Dennoch ist ein Grundstock einheit¬
licher Ordnung dringend zu wünschen. Ohne ihn werden sich gewisse Fort¬
schritte überhaupt nicht erringen lassen. - Man müßte denn auf den umständlichen
Weg warten wollen, daß alle Einzelstaaten nach und nach gleichartige Gesetze er¬
lassen und so mühsam die gewünschte Einheit herstellen. Das hieße praktisch eine'
wirkliche Besserung auf den Nimmerleinstag verschieben.

Wenn wir eine gründliche Besserung der öffentlichen Kinderfürsorge
wünschen, und wir müssen sie wünschen, so ist dafür aus praktischen Gründen der
Weg durch die Reichsgesetzgebung der beste.

Es drängen dahin auch jene Rechtsfragen, die bereits erwähnt wurden. Große
Rechtsgebiete, die hier in Frage kommen, sind ganz oder zum großen Teil reichs-


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[0263] lveshalb brauchen wir ein Reichsgesetz über Jugendämter? einzelnen Behörden besser arbeiten, sondern um sie wirklich zu beseitigen, müssen diese Behörden geändert und in ihrer ganzen Einrichtung mehr den Bedürfnissen der Schutzbefohlenen angepaßt werden. Das sind aber gerade Aufgaben, zu deren Lösung die Gesetzgebung mitwirken kann. Ja, manche dieser Ausgaben kann nur die Gesetzgebung lösen. Das Zu¬ sammenwirken bei den Leistungen von Behörden beruht zu einem großen Teil darauf, daß jede von ihnen ihr eigenes Gebiet hat und nicht ins Gebiet der anderen, selbst in der besten Absicht nicht, störend hineingreift. Wo die Gesetze falsche Grenzen vorschreiben, da ist eine Besserung der Verhältnisse nur durch eine Änderung der Gesetze zu erreichen. In diesem Sinne kann auch unsere öffentliche Kinderfürsorge lediglich durch Änderung ihrer gesetzlichen Grundlagen so gestaltet werden, daß sie ihre bedeut¬ samen Aufgaben wirklich zu lösen vermag. Schwieriger ist die letzte Frage, ob es nötig sei, die Reichsgesetzgebung in Bewegung zu setzen oder ob einzelne Landesgesetze nicht zum Ziel führen können. Darüber wurde in den letzten Jahren besonders eifrig im preußischen Abgeordneten¬ haus verhandelt, das bisher stets den Standpunkt einnahm, eine Regelung der öffentlichen Kinderfürsorge könne nur durch das Reich erfolgen. Eben jetzt da¬ gegen soll es einen preußischen Gesetzentwurf über Jugendämter beraten. Sehen wir von den rein rechtlichen Fragen ab, so bleibt als wichtigster Grund für ein Reichsgesetz folgende Erwägung übrig, die wir am besten am Kostkinderwesen be¬ leuchten können. Immer wieder, wenn man durch örtlich beschränkte Gesetze oder Verord¬ nungen die Aufsicht über das Kostkinderwesen eines Bezirks verbesserte, führte das dazu, daß die gefährdeten Koflkmder ihr einfach entzogen werden konnten, indem man sie an einem anderen Orte unterbrachte, wo diese Aufsicht nicht oder nicht so geübt wurde. Wer in diesen Dingen über die engen örtlichen Grenzen hinaus zu arbeiten hatte, konnte oft genug beobachten, wie gewisse Orte plötzlich zur Unterbringung von Kostkindern bevorzugt wurden, die womöglich alle aus derselben Gegend kamen. Aus ganz ähnlichen Gründen treiben die übelberüch- tigten Entbindungsanstalten, wie sie Gabriele Reuter in ihrem „Tränenhaus" ge¬ schildert hat, gerade in den kleinen Staaten und in entlegenen ländlichen Bezirken, womöglich in derNähe irgendeiner Grenze ihr Unwesen, wo sie ungestört die uneheliche Mutter ausbeuten, die Kinder meist recht schlecht irgend wohin verschleppen und so eine Fülle von Unheil über Mutter und Kind bringen. Ging man ihnen schärfer zuleide, so erwies sich das fast stets als unmöglich, weil es dort an den gesetzlichen Handhaben fehlte oder ohne ein festes Eingreifen von außen her in dem kleinen Örtchen irgendwelche erfolgreiche Aufsicht gegen dieses Treiben, das sich nach außen hin schon zu verstecken sucht, nicht zu erreichen war. Es konnte jahre¬ lang dauern, bis es nach unendlichen Mühen gelang, ein solches böses Geschwür am' Volkskörper aufzuschneiden. Oft verschwand es erst, wenn die Gründer mit ihrem Gewinn sich in Sicherheit gebracht hatten. Die Verschiedenheit der Gerichte und Verwaltungsverhältnisse in den vielen Einzelstaaten erschwert eine gründliche Kinderfürsorge sehr. Gewiß sollte man nicht alles über einen Kamm scheren. Gerade die Verschiedenheit unserer deut¬ schen Länder hat oft in dem einen wertvolle neue Einrichtungen entstehen lassen, die später von anderen'nachgeahmt wurden. Dennoch ist ein Grundstock einheit¬ licher Ordnung dringend zu wünschen. Ohne ihn werden sich gewisse Fort¬ schritte überhaupt nicht erringen lassen. - Man müßte denn auf den umständlichen Weg warten wollen, daß alle Einzelstaaten nach und nach gleichartige Gesetze er¬ lassen und so mühsam die gewünschte Einheit herstellen. Das hieße praktisch eine' wirkliche Besserung auf den Nimmerleinstag verschieben. Wenn wir eine gründliche Besserung der öffentlichen Kinderfürsorge wünschen, und wir müssen sie wünschen, so ist dafür aus praktischen Gründen der Weg durch die Reichsgesetzgebung der beste. Es drängen dahin auch jene Rechtsfragen, die bereits erwähnt wurden. Große Rechtsgebiete, die hier in Frage kommen, sind ganz oder zum großen Teil reichs- 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/263>, abgerufen am 22.07.2024.