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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die Verfassung der Sowjetrepublik

bildenden Einleitung (Präambel). Das ist eine schneidende Absage an die Phra-
seolonie der französischen Revolution, die ihre Verfassungen mit eitlem Katalog
der Menschen- und Bürger-Rechte zu eröffnen pflegte. 1793 verkündet das peuple
k^r-MLais in diesen äroits 6s l'nomme et Zu Litauen die Grundlagen seiner Frei¬
heit und seines Glückes, d. h. der Freiheit und des Glückes der sogenannten Aktiv"
Kürzer; denn dem proletarischen Lohnarbeiter hat die Emanzipation der fran¬
zösiern Bourgeoisie, die ihn von Anfang an vor ihren Wagen zu spannen ver¬
stand, alles andere eingebracht als Freiheit: das Koalitionsverbot von 1791 be¬
deulkt" für ihn wirtschaftliche Erdrosselung und in der Folge gesellte sich dazu die
politische Entrechtung dnrch Ausschluß vom Wahlrecht. 1918 aber verkündet das
arbeitende Volk von Rußland: "Die wirtschaftliche Unterjochung der arbeitenden
Klassen durch die Besitzer der Mittel und Werkzeuge der Produktion, des Erd¬
bodens, der Maschinen, Fabriken, Eisenbahnen und Rohstoffe, dieser Grundquellen
des Lebens, erscheint als die Ursache aller Arten politischer Bedrückung, wirtschaft¬
licher Ausbeutung, geistiger und moralischer Unterjochung der arbeitenden Massen.
Darum stellt die wirtschaftliche Befreiung der arbeitenden Klassen vom Joche des
Kapitalismus die größte Aufgabe unserer Zeit dar und muß um jeden Preis
verwirklicht werden. Die Befreiung der arbeitenden Klassen muß und kann das
Werk dieser Klassen selbst' sein, die sich zu diesem Zwecke in den Sowjets der
Arbeiter-, Soldaten-, Bauern- und Kosaken-Deputierten vereinigen müssen."

Hier redet der Geist des Sozialismus, von dem die um Zentralisation oder
Föderalismus streitenden Parteien des Konvents kaum einen Hauch verspürt
hatten, trotzdem die sozialistische Theorie in jene Zeiten zurückreicht. Und lesen
wir weiter, so enthüllt sich uns das Gedankengebäude dieser Theorie, so wie es
ihre wissenschaftlichen, nicht mehr rational, sondern entwicklungsgeschichtlich
denkenden Vollender vertreten haben, in voller Klarheit. Dieses grundlegende
Bekenntnis der russischen Sozialdemokratie (in ihrer maximalistischen Form) zeigt
sie als gelehrige Schüler vou Marx, dessen kommunistisches Manifest nicht nur in
dem Schlußrufe: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch" anklingt. Allerdings
bis zu den letzten Folgerungen des Kommunismus,, der Beseitigung des Privat¬
eigentums auch an den Lerbrauchsgegenständen, ist das Regime der Räte nicht
songeschritten, weshalb man besser vermeidet, von, einem durch sie herbeigeführten
kommunistischen Staate zu sprechen. Sie selber bezeichnen ihn ja auch nicht so,
sondern als sozialistische Republik. Also zwar nicht die Beseitigung des Privat¬
eigentums an den Verbrauchsgegenständen, Wohl aber desjenigen am Erdboden
und den Produktionsmitteln wird erstrebt, d. h. die Vernichtung des zeitgenössischen
gesellschaftlichen Aufbaues. In dem an seine Stelle tretenden sozialistischen Auf¬
bau "wird die ganze Erde, ihre Oberfläche und ihr Schoß und alle Mittel und
Werkzxnge der Produktion . . . dein ganzen Volke, das in einem brüderlichen
Arbeitsverband geeinigt ist, gehören". Nur in diesem Falle, so heißt es echt
marxistisch weiter, wird die Teilung der Gesellschaft in feindliche Klassen verhindert
und mit dem Verschwinden der Klassenunterschiede auch die Notwendigkeit der
Diktatur der arbeitenden Klasse verschwinden und (die Notwendigkeit) der Staats¬
gewalt als Apparat der KlassenhLrrsclmft. Das letzte Ziel -- nach der Über¬
gangszeit der proletarischen Diktatur -- ist also ein durch das Fehlen rechtlichen
Wollens gekennzeichneter Anarchismus, ein Zustand, bei dem jeglicher Zwang
(den der eigentliche Sozialisums ja noch kennt) fehlt. Wobei zu bemerken ist, daß
der Zentrale auch jetzt jede Zwangsgewalt gegenüber den Außensowjets fehlt.

In dieser Schlußfolgerung liegt ein Grundfehler materialistischer Geschichts¬
auffassung 'zutage; der nämlich, daß Wirtschaft und Recht im Verhältnis von Unter¬
grund und Überbau zueinander stehen, letzteres nur deu Reflex der vorhandenen Pro¬
duktionsverhältnisse ohne selbständiges Sein darstelle. In Wirklichkeit liegen die Dinge
so, daß soziale Wirtschaft nicht gedacht werden kann ohne eine bestimmte rechtliche Art,
nach der sie sich ausführt. Jeder ökonomische Begriff setzt gewisse rechtliche Ein¬
richtungen voraus, mit deren Wegdenken er selbst unweigerlich verschwinden würde.
(Stammler.) Rechtliche Einrichtungen ohne Zwang sind aber eine Unmöglichkeit


Die Verfassung der Sowjetrepublik

bildenden Einleitung (Präambel). Das ist eine schneidende Absage an die Phra-
seolonie der französischen Revolution, die ihre Verfassungen mit eitlem Katalog
der Menschen- und Bürger-Rechte zu eröffnen pflegte. 1793 verkündet das peuple
k^r-MLais in diesen äroits 6s l'nomme et Zu Litauen die Grundlagen seiner Frei¬
heit und seines Glückes, d. h. der Freiheit und des Glückes der sogenannten Aktiv»
Kürzer; denn dem proletarischen Lohnarbeiter hat die Emanzipation der fran¬
zösiern Bourgeoisie, die ihn von Anfang an vor ihren Wagen zu spannen ver¬
stand, alles andere eingebracht als Freiheit: das Koalitionsverbot von 1791 be¬
deulkt« für ihn wirtschaftliche Erdrosselung und in der Folge gesellte sich dazu die
politische Entrechtung dnrch Ausschluß vom Wahlrecht. 1918 aber verkündet das
arbeitende Volk von Rußland: „Die wirtschaftliche Unterjochung der arbeitenden
Klassen durch die Besitzer der Mittel und Werkzeuge der Produktion, des Erd¬
bodens, der Maschinen, Fabriken, Eisenbahnen und Rohstoffe, dieser Grundquellen
des Lebens, erscheint als die Ursache aller Arten politischer Bedrückung, wirtschaft¬
licher Ausbeutung, geistiger und moralischer Unterjochung der arbeitenden Massen.
Darum stellt die wirtschaftliche Befreiung der arbeitenden Klassen vom Joche des
Kapitalismus die größte Aufgabe unserer Zeit dar und muß um jeden Preis
verwirklicht werden. Die Befreiung der arbeitenden Klassen muß und kann das
Werk dieser Klassen selbst' sein, die sich zu diesem Zwecke in den Sowjets der
Arbeiter-, Soldaten-, Bauern- und Kosaken-Deputierten vereinigen müssen."

Hier redet der Geist des Sozialismus, von dem die um Zentralisation oder
Föderalismus streitenden Parteien des Konvents kaum einen Hauch verspürt
hatten, trotzdem die sozialistische Theorie in jene Zeiten zurückreicht. Und lesen
wir weiter, so enthüllt sich uns das Gedankengebäude dieser Theorie, so wie es
ihre wissenschaftlichen, nicht mehr rational, sondern entwicklungsgeschichtlich
denkenden Vollender vertreten haben, in voller Klarheit. Dieses grundlegende
Bekenntnis der russischen Sozialdemokratie (in ihrer maximalistischen Form) zeigt
sie als gelehrige Schüler vou Marx, dessen kommunistisches Manifest nicht nur in
dem Schlußrufe: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch" anklingt. Allerdings
bis zu den letzten Folgerungen des Kommunismus,, der Beseitigung des Privat¬
eigentums auch an den Lerbrauchsgegenständen, ist das Regime der Räte nicht
songeschritten, weshalb man besser vermeidet, von, einem durch sie herbeigeführten
kommunistischen Staate zu sprechen. Sie selber bezeichnen ihn ja auch nicht so,
sondern als sozialistische Republik. Also zwar nicht die Beseitigung des Privat¬
eigentums an den Verbrauchsgegenständen, Wohl aber desjenigen am Erdboden
und den Produktionsmitteln wird erstrebt, d. h. die Vernichtung des zeitgenössischen
gesellschaftlichen Aufbaues. In dem an seine Stelle tretenden sozialistischen Auf¬
bau „wird die ganze Erde, ihre Oberfläche und ihr Schoß und alle Mittel und
Werkzxnge der Produktion . . . dein ganzen Volke, das in einem brüderlichen
Arbeitsverband geeinigt ist, gehören". Nur in diesem Falle, so heißt es echt
marxistisch weiter, wird die Teilung der Gesellschaft in feindliche Klassen verhindert
und mit dem Verschwinden der Klassenunterschiede auch die Notwendigkeit der
Diktatur der arbeitenden Klasse verschwinden und (die Notwendigkeit) der Staats¬
gewalt als Apparat der KlassenhLrrsclmft. Das letzte Ziel — nach der Über¬
gangszeit der proletarischen Diktatur — ist also ein durch das Fehlen rechtlichen
Wollens gekennzeichneter Anarchismus, ein Zustand, bei dem jeglicher Zwang
(den der eigentliche Sozialisums ja noch kennt) fehlt. Wobei zu bemerken ist, daß
der Zentrale auch jetzt jede Zwangsgewalt gegenüber den Außensowjets fehlt.

In dieser Schlußfolgerung liegt ein Grundfehler materialistischer Geschichts¬
auffassung 'zutage; der nämlich, daß Wirtschaft und Recht im Verhältnis von Unter¬
grund und Überbau zueinander stehen, letzteres nur deu Reflex der vorhandenen Pro¬
duktionsverhältnisse ohne selbständiges Sein darstelle. In Wirklichkeit liegen die Dinge
so, daß soziale Wirtschaft nicht gedacht werden kann ohne eine bestimmte rechtliche Art,
nach der sie sich ausführt. Jeder ökonomische Begriff setzt gewisse rechtliche Ein¬
richtungen voraus, mit deren Wegdenken er selbst unweigerlich verschwinden würde.
(Stammler.) Rechtliche Einrichtungen ohne Zwang sind aber eine Unmöglichkeit


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[0202] Die Verfassung der Sowjetrepublik bildenden Einleitung (Präambel). Das ist eine schneidende Absage an die Phra- seolonie der französischen Revolution, die ihre Verfassungen mit eitlem Katalog der Menschen- und Bürger-Rechte zu eröffnen pflegte. 1793 verkündet das peuple k^r-MLais in diesen äroits 6s l'nomme et Zu Litauen die Grundlagen seiner Frei¬ heit und seines Glückes, d. h. der Freiheit und des Glückes der sogenannten Aktiv» Kürzer; denn dem proletarischen Lohnarbeiter hat die Emanzipation der fran¬ zösiern Bourgeoisie, die ihn von Anfang an vor ihren Wagen zu spannen ver¬ stand, alles andere eingebracht als Freiheit: das Koalitionsverbot von 1791 be¬ deulkt« für ihn wirtschaftliche Erdrosselung und in der Folge gesellte sich dazu die politische Entrechtung dnrch Ausschluß vom Wahlrecht. 1918 aber verkündet das arbeitende Volk von Rußland: „Die wirtschaftliche Unterjochung der arbeitenden Klassen durch die Besitzer der Mittel und Werkzeuge der Produktion, des Erd¬ bodens, der Maschinen, Fabriken, Eisenbahnen und Rohstoffe, dieser Grundquellen des Lebens, erscheint als die Ursache aller Arten politischer Bedrückung, wirtschaft¬ licher Ausbeutung, geistiger und moralischer Unterjochung der arbeitenden Massen. Darum stellt die wirtschaftliche Befreiung der arbeitenden Klassen vom Joche des Kapitalismus die größte Aufgabe unserer Zeit dar und muß um jeden Preis verwirklicht werden. Die Befreiung der arbeitenden Klassen muß und kann das Werk dieser Klassen selbst' sein, die sich zu diesem Zwecke in den Sowjets der Arbeiter-, Soldaten-, Bauern- und Kosaken-Deputierten vereinigen müssen." Hier redet der Geist des Sozialismus, von dem die um Zentralisation oder Föderalismus streitenden Parteien des Konvents kaum einen Hauch verspürt hatten, trotzdem die sozialistische Theorie in jene Zeiten zurückreicht. Und lesen wir weiter, so enthüllt sich uns das Gedankengebäude dieser Theorie, so wie es ihre wissenschaftlichen, nicht mehr rational, sondern entwicklungsgeschichtlich denkenden Vollender vertreten haben, in voller Klarheit. Dieses grundlegende Bekenntnis der russischen Sozialdemokratie (in ihrer maximalistischen Form) zeigt sie als gelehrige Schüler vou Marx, dessen kommunistisches Manifest nicht nur in dem Schlußrufe: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch" anklingt. Allerdings bis zu den letzten Folgerungen des Kommunismus,, der Beseitigung des Privat¬ eigentums auch an den Lerbrauchsgegenständen, ist das Regime der Räte nicht songeschritten, weshalb man besser vermeidet, von, einem durch sie herbeigeführten kommunistischen Staate zu sprechen. Sie selber bezeichnen ihn ja auch nicht so, sondern als sozialistische Republik. Also zwar nicht die Beseitigung des Privat¬ eigentums an den Verbrauchsgegenständen, Wohl aber desjenigen am Erdboden und den Produktionsmitteln wird erstrebt, d. h. die Vernichtung des zeitgenössischen gesellschaftlichen Aufbaues. In dem an seine Stelle tretenden sozialistischen Auf¬ bau „wird die ganze Erde, ihre Oberfläche und ihr Schoß und alle Mittel und Werkzxnge der Produktion . . . dein ganzen Volke, das in einem brüderlichen Arbeitsverband geeinigt ist, gehören". Nur in diesem Falle, so heißt es echt marxistisch weiter, wird die Teilung der Gesellschaft in feindliche Klassen verhindert und mit dem Verschwinden der Klassenunterschiede auch die Notwendigkeit der Diktatur der arbeitenden Klasse verschwinden und (die Notwendigkeit) der Staats¬ gewalt als Apparat der KlassenhLrrsclmft. Das letzte Ziel — nach der Über¬ gangszeit der proletarischen Diktatur — ist also ein durch das Fehlen rechtlichen Wollens gekennzeichneter Anarchismus, ein Zustand, bei dem jeglicher Zwang (den der eigentliche Sozialisums ja noch kennt) fehlt. Wobei zu bemerken ist, daß der Zentrale auch jetzt jede Zwangsgewalt gegenüber den Außensowjets fehlt. In dieser Schlußfolgerung liegt ein Grundfehler materialistischer Geschichts¬ auffassung 'zutage; der nämlich, daß Wirtschaft und Recht im Verhältnis von Unter¬ grund und Überbau zueinander stehen, letzteres nur deu Reflex der vorhandenen Pro¬ duktionsverhältnisse ohne selbständiges Sein darstelle. In Wirklichkeit liegen die Dinge so, daß soziale Wirtschaft nicht gedacht werden kann ohne eine bestimmte rechtliche Art, nach der sie sich ausführt. Jeder ökonomische Begriff setzt gewisse rechtliche Ein¬ richtungen voraus, mit deren Wegdenken er selbst unweigerlich verschwinden würde. (Stammler.) Rechtliche Einrichtungen ohne Zwang sind aber eine Unmöglichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/202>, abgerufen am 29.06.2024.