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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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schaufensterausstellungen zu sehen, welch herrliche Kostüme es gibt, die sie nicht
kaufen können. Eine neckische Veranstaltung! In den geistvollen Modeplaudereien,
mit denen uns die führenden Berliner Zeitungen jetzt eine besonders interessante
Lektüre bieten, vermisse ich den Hinweis, daß unter allen Umständen die herrschende
Mode ist und bleibt -- die schwarze. Wirtschaft, Horatiol Wir sind frivol, weil
es die Valuta so will und um die Konkurrenz auszuschalten. Man benützt die
Zeit, da vermutlich die findigsten Pariser Damenschneider totgeschossen sind. Wird
die "deutsche Mode" nach dem Krieg noch deutsch sein? Wird das Pariser Modell,
das der deutsche Ehemann so oft mit Ächzen bezahlen mußte, weil es ein Pariser
Modell war, im kommenden Frieden nicht mehr die Rolle des Albdrucks spielen?
Hoffen wir das beste, lieber Leser, hoffen wir das beste I Es sind schon so
sonderbare Dinge Mode gewesen, daß vielleicht auch einmal die Vernunft Mode
wird. Sollte die Durchsetzung der neuen deutschen Mode auf Schwierigkeiten
stoßen, so empfiehlt sich ein einfaches Mittel: Man berechne für die deutschen
Modelle soviel, wie früher für die Pariser. Dann geht's vielleicht. Gerade so
wie es totschick sein wird, deutschen Sekt zu trinken, wenn er sich im Preise
nicht mehr vom französischen unterscheidet, wozu wir ja Gott sei Dank auf dem
besten Wege sind. Was immer der Weltkrieg umgewühlt, umgewälzt und verändert
hat, die menschliche Eitelkeit hat er nicht berührt. Kein Entsetzen verhindert die
Frauen, die Modewochenschaufensterausstellungen ernster zu nehmen, als alles,
was in dieser Zeit sonst passiert. Die Männer sind um kein Frauenhaar besser.
Es bleibe unvergessen, daß inmitten des Krieges ein leidenschaftlicher Kampf für
den Titel "Studienrat" geführt wurde, und wer ein Bändchen im Knopfloch
tragen darf, würde eher vergessen, morgens seine Hosen anzulegen, als das Zeichen,
daß er das Selbstverständliche getan hat, nämlich seine Pflicht, oder daß er mit
Gottes Hilfe ein gewisses Alter erreicht hat. Und wenn ein öffentlich schreibender
Zeitgenosse einen geistreichen Zeitungsartikel geboren hat, so läßt er diesen seinen
Geist auf dem knappen Druckpapier leuchten, und wenn er hundertmal etwas
dabei erzählt, wovon in den Zeitungslesebureaus der Feinde mit dankbarem
Grinsen Notiz genommen wird. In der Welt des durch Druckerschwärze sich
kundgebenden Geistes gibt es nur ein Mittel, die eigene Bedeutung zu erhöhen:
recht zu haben, unter allen Umständen recht zu haben. So wenig eine Frau ver¬
hindert werden kann, ein Kleid anzuziehen oder einen Hut aufzusetzen, von dem
sie annimmt, daß ihre Reize dadurch erhöht werden, so wenig kann ein für die
Öffentlichkeit Schreibender oder sprechender verhindert werden, die Gründe aus¬
einanderzusetzen, warum er politisch recht hat. Das Vaterland mag eine recht
wichtige Sache sein, -- daß Herr Dr. A in bezug auf den U° Bootkrieg,
den Ostfrieden oder sonst etwas recht hat, ist doch wesentlich wichtiger. Wir
Deutsche haben die Disziplin im ganzen Körper, nur nicht in den Schreibsingern.
Aber irgendwo muß die Zivilcourage heraus, wenn dies auch jetzt gerade der un¬
geeignetste Auslaß ist.

Man sieht immer wieder: das Leben ist stärker alA der Tod, die mensch¬
lichen Torheiten halten besser durch, als die Weisheiten, und trotz aller Mahnungen
zur Sparsamkeit wird viel Eifer vertan, zum Schaden oder wenigstens nicht zum
Nutzen der Allgemeinheit. Nach dem siebziger Krieg Hatten wir die Gründerzeit,
jetzt haben wir die Zeit der Gründungen. Es wird jeden Tag etwas gegründet,
wozu nicht der mindeste Grund vorliegt. seinerzeit wurde der berühmte Bund
zur raschen Niederringung Englands gegründet, obwohl bereits eine sehr tüchtige
Körperschaft sich dieser Aufgabe in durchaus zweckdienlicher Weise widmet. Dann
kamen die Gründungen zur erfolgreichen Störung der deutschen Einigkeit, von
denen der Bund der Kaisertreuen, seinen neuesten Leistungen nach zu schließen,
wohl einen nicht leicht zu brechenden Rekord aufstellen wird. Danach ließ der
Eiser, das deutsche Friedenswirtschaftsleben, auf die Beine zu stellen, tüchtige
Männer nicht schlafen, zumal, wenn sie auf der Landkarte Mitteleuropas Grenzen
liebevoll besichtigt hatten. Nachdem bereits eine überaus stattliche Reihe von
Körperschaften im Interesse der künftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit Mittel-


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schaufensterausstellungen zu sehen, welch herrliche Kostüme es gibt, die sie nicht
kaufen können. Eine neckische Veranstaltung! In den geistvollen Modeplaudereien,
mit denen uns die führenden Berliner Zeitungen jetzt eine besonders interessante
Lektüre bieten, vermisse ich den Hinweis, daß unter allen Umständen die herrschende
Mode ist und bleibt — die schwarze. Wirtschaft, Horatiol Wir sind frivol, weil
es die Valuta so will und um die Konkurrenz auszuschalten. Man benützt die
Zeit, da vermutlich die findigsten Pariser Damenschneider totgeschossen sind. Wird
die „deutsche Mode" nach dem Krieg noch deutsch sein? Wird das Pariser Modell,
das der deutsche Ehemann so oft mit Ächzen bezahlen mußte, weil es ein Pariser
Modell war, im kommenden Frieden nicht mehr die Rolle des Albdrucks spielen?
Hoffen wir das beste, lieber Leser, hoffen wir das beste I Es sind schon so
sonderbare Dinge Mode gewesen, daß vielleicht auch einmal die Vernunft Mode
wird. Sollte die Durchsetzung der neuen deutschen Mode auf Schwierigkeiten
stoßen, so empfiehlt sich ein einfaches Mittel: Man berechne für die deutschen
Modelle soviel, wie früher für die Pariser. Dann geht's vielleicht. Gerade so
wie es totschick sein wird, deutschen Sekt zu trinken, wenn er sich im Preise
nicht mehr vom französischen unterscheidet, wozu wir ja Gott sei Dank auf dem
besten Wege sind. Was immer der Weltkrieg umgewühlt, umgewälzt und verändert
hat, die menschliche Eitelkeit hat er nicht berührt. Kein Entsetzen verhindert die
Frauen, die Modewochenschaufensterausstellungen ernster zu nehmen, als alles,
was in dieser Zeit sonst passiert. Die Männer sind um kein Frauenhaar besser.
Es bleibe unvergessen, daß inmitten des Krieges ein leidenschaftlicher Kampf für
den Titel „Studienrat" geführt wurde, und wer ein Bändchen im Knopfloch
tragen darf, würde eher vergessen, morgens seine Hosen anzulegen, als das Zeichen,
daß er das Selbstverständliche getan hat, nämlich seine Pflicht, oder daß er mit
Gottes Hilfe ein gewisses Alter erreicht hat. Und wenn ein öffentlich schreibender
Zeitgenosse einen geistreichen Zeitungsartikel geboren hat, so läßt er diesen seinen
Geist auf dem knappen Druckpapier leuchten, und wenn er hundertmal etwas
dabei erzählt, wovon in den Zeitungslesebureaus der Feinde mit dankbarem
Grinsen Notiz genommen wird. In der Welt des durch Druckerschwärze sich
kundgebenden Geistes gibt es nur ein Mittel, die eigene Bedeutung zu erhöhen:
recht zu haben, unter allen Umständen recht zu haben. So wenig eine Frau ver¬
hindert werden kann, ein Kleid anzuziehen oder einen Hut aufzusetzen, von dem
sie annimmt, daß ihre Reize dadurch erhöht werden, so wenig kann ein für die
Öffentlichkeit Schreibender oder sprechender verhindert werden, die Gründe aus¬
einanderzusetzen, warum er politisch recht hat. Das Vaterland mag eine recht
wichtige Sache sein, — daß Herr Dr. A in bezug auf den U° Bootkrieg,
den Ostfrieden oder sonst etwas recht hat, ist doch wesentlich wichtiger. Wir
Deutsche haben die Disziplin im ganzen Körper, nur nicht in den Schreibsingern.
Aber irgendwo muß die Zivilcourage heraus, wenn dies auch jetzt gerade der un¬
geeignetste Auslaß ist.

Man sieht immer wieder: das Leben ist stärker alA der Tod, die mensch¬
lichen Torheiten halten besser durch, als die Weisheiten, und trotz aller Mahnungen
zur Sparsamkeit wird viel Eifer vertan, zum Schaden oder wenigstens nicht zum
Nutzen der Allgemeinheit. Nach dem siebziger Krieg Hatten wir die Gründerzeit,
jetzt haben wir die Zeit der Gründungen. Es wird jeden Tag etwas gegründet,
wozu nicht der mindeste Grund vorliegt. seinerzeit wurde der berühmte Bund
zur raschen Niederringung Englands gegründet, obwohl bereits eine sehr tüchtige
Körperschaft sich dieser Aufgabe in durchaus zweckdienlicher Weise widmet. Dann
kamen die Gründungen zur erfolgreichen Störung der deutschen Einigkeit, von
denen der Bund der Kaisertreuen, seinen neuesten Leistungen nach zu schließen,
wohl einen nicht leicht zu brechenden Rekord aufstellen wird. Danach ließ der
Eiser, das deutsche Friedenswirtschaftsleben, auf die Beine zu stellen, tüchtige
Männer nicht schlafen, zumal, wenn sie auf der Landkarte Mitteleuropas Grenzen
liebevoll besichtigt hatten. Nachdem bereits eine überaus stattliche Reihe von
Körperschaften im Interesse der künftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit Mittel-


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[0184] Randglossen zum Tage schaufensterausstellungen zu sehen, welch herrliche Kostüme es gibt, die sie nicht kaufen können. Eine neckische Veranstaltung! In den geistvollen Modeplaudereien, mit denen uns die führenden Berliner Zeitungen jetzt eine besonders interessante Lektüre bieten, vermisse ich den Hinweis, daß unter allen Umständen die herrschende Mode ist und bleibt — die schwarze. Wirtschaft, Horatiol Wir sind frivol, weil es die Valuta so will und um die Konkurrenz auszuschalten. Man benützt die Zeit, da vermutlich die findigsten Pariser Damenschneider totgeschossen sind. Wird die „deutsche Mode" nach dem Krieg noch deutsch sein? Wird das Pariser Modell, das der deutsche Ehemann so oft mit Ächzen bezahlen mußte, weil es ein Pariser Modell war, im kommenden Frieden nicht mehr die Rolle des Albdrucks spielen? Hoffen wir das beste, lieber Leser, hoffen wir das beste I Es sind schon so sonderbare Dinge Mode gewesen, daß vielleicht auch einmal die Vernunft Mode wird. Sollte die Durchsetzung der neuen deutschen Mode auf Schwierigkeiten stoßen, so empfiehlt sich ein einfaches Mittel: Man berechne für die deutschen Modelle soviel, wie früher für die Pariser. Dann geht's vielleicht. Gerade so wie es totschick sein wird, deutschen Sekt zu trinken, wenn er sich im Preise nicht mehr vom französischen unterscheidet, wozu wir ja Gott sei Dank auf dem besten Wege sind. Was immer der Weltkrieg umgewühlt, umgewälzt und verändert hat, die menschliche Eitelkeit hat er nicht berührt. Kein Entsetzen verhindert die Frauen, die Modewochenschaufensterausstellungen ernster zu nehmen, als alles, was in dieser Zeit sonst passiert. Die Männer sind um kein Frauenhaar besser. Es bleibe unvergessen, daß inmitten des Krieges ein leidenschaftlicher Kampf für den Titel „Studienrat" geführt wurde, und wer ein Bändchen im Knopfloch tragen darf, würde eher vergessen, morgens seine Hosen anzulegen, als das Zeichen, daß er das Selbstverständliche getan hat, nämlich seine Pflicht, oder daß er mit Gottes Hilfe ein gewisses Alter erreicht hat. Und wenn ein öffentlich schreibender Zeitgenosse einen geistreichen Zeitungsartikel geboren hat, so läßt er diesen seinen Geist auf dem knappen Druckpapier leuchten, und wenn er hundertmal etwas dabei erzählt, wovon in den Zeitungslesebureaus der Feinde mit dankbarem Grinsen Notiz genommen wird. In der Welt des durch Druckerschwärze sich kundgebenden Geistes gibt es nur ein Mittel, die eigene Bedeutung zu erhöhen: recht zu haben, unter allen Umständen recht zu haben. So wenig eine Frau ver¬ hindert werden kann, ein Kleid anzuziehen oder einen Hut aufzusetzen, von dem sie annimmt, daß ihre Reize dadurch erhöht werden, so wenig kann ein für die Öffentlichkeit Schreibender oder sprechender verhindert werden, die Gründe aus¬ einanderzusetzen, warum er politisch recht hat. Das Vaterland mag eine recht wichtige Sache sein, — daß Herr Dr. A in bezug auf den U° Bootkrieg, den Ostfrieden oder sonst etwas recht hat, ist doch wesentlich wichtiger. Wir Deutsche haben die Disziplin im ganzen Körper, nur nicht in den Schreibsingern. Aber irgendwo muß die Zivilcourage heraus, wenn dies auch jetzt gerade der un¬ geeignetste Auslaß ist. Man sieht immer wieder: das Leben ist stärker alA der Tod, die mensch¬ lichen Torheiten halten besser durch, als die Weisheiten, und trotz aller Mahnungen zur Sparsamkeit wird viel Eifer vertan, zum Schaden oder wenigstens nicht zum Nutzen der Allgemeinheit. Nach dem siebziger Krieg Hatten wir die Gründerzeit, jetzt haben wir die Zeit der Gründungen. Es wird jeden Tag etwas gegründet, wozu nicht der mindeste Grund vorliegt. seinerzeit wurde der berühmte Bund zur raschen Niederringung Englands gegründet, obwohl bereits eine sehr tüchtige Körperschaft sich dieser Aufgabe in durchaus zweckdienlicher Weise widmet. Dann kamen die Gründungen zur erfolgreichen Störung der deutschen Einigkeit, von denen der Bund der Kaisertreuen, seinen neuesten Leistungen nach zu schließen, wohl einen nicht leicht zu brechenden Rekord aufstellen wird. Danach ließ der Eiser, das deutsche Friedenswirtschaftsleben, auf die Beine zu stellen, tüchtige Männer nicht schlafen, zumal, wenn sie auf der Landkarte Mitteleuropas Grenzen liebevoll besichtigt hatten. Nachdem bereits eine überaus stattliche Reihe von Körperschaften im Interesse der künftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/184>, abgerufen am 22.07.2024.