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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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steigen, da, wo Botschafterfrauen huldvoller ausländischen Majestäten oder Prä¬
sidenten vorgestellt werden und euer biederer alter Herr hilft auf die einfachste
aber sicherste Weise, indem er Schenks ausfüllt, dem freidenkenden Diplomaten,
seinen Posten angemessen ausfüllen. Heran, Ersatzsohlen-, Suppenwürfel-, El in
der Tute-Fabrikantentochter, heran, ihr blonden und dunkeln Sprößlinge der
Kriegsgewinnler, ein künftiger Botschafter ist zu vergeben, sofern nur Papa tief
genug in den neu gekauften Tresor steiotl Dein Ehrgeiz derer, die nach heutigen
Begriffen "Geld haben" -- und das ist etwas ganz anderes, als es vor vier
Jahren wart --, bieten sich sicherlich noch mehr elegante Erscheinungen, freidenkend
und mit größter Zukunft und noch viele tüchtige Männer, die vor dem Kriege in
den sozialen Niederungen wie-Veilchen blühten, während des Krieges das Zucht¬
haus mit allen eleganten Kleidungsstücken gestreift haben, werden in der Lage
sein, zu sagen: "Mein Schwiegersohn, der Herr Graf!" -- Und die Schwieger¬
mama wird den Freundinnen beim l^ito o olook stolz erzählen: "Wissen Sie,
mein Schwiegersohn ist als Alt-- als Alt-- als Attrapö nach einer ganz erotischen
Gegend versetzt worden." Und sie wird sehr stolz sein.

Wenn die Zeitungsnachricht stimmt, daß in Halle eine Vereinigung zur
Hebung des deutschen Gemütslebens gegründet worden ist, so können wir dem
kommenden Barockstil, -- wobei nicht die Häuser, sondern die Menschen barock
sein werden -- gefaßt entgegensehen. Hoffentlich beginnt die Vereinigung ihre
segensreiche Tätigkeit sofort, damit auch schon in der einigermaßen getrübten
Gegenwart sich ihre Wirkungen bemerkbar machen. Wir können einige Daseins¬
verschönerung brauchen. Nachdem die Sonne endgültig einen strategischen Rückzug
angetreten hat, muß, wer die Freuden der Saison genießen will, die hoffentlich
bezugsscheinsreie Vereinigung von Badehose und Pelzbesatz vornehmen. Der einzige*
Trost ist, daß, wenn der Sommer schöner wäre, es den Behörden gelungen wäre,
noch mehr Obst und Gemüse wegzuorganifieren, während so zwar der Konsument,
aber auch der Preiswucherer weniger zur Verfügung hat. So ergibt sich aus
der Ungunst der Zeit eine der wenigen reinen Freuden, die uns heutzutage be-
schiedsn sind, die Schadenfreude, daß der Gaunerei wenigstens einige Objekte
teilweise entzogen sind. Aber das Publikum könnte den Himmel bei der Be¬
kämpfung der Raubsucht der Händler unterstützen! Pfirsiche und Aprikosen z. B.
verderben sehr schnell und man kann auch ohne sie leben. Wenn nun auch die
Zahlungsfähigen soviel Selbstbeherrschung aufbrachten, den Preislreibern diese
Dinge zum Selbstgenuß zu lassen, folgte wenigstens diesem Wucher die Strafe
auf dem Fuße. Wenn nicht jeder Mensch von über zwölf Jabren fortwährend
einen Glimmstengel im Schnabel halten müßte, und auch die Wohlhabenden der
Allgemeinheit das gewiß nicht allzu schwere Opfer bringen würden, offenbare
Raubpreise nicht zu zahlen, stiegen die Preise nicht wie ein Fieberthermometer bei
einem Grippeansall. Freiwillige Konsumeinschränkung -- völlige Enthaltsamkeit
ist gar nicht nötig I -- würde mit einem Schlage der schlimmsten Ausbeutung
steuern. Aber solange die herrschend gewordene Torheit der Zeit überhaupt nicht
mehr nach billigeren Preisen fragt, sondern mit Schafsgeduld jeden Preis auch
für nicht notwendige Dinge wie eine göttliche Fügung hinnimmt und mit förm¬
licher Leidenschaft auch der offenbarsten Gaunerei die Beute hinwirft, solange
wird's schlimmer. Solange es Esel gibt, die für kümmerliche Pfirsiche vier Mark,
für eine Zigarre aus ausgekämmten Haaren und Buchenlaub eine Mark und für
einen Saft, der sich echtes Bier nennt und wie Hundewaschwasser schmeckt, eine
Mark fünfzig pro Liter zahlen, von unzähligen anderen Dingen nicht zu reden,
solange wächst, blüht und gedeiht die Ausbeutung eines Publikums, das es ein¬
mal nicht besser verdient. Es wäre nicht der Mühe wert, darüber zu reden,
wenn nicht die finanzielle und seelische Widerstandskraft derer, die nicht auf der
Sonnenseite des Kriegsverdienens wandeln, unter der systematischen Ausplünderung
litte und wenn nicht ein Preis den anderen triebe und die Preistreiberei den
Geldwert senkte und dieser Kreislauf nicht die wirtschaftliche Blutarnmt einer
ganzen Volksschicht steigerte. Leuchtend, wie Raketen in dunkler Nacht, heben


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steigen, da, wo Botschafterfrauen huldvoller ausländischen Majestäten oder Prä¬
sidenten vorgestellt werden und euer biederer alter Herr hilft auf die einfachste
aber sicherste Weise, indem er Schenks ausfüllt, dem freidenkenden Diplomaten,
seinen Posten angemessen ausfüllen. Heran, Ersatzsohlen-, Suppenwürfel-, El in
der Tute-Fabrikantentochter, heran, ihr blonden und dunkeln Sprößlinge der
Kriegsgewinnler, ein künftiger Botschafter ist zu vergeben, sofern nur Papa tief
genug in den neu gekauften Tresor steiotl Dein Ehrgeiz derer, die nach heutigen
Begriffen „Geld haben" — und das ist etwas ganz anderes, als es vor vier
Jahren wart —, bieten sich sicherlich noch mehr elegante Erscheinungen, freidenkend
und mit größter Zukunft und noch viele tüchtige Männer, die vor dem Kriege in
den sozialen Niederungen wie-Veilchen blühten, während des Krieges das Zucht¬
haus mit allen eleganten Kleidungsstücken gestreift haben, werden in der Lage
sein, zu sagen: „Mein Schwiegersohn, der Herr Graf!" — Und die Schwieger¬
mama wird den Freundinnen beim l^ito o olook stolz erzählen: „Wissen Sie,
mein Schwiegersohn ist als Alt— als Alt— als Attrapö nach einer ganz erotischen
Gegend versetzt worden." Und sie wird sehr stolz sein.

Wenn die Zeitungsnachricht stimmt, daß in Halle eine Vereinigung zur
Hebung des deutschen Gemütslebens gegründet worden ist, so können wir dem
kommenden Barockstil, — wobei nicht die Häuser, sondern die Menschen barock
sein werden — gefaßt entgegensehen. Hoffentlich beginnt die Vereinigung ihre
segensreiche Tätigkeit sofort, damit auch schon in der einigermaßen getrübten
Gegenwart sich ihre Wirkungen bemerkbar machen. Wir können einige Daseins¬
verschönerung brauchen. Nachdem die Sonne endgültig einen strategischen Rückzug
angetreten hat, muß, wer die Freuden der Saison genießen will, die hoffentlich
bezugsscheinsreie Vereinigung von Badehose und Pelzbesatz vornehmen. Der einzige*
Trost ist, daß, wenn der Sommer schöner wäre, es den Behörden gelungen wäre,
noch mehr Obst und Gemüse wegzuorganifieren, während so zwar der Konsument,
aber auch der Preiswucherer weniger zur Verfügung hat. So ergibt sich aus
der Ungunst der Zeit eine der wenigen reinen Freuden, die uns heutzutage be-
schiedsn sind, die Schadenfreude, daß der Gaunerei wenigstens einige Objekte
teilweise entzogen sind. Aber das Publikum könnte den Himmel bei der Be¬
kämpfung der Raubsucht der Händler unterstützen! Pfirsiche und Aprikosen z. B.
verderben sehr schnell und man kann auch ohne sie leben. Wenn nun auch die
Zahlungsfähigen soviel Selbstbeherrschung aufbrachten, den Preislreibern diese
Dinge zum Selbstgenuß zu lassen, folgte wenigstens diesem Wucher die Strafe
auf dem Fuße. Wenn nicht jeder Mensch von über zwölf Jabren fortwährend
einen Glimmstengel im Schnabel halten müßte, und auch die Wohlhabenden der
Allgemeinheit das gewiß nicht allzu schwere Opfer bringen würden, offenbare
Raubpreise nicht zu zahlen, stiegen die Preise nicht wie ein Fieberthermometer bei
einem Grippeansall. Freiwillige Konsumeinschränkung — völlige Enthaltsamkeit
ist gar nicht nötig I — würde mit einem Schlage der schlimmsten Ausbeutung
steuern. Aber solange die herrschend gewordene Torheit der Zeit überhaupt nicht
mehr nach billigeren Preisen fragt, sondern mit Schafsgeduld jeden Preis auch
für nicht notwendige Dinge wie eine göttliche Fügung hinnimmt und mit förm¬
licher Leidenschaft auch der offenbarsten Gaunerei die Beute hinwirft, solange
wird's schlimmer. Solange es Esel gibt, die für kümmerliche Pfirsiche vier Mark,
für eine Zigarre aus ausgekämmten Haaren und Buchenlaub eine Mark und für
einen Saft, der sich echtes Bier nennt und wie Hundewaschwasser schmeckt, eine
Mark fünfzig pro Liter zahlen, von unzähligen anderen Dingen nicht zu reden,
solange wächst, blüht und gedeiht die Ausbeutung eines Publikums, das es ein¬
mal nicht besser verdient. Es wäre nicht der Mühe wert, darüber zu reden,
wenn nicht die finanzielle und seelische Widerstandskraft derer, die nicht auf der
Sonnenseite des Kriegsverdienens wandeln, unter der systematischen Ausplünderung
litte und wenn nicht ein Preis den anderen triebe und die Preistreiberei den
Geldwert senkte und dieser Kreislauf nicht die wirtschaftliche Blutarnmt einer
ganzen Volksschicht steigerte. Leuchtend, wie Raketen in dunkler Nacht, heben


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[0161] Randglossen zum Tage steigen, da, wo Botschafterfrauen huldvoller ausländischen Majestäten oder Prä¬ sidenten vorgestellt werden und euer biederer alter Herr hilft auf die einfachste aber sicherste Weise, indem er Schenks ausfüllt, dem freidenkenden Diplomaten, seinen Posten angemessen ausfüllen. Heran, Ersatzsohlen-, Suppenwürfel-, El in der Tute-Fabrikantentochter, heran, ihr blonden und dunkeln Sprößlinge der Kriegsgewinnler, ein künftiger Botschafter ist zu vergeben, sofern nur Papa tief genug in den neu gekauften Tresor steiotl Dein Ehrgeiz derer, die nach heutigen Begriffen „Geld haben" — und das ist etwas ganz anderes, als es vor vier Jahren wart —, bieten sich sicherlich noch mehr elegante Erscheinungen, freidenkend und mit größter Zukunft und noch viele tüchtige Männer, die vor dem Kriege in den sozialen Niederungen wie-Veilchen blühten, während des Krieges das Zucht¬ haus mit allen eleganten Kleidungsstücken gestreift haben, werden in der Lage sein, zu sagen: „Mein Schwiegersohn, der Herr Graf!" — Und die Schwieger¬ mama wird den Freundinnen beim l^ito o olook stolz erzählen: „Wissen Sie, mein Schwiegersohn ist als Alt— als Alt— als Attrapö nach einer ganz erotischen Gegend versetzt worden." Und sie wird sehr stolz sein. Wenn die Zeitungsnachricht stimmt, daß in Halle eine Vereinigung zur Hebung des deutschen Gemütslebens gegründet worden ist, so können wir dem kommenden Barockstil, — wobei nicht die Häuser, sondern die Menschen barock sein werden — gefaßt entgegensehen. Hoffentlich beginnt die Vereinigung ihre segensreiche Tätigkeit sofort, damit auch schon in der einigermaßen getrübten Gegenwart sich ihre Wirkungen bemerkbar machen. Wir können einige Daseins¬ verschönerung brauchen. Nachdem die Sonne endgültig einen strategischen Rückzug angetreten hat, muß, wer die Freuden der Saison genießen will, die hoffentlich bezugsscheinsreie Vereinigung von Badehose und Pelzbesatz vornehmen. Der einzige* Trost ist, daß, wenn der Sommer schöner wäre, es den Behörden gelungen wäre, noch mehr Obst und Gemüse wegzuorganifieren, während so zwar der Konsument, aber auch der Preiswucherer weniger zur Verfügung hat. So ergibt sich aus der Ungunst der Zeit eine der wenigen reinen Freuden, die uns heutzutage be- schiedsn sind, die Schadenfreude, daß der Gaunerei wenigstens einige Objekte teilweise entzogen sind. Aber das Publikum könnte den Himmel bei der Be¬ kämpfung der Raubsucht der Händler unterstützen! Pfirsiche und Aprikosen z. B. verderben sehr schnell und man kann auch ohne sie leben. Wenn nun auch die Zahlungsfähigen soviel Selbstbeherrschung aufbrachten, den Preislreibern diese Dinge zum Selbstgenuß zu lassen, folgte wenigstens diesem Wucher die Strafe auf dem Fuße. Wenn nicht jeder Mensch von über zwölf Jabren fortwährend einen Glimmstengel im Schnabel halten müßte, und auch die Wohlhabenden der Allgemeinheit das gewiß nicht allzu schwere Opfer bringen würden, offenbare Raubpreise nicht zu zahlen, stiegen die Preise nicht wie ein Fieberthermometer bei einem Grippeansall. Freiwillige Konsumeinschränkung — völlige Enthaltsamkeit ist gar nicht nötig I — würde mit einem Schlage der schlimmsten Ausbeutung steuern. Aber solange die herrschend gewordene Torheit der Zeit überhaupt nicht mehr nach billigeren Preisen fragt, sondern mit Schafsgeduld jeden Preis auch für nicht notwendige Dinge wie eine göttliche Fügung hinnimmt und mit förm¬ licher Leidenschaft auch der offenbarsten Gaunerei die Beute hinwirft, solange wird's schlimmer. Solange es Esel gibt, die für kümmerliche Pfirsiche vier Mark, für eine Zigarre aus ausgekämmten Haaren und Buchenlaub eine Mark und für einen Saft, der sich echtes Bier nennt und wie Hundewaschwasser schmeckt, eine Mark fünfzig pro Liter zahlen, von unzähligen anderen Dingen nicht zu reden, solange wächst, blüht und gedeiht die Ausbeutung eines Publikums, das es ein¬ mal nicht besser verdient. Es wäre nicht der Mühe wert, darüber zu reden, wenn nicht die finanzielle und seelische Widerstandskraft derer, die nicht auf der Sonnenseite des Kriegsverdienens wandeln, unter der systematischen Ausplünderung litte und wenn nicht ein Preis den anderen triebe und die Preistreiberei den Geldwert senkte und dieser Kreislauf nicht die wirtschaftliche Blutarnmt einer ganzen Volksschicht steigerte. Leuchtend, wie Raketen in dunkler Nacht, heben

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/161>, abgerufen am 29.06.2024.