Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.Ideale und Irrtümer der clsaß-lothringischen Frage allein weckt ja schon den Geist des eifersüchtigen Grasen Beust, dessen Nachfahren Eine elsaß-lothringische Republik wäre eine offene, ein Großherzogtum eine Ideale und Irrtümer der clsaß-lothringischen Frage allein weckt ja schon den Geist des eifersüchtigen Grasen Beust, dessen Nachfahren Eine elsaß-lothringische Republik wäre eine offene, ein Großherzogtum eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0122" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333967"/> <fw type="header" place="top"> Ideale und Irrtümer der clsaß-lothringischen Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_475" prev="#ID_474"> allein weckt ja schon den Geist des eifersüchtigen Grasen Beust, dessen Nachfahren<lb/> auch heute wie zur Zeit der Reichsgründung nur zu gern bereit sind, in diplo¬<lb/> matischen Verhandlungen und Rechtsgutachten über jeden Zwischenfall im neuen<lb/> „Reichslande" zu Gericht zu sitzen. Die internationale Geschichte unseres Problems<lb/> im letzten Menschenalter mahnt dringend von solch Untauglichen Versuchen ab.<lb/> Und ebenso zwingt die nationale Selbstachtung unserer Innenpolitik, den allzu<lb/> breiten Weg zu verlassen, den die bisherige Entwicklung eingeschlagen hatte. Mag<lb/> der neuen Schöpfung vor der Hand auch bereitwillig der Zusatz „als deutscher<lb/> Bundesstaat" zugebilligt werden: „Die politischen Folgen", so mahnt auch Laband,<lb/> „würden auf. alle Fülle in einer noch weiteren und gänzlichen Entfremdung der<lb/> Regierung des Reichslandes von der Regierung des Reiches bestehen."</p><lb/> <p xml:id="ID_476"> Eine elsaß-lothringische Republik wäre eine offene, ein Großherzogtum eine<lb/> verdeckte französische Kulturprovinz, deren politischer und militärischer Anschluß an.<lb/> Frankreich nur eine Frage der Zeit und besonderer Umstände ist. Gerade ein<lb/> neuer Landesherr, der einer landfremden, wurzellosen Dynastie entnommen werden<lb/> müßte, würde auch beim besten Willen und im Besitz eines sehr beträchtlichen<lb/> eigenen Vermögens nur zu bald von der Gunst und Mißgunst der Landtags¬<lb/> mehrheit abhängig sein. Aus dem „Reichslande" wäre — das gesteht selbst der<lb/> Wahrmund Wasgauer Schwalb offen — in der gefährlichsten Grenzzone des<lb/> Reiches auf dem Glacis des schutzbedürftiger Süddeutschland ein parlamentarisch<lb/> regiertes Luxemburg geworden, nichts mehr, aber auch nichts weniger! Eine Land¬<lb/> tagsmehrheit würde den Staat regieren, deren Glieder zum Teil auch heute noch<lb/> offen die Sympathie mit den wegen Hoch- und Landesverrat verfolgten früheren<lb/> Parteiführern zum Ausdruck bringen. Solcher Gesinnung gegenüber als Schutz¬<lb/> wehr lediglich die Zustimmung des Reiches nicht nur zu jeder grundlegenden<lb/> Verfassungsänderung, sondern auch zur Wiederzulassung der ausgebürgerten Flücht¬<lb/> linge aufrichten wollen, heißt eine Panzerfcste auf Flugsand bauen. Gerade<lb/> die wechselnde Mehrheit unseres Reichstages mit ihrem starken demokratischen und<lb/> weltbürgerlichen Einschlag und mit ihrem skrupelloser parteipolitischer Streben<lb/> nach Einfluß und Macht bietet ja keinerlei Gewähr dafür, daß nicht über kurz<lb/> oder lang eine Amnestie die Hetzer wieder ins Land bringt. Die Entwicklung der<lb/> elsaß-lothringischen Parteiverhältnisse in den letzten Jahrzehnten und die Be¬<lb/> günstigung des „Nationalismus" durch „altdeutsche" Parteien sollte auch dem<lb/> Vertrauensseligsten eine schmerzliche Warnung sein. Aufs neue dürfte der sattsam<lb/> verhätschelte „Souvenir frein?ais" werben und wirken! Die unselige Parole<lb/> „Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern" triebe nicht nur die eingesessener Alt¬<lb/> deutschen, sondern auch die deulschgesinnten Einheimischen endlich aus einem Lande,<lb/> dessen innere Zugehörigkeit zum Reich sie bisher in treuem Vertrauen auf die<lb/> Landsleute jenseits des Rheins in rastloser, undankbarer Arbeit zu erstreiten<lb/> wagten. „Es würde sich das Ungeheuerliche ereignen, daß das Grenzland, das<lb/> das Reich in einem Weltkrieg verteidigt hat, durch dasselbe Reich in eine sür<lb/> nationale Deutsche unzugängliche Grenzzone verwandelt wird." Die Anziehungs¬<lb/> kraft des französischen Einheitsstaates und die trefflich geleitete, von der Regierung<lb/> der Republik großzügig unterstützte Werbekraft und Werbekunst seiner hochge-<lb/> priesenen Kultur einerseits, die Interesselosigkeit Altdeutschlands andererseits würden<lb/> unfehlbar in der nächsten oder übernächsten weltpolitischen Katastrophe diese spinn-<lb/> webfeinen, rein äußerlichen Fesseln des „Bundesstaates" zerreißen. Mit hämischer<lb/> Offenheit hat es der Metzer Ehrendomherr Collin noch kürzlich ausgesprochen, daß<lb/> das Verlangen nach „Autonomie" für Elsässer und für Lothringer stets nur ein<lb/> Stützpunkt des Protestes sein konnte, um vor dem deutschen Feinde die natio¬<lb/> nalistische Front unversehrt zu erhalten (ac Mräer ctsvant l'emisnü notre<lb/> krönt jnwLt). Und frohlockend verkündete die „Times" schon im Oktober 1917:<lb/> die Anregung, Elsaß und Lothringen zu einem unabhängigen Herzogtum zu machen,<lb/> zeige deutlich, wie sich die Deutschen des Landes bereits nicht mehr sicher fühlten.<lb/> Von der Autonomie zum Pufferstaat und weiter zur Desannexion ist auch für<lb/> sie nur ein Schritt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0122]
Ideale und Irrtümer der clsaß-lothringischen Frage
allein weckt ja schon den Geist des eifersüchtigen Grasen Beust, dessen Nachfahren
auch heute wie zur Zeit der Reichsgründung nur zu gern bereit sind, in diplo¬
matischen Verhandlungen und Rechtsgutachten über jeden Zwischenfall im neuen
„Reichslande" zu Gericht zu sitzen. Die internationale Geschichte unseres Problems
im letzten Menschenalter mahnt dringend von solch Untauglichen Versuchen ab.
Und ebenso zwingt die nationale Selbstachtung unserer Innenpolitik, den allzu
breiten Weg zu verlassen, den die bisherige Entwicklung eingeschlagen hatte. Mag
der neuen Schöpfung vor der Hand auch bereitwillig der Zusatz „als deutscher
Bundesstaat" zugebilligt werden: „Die politischen Folgen", so mahnt auch Laband,
„würden auf. alle Fülle in einer noch weiteren und gänzlichen Entfremdung der
Regierung des Reichslandes von der Regierung des Reiches bestehen."
Eine elsaß-lothringische Republik wäre eine offene, ein Großherzogtum eine
verdeckte französische Kulturprovinz, deren politischer und militärischer Anschluß an.
Frankreich nur eine Frage der Zeit und besonderer Umstände ist. Gerade ein
neuer Landesherr, der einer landfremden, wurzellosen Dynastie entnommen werden
müßte, würde auch beim besten Willen und im Besitz eines sehr beträchtlichen
eigenen Vermögens nur zu bald von der Gunst und Mißgunst der Landtags¬
mehrheit abhängig sein. Aus dem „Reichslande" wäre — das gesteht selbst der
Wahrmund Wasgauer Schwalb offen — in der gefährlichsten Grenzzone des
Reiches auf dem Glacis des schutzbedürftiger Süddeutschland ein parlamentarisch
regiertes Luxemburg geworden, nichts mehr, aber auch nichts weniger! Eine Land¬
tagsmehrheit würde den Staat regieren, deren Glieder zum Teil auch heute noch
offen die Sympathie mit den wegen Hoch- und Landesverrat verfolgten früheren
Parteiführern zum Ausdruck bringen. Solcher Gesinnung gegenüber als Schutz¬
wehr lediglich die Zustimmung des Reiches nicht nur zu jeder grundlegenden
Verfassungsänderung, sondern auch zur Wiederzulassung der ausgebürgerten Flücht¬
linge aufrichten wollen, heißt eine Panzerfcste auf Flugsand bauen. Gerade
die wechselnde Mehrheit unseres Reichstages mit ihrem starken demokratischen und
weltbürgerlichen Einschlag und mit ihrem skrupelloser parteipolitischer Streben
nach Einfluß und Macht bietet ja keinerlei Gewähr dafür, daß nicht über kurz
oder lang eine Amnestie die Hetzer wieder ins Land bringt. Die Entwicklung der
elsaß-lothringischen Parteiverhältnisse in den letzten Jahrzehnten und die Be¬
günstigung des „Nationalismus" durch „altdeutsche" Parteien sollte auch dem
Vertrauensseligsten eine schmerzliche Warnung sein. Aufs neue dürfte der sattsam
verhätschelte „Souvenir frein?ais" werben und wirken! Die unselige Parole
„Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern" triebe nicht nur die eingesessener Alt¬
deutschen, sondern auch die deulschgesinnten Einheimischen endlich aus einem Lande,
dessen innere Zugehörigkeit zum Reich sie bisher in treuem Vertrauen auf die
Landsleute jenseits des Rheins in rastloser, undankbarer Arbeit zu erstreiten
wagten. „Es würde sich das Ungeheuerliche ereignen, daß das Grenzland, das
das Reich in einem Weltkrieg verteidigt hat, durch dasselbe Reich in eine sür
nationale Deutsche unzugängliche Grenzzone verwandelt wird." Die Anziehungs¬
kraft des französischen Einheitsstaates und die trefflich geleitete, von der Regierung
der Republik großzügig unterstützte Werbekraft und Werbekunst seiner hochge-
priesenen Kultur einerseits, die Interesselosigkeit Altdeutschlands andererseits würden
unfehlbar in der nächsten oder übernächsten weltpolitischen Katastrophe diese spinn-
webfeinen, rein äußerlichen Fesseln des „Bundesstaates" zerreißen. Mit hämischer
Offenheit hat es der Metzer Ehrendomherr Collin noch kürzlich ausgesprochen, daß
das Verlangen nach „Autonomie" für Elsässer und für Lothringer stets nur ein
Stützpunkt des Protestes sein konnte, um vor dem deutschen Feinde die natio¬
nalistische Front unversehrt zu erhalten (ac Mräer ctsvant l'emisnü notre
krönt jnwLt). Und frohlockend verkündete die „Times" schon im Oktober 1917:
die Anregung, Elsaß und Lothringen zu einem unabhängigen Herzogtum zu machen,
zeige deutlich, wie sich die Deutschen des Landes bereits nicht mehr sicher fühlten.
Von der Autonomie zum Pufferstaat und weiter zur Desannexion ist auch für
sie nur ein Schritt.
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