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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Liierarische Politik

haben. Dabei ist die öffentliche Erörterung starken Hemmungen ausgesetzt. Die
Rücksicht auf die Feinde und die Rücksicht auf den Bundesgenossen bindet seit
Beginn des Krieges gerade auf diesem Gebiete den eigentlichen Sachkennern die
Zunge. Sie predigen zwar seit Beginn des Krieges unermüdlich: die inneren
Angelegenheiten der Monarchie sind von größter Bedeutung für ihre und des
Reiches Außenpolitik', die innerpolitischen Kämpfe, namentlich der Slawen, bedeuten *
nicht sowohl einen Kampf um den Staat, als um die Außenpolitik Österreich-
Ungarns, in erster Linie um das Bündnis mit Deutschland. Diese klare Er¬
kenntnis stand von vornherein und schon viele Jahre vor dem Kriege im Mittel-
punkt aller deutsch-österreichischen Politik, Im Reiche fanden dergleichen War¬
nungen teils keinen, teils nur verworrenen und durch innerpolitische reichsdeutsche
Stimmen entstellten Widerhall. Jetzt sieht man freilich, wie recht diese Männer
gehabt haben, man erinnert sich, daß kurz vor dem Kriege die Tschechen sich als
"Avantgarde der Triple-Entente im Dreibund" bezeichnet hatten (s. "Deutsche
Arbeit" 6, 13), man sieht mit Schrecken und "staunen große Teile der Bevölkerung
und auch maßgebende Kräfte im Staate auf der Seite der Todfeinde. Man hat
das Gefühl, daß irgend etwas völlig anders werden müsse, daß etwas Ent¬
scheidendes zu geschehen habe. Dabei begeht man begreiflicherweise bei der ge¬
ringen Kenntnis der sehr verworrenen Zusammenhänge einen kleinen Denkfehler.
"Man", d. h. gewisse mehr literarisch denkende als mit den wirklichen Volkskräften
venraute Leute, folgern: Das bisherige Bündnis zwischen Deutschland und Öster¬
reich-Ungarn war einzig gestützt auf die Zustimmung der Deutschen und Magyaren,
Halle die Slawen gegen sich. Die Deutsch-Österreicher waren und sind zu schwach,
selbst mit den Magyaren zusammen, diese Form des Bündnisses zu stützend^ wie
ih>e ständigen innerpolitischen Niederlagen beweisen. Daher müssen wir das
Bündnis nicht allein aus den Deutsch-Osterreichern und Magyaren aufbauen, wir
müssen vielmehr auch die Slawen dafür gewinnen. Das aber sei., dadurch Mög¬
lich, daß wir für die "Gleichberechtigung" der Slawen innerhalb Österreichs ein¬
treten; dieses will besagen: wir müssen den Slawen zugestehen, daß auch sie auf
die Außenpolitik der Monarchie Einfluß gewinnen, ihr "Schicksal selbst bestimmen",
innen- wie außenpolitisch. Freilich ist das nur möglich, wenn wir ihnen das >
Bündnis mit Nußland ermöglichen, d. h. selbst auch uns mit Rußland verbünden.

In diesem Gedankengang, den allen Ernstes ein Redakteur der "Vossischen
Zeitung" in immer neuen Aufsätzen wie eine Lektion wiederholt, ist eine solche
Überfülle von Entstellungen, Gewaltsamkeiten, Sophistereien mit wirklichen Irr¬
tümern und literarischen Geistreicheleien verknüpft, daß man das Wesentliche der
österreichischen Frage in der Widerlegung dieser wenigen Sätze erschöpfen könnte.
Zum ersten wird wohl der reichsdeutsche Beurteiler gemerkt haben, daß, wenn
wir dem literarischen Politiker folgen wollen, die reichsdeutsche Politik nicht aus
sich bestimmt werden darf, sondern von der Frage her: wie erhalten wir Öster¬
reich-Ungarn? Damit ist freilich das kühne Gedankengebäude für jeden ernsthaften
Deutschen von vornherein erledigt. Aber wenn wir von dieser weltpolitischen
Konstruktion unseres Literaten absehen, bleibt immer noch genug des Unmöglichen
übrig. Zunächst wird es ihm schwer fallen, uns auch nur aus einer einzigen
Stimme der tschechischen oder südslawischen Zeitungen während des Weltkrieges
zu beweisen, daß die österreichischen, Slawen in einem Bündnis mit Rußland
eine "Entschädigung" für das ihnen bis in die Wurzeln ihres Wesens verhaßte
Bündnis mit dem Deutschen Reiche zu sehen geneigt seien. Auch hier wollen
wir von den völkisch-politischen Taktfragen, die natürlich unserem Literaten völlig
unzugänglich sind, ganz absehen und nicht die Frage aufwerfen, wie ein Deutscher
es wagen könne, den Zusammenhang zwischen den Reichsdeutschen und einer kern¬
deutschen Bevölkerung, die zum Teil eine ältere deutsche Kultur hat als Teile
Reichsdcutschlands, gleichzustellen mit dem von panslawistischen Ideologen und
Hetzern geforderten, den breiten Volksschichten völlig unverständlichen Zusammen¬
hang zwischen Völkern, die sich auf ihren Kongressen in deutscher Sprache ver¬
ständigen müssen. Die Frage, was einem englisch schreibenden Literaten, gleich-


Liierarische Politik

haben. Dabei ist die öffentliche Erörterung starken Hemmungen ausgesetzt. Die
Rücksicht auf die Feinde und die Rücksicht auf den Bundesgenossen bindet seit
Beginn des Krieges gerade auf diesem Gebiete den eigentlichen Sachkennern die
Zunge. Sie predigen zwar seit Beginn des Krieges unermüdlich: die inneren
Angelegenheiten der Monarchie sind von größter Bedeutung für ihre und des
Reiches Außenpolitik', die innerpolitischen Kämpfe, namentlich der Slawen, bedeuten *
nicht sowohl einen Kampf um den Staat, als um die Außenpolitik Österreich-
Ungarns, in erster Linie um das Bündnis mit Deutschland. Diese klare Er¬
kenntnis stand von vornherein und schon viele Jahre vor dem Kriege im Mittel-
punkt aller deutsch-österreichischen Politik, Im Reiche fanden dergleichen War¬
nungen teils keinen, teils nur verworrenen und durch innerpolitische reichsdeutsche
Stimmen entstellten Widerhall. Jetzt sieht man freilich, wie recht diese Männer
gehabt haben, man erinnert sich, daß kurz vor dem Kriege die Tschechen sich als
„Avantgarde der Triple-Entente im Dreibund" bezeichnet hatten (s. „Deutsche
Arbeit" 6, 13), man sieht mit Schrecken und «staunen große Teile der Bevölkerung
und auch maßgebende Kräfte im Staate auf der Seite der Todfeinde. Man hat
das Gefühl, daß irgend etwas völlig anders werden müsse, daß etwas Ent¬
scheidendes zu geschehen habe. Dabei begeht man begreiflicherweise bei der ge¬
ringen Kenntnis der sehr verworrenen Zusammenhänge einen kleinen Denkfehler.
„Man", d. h. gewisse mehr literarisch denkende als mit den wirklichen Volkskräften
venraute Leute, folgern: Das bisherige Bündnis zwischen Deutschland und Öster¬
reich-Ungarn war einzig gestützt auf die Zustimmung der Deutschen und Magyaren,
Halle die Slawen gegen sich. Die Deutsch-Österreicher waren und sind zu schwach,
selbst mit den Magyaren zusammen, diese Form des Bündnisses zu stützend^ wie
ih>e ständigen innerpolitischen Niederlagen beweisen. Daher müssen wir das
Bündnis nicht allein aus den Deutsch-Osterreichern und Magyaren aufbauen, wir
müssen vielmehr auch die Slawen dafür gewinnen. Das aber sei., dadurch Mög¬
lich, daß wir für die „Gleichberechtigung" der Slawen innerhalb Österreichs ein¬
treten; dieses will besagen: wir müssen den Slawen zugestehen, daß auch sie auf
die Außenpolitik der Monarchie Einfluß gewinnen, ihr „Schicksal selbst bestimmen",
innen- wie außenpolitisch. Freilich ist das nur möglich, wenn wir ihnen das >
Bündnis mit Nußland ermöglichen, d. h. selbst auch uns mit Rußland verbünden.

In diesem Gedankengang, den allen Ernstes ein Redakteur der „Vossischen
Zeitung" in immer neuen Aufsätzen wie eine Lektion wiederholt, ist eine solche
Überfülle von Entstellungen, Gewaltsamkeiten, Sophistereien mit wirklichen Irr¬
tümern und literarischen Geistreicheleien verknüpft, daß man das Wesentliche der
österreichischen Frage in der Widerlegung dieser wenigen Sätze erschöpfen könnte.
Zum ersten wird wohl der reichsdeutsche Beurteiler gemerkt haben, daß, wenn
wir dem literarischen Politiker folgen wollen, die reichsdeutsche Politik nicht aus
sich bestimmt werden darf, sondern von der Frage her: wie erhalten wir Öster¬
reich-Ungarn? Damit ist freilich das kühne Gedankengebäude für jeden ernsthaften
Deutschen von vornherein erledigt. Aber wenn wir von dieser weltpolitischen
Konstruktion unseres Literaten absehen, bleibt immer noch genug des Unmöglichen
übrig. Zunächst wird es ihm schwer fallen, uns auch nur aus einer einzigen
Stimme der tschechischen oder südslawischen Zeitungen während des Weltkrieges
zu beweisen, daß die österreichischen, Slawen in einem Bündnis mit Rußland
eine „Entschädigung" für das ihnen bis in die Wurzeln ihres Wesens verhaßte
Bündnis mit dem Deutschen Reiche zu sehen geneigt seien. Auch hier wollen
wir von den völkisch-politischen Taktfragen, die natürlich unserem Literaten völlig
unzugänglich sind, ganz absehen und nicht die Frage aufwerfen, wie ein Deutscher
es wagen könne, den Zusammenhang zwischen den Reichsdeutschen und einer kern¬
deutschen Bevölkerung, die zum Teil eine ältere deutsche Kultur hat als Teile
Reichsdcutschlands, gleichzustellen mit dem von panslawistischen Ideologen und
Hetzern geforderten, den breiten Volksschichten völlig unverständlichen Zusammen¬
hang zwischen Völkern, die sich auf ihren Kongressen in deutscher Sprache ver¬
ständigen müssen. Die Frage, was einem englisch schreibenden Literaten, gleich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/118>, abgerufen am 22.07.2024.