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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Englands Bild in den Angen der deutschen Alassiker

Erfahrungen unter dem bourbonischen Despotismus verkündete. Darum kann sich
der Vertreter des Idealen in "Kabale und Liebe", Ferdinand, nicht denken, daß
eine Engländerin sich zur Geliebten des Despoten erniedrigen könne: "Sie nennen
sich eine Britin I -- sagt er zur Lady Milford. -- Erlauben Sie mir, ich kaun
es nicht glauben, daß Sie eine Britin sind. Die froigeborene.Tochter des freiesten
Volkes unter dem Himmel, -- das auch zu stolz ist, fremder Tugend zu räuchern,
-- kann sich nimmermehr an fremdes Laster verdingen. Es ist nicht möglich, daß
Sie eine Britin sind, oder das Herz dieser Britin muß um soviel kleiner sein, als
größer und kühner Britanniens Adern schlagen." -- Die /viaMa ckarta über-
tatum und die i-Iadeas oorpus-Akte, die die persönliche Freiheit der Bürger und
ihre Rechte der Negierung gegenüber sicherten, erhoben England schon im Mittel¬
alter und zu Anfang der Neuzeit über die Regierungsform der anderen Staaten.
Daher erkennt Schiller in dem Kampf der englischen Königin Elisabeth gegen die
Armada des tyrannischen, finsteren spanischen Königs Philipps des Zweiten'(15M)
das Recht auf der englischen Seite, wie er es in seinem Gedicht "Die unüber¬
windliche Flotte" (1786) ausspricht:

In jenem Kriege steht Schiller eiuen weltgeschichtlichen Prozeß zum Austrag
gebracht, in dem Spanien die geistige und politische Unfreiheit, England die Freiheit
versieht. Darum durfte England nicht verlieren; Gott selbst tritt ein:

Die Erklärung der Menschenrechte und die übrigen freiheitlichen Gedanken,
welche die französische große Revolution anfangs verkündete, machten für kurze
Zeit dieses Land für Schiller zum Idealstaat der Freiheit. Der Königsmord und
die Kriege des neuen erobernngslustigen französischen Staates belehrten ihn bald
eines anderen; und die Kampfesart Frankreichs wie die seines hartnäckigen Gegners
England machten ihm deutlich, daß beide Staaten, wie auch ihre innere Ver¬
fassung sein mochte, jedenfalls dem Anstand durch ihre Siegs uicht die Freiheit
bringen würdenI In seinem Gedicht "Der Antritt des neuen Jahrhunderts" (1L01)
spricht er sich über Englands Kampf mit Frankreich aus:


Englands Bild in den Angen der deutschen Alassiker

Erfahrungen unter dem bourbonischen Despotismus verkündete. Darum kann sich
der Vertreter des Idealen in „Kabale und Liebe", Ferdinand, nicht denken, daß
eine Engländerin sich zur Geliebten des Despoten erniedrigen könne: „Sie nennen
sich eine Britin I — sagt er zur Lady Milford. — Erlauben Sie mir, ich kaun
es nicht glauben, daß Sie eine Britin sind. Die froigeborene.Tochter des freiesten
Volkes unter dem Himmel, — das auch zu stolz ist, fremder Tugend zu räuchern,
— kann sich nimmermehr an fremdes Laster verdingen. Es ist nicht möglich, daß
Sie eine Britin sind, oder das Herz dieser Britin muß um soviel kleiner sein, als
größer und kühner Britanniens Adern schlagen." — Die /viaMa ckarta über-
tatum und die i-Iadeas oorpus-Akte, die die persönliche Freiheit der Bürger und
ihre Rechte der Negierung gegenüber sicherten, erhoben England schon im Mittel¬
alter und zu Anfang der Neuzeit über die Regierungsform der anderen Staaten.
Daher erkennt Schiller in dem Kampf der englischen Königin Elisabeth gegen die
Armada des tyrannischen, finsteren spanischen Königs Philipps des Zweiten'(15M)
das Recht auf der englischen Seite, wie er es in seinem Gedicht „Die unüber¬
windliche Flotte" (1786) ausspricht:

In jenem Kriege steht Schiller eiuen weltgeschichtlichen Prozeß zum Austrag
gebracht, in dem Spanien die geistige und politische Unfreiheit, England die Freiheit
versieht. Darum durfte England nicht verlieren; Gott selbst tritt ein:

Die Erklärung der Menschenrechte und die übrigen freiheitlichen Gedanken,
welche die französische große Revolution anfangs verkündete, machten für kurze
Zeit dieses Land für Schiller zum Idealstaat der Freiheit. Der Königsmord und
die Kriege des neuen erobernngslustigen französischen Staates belehrten ihn bald
eines anderen; und die Kampfesart Frankreichs wie die seines hartnäckigen Gegners
England machten ihm deutlich, daß beide Staaten, wie auch ihre innere Ver¬
fassung sein mochte, jedenfalls dem Anstand durch ihre Siegs uicht die Freiheit
bringen würdenI In seinem Gedicht „Der Antritt des neuen Jahrhunderts" (1L01)
spricht er sich über Englands Kampf mit Frankreich aus:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/242>, abgerufen am 22.07.2024.